Bootsy Collins: Gäbe es ihn nicht – man müsste ihn glatt erfinden! Ich kann mich noch gut erinnern, als ich gegen Ende der 90er-Jahre zu einem Bootsy-Konzert in Erlangen ging. Das Internet existierte zwar bereits, steckte aber noch in den Kinderschuhen und war als Informationsquelle noch nicht wirklich geeignet. Mein Wissen über Bootsy Collins beschränkte sich damals auf die Bilder und Texte ein paar weniger CD-Cover. Natürlich wusste ich aus Fachliteratur, dass Bootsy ein legendärer Funk-Bassist ist und kannte seine Musik, aber ich war nicht auf das vorbereitet, was mich an diesem Abend erwartete.
Auch wenn das damalige Konzert sicherlich nur eine abgespeckte Version dessen war, was man zu seligen Zeiten von Parliament-Funkadelic auf der Bühne sehen konnte, erlebte ich dennoch eine Erfahrung der besonderen Art. Und dies gilt insbesondere für den unfassbaren Groove. Bis dato hatte ich so etwas noch nie gehört: Es war ein Gefühl, als würde man von einem Schnellzug mitgerissen werden! Aber nicht nur aus persönlichen Gründen, sondern vor allem wegen des Dekaden überspannenden musikalischen Schaffens dieses legendären Paradiesvogels werfen wir heute einen ausführlichen Blick auf das Leben, das Werk und den Personalstil von Bootsy Collins.
Bootsy Collins – die Anfänge
Bootsy wurde als William Earl Collins am 26. Oktober 1951 in Cincinnati, Ohio, geboren. Von Beginn an war er dank seiner Familie von Musik umgeben. Sein älterer Bruder Phelps „Catfish“ Collins hatte die Gitarre als seine Leidenschaft entdeckt. Bootsy entschied sich daher für den Bass und trat schon bald der Band seines Bruders bei, die den Namen den The Pacemakers trug.
Es dauerte nicht lange, bis die beiden Collins-Jungspunde in der lokalen und überregionalen Szene auf sich aufmerksam machten – sie avancierten sogar zur „Haus-und-Hof“-Rhythmussektion des Plattenlabels „King Records“. Für die Artists dieser Plattenfirma machten sie Aufnahmen und bildeten auch die Live-Band bei Konzerten.
Eines Tages hielt sich ein gewisser James Brown in den Studios von „King Records“ auf und hörte dort zufällig The Pacemakers bei ihrer Arbeit. Wie es der Zufall wollte, hatte der „Godfather Of Soul“ gerade wieder einmal eine hohe personelle Fluktuation bei seinen musikalischen Begleitern. Kurzerhand wurde daher Bootsy gebeten, am Bass einzuspringen. Kurze Zeit darauf fiel Bootsy aus allen Wolken, als er sich selbst mit James Brown im Radio hörte: Ohne dass er es wusste, war die Session mitgeschnitten worden!
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Bassist von James Brown
Nicht das erste und nicht das letzte Mal hatte James Brown 1970 eine Auseinandersetzung über finanzielle Angelegenheiten mit seiner Band. Kurzerhand feuerte er alle Musiker und ließ die „King Records“-Band The Pacemakers einfliegen. Die erste Maßnahme von Bootsys neuem Chef war, dem jungen Bassisten anständiges Equipment zu kaufen, darunter ein 1969er Fender Jazz Bass mit Flatwound-Saiten.
Bootsy und die komplette Band sollten nur etwa ein Jahr an der Seite von James Brown bleiben, bis es aufgrund von erneuten Differenzen über Geld zum Bruch kam. Allem Anschein nach war Bootsy darüber aber nicht sonderlich betrübt, denn in seinem Kopf schwebte er bereits in einem anderen musikalischen Universum.
Zu Bootsys Zeit in der Band des „Godfather Of Soul“ waren auch absolute Hochkaräter wie die Saxophonisten Maceo Parker und Pee Wee Ellis oder Posaunist Fred Wesley Mitglieder der Band. Musikalisch gilt diese Periode als kreativer Höhepunkt von James Brown. Damals entstanden legendäre Aufnahmen mit Klassikern wie „Sex Machine“, „Talking Loud and Saying Nothing“, etc. Bootsy und der Rest der Band drückten der Musik von James Brown ihren Stempel auf, kreierten einen ganz neuen Sound – und ein neues Level an Funk!
Zahlreiche Stilelemente, die sich im späteren Werk von James Brown, aber auch bis heute noch in diesem Genre finden, entstanden während der damaligen Zeit. Noch nie hatte eine Band die Kunst der Verzahnung von vielen in sich luftigen, aber rhythmisch unterschiedlichen Parts zu einem großen Ganzen auf derartige Weise perfektioniert. Mehr zu Bootsys Beitrag findet ihr im Abschnitt zu seinen musikalischen Stilmerkmalen.
Der nächste Streich: P-Funk mit Parliament-Funkadelic
Schon während seiner Zeit bei James Brown hatte Bootsy die Vision, etwas Ausgefallenes und Verrücktes zu machen. Nach dem sehr disziplinierten Arbeiten bei Brown sollte es diesmal auch deutlich lockerer zugehen. Das erste Projekt dieser Art trug den Namen House Guests. Bootsy liebte Jimi Hendrix und eiferte seinem Vorbild nach, indem er seinen Bass durch eine Vielzahl an Effekten und verschiedeneVerstärker jagte. Auch die ausgefallenen Kostüme fand man schon bei den House Guests.
Es dauerte nur wenige Monate, bis ein ehemaliger Friseur namens George Clinton die Dienste der House Guests in Anspruch nehmen wollte. Clinton unterhielt zur damaligen Zeit eine Band namens Funkadelic, welche ursprünglich Parliament hieß, diesen Namen aber aus rechtlichen Gründen nicht mehr verwenden durfte. Heute liest man daher häufig Parliament-Funkadelic.
Im Prinzip meinen die unterschiedlichen Namen aber mehr oder weniger das gleiche musikalische Konstrukt. Unabhängig vom Namen war es George Clintons Vision, eine neue Art von Musik namens P-Funk (Pure Uncut Funk) zu erschaffen. Gleichzeitig sollte daraus aber eine Subkultur mit eigenem Look, eigenem Slang etc. entstehen und ein neues Selbstbewusstsein afroamerikanischer Musiker repräsentieren.
Die Musik lässt sich wohl am besten als eine wilde Mixtur aus Soul, Funk, Gospel und Rock beschreiben. Im Vordergrund steht aber mehr die Energie dessen, was aus dem Moment heraus passiert – fest arrangierte Songs gibt es selten. Hinzu kamen einige „Brandbeschleuniger“, die wir hier mal positiv als „leistungssteigernde Substanzen“ bezeichnen. Die Live-Shows waren wild und ausgefallen bis chaotisch. Legendär sind die Kostüme, welche an Astronauten oder Außerirdische erinnerten. Auch das Modell eines Raumschiffs auf der Bühne durfte nicht fehlen!
Parliament-Funkadelic hatte nach einigen Startschwierigkeiten großen Erfolg. Hits wie „Give Up the Funk“, „Mothership Connection“ und „Flash Light“ fanden ihren Weg zu hohen Chart-Platzierungen und sind Teil des allgemeinen Funk-Kanons. Der Einfluss von Parliament-Funkadelic reicht bis heute, zum Beispiel nutzen viele Rapper den legendären P-Funk als Quelle für ihre Samples.
Bootsy Collins war sicher schon immer ein extrovertierter Typ, entwickelte sich aber bei seiner Zeit mit George Clinton zu einem schillernden und präsenten Frontmann weiter. Diese Fähigkeiten sollten ihm zu einer bis heute andauernden Solokarriere verhelfen.
Bootsy Collins: Solokarriere und Kooperationen
Während seiner Zeit bei Parliament-Funkadelic formte Bootsy seine eigene Band namens Bootsy’s Rubber Band. Vor allem seine ersten drei Soloalben „Stretchin Out In Bootsys Rubber Band“, „Ahh… The Name Is Bootsy, Baby!“ und „Playa Of The Year“ aus den 70er-Jahren gelten allesamt als Meilensteine des Funk.
In den folgenden beiden Dekaden wurde es etwas ruhiger um Bootsy. Er veröffentlichte weiterhin Soloalben, die jedoch nicht mehr die gleiche Aufmerksamkeit erregten. Immer wieder kam es auch zu Kooperationen mit anderen Künstlern, die ihre Produktionen mit einer Prise von Bootsys Funk veredeln wollten.
Deutlich mehr Popularität erlangte Bootsy dann wieder dadurch, dass Größen wie Snoop Dog, Fat Boy Slim, Buckethead sowie bei in Deutschland Die Fantastischen Vier, Mousse T. und Stefan Raab ihn als großen Einfluss nannten und die Zusammenarbeit mit dem Paradiesvogel suchten.
Bootsys Ankunft in der heutigen Musiklandschaft repräsentiert wohl sein 1997er-Album „Fresh Outta P-University“, das mit einem fetten Sound, modernen Beats, sowie zahlreichen populären Gästen glänzt. Seither erschienen weitere Alben, die allesamt P-Funk im modernen Gewand zeigen. Vor allem „World Wide Funk“ aus dem Jahre 2017 kann ich nur jedem ans Herz legen. Darauf sind unter anderem auch die Basslegenden Stanley Clarke und Victor Wooten zu hören.
Bootsy Collins: Personalstil & Equipment
Collins’ Bassstil zu analysieren, wird der Sache nicht gerecht: Bootsy ist ein Gesamtkunstwerk und eine „Larger Than Life“-Figur, von der er auch im Alltag niemals abweicht. Sein extravaganter Look inklusive Samtroben, Zylinder und Stern-Brillen ist ebenso Teil seiner Identität wie sein musikalischer Stil. Seine Körpergröße von fast 2 Metern macht seine Erscheinung nur noch beeindruckender.
Die Extravaganz drückt sich ebenfalls in der Wahl der Instrumente, Effekte und Verstärker aus. Zunächst startete er noch ganz klassisch mit dem Fender Jazz Bass und dem Fender Precision Bass. Bereits in den 70er-Jahren ließ sich Bootsy seinen ersten Star Bass bauen. Dieser besaß das Design eines Sterns und umfasste drei Tonabnehmer, von denen jeder einen einzelnen Ausgang am Instrument aufwies und unterschiedliche Effekte und Verstärker ansteuerte. Bis zu neun Amps und 18 (!) Boxen waren zu dieser Zeit für Bootsy keine Seltenheit.
In späteren Jahren gab es den Star Bass von (zunächst) Washburn und dann von Warwick. Die deutsche Company baute auch viele Infinty Bootsy-Modelle. Häufig wird sein Sound mit „Space Bass“ oder „Underwater Sound“ bezeichnet.
Dafür sind unzählige Effekte wie Wahwah, Envelope Filter, Fuzz, Phaser, Delay etc. verantwortlich. Eine komplette Liste an Pedalen und Marken würde hier jeglichen Rahmen sprengen. Ein Effektgerät, welches jedoch immer mit Bootsy Collins in Verbindung bleiben wird, ist das Mu-Tron III der Firma Musitronics. Dieser Envelope Filter ist sozusagen der Ursprung von Filter-Sounds für Bass und verantwortlich für „den“ Bootsy-Sound. (Einen ausführlichen Artikel zu diesem Pedal gibt es hier!)
Bootsys Auffassung von Bass, Funk und Groove fasst der Meister selbst in diesem legendären Video zusammen:
Eine fette 1 („The Power Of The One“), danach viel Luft und ein paar kleine Synkopen (Akzente zwischen den Zählzeiten) sind demnach die wesentlichen Elemente seines Stils. Ein weiterer wichtiger Punkt ist die bereits angesprochene Verzahnung von verschiedenen Instrumenten mit unterschiedlichen Rhythmen. Es werden – abgesehen von der 1 – nur vergleichsweise wenig Akzente unisono gespielt, stattdessen greifen viele kleine Zahnräder ineinander und ergeben etwas, das größer als die Summe seiner Teile ist.
In seiner Zeit bei James Brown konnte man dieses Konzept bereits erkennen, allerdings war Bootsy damals noch jung und ungestüm. Daher spielte er in dieser Phase auch noch deutlich mehr Noten als in späteren Schaffensperioden.
Nimmt man „Sex Machine“ als Beispiel, so erkennt man ein geniales Ineinandergreifen von Bass, Schlagzeug und Gitarren. Auf dem Papier scheint nichts zusammenzupassen – in der Summe ergibt sich jedoch ein schier unglaublicher Groove. Bootsys Bassline ist dabei noch relativ dicht. In späteren Jahren sollte sein Spiel wesentlich luftiger und entspannter werden, ohne dabei an Wirkung einzubüßen.
Bei Parliament-Funkadelic und auf seinen Soloalben hört man auch häufig sogenannte Off-Beat-Achtel. Dabei ist die erste Note kurz und betont, die zweite lang. Ein hervorragendes Beispiel dafür ist der Song „Flashlight“.
Bootsys melodisches Arsenal besteht zum großen Teil aus den in Funk „üblichen Verdächtigen“ Grundton, Oktave, Septime und Sexte. Hinzu gesellen sich natürlich die Moll- und Dur-Pentatonik. Wenn Bootsy mal zu Skalen greift, sind dies in der Regel die Myxolydische (für Dominantseptakkorde) oder die Dorische Tonleiter (für Moll7-Akkorde).
Jahrhundertkünstler Bootsy Collins
Bootsy Collins – dieser Musiker ist nicht nur Bassist, sondern ein Jahrhundertkünstler. Eine Musiklegende, die über nahezu 60 Jahre hinweg unzählige Künstler massiv beeinflusst hat. Aber auch Legenden kommen in die Jahre – seit 2004 gibt Bootsy leider keine Livekonzerte mehr. Trotzdem ist der großartige Bassist und Frontmann nach wie vor musikalisch aktiv, wie seine Soloalben erkennen lassen.
Darüber hinaus kümmert er sich auch um die junge Generation und unterstützt mit seiner „Bootsy Collins Foundation“ benachteiligte Jugendliche, welche durch Musik und Musiktherapie neue Perspektiven und Chancen in ihrem Leben erhalten sollen. Bootsy, keep up the Funk!