Alle Jahre wieder: Im Advent ist das Musizieren so beliebt wie das Naschen von Lebkuchen und anderer Leckereien. Saisonale Musik – erst recht das sechsteilige Weihnachtsoratorium von J.S. Bach – ertönt in etlichen Konzerten. Festliches Liedgut ist auch in den eigenen vier Wänden sehr willkommen. Doch bevor wieder einmal das nächste „Last Christmas“ im Radio erklingt: Bitte selber entspannt ans Instrument setzen, ein wenig singen und mit allen Sinnen aktiv werden.

Gerade die Weihnachtsmusik bietet sich für eine „praktische Gehörbildung“ an. Du hast die Melodie bereits seit vielen Jahren im Kopf und musst sie jetzt auf der Tastatur umsetzen. Das ist eine gute Übung, die auch Inhalt deines Unterrichts sein könnte. Zudem probierst du die passenden Akkorde und überlegst dir vielleicht noch eine eigene Interpretation – dies alles ohne sofort eines der vielen weihnachtlichen Notenalben aufzuschlagen. Am Keyboard kannst du dich also kreativ mit Akkorden und Klängen beschäftigen oder einfach einmal die Seele baumeln lassen. Vielleicht hast du sogar diesmal eine Idee für ein besonderes Weihnachtsgeschenk und produziert deinen eigenen Xmas Song?

Worum es geht
Dieser Workshop ist kein Adventskalender, nach dem du dich verbindlich orientieren kannst. Vielmehr inspiriert er durch praktische Ansätze, wie sich Weihnachtslieder stilistisch aktueller oder zumindest ein wenig bunter darbieten lassen. Wegen des meist ruhigen und besinnlichen Charakters liegt es nahe, die traditionellen Lieder vor allem in Richtung „Chillout- und Lounge-Style“ zu arrangieren. Natürlich sind auch Jazz, Latin oder Rock angesagte Musikstile. Du läufst aber schnell Gefahr, dass es zwar sehr jazzig, rockig oder lateinamerikanisch und alles enorm cool wird, aber die so wichtige weihnachtliche Stimmung verloren geht.
Deshalb möchten wir dir unser Credo ans Herz legen: Das ursprüngliche Weihnachtslied muss stets klar erkennbar bleiben – so der Schlüssel zum Erfolg. Idealerweise schaffst du eine ausgewogene Balance zwischen den alten vorgegebenen Strukturen und einem neuen, möglichst unaufdringlichen Design. Starte mit der originalen Melodie und Harmonik und verändere sie zunächst ein wenig durch Klangfarben und rhythmische Variationen in der Begleitung.
Auswahl der Titel
Zunächst aber packt dich die Qual der Wahl: Es finden sich unzählige Werke, die anlässlich des Weihnachtsfests komponiert wurden. Nur einige Dutzende sind aber zu Klassikern geworden. Welches Stück soll denn nun im neuen Style erklingen? Nun, auf der sicheren Seite – gerade im Hinblick auf Aufführungen und Veröffentlichungen – bist du jedenfalls mit GEMA-freier Musik. Davon gibt es mehr als genug. Alle klassischen Weihnachtslieder aus dem deutschsprachigen Raum sind praktisch frei für deine Bearbeitungen.
Bitte sehr, hier kommen Beispiele, sortiert von A bis Z:
- „Alle Jahre wieder“
- „Der Christbaum ist der schönste Baum“
- „Es ist ein Ros entsprungen“
- „Ich steh an deiner Krippe hier“
- „Ihr Kinderlein kommet“
- „Jingle Bells“
- „Leise rieselt der Schnee“
- „Maria durch ein Dornwald ging“
- „O Du Fröhliche“
- „Stille Nacht“
- „Tochter Zion“
- „Vom Himmel hoch, da komm’ ich her“
- „Zu Bethlehem geboren“
Wenn du die Melodie jeweils routiniert nach Gehör spielen kannst, ist das natürlich klasse. Falls nicht, gibt es Hilfen: Noten GEMA-freier Titel finden sich im Netz. Über 50 klassische Weihnachtslieder stehen zum PDF-Download bereit. Wie so oft bewährt sich die Erkenntnis „Nicht alles im Internet ist fehlerfrei“. Also, sämtliche Quellen kritisch betrachten und im Zweifelsfall ruhig dem eigenen Gehör vertrauen.

Wer Musik zu Weihnachten macht, sollte auch gern ein wenig über den Tellerrand schauen. Alte Volksweisen bieten sich an: „Greensleeves“ aus dem 16. Jahrhundert ist seit dem vorletzten Jahrhundert als „What Child Is This“ bekannt. Es handelt sich um die gleiche Melodie, die Lyrics haben jedoch die Geburt Christi als Thema. Populärklassische Werke wie „Ave Maria“ von Bach-Gounod oder die Spirituals „Amazing Grace“ und „Go tell it on Mountain“ sorgen für eine schöne Abwechslung zu den üblichen Liedern. Einige Stücke zum Thema „Winter“ solltest du auch auf dem Schirm haben, so zum Beispiel den Walzer „Die Schlittschuhläufer“ von Emil Waldteufel.

Für die Zeit nach Weihnachten einschließlich Neujahr passt beispielsweise das Traditional „Auld Lang Syne“, von dem etliche Fassungen existieren. Oder wie wäre es mit „Des Jahres letzte Stunde“? „Stille Nacht“ ist ein Titel für Heiligabend, für den Nikolaustag kommt „Lasst uns froh und munter sein“ passend. Ein sicheres Gefühl für den richtigen Zeitpunkt solltest du haben – vor allem, wenn du Livemusikmachst und deine Arrangements öffentlich präsentierst.
Dies sind einige Ideen. Kennst du deine Favoriten unter den Xmas Songs sowieso schon lange, brauchst du nicht zu zögern. Falls die geliebte Melodie aber rhythmisch wie tonal zu komplex ist, solltest du flexibel sein und besser andere Titel wählen für deine Projektvorlage. Vor allem die sehr einfachen Titel mit Melodien, die auf vielen Akkordbrechungen oder Tonwiederholungen (wie etwa „Jingle Bells“) beruhen, lassen dir viel Freiraum für deine eigene Akkordfolgen. Und noch eine Bitte: Nicht verbiegen beim Spielen und Arrangieren. Eine bitter konstruierte Version eines Weihnachtslieds möchte nun wirklich keiner hören.
Neue Akkorde verwenden: Reharmonisation
Nun hast du dir ein weihnachtliches Stück für deinen Remake ausgesucht. Die Melodie ist bekannt und tonal weitgehend vorgegeben. Herausfinden können und werden wir nun ein paar alternative Akkorde – wir befassen uns also mit der Akkordbegleitung. Hier kannst du einige Entdeckungen machen. Das Stichwort lautet Reharmonisation. Wir möchten aber nun keinen Exkurs in die Harmonielehre starten und auch nicht gerade die besonders jazzigen oder exotischen Akkordverbindungen vorstellen. Am Beispiel des Klassikers „Morgen kommt der Weihnachtsmann“ erfährst du einige Möglichkeiten, wie sich die Melodie recht simpel, aber wirkungsvoll harmonisieren lässt. Gerade mit diesem Kunstgriff bringst du viele Songklassiker der Weihnachtsmusik schnell und effizient auf einen neuen Level.
Schaue dir alle folgenden Akkordschemen einmal, spiele sie auf dem Keyboardoder Digitalpiano und summe dabei die Melodie von „Morgen kommt der Weihnachtsmann“. Zur Einfachheit sowie zur besseren Lesbarkeit sind die Akkorde in der Tonart C-Dur notiert. Freilich kannst du sie beliebig transponieren und variieren, wenn du schon einigermaßen fit im Akkordspiel bist.
Reharmonisation, oder auch Reharmonisierung, ist die Bezeichnung für die harmonische Umgestaltung eines Themas (andere Akkordverbindungen), um es klanglich interessanter zu machen, oder um es der spezifischen harmonischen Sprache eines bestimmten Stilbereichs anzupassen.
Beim Spielen der Begleitakkorde bist du vielleicht schon auf eigene neue Ideen gestoßen? Falls nicht, kannst du alle Akkordfolgen und die Melodie selbst im weihnachtlichen Sound der Reihe nach hören. Wahrscheinlich findest du nun ein paar Ansätze zum einfachen Reharmonisieren. In jedem Fall merkst du ziemlich schnell, welche Akkordverbindungen dir gefallen und welche nicht.
Dass ähnliche Akkorde auch bei weiteren traditionellen Xmas Songs funktionieren, beweist ein weiteres Beispiel. Es ist ein Klassiker aus Thüringen: „Stille, Stille, kein Geräusch gemacht“. Zunächst siehst du die Akkordschemen notiert zum Nachspielen.
Wie diese Harmonien im Zusammenspiel mit der Melodie und einem weihnachtlichen Sound wirken, demonstrieren die folgenden Einspielungen.
Das komplette Stück von Dur nach Moll zu wechseln ist schon ein sehr gewagter Schritt, der nur in Einzelfällen überzeugt. Besser ist es, nicht zu stark von den gewohnten Akkordschemen abzuweichen. Anstelle eines Dreiklangs in Dur nimmst du an manchen Stellen die entsprechende Mollparallele. C-Dur → a-moll, F-Dur → d-moll, G-Dur → e-Moll und so weiter (Mollparalle in Dur: drei Halbtonschritte abwärts und auf diesen Ton einen Dreiklang bauen). Zusätzlich können noch ein paar Optionen verwendet werden, so zum Beispiel „Major 7“ oder ein „Moll 7“. Die Akkordfolge solltest du immer Kontext mit den verwendeten Sounds und dem anvisierten Songtempo betrachten. Wenn dein Arrangement bereits klanglich oder rhythmisch so richtig funkelt, sollte die Harmonik bitte einfach und überschaubar bleiben.
Passende Klänge einsetzen: Sounddesign
Klänge sind meist so plakativ wie Kleider – Nikolausstiefel, Engelskostüm oder rotweiße Mütze. Für eine gelungene Interpretation bekannter Weihnachtslieder sollte daher auch der Sound passen. Wie aber schaut das Sounddesign für Xmas Chillout denn aus? Mit einfachen und auf Chill/Lounge getrimmten Presets aus dem Arranger-Keyboard, aus der Synthesizer-Workstation oder aus einem Software-Instrument kommst du ziemlich weit. Als Pianist oder Keyboarder beginnst du wahrscheinlich mit einem akustischen Piano. Das ist immer gut. Allerdings sollte mit etwas mehr „Hall“ (Reverb – mit warmen und langen Nachhall) und einer Prise „Echo“ (tempo-synchrones Stereo Delay) nachgeholfen werden.
Ein leichtes Spiel ermöglicht klanglich das Software-Instrument Spectrasonics Keyscape mit einer sehr umfangreichen wie geschmackvollen Auswahl an Piano- und Keyboardsounds. Sanfte und wolkige E-Pianos sind auch fast immer eine sichere Wahl. Mit den Sounds akustischer Gitarren kannst du zusätzlich viel Boden gut machen. Nutze auch sphärische Collagenklänge mit einem Mix aus Gitarre, Pad und Naturgeräuschen. Bei einer Studioproduktion könntest du manche Titel mit Atmos unterlegen, die akustisch eine winterliche Landschaft vermitteln. Erzeuge also dezent Stimmungen mit Naturaufnahmen. Das gelingt sehr einfach mit dieser Bibliothek von Boomlibrary.
Seasons of Earth – Winter
Beim Thema „Xmas“ dürfen Glocken und Glöckchen keineswegs fehlen. Fantastisch ist die Library „MegaMagic Bells & Winds“ von PluginGuru, die mit Spectrasonics Omisphere und Native Instruments Kontakt 5 genutzt werden kann. Für Soloklänge sind Panflöte, Orgel, Harmonium oder auch Streicher immer gut. Bei den Akkorden bitte nicht durch sweepende Synthesizer-Pads und andere atemberaubende Flächenklänge blenden lassen. Oft sind unscheinbare Klänge besser fürs Arrangement. Übrigens: Für den Yamaha Genos undTyros-5 gibt es ein spezielles Premium Expansion Pack mit dem Titel „Church & Christmas“. Die Styles sind zwar recht traditionell gehalten, du profitierst aber von den rund 60 Voices, die sehr gut mit modernen Beats harmonieren.
Wenn du so richtig Klischees bedienen möchtest: Fast jeder rhythmische Pop-Titel kann mit Schlittenglocken weihnachtlich dekoriert und zum Xmas Song erklärt werden. Bekannt sind sie als „Jingle Bells“ und insbesondere als „Sleigh Bells“. Am Soundmarkt finden sich spezielle Sampling-Bibliotheken, die beim Arrangieren kaum noch Wünsche offenlassen sollten. Ein Tipp ist „Sleigh Bells 2“ für NI Kontakt, das die Klangschmiede Sonokinetic offeriert. Du findest aber in einigen Drumkits ähnliche Sounds, die für den Anfang reichen. Zur Live-Darbietung kannst du ein Schellenband wie die Studio 49 Sleighbell Wristles sogar recht kostengünstig erwerben. Ob Studio oder live: Bitte mit den Schlittenglocken sparsam und vor allem überwiegend im Chorus oder anderen Hauptteilen eines Songs als „Gag“ verwenden – das Publikum wird es dir danken. Wie also klingen gute und vor allem chillige „Xmas Sounds“, mit denen du jammst oder arrangierst? Hier hörst du sie einzeln angespielt:
Rhythmik und Groove
Was haben „Stille Nacht“, Leise rieselt der Schnee“ und viele andere traditionelle Weihnachtslieder gemeinsam? Richtig, es sind Stücke im 3/4-Takt. Für eine typische Chillout-Version musst du sie in einen anderen Rhythmus, den 4/4-Takt bringen. Das funktioniert in der Praxis viel einfacher als du wohl vermutest. Eigentlich brauchst du nur die „lange Note“ im jedem Takt um eine Viertel zu verlängern – so die vereinfachte Faustregel. Hier drei Hörbeispiele, wie bekannte Weihnachtslieder anstelle des originalen 3/4-Takts nun im Vierertakt und mit unterlegten Beats klingen.
Mit Arranger-Keyboards wie Yamaha PSR, Genos, Tyros, Korg Pa4X, Pa1000, Pa700 und Casio CT-X5000 kannst du dich ziemlich schnell und spaßbetont durch verschiedene Stilistiken schlängeln. Das funktioniert übrigens auch mit vielen Modellen aus dem Einsteigerbereich. Im Style-Repertoire deines Keyboards findet sich wahrscheinlich ein langsamer „Christmas Waltz“ oder auch ein „Christmas Swing“ mit den typischen Sleighbells. Solche Vorlagen unter den Begleitrhythmen bitte lieber einfach ignorieren – es soll ja hip und cool werden. Wir haben die immer gleiche Melodie des Klassikers „Jingle Bells“ mit verschiedenen Begleitungen eines Yamaha Tyros-5 zur Begleitung unterlegt. Was dabei herauskommt, hörst du anhand eines Dutzend von Arrangierbeispielen. Wieder einmal wirst du sofort herausfinden, welche Arrangements dir zusagen und welche nicht.
Ein wenig Vorsicht ist bei der Solostimme geboten: Die Rhythmik der Melodie sollte je nach Groove abgeändert werden. Klassische Weihnachtsmelodien bestehen meist aus einfachen Notenwerten wie Viertel, Halbe oder Achtel. Je nach Groove musst du die Melodie rhythmisch anpassen und manchmal auch etwas dynamischer spielen. Ansonsten wirkt die Hauptstimme steif – sie groovt einfach nicht. Letztlich sollte auch jede instrumentale Version der Melodiestimme wie gesungen („cantabile“) klingen. Als Beispiel hörst du noch einmal „Jingle Bells“, nun aber in einem Samba Style. Die Melodiestimme ist bei der zweiten Version rhythmisch ein wenig abgewandelt. Zum Samba-Arrangement passt die Melodie mit einigen Synkopen besser, während die Melodietöne absolut identisch bleiben.
Wähle insbesondere Styles im 4/4-Takt, die im Tempobereich zwischen 70 und 120 bpm liegen. Verändere das originale Tempo des Styles nur wenig. Vermeide die längeren Intros und Endings, die ein Style deines Arranger-Keyboard dir anbietet. Nur selten passen sie wirklich optimal zum Xmas Song. Oft ist es günstiger, einige Spuren der automatischen Begleitung stumm zu schalten und so die Begleitung etwas auszudünnen. Mehr entfalten kannst du dich, wenn nur die wesentlichen Spuren (Drums, Bass, Pad) der Begleitautomatik verwendet werden, und du dich selber deinem persönlichen Keyboardspiel hingibst.
Schlusswort
Sicherlich weißt du nun jetzt, dass alte Lieder für Weihnachten nicht langweilig sein müssen. Letztlich zählt eben dein pfiffiges Arrangement und eine Interpretation, die emotional berührt. Noch besser ist es allerdings, sich einfach fallen zu lassen, direkt mit einer schönen Melodie zu beginnen und im „stillen Kämmerlein“ stundenlang bei Köstlichkeiten aus der Weihnachtsbäckerei zu jammen. Passt die Stimmung, kommen Ideen.
Viel Spaß beim weihnachtlichen Chillen!
MaZi MaZi sagt:
#1 - 19.11.2019 um 11:23 Uhr
Top Artikel zum Thema Reharmonisation. Absolut verständlich und immer der rote Faden im Blick. Macht einfach Spaß! Gruß M
Matthias Sauer sagt:
#1.1 - 20.11.2019 um 09:31 Uhr
Vielen Dank! Bitte es aber mit der Akkordarbeit nicht übertreiben ;)
Antwort auf #1 von MaZi MaZi
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