Das Felt Piano ist der heimliche Star moderner Klaviersounds. Alles zu diesem Sound, wie man ihn erhält und Tipps für die besten Libraries gibt es hier!

Ursprünglich wurde ein Moderatorfilz in Upright-Klavieren verbaut, um das Üben zu ermöglichen, ohne dass die Nachbarn dabei wegen der Lautstärke auf die Barrikaden steigen. Mittlerweile hat sich der intime „Felt Piano“-Klang still und heimlich zum Go-To-Sound für moderne Film-Soundtracks entwickelt, an dem sich nahezu die gesamte Neoklassik-Szene bedient. Woran liegt das? Wie erzeuge ich diesen Sound? Welche sind die besten Sample- Libraries? Das und mehr zeigen wir euch in unserem Workshop!
Quick Facts: Moderatorfilz
Der Moderatorfilz ist ein spezieller Filz, der zwischen Hämmern und Saiten eines Klaviers bei Bedienen eines Hebels abgesenkt wird. Der Moderatorfilz dient der Reduktion der Lautstärke eines akustischen Klaviers, wird heute aber auch als klangliches Stilmittel eingesetzt.
Der Siegeszug des Filzpianos
Montiert man einen Filzstreifen zwischen die Hammerköpfe und die Saiten des Klavieres, wird der Anschlag durch den Filz stark gedämpft. Es verändert sich nicht nur die Lautstärke, sondern vor allem auch die Klangfarbe. Mit dem sogenannten „Moderatorfilz“ klingt das Piano ziemlich dumpf. Die Obertöne und Höhen werden nahezu eliminiert, wodurch ein intimer und mauscheliger Sound entsteht – ein interessanter Gegenentwurf zum üblichen Klavier-Sound, der je nach Instrument schon sehr klar und brillant ausfallen kann. Mit Filz klingt alles gleich ein wenig melancholischer und stimmungsvoller, wie ihr diesem A/B-Vergleich entnehmen könnt:
Wann genau Pianisten damit anfingen, die Moderator-Funktion als Stilmittel neu zu entdecken, lässt sich nicht genau sagen. Größere Bekannt- und Beliebtheit erlangte der Filz-Sound jedenfalls 2004, als Chilly Gonzales ihn auf seinem Album „solo piano“ einsetzte.
Der Hamburger Pianist Nils Frahm kam durch Zufall zu dem Sound, als er wegen der Nachbarn nachts leise üben musste und sich dabei in den dumpfen, intimen Klang verliebte. Das daraus resultierende Album „Felt“ ebnete ihm 2011 seinen Durchbruch und stieß eine ganze Welle aus Pianisten an, die nun auch in ihren Kompositionen den Filz-Sound benutzten.
Heutzutage ist der Moderator-Klang aus der zeitgenössischen, klassischen (Film)-Musik kaum wegzudenken und gilt als wesentliches Element der florierenden „Neoklassik“-Szene mit Künstlern wie Olafur Arnalds, Niklas Paschburg oder Martin Kohlstedt. Der Sound wurde in diversen Sample-Libraries und Software-Instrumenten verewigt und hat sich zum elementaren Sprach-Rohr und Ausdrucksmittel zeitgenössischer (Film)-Komponisten entwickelt.
Was macht den Klang so besonders und beliebt?
Der Filz-Sound bricht mit dem Jahrhunderte alten Klangbild, das wir vom Klavier gewohnt sind. Der dumpfe, leise und fast etwas „klein“ wirkende Klang fügt sich perfekt in den minimalistischen Ansatz moderner Film-Soundtracks ein.
Durch die Dämpfung verringert sich das Lautstärke-Verhältnis aus Ton und den typischen Nebengeräuschen eines Klavieres. Das Knarzen des Klavierhockers oder Pedals, das Anschlaggeräusch der Hämmer … alles wirkt plötzlich wie verstärkt, auch wenn es eigentlich schon immer da war. Es sind gerade die Nebengeräusche, die den Hörer nahezu in das Klavier „versinken“ lassen. Sie erzeugen so eine zerbrechliche Nähe, die ein ebenso hohes Emotions-Potenzial hat. Ein schöner Nebeneffekt ist, dass der Filz auch weniger schön klingende, alte oder verstimmte Klaviere wieder aufleben lässt, da u. a. schräge, ungewünschte Obertöne wegfallen.
Felt Piano: Die besten Sample Libraries
Seltsamerweise hat der Filz-Sound noch nicht den Weg in einschlägige Stage- und E-Pianos gefunden. Jedoch gibt es diverse Sample-Libraries, die diesen Klang in Software-Instrumenten zugänglich machen. Einige davon habe ich mit stets demselben MIDI-File gespeist, so dass ihr die Klang-Unterschiede direkt vergleichen könnt.
Fracture Sounds: Woodchester Piano (Library)

Das „Woodchester Piano“ ist eine Kontakt Library von Fracture Sounds, welche auf Samples eines Wilh. Steinberg German Series Upright-Pianos basiert. Die charakteristischen Nebengeräusche lassen sich separat regulieren. Außerdem können im „Layer Mixer“ Granular-Flächen und Pitch/Modulations-Reverbs hinzugemischt werden, die auf Basis des Klavierspiels entstehen.
Preis: Ca. 69 € | Zur Webseite des Anbieters |
Spitfire Labs: Soft Piano (Library)

Spitfire Labs ist ähnlich wie Kontakt eine eigenständige Software-Plattform, die verschiedene Sample Libraries von Spitfire beherbergen kann. So auch das kostenlose Soft Piano, welches auf Samples eines Yamaha U3 Upright Pianos basiert, das übrigens auch für diesen Workshop Pate stand. Im Vergleich zum Woodchester Piano hat das Soft Piano einen sehr dumpfen, mittigen Sound mit wenig Filz/Neben-Geräuschen und bietet bis auf Volume und Reverb keine weiteren Parameter. Es ist zum Einstieg in die Felt Piano-Welt jedoch ein durchaus brauchbares Instrument und lässt sich kostenlos von der Hersteller-Homepage downloaden. Wenn ihr auf der Suche nach etwas mehr Klang-Variation seid, bietet Spitfire auch noch das günstige ‚Cinematic Soft Piano‘, bei welchem das Konzept des Soft Pianos deutlich erweitert wurde.
Preis: Kostenlos | Zur Webseite des Anbieters |
Native Instruments: Noire

Beim Native Instruments „Noire“ wurde der Filz in einem Flügel verbaut. Eine Sonderanfertigung, da konstruktionsbedingt vorwiegend Upright-Pianos für den Moderatorfilz prädestiniert sind. Der präparierte Yamaha-Flügel gehört dem Neo Klassik-Pionier Nils Frahm und wurde im ehrwürdigen Funkhaus-Studio in Berlin-Köpenick aufgenommen. Es liefert mit „Classic“ und „Deep“ unterschiedliche Filz-Sounds und bietet mit der Particles Engine ähnlich wie das Woodchester Piano klavierbasierte Sound Design-Inspirationen. „Noire“ läuft in Native Instruments‘ hauseigenem Kontakt Player.
Preis: Ca. 149 € | Zur Webseite des Anbieters |
Felt Instruments: Lekko Piano

Das Lekko Piano von Felt Instruments basiert auf einem charaktervollen, kleinen skandinavischen Upright Klavier. Auch hier gibt es zusätzlich zum Basis Sound eine ganze Reihe an Effekten wie Tape Echo, Reverb und andere, experimentelle Processing-Sounds.
Preis: Ca. 49 € | Zur Webseite des Anbieters |
Pianobook (Webseite)

Das Pianobook ist eine Plattform, auf der Ton-Ingenieure aus der ganzen Welt kostenlose Sample Libraries zur Verfügung stellen, die sie selbst erstellt haben. Das Angebot ist riesig und beinhaltet auch verschiedene „Filz-Pianos“. Die meisten Libraries laufen in Kontakt oder im Logic-eigenen ESX-Sampler.
Preis: Kostenlos | Zur Webseite des Anbieters |
Hier habe ich noch einmal alle Library-Hörbeispiele gesammelt und ein Audio meines echten Klavieres zum Vergleich hinzugefügt.
Filz-Sound selbst gemacht!
Habt ihr ein Piano mit Moderatorfilz zu Hause, könnt ihr natürlich auch auf einschlägige Libraries verzichten und aus eurem eigenen Klavier den begehrten Filz-Sound herauskitzeln. Bei Pianos ohne Moderator ist es für eine/-n geübten KlavierbauerIn eine Kleinigkeit, so etwas nachträglich einzubauen. Um den optimalen Filz-Sound aus eurem Piano herauszuholen, gibt es dann in Sachen Mikrofonierung und Fein-Justierung noch einige Dinge zu beachten.
Filz-Justierung: Vorsicht vor mitschwingenden Saiten
Beim Filz-Piano gibt es je nach Instrument oft einen ungewünschten Nebeneffekt: Wird eine Tastegespielt, kann es passieren, dass durch den Filz-Streifen benachbarte Saiten leicht mit angeschlagen werden. Bei getretenem Haltepedal klingt das dann gern mal etwas schräg oder dissonant, gerade wenn mehrere Tasten nacheinander gespielt werden. Um dieser Problematik Herr zu werden, gibt es verschiedene Ansätze:
1. Die Filz-Stärke
Der Klavierbau-Markt bietet verschieden dicke Filze, die wiederum einen Einfluss auf die Klangfarbe und das Mitschwingen anderer Saiten haben. Je dicker der Filz, desto dumpfer der Sound. Und desto wahrscheinlicher, dass ungewünschte Saiten mit angeschlagen werden. Bei einem zu dünnen Filz hingegen entsteht die Gefahr, dass der gewünschte, intime Effekt kaum eintritt. Jedes Instrument hat auch mechanisch bedingt ein unterschiedliches Anschlagsverhalten der Hammerköpfe. Hier muss von Klavier zu Klavier ein wenig mit verschiedenen Filz-Stärken experimentiert werden. So lange, bis eine gute Balance aus Klang und Mitschwingen gefunden wird. Alternativ hilft es, den Filz zwischen einzelnen Saiten-Gruppen leicht anzuschneiden, um den Filz etwas flexibler zu halten.

2. Die Filz-Höhe
Eine andere Stellschraube ist die Justierung des Punktes, an dem der Hammerkopf auf den Filz trifft. Dazu lässt sich die Höhe des Filzes meist mittels einer Schraube über dem Moderator-Pedal (siehe Foto) einstellen. Je höher ihr den Filz einstellt, desto weniger ungewünschte Saiten schwingen beim Spielen mit. Allerdings steigt auch die Gefahr, dass der Filz an manchen Punkten gar nicht mehr zwischen Saiten und Hammerkopf steht. Hier ist also das richtige Mittelmaß gefragt, welches ihr durch Justieren und Probieren aber schnell finden werdet!
Mikrofonierung: Dumpf oder filzig?

Ist euer Filz vor den Klaviersaiten eingelassen und justiert, braucht es noch die richtige Mikrofonierung. Da es beim Abnehmen eines Klavieres diverse Ansätze und Varianten gibt, beschränke ich mich hier auf die Nutzung von zwei Mikrofonen, denn ich will mich auf die beim Filz-Piano wichtige Grundsatzfrage konzentrieren: Abnahme von vorne oder von hinten?
Front-Mikrofonierung
Entscheidet ihr euch für die Front-Abnahme eures (Filz)-Pianos, so entscheidet ihr euch auch für Nebengeräusche aller Art: Man hört den Anschlag des Hammers auf dem Filz, das Treten des Sustain-Pedales, das Klappern der Tasten etc. Wie ihr weiter oben lesen und hören könnt, haben Pianisten wie Nils Frahm diesen nicht perfekten, aber dadurch sehr charaktervollen Sound zum Stilmittel auserkoren. Gerade bei Solo-Instrumentalstücken stellt die Front-Abnahme die Intimität und Nähe des Filz-Pianos besonders heraus. Soll das Piano hingegen eine untergeordnete Rolle in einem größeren Arrangement oder als Gesangs-Begleitung spielen, können eben diese Nebengeräusche auch störend wirken.
Für mein Klavier habe ich eine phasengetreue XY-Mikrofonierung gewählt und darauf geachtet, dass die Mikrofone in relativ geringem Abstand möglichst auf den Punkt zeigen, wo der Hammerkopf auf den Filz trifft (siehe Fotos). Für die Front-Abnahme eignen sich vor allem Kleinmembran-Mikrofone wie das Oktava MK-012 oder das Neumann KM184 besonders gut, da sie schnell auf Anschläge/Transienten reagieren und einen sehr detaillierten, fokussierten Sound haben. Auch Bändchen-Mikrofone wie das Royer R-122 machen bei der Front-Abnahme einen fabelhaften Job, sind allerdings in den Höhen meist leicht gedämpft.
Mikrofonierung der Rückseite
Positioniert ihr eure Mikrofone auf der Rückseite des Klavieres, treten die Nebengeräusche in den Hintergrund. Stattdessen erhaltet ihr einen voluminösen, sehr dumpfen Sound mit deutlich hörbaren Tasten-Anschlägen. Diese Mikrofonierung eignet sich besonders für größere Arrangements oder Klavier-Balladen, bei denen das Piano zwar nah und intim, aber dennoch einem anderen Element (Gesang, Gitarre …) untergeordnet sein soll. Für die Rückseite eignen sich vor allem Großmembran-Mikrofone wie etwas das AKG C414 oder Neumann TLM-102, die den breiten, voluminösen Sound der Klavier-Rückseite gut einfangen. Aber auch Bändchen-Mikrofone sind für diesen dumpfen, aber dennoch reichen Sound gut zu gebrauchen. Ich habe eine A/B-Mikrofonierung gewählt, bei welcher die Mikrofone in etwa auf der Höhe hinter dem Klavier ausgerichtet sind, wo vor dem Klavier die Hammerköpfe auf die Saiten treffen (siehe Foto). So werden die einzelnen Anschläge von den Mikrofonen gut aufgenommen.

Der Mix machts
Ist euch der Front-Sound zu dünn, der Back-Sound hingegen zu dumpf, könnt ihr die beiden Signale auch mischen. Mir gefällt es sehr, wenn ich den Sound der Rückseite als Ausgangslage nehme, den Front-Sound deutlich im Bass beschneide und ihn dann ganz leicht hinzumische. Die möglichen Phasen-Probleme werden durch den Low-Cut der Front verringert. So habe ich das Volumen der Rückseite, ohne aber auf die Filz-Nebengeräusche von der Front verzichten zu müssen. Aber hört selbst:
Das Angebot an verschiedenen Mikrofon-Typen und Mikrofonierungs-Arten setzen der Kreativität keine Grenzen. Und es gibt viele Wege, den Filz-Sound wohlklingend einzufangen. Hier kann ich euch nur viel Spaß beim Experimentieren wünschen und hoffe, dass euch meine persönlichen Lieblings-Techniken weiterhelfen.
Zum Schluss

Keine Frage: Der Charme des Filz-Sounds ist in 2020 längst über den Geheimtipp-Status hinausgewachsen. Auch wenn man ihn in aktuellen Digital– und Stagepianos immer noch vergeblich sucht, ist der intime Sound in diversen Sound-Libraries vertreten. Er inspiriert (Film)-Komponisten so wie Produzenten verschiedenster Genres. Zurecht, denn wie kein anderer Sound trägt er eine tiefe Melancholie und Intimität in sich, welcher sich kaum jemand entziehen kann. Die Entscheidung, den Filz-Sound aus dem heimischen Klavier herauszuholen, erfordert ein wenig Experimentierfreudigkeit, die sich aber schließlich auszahlt. Aber auch die Sample-Libraries machen einen fabelhaften Job und decken verschiedenste Nuancen dieses originellen Klangs ab. Wofür auch immer ihr euch entscheidet, ich wünsche viel Spaß und Inspiration!