Theatermusiker – Ein spannendes Berufsfeld zwischen Künstler und Dienstleister

Die heutige Bandbreite an möglichen Jobs für Musiker ist vielseitig, erfinderisch und extrem wandlungsfähig. Dozent, Sängerin, Live-Musiker, Produzentin…und immer wieder fällt auch der Begriff des “Theatermusikers”, aber was genau bedeutet das eigentlich? Was muss man dafür können? Und wie wird man Theatermusiker? Wir haben uns genauer damit beschäftigt, was die Arbeit eines Theatermusikers ausmachen kann, erklären die unterschiedlichen Tätigkeitsbereiche innerhalb der Theatermusik und haben einen jungen Regisseur interviewt.

(Bild: © Kraft Angerer)
(Bild: © Kraft Angerer)
Inhalte
  1. Live-/Sessionmusiker
  2. Musikalische Leitung
  3. Sound Design
  4. Komposition
  5. Coach/Dozent


Gerade in älteren Theaterbauten finden wir häufig zwischen Bühne und erster Reihe einen sogenannten “Orchestergraben” vor, also eine Art tiefer liegende “Bühne” für Musiker. Daraus lässt sich auf das traditionelle Prinzip von Theatermusik schließen: Ähnlich wie bei einer Oper sitzt in dem Graben ein Ensemble aus Musikern, welches vorgeschriebene bzw. komponierte Musik live spielt und damit ein Theaterstück oder Musical untermalt. Teilweise finden wir dieses Konzept bis heute in modernen Theaterproduktionen vor. Im Zuge der technischen und künstlerischen Weiterentwicklung von Theater und Musik werden jedoch heutzutage noch ganz andere Konzepte genutzt, um Musik im Theaterkontext stattfinden zu lassen. Dementsprechend vielschichtig sind die Aufgaben, die auf einen Theatermusiker zukommen können. Zunächst gebe ich euch deshalb einen kleinen Überblick darüber, was sich alles hinter dem Begriff des Theatermusikers verbergen kann und welche Eigenschaften man für die jeweiligen Ausrichtungen mitbringen sollte.

THEATERMUSIKER : VOM DIENSTLEISTER BIS ZUM ALLROUNDER
Die verschiedenen Bereiche

Sessionmusiker

Als Instrumentalist oder Sänger spielt man live auskomponierte Musik, oft in Band-/Ensemble-Konstellationen, aber manchmal auch alleine. Gebraucht wird diese “Dienstleistung” vor allem bei Musicals oder Theaterstücken, für die bereits Musik komponiert wurde (z. B. “Mutter Courage”, “West Side Story”). Voraussetzung hierfür ist die technische Beherrschung des eigenen Handwerkes auf einem hohen Niveau, um einen zuverlässigen Job machen zu können. Je nach Konzept der Inszenierung sind auch Improvisationsfähigkeiten gefragt, um z. B. spontan eine bestimmte Atmosphäre mit dem Instrument erzeugen zu können.
Schließlich kann das Inszenierungskonzept auch erfordern, dass die Musiker als Akteure mit auf der Bühne sind und somit eine Art schauspielerische Rolle einnehmen. Sessionmusiker werden durch Castings ausgewählt, oft kommt man allerdings auch über Empfehlungen an Theaterengagements. Bei größeren Gruppen an Musikern gibt es eine musikalische Leitung, die die für die Koordination der Musiker zuständig ist und die Verantwortung für das große Ganze hat. Ihr könnt euch das vorstellen wie eine Art Band-Leader, der stets den Überblick über die verschiedenen Noten bzw. Partituren der Instrumente hat und darauf achtet, dass alles seine Richtigkeit behält. In diesem Fall muss eine musikalische Leitung das Musikerensemble anleiten können. Hier hört der Begriff “Musikalische Leitung” am Theater aber nicht auf, denn er kann noch viel mehr bedeuten.

Musikalische Leitung

Welche Aufgaben eine musikalische Leitung bei einer Theaterproduktion übernimmt, hängt meist eng mit dem Konzept der Inszenierung und den Qualitäten zusammen, die der auserwählte Musiker mitbringt. Vom Inszenierungskonzept hängt dann auch die Art der Arbeit ab, wie die Musik entwickelt und präsentiert wird. Im Folgenden erläutere ich nur einige mögliche Wege, denn theoretisch sind dem Konzept und dem Setup kaum Grenzen gesetzt. Häufig sieht man auf Theaterbühnen völlig unkonventionelle und dadurch erst interessante Formen der musikalischen Darbietung. Generell lässt sich aber sagen: Eine musikalische Leitung am Theater sollte ein Grundverständnis für den Spannungsverlauf eines Theaterstückes mitbringen und interdisziplinär (d. h. im Austausch mit Regie, Bühne, Kostüm etc.) arbeiten können. Das erfordert meist einen kühlen Kopf und einen gesunden Blick auf das große Ganze. Es kann natürlich auch nicht schaden, schon einmal ein Theater von innen gesehen zu haben und sich bereits einen besseren Überblick über dessen Strukturen und Arbeitsweisen verschafft zu haben, beispielsweise durch Hospitationen oder Assistenzen.

Sound Design

Unter “Sound Design” versteht man die kreative Arbeit mit Klängen und Geräuschen. Samples werden aufgenommen, im Computer verarbeitet und mit Effekten verziert oder verzerrt. Das Endergebnis sind meist abstrakt klingende Geräusche und Soundlandschaften, die häufig gut zu modernen, minimalistischen Inszenierungen passen. Aber auch naturalistische Klänge sind gefragt – wie beispielsweise das Klappern einer Schreibmaschine, welches überzogen dargestellt werden soll.
Sounddesigner sind häufig Musikproduzenten, die gut und schnell im Umgang mit Musikproduktion am Computer sind und ihre Programme und Soundquellen gut im Griff haben. Als Audio-Software im Theater wird meist “Ableton Live” genutzt, da es sich sehr gut zum Abspielen einzelner Audiodateien und Einspieler eignet.

Die Ableton-Struktur ermöglicht eine praktische Übersicht über die Musik, die in den jeweiligen Szenen laufen sollen
Die Ableton-Struktur ermöglicht eine praktische Übersicht über die Musik, die in den jeweiligen Szenen laufen sollen

Komposition

Theatermusikerinnen und -musiker können auch lediglich als Komponisten in Erscheinung treten, wenn eine Live-Band Songs spielen soll, die speziell auf das jeweilige Stück zugeschnitten sein sollen. Der Komponist ist dann zunächst lediglich für die Komposition der Musik zuständig und sollte entsprechende Erfahrungen und Arrangier-Techniken beherrschen. Die Entwicklung der Musik entsteht meist in enger Zusammenarbeit mit dem Regisseur, damit die Kompositionen ästhetisch sind und zur Gesamtkomposition des Theaterabends passen. Unter Umständen tritt der Komponist schließlich auch als musikalische Leitung in Erscheinung und leitet die Band an. Ist er zusätzlich auch Instrumentalist und Live-Performer, so kommt es vor, dass er seine komponierte Musik auch selbst mit aufführt. Wie ihr merkt, verlaufen die Grenzen der musikalischen Aufgaben am Theater fließend und sind je nach Vorstellungen des Regisseurs extrem wandelbar.

Coach/Dozent

Es kommt vor, dass die eigentlichen Schauspieler selbst als Musiker auf der Bühne aktiv werden. Gesangsunterricht ist beispielsweise ein wesentlicher Anteil einer fundierten Schauspielausbildung; viele Schauspieler sind musikaffin und spielen häufig auch Instrumente. Wenn es darum geht, bei einem Stück beispielsweise einen Song live zu performen, wird ein externer Dozent zur Hilfe geholt, der den Schauspielern Unterricht im entsprechenden Instrument gibt und gemeinsam mit ihnen an ihrer Performance arbeitet. Auch ein Sounddesigner wird unter Umständen zum Coach, wenn beispielsweise ein von ihm produzierter Song live gesungen werden soll. Das Theater freut sich, wenn nicht noch einen zusätzlichen Dozenten engagiert werden muss, sondern der Musiker vor Ort auch die Aufgabe eines Coaches übernehmen kann.

Bekannter Künstler
Es kommt auch vor, dass Regisseure gezielt Musikerinnen oder Musiker für ihr Stück engagieren, deren Werke sie gerne hören und inspirierend finden.
Die junge Regisseurin Jette Steckel arbeitet beispielsweise sehr gerne mit bekannten Musikern und Musikerinnen wie Anton Spielmann (1000 Robota) oder Soap & Skin. So wurde kürzlich auch Till Lindemann, Sänger der Band Rammstein, für das Stück “Hänsel und Gretel” am Thalia Theater engagiert. Natürlich kommt diese Gunst meist eher bekannteren MusikerInnen zu, die bereits gewisse Erfolge mit ihrer eigenen Musik erzielen konnten und dadurch Aufmerksamkeit erregen. Oft wünschen sich Regisseure auch gezielt für einzelne Lieder bekannte Künstler, die dann vom Band abgespielt werden. Die Aufgabe der gezielten Songauswahl und das Anlegen der Musik an die Inszenierung fällt dann allerdings meist wieder in das Department “Sound Design”.
In der Praxis vermischen sich die Aufgabenbereiche während einer Produktion also gern. Ein Theatermusiker ist am Ende des Tages oft eine Art “Allrounder”: Er ist je nach Produktion Komponist, Produzent, Toningenieur, Performer – oder eben alles auf einmal.
Die Facetten der “Theatermusik” sind schwer zu trennen oder gar festzulegen. Welche der diversen verschiedenen Ausrichtungen nun für ein Stück gebraucht wird, hängt vor allem von der Vorstellung und Ästhetik des jeweiligen Regisseurs ab. Aber wie denken Regisseure musikalisch, was ist ihnen wichtig? Einen kleinen Einblick liefert ein Interview, welches ich mit dem jungen aufstrebenden Regisseur Alek Niemiro geführt habe, der zuletzt als Regieassistent am Thalia Theater Hamburg mit diversen renommierten Theaterregisseuren (u. a. Johann Simons, Luk Perceval, Jette Steckel) zusammen gearbeitet und auch schon selber erfolgreich Stücke in Hamburg inszeniert hat (u. a. “Das Ende Von Eddy”, “Murphys Gesetz”). Niemiro ist sehr musikbegeistert, weswegen er ein besonderes Auge für die Rolle von Musik am Theater entwickelt hat und während seiner Assistenztätigkeit diesbezüglich viele Beobachtungen machen konnte.

MUSIK IM THEATERSTÜCK – INTERVIEW

Alek Nimiero, Foto gehört dem Künstler
Alek Nimiero, Foto gehört dem Künstler

1) Welche Eigenschaften sind dir bei Musikern wichtig, um mit ihnen im Theaterkontext zusammenarbeiten zu können?
Das ist sehr abhängig von dem jeweiligen Stück und dem Konzept, also wie man es als Regisseur inszenieren möchte. Eine Live-Band muss beispielsweise andere Qualitäten mitbringen als jemand, der das Sound-Design macht. Generell kann man sagen: Musiker fürs Theater müssen wirkliche Allrounder sein, es sei denn, sie spielen nur Live-Musik vom Blatt. Aber wenn es um die Songauswahl, ein musikalisches Grundkonzept und eine mögliche Vorproduktion geht, da muss man flexibel sein. Es sind also viele Qualitäten gefordert, von dem Moment an, an dem man nicht mehr nur ausführender Live-Musiker ist.
2) Welche Musikrichtung ist besonders für das Theater geeignet?
Lass es mich so sagen: Es gibt kaum eine Musikrichtung, die nicht fürs Theater geeignet ist, so lange der Kontext stimmt. Generell ist auch das also sehr abhängig von der Ästhetik der Inszenierung, welche Musik sich da gut eignet.
3) Welche Schwierigkeiten können generell bei einer Theaterproduktion auftauchen? Worauf müssen sich angehende Theatermusiker einstellen?
Häufig muss man in sehr schneller Zeit und sehr kurzfristig die Musiken verändern und anpassen können. Gerade zum Ende einer Produktion werden spontan viele Musiken gestrichen und neue angefordert. Das liegt dann weniger daran, dass die Musiken sich nicht eignen; Diese späten Änderungswünsche sind Resultate daraus, dass die inszenatorische Arbeit immer tiefer gehender wird. Es entstehen neue Erkenntnisse und Ideen, die dann nicht mehr zum anfänglichen musikalischen Konzept passen. Die Arbeit erfordert gerade zum Ende einer Produktion also viel Ausdauer. Oft wird bis tief in die Nacht noch an Musiken gefeilt, um am nächsten Tag damit proben zu können. Außerdem wird es interessant, wenn die Schauspieler mit Ports (Ansteckmikrofone, Anm. d. Red.) ausgestattet werden. Da ist dann die Frage, inwiefern Effekte auf die Stimmen gelegt werden und wie laut die Mikrofone im Verhältnis zu der Musik sind. Diese Arbeit wird selten alleine den Tontechnikern vor Ort überlassen, da dort auch ästhetische Aspekte eine Rolle spielen. Generell ist eine enge Zusammenarbeit mit der Tonabteilung gefragt, um die verschiedenen Musiken an den jeweiligen Bühnenraum anzupassen und die Lautstärkeverhältnisse auch im Hinblick auf künstlerische Aspekte zu optimieren.
4) Welche Rollen kann Musik in Theaterstücken einnehmen? Und worin besteht der Reiz, Musik in seinem Theaterstück einzubauen?
Da gibt es verschiedene Ansätze. Einerseits kann die Musik als Unterstützung und Untermalung einer Szene dienen. Manchmal wird sie auch als Stilmittel oder Zitat verwendet. Musiker haben mit ihrer Musik eine Art Waffe, mit der sie Schauspieler schlagen können, indem sie beispielsweise Szenen total zerstören können, oder sie im Gegenteil wunderschön werden lassen. So kann Musik aber den Schauspielern eine wichtige Grundlage für ihr Schauspiel bieten. Es gibt auch Musiker, die als Akteure mit auf der Bühne sind. Sie sind oft Gegenparts zu Schauspielern und manchmal auch selbst schauspielernd. Ein Jens Thomas (Pianist und Stimm-Performer, u. a. für “Orthello” von Luk Parceval) zum Beispiel, der liefert auf der Bühne eine Performance ab, auf die die Schauspieler dann erst mal reagieren müssen. Er wird eine Figur des Stückes, und nicht nur ein reines Tonabspielgerät. Das kann auch gefährlich werden, denn Musiker haben natürlich die Chance, mit den Mitteln von Musik komplette Stimmungen umzudrehen und Kontra zu geben. Da werden unter Umständen künstlerische Kämpfe auf der Bühne ausgetragen und dann wird es interessant.

Video: Jens Thomas‘ Klavier-Performance in Luk Percevals „Othello“

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Mehr Informationen

Die Macht der Musik

Niemero hat Recht. Ob in Form von Sound Design oder Livemusik, ob am Theater oder im Film: Die Macht der Musik ist nicht zu unterschätzen. Der Einfluss auf die Stimmung und Bedeutung einer Szene kann immens sein, Musik kann einen starken Fokus auf bestimmte Aspekte legen und Perspektiven einer Inszenierung setzen. Ein einfacher Dialog kann beispielsweise durch düstere Musik eine ganz andere Wirkung haben, als wenn keine oder fröhliche Klänge verwendet werden. Als Komponist oder Sound Designer hat man also einiges in der Hand. Das ist einerseits wertvoll, kann aber andererseits auch gefährlich werden und eine Inszenierung in ihrem ursprünglich gewünschten Ausdruck verzerren. Deshalb ist es sehr wichtig, dass die Aussage und die Stimmung einer Inszenierung ein kollektiv erarbeitetes Konglomerat aus Regie, Bühne – und eben auch der Musik, ist.

Das klingt alles toll – und wie komme ich jetzt an solche Jobs?

Hier kommen zwei altbekannte Faktoren ins Spiel: Timing und Vitamin B. Die Zusammenarbeit von Regisseur und Musiker resultiert meist aus einer jahrelangen Bekanntschaft, sodass beide sich künstlerisch auf Augenhöhe begegnen können. Es ist also selten so, dass man sich aktiv auf ein Engagement als Theatermusiker bewirbt, sondern viel mehr kennt man im Idealfall schon länger die richtigen Drahtzieher oder Regisseure, die einen für eine mögliche Zusammenarbeit besser einschätzen können und somit schneller in Betracht ziehen. Daher ist es, wenn man in diesen Kreis eintauchen möchte, sicherlich eine gute Idee, auf Premierenfeiern präsent zu sein und in Gesprächen die eigenen Qualitäten durchscheinen zu lassen. Ein goldenes Rezept gibt es hierfür jedoch nicht. Anders kann es ablaufen, wenn man als reiner Livemusiker für ein Stück engagiert wird. Oft funktioniert auch das über Empfehlungen. Regelmäßig werden hierfür allerdings auch extra Castings veranstaltet. Wenn man über ein Casting für Livemusiker engagiert wird, so kann es auch passieren, dass man während seiner Arbeit entsprechende Kontakte knüpft und vielleicht bei der nächsten Produktion nicht mehr als reiner Livemusiker, sondern als Komponist oder im Sound Design aktiv ist.
Die musikalische Arbeit am Theater ist in jedem Fall eine besondere Aufgabe, die im Detail ganz verschiedene Aspekte aufgreift. Man lernt viel über das interessante Zusammenspiel von Musik und Schauspiel, was in anderen Musikberufen meist völlig ausbleibt. Reizvoll ist auch die Einbindung in den kreativen Prozess und die Tatsache, dass man beispielsweise im Sound Design bzw. in er Komposition selbst “schöpferisch” tätig ist und nicht lediglich Musik reproduziert und nachspielt. Es macht riesigen Spaß, sich verschiedene Inszenierungen anzusehen, die unterschiedlichen Herangehensweisen zu erforschen und vielleicht selbst einmal als Theatermusiker in Erscheinung zu treten. Dabei wünsche ich euch dann viel Erfolg!

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