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So bringst du mehr Melodie in deine Gitarrensolos

Wir Gitarristen sind beinahe alle schuldig im Sinne der Anklage, uns zu sehr auf Skalenfingersätze zu verlassen und einfach die Finger laufen zu lassen, sodass Pattern- und Lickplaying unser Spiel bestimmen und dadurch die melodische Komponente deutlich ins Hintertreffen gerät. Dabei muss man sagen, dass ein Lick, nur weil es langsam, bluesig oder “nicht-gefuddelt” gespielt wird, noch lange nicht automatisch auch eine gute Melodie bildet, denn Geschwindigkeit und Line-Qualität haben per se erstmal nichts miteinander zu tun.

(Bild: © Harold Reynolds / @xhrbrian | unsplash.com)
(Bild: © Harold Reynolds / @xhrbrian | unsplash.com)


Aus diesem Grund ist es höchste Zeit, sich ein paar Gedanken zum Thema “Melodik” im Solospiel zu machen. Eines vorweg: Ich werde euch nicht zeigen können, wie ihr sofort tolle Melodien spielt. Allerdings werdet ihr, wenn ihr die folgenden Schritte beherzigt, sehr schnell lyrischeren und melodischeren Ideen sowie eurer inneren Stimme begegnen und dadurch eurem Solo mehr Inhalt verleihen.

1. Kurze Phrasen und Pausen

Die Phrasenlänge ist ein ganz entscheidender Faktor, ob eine Melodie einprägsam wird oder nicht. Gitarristen müssen im Gegensatz zu Bläsern oder Sängern nicht einatmen und können demnach endlose Lines spielen und ihre Finger frei laufen lassen. Dabei vergisst man leider, dass das Gehör bzw.Gehirn des Zuhörers nur begrenzt aufnehmen und folgen kann und wohl auch bald das Interesse an der Improvisation verliert, wenn der Umgang mit Pausen nicht gut dosiert ist.
Daher mein Tipp: Kurze Motive spielen (z.B. bestehend aus 4-6 Tönen) und danach eine kleine Pause, um die Melodie atmen zu lassen.
Hal Crook empfiehlt in seinem Improvisations-Standardwerk “How to improvise” eine Übung, die er “Pacing” und “Play-Rest-Approach” nennt. Dazu nehmt ihr ein Playback zur Hand und wählt eine konkrete Taktzahl, in der ihr spielt, und eine konkrete Taktzahl, in der ihr pausiert, z.B.:

PlayRest
13
22
23
12

Macht euch am sinnvollsten ein Sheet und tragt die Spieltakte ein:

Sheet mit Spieltakten
Sheet mit Spieltakten

Versucht nicht, grandios schwere Lines zu spielen, sondern konzentriert euch auf die Platzierung eurer Phrasen und ihr werdet merken, wie schnell eure Melodien souveräner werden.

2. Gute Balance aus Sekundschritten und anderen Intervallen

Als Gitarrist neigt man sehr dazu, linear zu denken, das heißt man spielt gerne Tonleiterschritte, seien das Sekunden oder pentatonische Intervalle. Das ist auch verständlich, denn diese Intervalle liegen uns Gitarristen sehr gut in der Hand und häufig üben wir auch so, z.B. in Form von Skalensequenzen oder Three Note per String Pattern.
Gute, einprägsame Melodien beinhalten jedoch auch größere Tonschritte und darum empfiehlt es sich, Intervalle wie Sexten, Quinten, Quarten und Terzen in seine Motive zu integrieren.
Auch das sogenannte Oktav-Displacement ist ein interessantes Tool, um aus dem “Skalengedudel” auszubrechen. Dazu nehmt ihr eine Sekund-basierte Melodie und setzt die eine oder andere Note einfach eine Oktave nach unten oder oben, und schon bekommt das Motiv eine andere Kolorierung. Ein gutes Beispiel hierfür ist die Melodie von “Blue Bossa”, die ohne Oktav-Placement eine in Sekunden fallende Melodie wäre.
Hier ein kleines Beispiel-Lick für diese Technik:

Oktav-Displacement
Oktav-Displacement

Beim Einsatz verschiedener Intervalle gilt es, zu Beginn viel herumzuprobieren, bis man weiß, wann welcher Intervallsprung funktioniert. Häufig klingen diejenigen sehr harmonisch, die einen Arpeggio-Auszug bilden, was uns zum nächsten Punkt führt:

3. Einsatz von Arpeggios

Gute Melodien haben ebenfalls eine ausgewogene Mischung aus Sekundbewegung und Arpeggios, denn nichts kann den Akkordsound einer bestimmten Harmonie so gut ausdrücken wie die Töne des Arpeggios. Aus diesem Grund fängt man bei der Jazzimprovisation in der Regel mit dem Erlernen der Arpeggiofingersätze an.
Versucht in eure Improvisation sowohl lineare Komponenten als auch Auszüge aus den Arpeggios der zugrundeliegenden Harmonie einzusetzen. Auch hier muss man viel experimentieren, bis man eine elegante Dosierung aus beiden Elementen findet. Anbei die Arpeggiofingersätze für Dur- und Molldreiklänge:

Wer am Einsatz von Arpeggios und auch etwas abgefahreneren Tricks interessiert ist, kann hier fündig werden:

4. Motiv-Verarbeitung

Ein schönes Prinzip beim Solospiel lautet: “Spiel immer das eine, weil du vorher das andere gespielt hast”, und das bringt uns zum Thema Motiv-Verarbeitung. Seit der Barockzeit gibt es viele Methoden, wie man eine kleine Phrase variiert und damit seinem Solo gleichsam einen roten Faden verleiht, der den Zuhörer an die Hand nimmt und durch die Improvisation führt.
Motiv-Verarbeitungstechniken in der Komposition sind mannigfaltig und in einer Improvisationssituation manchmal schwer umsetzbar, wie z.B. der Krebs oder die Inversion. Andere hingegen funktionieren einwandfrei wie z.B. die Augmentation oder Diminuition (Verdoppeln oder Halbieren der Notenwerte) oder die Fragmentation (teilweise Wiederholung der Phrase).
Zu den Verarbeitungstechniken, die man jedoch sehr häufig hört und die man auch spontan beim Solieren umsetzen kann, gehört z.B. die “Sequenzierung”. Hierbei nimmt man ein kleines Motiv und wiederholt es auf einer anderen Tonleiterstufe. Dabei darf man auch gerne auf anderen Zählzeiten beginnen oder den Rhythmus leicht variieren. Wie oft man die sequenzierte Wiederholung spielt, bleibt Ermessens- und Geschmackssache. Im folgenden Beispiel wiederhole ich das Motiv dreimal und beende dann mit einer Bluesphrase:

Motiv-Verarbeitung
Motiv-Verarbeitung
Audio Samples
0:00
Motiv-Verarbeitung Audiobeispiel

5. Melodien singen

“Spiel nur, was du hörst und auch mitsingen kannst”, lautet ein Leitspruch, der sehr häufig vor allem dann gepredigt wird, wenn man sich als Anfänger mit Jazz- und Blues-Improvisation auseinandersetzt. Tatsächlich ist dieser Weg sehr sinnvoll – zum einen, um seine innere Stimme zu finden, aber auch, um Melodien zu entwickeln, die einprägsam und singbar sind.
Generell ist das Voraushören einer Phrase eine Qualität, die jeder gute Improvisateur mit sich bringen muss, und wie schnell man die vor seinem inneren Ohr gehörte Melodie umsetzen kann, zeigt eigentlich auch, wie gut man sein Instrument wirklich beherrscht.
Und das bedeutet, dass wir eigentlich zwei Fähigkeiten benötigen, die wir trainieren müssen:
a) Melodien “voraushören”
Dazu spielt ihr am besten einen Akkord und singt dann die erste Linie, die euch zu diesem Akkord einfällt. Die wird am Anfang möglicherweise noch banal klingen, je öfter ihr diesen Prozess jedoch übt, desto anspruchsvoller werden eure Linien.
b) Melodien schnell auf das Griffbrett bringen
Nun geht es darum, das innere Ohr mit der Griffbrettkenntnis zu verknüpfen. Diese Qualität trainiert man am Besten mit dem Raushören von Songs, Soli etc., oder aber mit dem direkten Umsetzen der Melodie, die ihr bei Punkt a) gesungen habt. Eine tolle Übung ist auch das spontane Nachspielen von bekannten Melodien, gerne auch von Kinderliedern oder bekannten Popsongs. Was banal klingen mag, ist nicht ohne: Schafft ihr es, “Hänschen klein” fehlerfrei, ungeübt und nur nach Gehör zu spielen? Auf jedem Startton? In jeder Lage?
Nehmt euch jeden Tag eine kleine Phrase vor – mehr muss es überhaupt nicht sein, um stetig besser zu werden!
Übrigens bedeutet das nicht, dass ihr nicht auch mal ein “flashy” Lick abdrücken dürft. Und natürlich müsst ihr auch nicht “Eruption” singen können, um es spielen zu dürfen! Doch selbst bei Speedlicks werdet ihr das Gesamtgebilde und die Kontur “voraushören” lernen, ohne die einzelnen Töne singen zu können, das heißt, diese beiden Ansätze müssen sich nicht widersprechen.
Ich wünsche euch viel Erfolg bei der Melodiefindung!

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(Bild: © Harold Reynolds / @xhrbrian | unsplash.com)

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von Haiko Heinz

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