Sänger und Tontechniker: Eine Hassliebe, die niemals enden wird?

Ich war neulich bei einem Popkonzert in der Elbphilharmonie. Zwei Sängerkolleginnen haben an zwei aufeinanderfolgenden Abenden im Großen Saal gespielt. Was für ein Meilenstein in ihrer Musikkarriere: Monatelang haben die beiden dem großen Konzertwochenende entgegengefiebert. Familie, Freunde, Bekannte, MusikerkollegInnen und Fans sind angereist, alle sind gespannt und voller Vorfreude. Völlig berechtigt und nachvollziehbar, denn wann spielt man schon in dem derzeit populärsten Konzerthaus der Welt? Bereits einen Tag zuvor zogen die beiden in die Elbphilharmonie und konnten den konzertfreien Tag nutzen, um sich schon mal mit der besonderen und beeindruckenden Atmosphäre und Raumakustik vertraut zu machen. Auch der Sound konnte gut gecheckt werden – was man leider an zu vielen Stellen im Konzert nicht gehört hat.

Foto: Shutterstock/Christian Bertrand
Foto: Shutterstock/Christian Bertrand

Und unmittelbar kommt dieses Gefühl der Hassliebe in mir hoch.
Egal ob ein Außenstehender die Funktion des Tontechnikers innehat, die zweifelsohne über Top oder Flop eines Konzertabends entscheidet, oder der eigene Mischer am Pult steht: Es sind die Livesituationen, die eine Band fast zu 100 % in die Abhängigkeit eines Dritten begeben.
Mitzuerleben, wie sich die Zuschauer die Ohren zuhalten und die darauffolgenden Reaktionen in den Gesichtern der Band zu sehen, gehört zu den Konzertsituationen, an die man sich im Nachhinein nicht gerne zurück erinnert, die aber leider am stärksten hängenbleiben.
Es ist eher unwahrscheinlich, dass der klassische Konzertbesucher anschließend berichtet, dass der FOH die Feedback-Probleme der Gitarre auch bei der Zugabe noch nicht im Griff hatte. Natürlich ist der erste Eindruck wichtig und wird vorerst (nach dem ersten Set) abgespeichert. Doch entscheidend und ausschlagend, ob es ein gelungenes Konzert war und man wiederkommt, sind die letzten 2-3 Songs (In der Psychologie nennt man dieses Phänomen “korrigierende Erfahrung”). Dieser letzte Eindruck ist das, was bei den Leuten hängenbleibt: Er entscheidet, mit welchem Gefühl man nach Hause geht.
Aber wie und inwiefern kann man diese regelmäßig auftretende, negative Konzerterfahrung minimieren? Kann man das überhaupt?
Meiner Meinung nach gibt es ein paar Möglichkeiten, ein gutes Miteinander zwischen Band und Tontechniker zu schaffen und somit die Zeit bis zum ersten Ton im Konzert, effizienter und dadurch entspannter zu gestalten. Beachtet dafür folgende Aspekte:

Im Vorfeld und vor Ort miteinander reden

Wer nicht miteinander kommuniziert, kann nicht wissen, was der andere (haben) will. Ich habe viele FOHs kennengelernt, die stillschweigend vor sich hinarbeiten und nicht die Auskunftsfreudigsten sind. Das hat mich anfangs irritiert und des Öfteren dazu geführt, dass ich die Motivation und Freude des Tontechnikers an seiner Arbeit hinterfragt habe.
Aber im Laufe der Zeit habe ich feststellen können, dass es noch andere Gründe für eine eher verhaltene Art gibt: Sie sind zum Beispiel sehr konzentriert oder bereits so routiniert in ihren Arbeitsabläufen, dass sie schlichtweg nicht mehr sagen, was sie gerade tun oder warum der Soundcheck nicht weitergehen kann. Auf der anderen Seite gibt es viele Tontechniker, die klar und direkt mit einem kommunizieren, die beim Get-In offen und aufgeschlossen auf einen zukommen und sich vorstellen. Viele FOHs sind bereits mit dem Sound und den Besonderheiten der Band vertraut und haben sich wirklich (!) im Vorfeld nicht nur den Technical Rider, sondern auch 2-3 Songs angehört.
Denn nur wenn man sich im Vorfeld (oder spätestens dann beim Soundcheck umso intensiver) austauscht, können Missverständnisse verhindert werden. Das schafft Vertrauen, ein gutes Arbeitsklima und hilft später im Konzert ungemein, besonders wenn es Änderungswünsche von der Bühne gibt.

Verständnis für die Sichtweise des anderen haben

Wer schon mal mitbekommen hat, wie viel Stress auf einen FOH während des Soundchecks zukommen kann, der gleichzeitig auch noch für den Monitorsound zuständig ist, hört das klangliche Ergebnis der PA vermutlich durch verständnisvollere Ohren. Fehlerhafte Signalübertragung, abstürzende Digitalpulte oder falsch gesteckte Mikrofone (einschließlich nervenaufreibende Fehlerketten-Prüfung), lassen dem FOH manchmal keine Chance einen Sound zu kreieren, der gut klingt. Wenn dann noch klassischerweise das Talkback zur Bühne ausfällt, ist erst mal Funkstille angesagt. Und gerade dann ist es äußerst unangebracht und kontraproduktiv, beispielsweise Sound- und Monitorwünsche lautstark oder durch große Gesten an den FOH, der ja gerade anderweitig und zwar mit der Lösung des Problems beschäftigt ist, kommunizieren zu wollen.

Perspektivwechsel: An dieser Stelle ist wichtig zu erwähnen, dass kein Musiker oder Musikerin bei fehlendem oder zu lautem Sound seine Leistung abrufen kann. Eine Unsicherheit entsteht und der Spaß geht für beide Seiten verloren. Je mehr Souveränität und Ruhe ein Techniker in dieser schwierigen Situation ausstrahlt, desto höher ist das entgegengebrachte Vertrauen und die Entspannung auf der Bühne.

Soundcheck

Ein Tonmeister sagte neulich zu mir: “Am besten ist man als TontechnikerIn wirklich nur dann zur Stelle, wenn man gebraucht wird.” Das ist einfacher gesagt als getan. Dazu braucht es ein hohes Maß an Auffassungsvermögen, Etikette und Fingerspitzengefühl für die verschiedenen Situationen und Charaktere in einer Band. Und jeder weiß, dass Musikerinnen und Musiker oft nicht aus dem einfachsten und umgänglichsten Holz geschnitzt sind. Und leider wird zu selten während der Soundcheckzeit effizient und fokussiert miteinander gearbeitet – oft zu Lasten des Tontechnikers. Nochmal als kleine Auffrischung: Der Soundcheck ist nicht dazu da, einzelne, oftmals neue Songs rund zu spielen und erst recht nicht, um persönliches Üben nachzuholen! Denn wenn man seine eigenen Parts noch nicht kann, Übergänge und Abläufe nicht klar sind, ist man zu sehr mit dem eigenen Spiel und Instrument beschäftigt. Ein ZUSAMMENspiel, also wenn man vor allem auf das hört, was die anderen spielen, ist unter diesen Umständen kaum möglich. Gut vorbereitet zum Gig zu erscheinen ist insbesondere als professioneller Berufsmusiker ein absolutes Muss. Auch wenn am Ende der Soundcheckzeit noch fünf Minuten übrig sind, sollte man die Zeit des Tontechnikers nicht länger- oder unnötig überstrapazieren.

Livesound vs. Proberaum vs. Studio

Im Proberaum klingt man anders als über Studioboxen, auf der Bühne über die Monitorboxen sowieso.
Egal, was für euch ein gewohnter und natürlicher Klang ist: Einen richtigen Maßstab gibt es nicht, da nicht nur jeder Raum anders klingt, sondern auch das Equipment vor Ort anders ist und benutzt wird. Jedes Mikrofon arbeitet anders als das menschliche Gehör. Habt keine unrealistisch hohen Erwartungen an Raumcharakteristik und Tontechniker und versucht von Gig zu Gig zu abstrahieren, was maximal in der Situation möglich ist – sonst seid ihr schnell enttäuscht, wenn das gewünschte Klangerlebnis ausbleibt. Manchmal muss man von seinen meist perfektionistischen Ansprüchen abweichen.
Hilfreich ist sicherlich auch, nicht nur viel, sondern auch mal in besonderen Räumlichkeiten zu spielen, die euch vor neue akustische Herausforderungen stellen (Kirche, Burgruine, Lagerhalle, JVA, Schwimmbad).
Es ist immer wieder spannend mitzuerleben, wie vielschichtig sich der eigene Bandsound entfalten kann.
Mein Tipp: Checkt vor der Tour oder den ersten Konzerten mit einem Tonmann oder einer Tonfrau euren Bandsound und jedes einzelne Instrument auf Livetauglichkeit. Je Tour-tauglicher das Setup jedes einzelnen ist und je besser eine Band von sich aus klingt, desto einfacher wird es, sie in verschiedenen Locations zu mischen. So bekommt ihr ein prima Endergebnis und schafft euch eine gewisse Robustheit eures Sounds, was Unkompliziertheit meint, bei euren Konzerten. Bedenkt bei Festivalslots, dass ihr auch unter Zeitdruck schnell einen guten Bühnensound hinbekommen müsst. Stundenlanges Soundchecken mit endlosen Spezialverschaltungen von Effektgeräten, speziellen Mikrofonen mit besonderen Endstufen und so weiter ist dort gar nicht möglich und macht euch das Leben auch sonst nur unnötig schwer.

Mehr Sein als Show

Eine gute Performance ist ein Garant für mehr Publikumswirksamkeit. Unser Gehirn speichert (leider) viel mehr optische als akustische Effekte ab. Dennoch sollte man sich der Tatsache bewusst werden, dass schlecht gespielte Gitarrensoli oder schiefe Töne nicht mit ausschweifenden Gesten, bei denen feedbackanfällige Bühnenbereiche schnell mal vergessen werden, kompensiert werden können.
Seid nicht zu fahrig oder oberflächlich im Umgang mit eurem Instrument! Verliert nicht die Kontrolle und wisst, wie ihr mit eurem Instrument und Equipment umgehen müsst. Die Verantwortung, dass euer Sound feedbackfrei bleibt, liegt bei euch und nicht bei dem Tontechniker.

Lampenfieber

Eine Mischung aus Versagensängsten und Aufregung kombiniert mit überschüssigem Adrenalin sorgt schnell für unsortierte Gedankengänge und unüberlegte Bewegungen, die eigentlich vermieden werden sollten. Findet heraus, was ihr tun könnt, um euer Lampenfieber zu senken. Ganz verschwinden wird es nicht und soll es auch nicht, aber es darf nicht dazu führen, dass ihr euch nicht mehr auf euch verlassen und nicht bei euch sein könnt.

Bühnenlautstärke

Es gibt immer noch Konzerte, bei denen man das Gefühl hat, dass der Bühnensound laut genug ist, um das Publikum mitzubeschallen. Die Bandmitglieder übertreffen sich in ihren Lautstärken. Jeder versucht den Pegel des anderen mit immer mehr Monitorlautstärke auszugleichen bis man irgendwann in der Feedback-Suppe untergeht. Klar, ein paar Frequenzen kann der FOH durch Mikrofonwahl und -positionierung beeinflussen, aber wenn alle Signale auf der Bühne schon auf Anschlag laut sind, ist es für den FOH fast unmöglich dein dynamisches, klares, direktes, durchsichtiges Spiel adäquat über die Bühnenkante zu schicken. Wenn Rückkopplungen und ein matschiger Soundbrei regelmäßig zum Problem werden, könnt ihr auch mal über euren Bühnenaufbau nachdenken. Vielleicht lässt sich diesbezüglich auch noch was optimieren.

Vorsicht vor Übergriffigkeit

Oft ist ein hohes Maß an Fingerspitzengefühl erforderlich, um einem Solokünstler, einer Solokünstlerin oder einer Band gerecht werden zu können. Andersherum, und zwar auf der gegenüberliegenden Seite, kommt es oft vor, dass Bandmitglieder in den Publikumsraum gehen und den Sound mitbestimmen wollen. Diese Situation löst immer eine bestimmte Reaktion bei einem Tontechniker aus!
Greift bitte unter keinen Umständen die Kompetenz des Tontechnikers an. Es gibt viele Bands, die von vornherein jemanden aus der Band in den Zuschauerbereich schicken (der mit dem längsten Kabel), um zusätzlich den PA-Sound zu checken. Nach dem Motto: Vier Ohren hören mehr als zwei. Das ist nicht nur unhöflich und anmaßend, sondern kommt schnell (wenn auch ungewollt) respektlos rüber. Bitte achtet daher darauf, dass ihr dem FOH vorher Bescheid gebt, dass gleich beim Soundcheck zum Beispiel der Gitarrist mithört. Versucht die Kritik am Sound nicht zu früh und vor allem sachlich und respektvoll zu formulieren. Trotz klarer Vorstellung, wie die einzelnen Signale und die Band im großen Ganzen klingen soll: Bleibt offen und zugänglich für Änderungen des FOHs im Hinblick auf den Sound der einzelnen Instrumente und den Lautstärkeverhältnissen. Unsachliche und persönliche Kommentare gehen gar nicht und sind der Inbegriff von Unprofessionalität!
Auch wenn das oft vergessen wird: Viele Tontechniker sind meist selbst Musiker und mischen sich ja auch nicht ein, wenn eine Band nicht zusammen spielt oder einzelne Instrumente untight sind. Aber sie mischen teilweise, abhängig vom gespielten Instrument, nach ihrer persönlichen Klangvorstellung und Geschmack und haben ihr Instrument (sei es bewusst oder unbewusst) mehr im Fokus als andere.
Wenn ihr das merkt und das für euer Empfinden zu viel wird, versucht ihn oder sie charmant und freundlich daraufhin zuweisen, dass ihr euch einen etwas homogeneren, ausgeglichenen Bandsound wünscht.
Dieser Punkt ist manchmal wirklich kritisch, da vielleicht der Schlagzeug spielende Tontechniker einfach eine andere Vorstellung des Snare-Sounds hat als der Schlagzeuger in der Band. Die Gefahr der Übergriffigkeit besteht auf beiden Seiten, die Überschreitung des Kompetenzbereichs ist fließend.

Eigener oder fremder Tontechniker?

Diese Überschrift ist mehr eine rhetorische Frage. Wenn eine längere Tour ansteht und ihr vor dieser Entscheidung (finanziell) stehen könnt, mit oder ohne Mischer auf Tour zu gehen, würde ich euch raten, einen eigenen Mischer mitzunehmen. Die Vorteile liegen klar auf der Hand:

  • Die Kommunikation geht schneller.
  • Es beruhigt auf Musikerseite, wenn das Gegenüber bekannt ist, und man weiß, dass der Sound gut wird.
  • Jemand, der das Programm in verschiedenen Situationen schon kennt und bereits gemischt hat, holt mehr raus.
  • Ein erfahrener Soundmann oder eine Soundfrau zahlen sich gerade für wichtige Gigs aus.

Lasst euch Soundleute empfehlen, sprecht sie auf Konzerten an, probiert rum, bis ihr fachlich und menschlich die richtige Person für euch gefunden habt.
Vielleicht habt ihr auch jemanden im engeren Bandfreundeskreis, der oder die mit eurem Bandmiteinander und Sound vertraut ist und mit euch wächst. Setzt euch mit der ganzen Band zusammen und wägt Pro- und Kontraargumente ab.

Fazit

Mehr Miteinander statt Gegeneinander

Wenn Musiker und Tontechniker an einem Strang ziehen und beide Parteien zu einer Band verschmelzen, stehen die Chancen auf einen gelungenen Konzertabend sehr gut. Ich hoffe, ich kann mit diesem Artikel einen kleinen Teil dazu beitragen, dass Musiker und Tontechniker sich mehr Verständnis, Professionalität, Respekt, Anerkennung und insbesondere Vertrauen entgegenbringen.
Barbara

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