Stems im DJ-Set

Wirft man einen Blick auf die aktuellen Releasenotes vieler DJ-Software-Hersteller, so fällt auf, dass das Schlagwort „Stems“ hier besonders oft genannt wird und dieses neue Feature faktisch in allen professionellen Produkten zu finden ist. 

In meinem vorangegangenen Artikel „Kreative DJ-Sets: Auflegen mit a capella Sounds“ habe ich  die Nutzung von Stems zur Erzeugung von a capella thematisiert und möchte jetzt der Frage nachgehen, ob man diese neue Funktion live oder vorbereitet nutzen sollte.

Stems im DJ-Set
Stems im DJ-Set – Screenshot DJUCED Software

Was sind Stems?

Unter Stems versteht man einzelne Bestandteile eines Songs wie Vocals, Melodie, Bass und Drums. Diese Spuren werden bei der Musikproduktion zu einem Song verschmolzen und lassen sich jetzt von DJ-Programmen wie VirtualDJ, Serato DJ Pro, djay Pro oder rekordbox rekonstruieren. Diese neue Funktion eröffnet viele kreative Möglichkeiten, wie beispielsweise das Auflegen mit a capella Sounds oder Instrumentalversionen. Die Bedienung ist zudem sehr einfach gehalten, denn die Software erledigt die Separation im Hintergrund selbsttätig. 

Serato DJ Pro zerlegt Songs in die vier Stems Vocal, Melody, Bass und Drums

Technische Innovation

Die Erfindung der Stem-Separation-Funktion löst viele technische und organisatorische Probleme, vor denen DJs viele Jahre lang standen, wenn sie mit a capella Sounds oder isolierten Instrumentalspuren auflegen wollten. Die entsprechenden Tonträger oder Sounds gab es oft nur mit viel Glück in Plattenläden, auf teilweise zwielichtigen Websites oder im schlimmsten Fall gar nicht. 

Aufgrund der jetzt verfügbaren Software lassen sich brauchbare Extrakte von jedem (!) erdenklichen Song selbst erstellen und das ohne großen Aufwand. Durch diese technische Innovation sollte es nahezu jedem DJ gelingen, mit Stems auflegen zu können, zumal sich diese nach der Extraktion in einer DJ-Software sehr einfach mit Beatgrids überziehen oder in ihrer Tonart verändern lassen. Einem passgenauen Praxiseinsatz steht dann nichts mehr im Weg. 

In VirtualDJ lassen sich Stems per Tastendruck oder speziellem EQ bearbeiten
In VirtualDJ lassen sich Stems per Tastendruck oder speziellem EQ bearbeiten

A capella und mehr

Das Stems-Feature lässt sich aber nicht nur zur Erzeugung von a capella Sounds und somit für Mashups und Remixe nutzen, sondern bietet auch viele weitere Optionen. Die einzelnen Bestandteile eines Songs, vor allem Drums und Bass, lassen sich in DJ-Sets für kreative Übergänge oder zur Dynamikverstärkung von älteren Aufnahmen nutzen, wenn diese aus heutiger Sicht klanglich etwas schwachbrüstig wirken. 

Schauen wir uns zunächst an, wie ein Live-Einsatz der Stems erfolgen kann, welche Optionen sich daraus ergeben und was problematisch daran ist.

In Rekordbox gibt es Zugriff auf drei Stems, der Hersteller nennt das Feature „Track Separation“ 
In Rekordbox gibt es Zugriff auf drei Stems, der Hersteller nennt das Feature „Track Separation“ 

Live-Einsatz

Die Stems-Funktion kann in Programmen wie VirtualDJ, djay Pro AI, Rekordbox oder Serato DJ Pro sehr einfach in Echtzeit genutzt werden. Per Klick in der Software oder durch das Drücken spezieller Stems-Taster auf einem Controller lassen sich Vocals oder Instrumentalparts isolieren und mixen. Die so erzeugten Stem-Parts sind direkt „ready to mix“, lassen sich mit Loops und Effekten versehen und mit Songs oder anderen Stems kombinieren.

Controller wie der Rane Four sind mit speziellen Tasten ausgestattet
Controller wie der Rane Four sind mit speziellen Stems-Tastern ausgestattet

Während man also bei einem „gewöhnlichen“ DJ-Mixing Songs mit EQs und Filtern bearbeitet und Basslines und Drums ineinander überblendet, kann man beim Stems-Mixing den Bogen noch viel weiter spannen und detaillierter vorgehen. Mit der Stems-Mixfunktion lassen sich einzelne Songparts „on the fly“ nach Belieben entfernen und beispielsweise auch verhindern, dass unpassende tonale Parts aufeinandertreffen. 

Sollten hier beispielsweise in einem Mix die Gesangsparts zweier Songs oder nicht passende Basslines aufeinandertreffen, kann man schnell und gezielt „aufräumen“ und den Mix recht elegant retten. Ohne Stems-Feature hilft in diesem Fall nur ein schneller Cut oder ein Rettungsversuch mittels EQ-Eingriff. 

Stems lassen sich aber nicht nur zum Mixen nutzen, sondern bieten auch zusätzliche kreative Optionen. Die separierten Songparts können beispielsweise isoliert mit Effekten bearbeitet und somit zum Ausschmücken von Breaks oder Übergängen genutzt werden. 

Screenshot DJAY Software
In Djay finden sich Stems als Neural Mix Feature

Wo ist der Haken?

Das Stems-Separation-Feature klingt nach dem perfekten Kreativwerkzeug, das viele Möglichkeiten zum Auflegen bietet, aber wie so oft gibt es leider auch einen Haken. Die Klangqualität ist bei diesem Verfahren nicht annähernd so gut, wie die der Einzelspuren aus dem Studio. Sicherlich ist das nicht weiter verwunderlich, da man ja hier mit Hilfe cleverer Algorithmen versucht, aus einem verwobenen, komplexen Frequenzgebilde (komplett abgemischter Song) einzelne Parts zu isolieren.

Man sollte daher nicht den Fehler machen und die Stems isoliert anhören, sondern immer im Kontext mit anderen Songs oder Parts. In einem Mixeinsatz fallen die klanglichen Unperfektheiten oft gar nicht ins Gewicht, hier gilt es, einfach das Ganze auszuprobieren. Die Echtzeit-Stem-Separation-Funktion steht allerdings auch noch am Anfang der Entwicklung und Updates haben auch schon gezeigt, dass man mit Klangverbesserungen in nächster Zeit durchaus rechnen darf.

Ein weiterer, sehr wichtiger Aspekt, den man unbedingt berücksichtigen sollte, ist die benötigte Rechenleistung. Die Echtzeit-Stems-Funktion ist ein echter Ressourcenkiller und die Anforderungen an die Computer-Hardware entsprechend hoch. 

Einige Hersteller empfehlen Apple-Rechner mit mindestens einer M1 CPU und 16 GB RAM und für Windows Intel i9 (achte Generation) oder AMD Ryzen 7 (5000 Serie oder neuer), 16 GB RAM und eine dedizierte Grafikkarte. 

Sollte euer Rechner zu langsam sein, stehen entweder nicht alle Funktionen zur Verfügung oder es kommt schlimmstenfalls zu Aussetzern, Störgeräuschen oder gar Systemabstürzen. Da man nichts davon in einem Live-Einsatz erleben möchte, sollte man im Vorfeld seinen Computer ausgiebig testen und gegebenenfalls auf ein aktuelles Gerät aufrüsten. 

Die Anforderungen an die Computerhardware sind recht hoch
Die Anforderungen an die Computerhardware sind recht hoch, wenn Stems in Echtzeit genutzt werden sollen (VDJ Website)

Live oder vorbereitet?

Als Alternative zu einem Live-Einsatz gibt es die Möglichkeit, Stems in einer DJ-Software im Heimstudio zu extrahieren und für den späteren Einsatz in einem DJ-Set zu speichern. Auf diese Weise müsst ihr euch weniger Gedanken um die Echtzeit-Rechenleistung eures Rechners machen und auch inhaltlich lassen sich die Einsätze vorbereiten und üben, sodass die Verwendung von Stems in einem DJ-Set gezielt erfolgen kann. 

Wenn ihr mit Medialplayern oder einer Software auflegt, die keine Echtzeit-Stems-Features bietet, könnt ihr auch auf diese Weise ebenfalls behelfen. Neben den DJ-Programmen gibt es auch zahlreiche Software-Tools wie RipX (https://hitnmix.com/) oder Ultimate Vocal Remover (https://ultimatevocalremover.com/), die das Generieren von a capella und anderen Einzelspuren auf Knopfdruck erlauben und dabei auch eine überzeugende Klangqualität abliefern. 

Kommen wir jetzt zur Klärung der eingangs gestellten Frage, ob man das Stems-Feature live oder doch besser vorbereitet im Studio oder zu Hause nutzen sollte. Eine klare Antwort ist in der Tat etwas schwierig, da jeder eine individuelle technische Ausrüstung besitzt, von der vieles abhängt und auch der DJ-Skill-Level entscheidend ist, ob man sich den Einsatz von a capella Sounds oder anderen Stems unvorbereitet im einem live DJ-Set zutraut. 

Resümee

Das neue Stems-Feature bietet sehr viele neue Auflegemöglichkeiten und ein sehr einfaches Handling. DJ-Sets lassen sich mit Stems kreativ aufpeppen und mit a capella oder Instrumentalspuren ausschmücken oder dynamisch unterstützen. Der Einsatz der Stems-Funktion kann live oder vorbereitet erfolgen und somit an die technische Ausstattung und DJ-Skills angepasst werden. Ich kann jedem DJ empfehlen, sich mit dem Stems-Mixing auseinanderzusetzen, allerdings sollte sich dabei immer ein erkennbarer Mehrwert für das Publikum ergeben.

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