Playlist sharing: Darum sollten DJs ihre Playlisten teilen

DJ-Charts und Playlisten waren schon immer eine wichtige Kommunikationsform der House- und Technoszene. Inspiration ohne Sprachbarriere, heute wichtiger als je zuvor. Bonedo-Autor Mijk van Dijk erklärt, warum es gerade jetzt wichtig ist, dass wir Playlisten teilen und unsere Lieblingstracks featuren wie Hölle.

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Plattenläden und Deck Sharks

Back in the 90s: DJs und solche, die es werden wollen, lungern in den angesagten Plattenläden wie dem Berliner Hardwax oder dem Frankfurter Delirium-Store pünktlich am Tag der Plattenlieferung herum, um einige der neuesten Importe abzugreifen. Oft kamen von wirklich begehrten Tracks nur wenige Exemplare, die sofort in den persönlichen Fächern der etablierten DJs landeten, damit diese zuerst reinhören und kaufen können. Und die Krümel, die von deren Plattentellern fielen, wurden sofort von der wartenden Schar der nicht so privilegierten DJs gegriffen, gecheckt, gekauft. Denn bestimmte heiße Scheiben waren einfach Mangelware.
Heute unvorstellbar, dass manche Tracks über Wochen nur von wenigen DJs gespielt werden konnten und damit zur fast exklusiven DNA ihrer DJ-Mixes wurden. Und wenn die Nachpressungen in die Läden kamen, war der Track oft schon „durch“, weil es bereits neue, heiße Hits gab, die nur wenige DJs hatten und spielten und die aufs Neue auf heißbegehrten und vielfach kopierten Mixtapes kursierten. 
Tourende DJs kauften natürlich auch in anderen Städten ein und entwickelten so ein breitgefächertes Portfolio. Um die Namen der gespielten Titel zu erhaschen, hingen die sogenannten „Deck Sharks“ womöglich mit kreisendem Kopf vor der DJ-Booth, um die Titel der gespielten 12-Inches mitzuschreiben. Es gab schließlich noch keine Handys mit Kamera, kein Shazam, kein YouTube, kein Discogs, kein Internet, wie wir es heute kennen.

Als der Plattenladen noch ein Ort des Entdeckens war: hier mein Marmion-Partner Marcos Lopez im Berliner Hardwax, in einer Szene aus der Dokumentation „TechnoCity Berlin“ von 1993 (Bild: YouTube, https://youtu.be/ZZtLbp0QBVQ)
Als der Plattenladen noch ein Ort des Entdeckens war: hier mein Marmion-Partner Marcos Lopez im Berliner Hardwax, in einer Szene aus der Dokumentation „TechnoCity Berlin“ von 1993 (Bild: YouTube, https://youtu.be/ZZtLbp0QBVQ)

Fast forward in die Gegenwart

Jeder neue Track wird schon maximal vor dem Release geteasert, als Snippet auf Soundcloud, als Pre-Order auf Beatport. Es gibt kaum noch Geheimnisse und obwohl mehr Musik veröffentlicht wird als jemals zuvor in der Menschheitsgeschichte, geht der Horizont vieler DJs tatsächlich nicht über die Beatport-Charts hinaus. 
Und doch gibt es sie noch, die Tracks, die keiner kennt, weil mancher DJ sich die Mühe gemacht hat, tief auf Bandcamp oder Soundcloud zu graben oder von den Producer-Freunden deren neueste Demos zugesteckt bekommen hat.
Charts und Playlisten waren schon immer eine wichtige Kommunikationsform der House- und Technoszene. Ohne jegliche Sprachbarrieren für jeden DJ verständliche Eingänge zum Crate-diggen in neuen „rabbit holes“. 
Richie Hawtin hat mit „RADR“ sogar eine eigene App entwickelt, welche die gespielten Tunes aus Traktor direkt via Twitter an seine Follower sendet.
Gerade wenn sehr bekannte DJs Tracks bisher unbekannter Producer droppen, kann das wie Treibstoff für die Karriere sein – wenn die DJs ihre Playlisten teilen.

Heute werden Playlisten via Internet geteilt, wie hier auf der Mixcloud-Seite unseres Autoren Mijk van Dijk
Heute werden Playlisten via Internet geteilt, wie hier auf der Mixcloud-Seite unseres Autoren Mijk van Dijk

Support vs. Geheimniskrämerei

Und hier scheiden sich die Geister: Sollten DJs die Namen ihrer „secret weapons“ nicht lieber geheim halten, um die mühevoll gefundenen Perlen noch eine Weile exklusiv auf dem USB-Stick mitführen zu können?
Ich denke nein und teile meine Charts und Playlisten gerne. Mixcloud, Soundcloud, YouTube und auch Social Media und die eigene Website bieten genug Raum für Playlisten. Wir besitzen nicht, was wir spielen und gute Musik gehört gefördert, gerade in diesen digitalen Jahren, in denen kaum Geld mit der Musik selbst verdient wird und vor allem in so schwierigen Zeiten wie diesen leeren Corona-Jahren.
Ein Track macht kein Set aus und kaum ein DJ, der etwas auf sich hält, sucht und findet nicht sowieso ständig neue aufregende Musik. Nach wie vor freut es mich sehr, wenn Leute einen bestimmten Track bei mir zuerst im Set gehört haben und ihn dann immer mehr DJs ebenfalls spielen.
Und schließlich sind Playlisten – ob auf dem Desktop oder im Internet – auch ein gutes „DJ-Tagebuch“: Auf einem Blick habe ich ein älteres Set im Auge, ohne mich erst komplett durchhören zu müssen. 
Was unsere Szene jetzt zum Überleben benötigt, ist Zusammenhalt, Solidarität und Respekt, angetrieben von der Macht der Liebe zur Musik. So war das in den frühen 90ern und so brauchen wir das auch jetzt.
Also: Share the love und featuret eure Lieblingstracks wie Hölle! Und zieht euch auch gern mal unsere Playlist für gute Laune im Lockdown oder den Artikel zu den besten 100 Disco-Scheiben aller Zeiten rein.

Share the love: Teilt Playlisten!
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