Melodium 42Bn Test

Wer kennt sie nicht? Coles 4038, Royer 121, RCA 44 oder RCA 77, allesamt Bändchenmikrofone, die im Laufe der Jahrzehnte Kultstatus erreicht haben. Aber einem Klassiker wurde in der Vergangenheit nur wenig Beachtung geschenkt: dem gigantischen Melodium 42B unserer französischen Nachbarn.

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Eine Handvoll begeisterter Melodium-Fans hat sich nun in der Bretagne zusammengetan, um dieses Mikrofon originalgetreu wieder zum Leben zu erwecken. Wir haben diesen einzigartigen Koloss für euch unter die Lupe genommen.

Details

Das originale Melodium 42B

Eigentlich ist es kein Wunder, dass man im deutschsprachigen Raum lange Zeit nur wenig mit Bändchenmikrofonen anfangen konnte. Zwar wurde das Funktionsprinzip erstmalig 1925 in München von Siemens und Halske präsentiert, aber schon kurz nach dem II. Weltkrieg waren Großmembran-Kondensatormikrofone der letzte Schrei, allen voran natürlich das U 47 oder M 49 von Neumann, oder das AKG C12. Auch andere Hersteller wie Sennheiser, Beyerdynamic und Schoeps lieferten Mikros, die einen Blick hinüber zu den französischen Nachbarn entbehrlich machten.

Entwickelt wurde das Melodium 42b Mitte der 1930er Jahre in Paris. Gründer der Firma war Emile Furn, ein Franzose mit libanesischen Wurzeln, der zuvor bereits einige Jahre bei Magnavox in Kalifornien Radios und Phonographen hergestellt hat. Emile Furns Vater war Betreiber eines Schellackplattenlabels mit dem klingenden Namen Perfectaphone, die Beschäftigung mit Musik und Tonaufnahme schien ihm also in die Wiege gelegt.
Die frühesten Aufzeichnungen datieren das Melodium-Bändchen auf 1936, es liegt also genau in jenem zeitlichen Abschnitt, in dem in Amerika das RCA 44 oder in England das BBC Marconi Type A das Licht der Welt erblickten.

Bis Anfang der 60er Jahre wurde das Melodium 42B hergestellt und durchlebte einige konstruktive Änderungen. Gerade während der Zeit des Krieges waren Rohstoffe knapp und der Hersteller verbaute viele verschiedene Materialien, die man irgendwie ergattern konnte. Ab den 1950er Jahren war das Design vollendet und Melodium konnte einen sehr hohen Fertigungsstandard etablieren. Auch dynamische Mikrofone, wie etwa das in Frankreich sehr erfolgreiche 75A, welches unter anderem von Edith Piaf benutzt wurde, hatte Melodium im Programm. Der internationalen Konkurrenz aus Deutschland und den USA hatte man in den 60er und 70er Jahren aber wenig entgegenzusetzen. So verschwand die Marke langsam wieder von der Bildfläche, bevor die Firma in den 80ern komplett aufgelöst wurde.

“Neubau” des 42B

Heutzutage hat sich das Melodium 42B auch hierzulande einen Geheimtipp-Status erarbeitet. So setzt es beispielsweise Klangvirtuose Nils Frahm für seine Aufnahmen ein und besitzt gleich mehrere Stücke davon. Ich selbst bin auf dieses Mikrofon vor rund acht Jahren durch den Berliner Studioverleih Echoschall aufmerksam geworden. Für eine Albumproduktion mit einer erdigen Frauenstimme war ich auf der Suche nach dem “perfekten match” und das Melodium 42B konnte sich kurzerhand gegen hochpreisige Mikros wie etwa dem Neumann U 67 durchsetzen. Seither bin ich bekennender Melodium-Fan und konnte erst kürzlich zwei alte Originale für mein Studio ergattern. Trotz stark unterschiedlicher Seriennummern verhalten diese beiden Exemplare nach über 70 Jahren wie ein gematchtes Paar. Keines dieser Mikros war je beim Service, sie wurden Mitte der 50er gebaut, funktionieren nach rund 65 Jahren einwandfrei. Ob man das 2085 von Modelling-Mikros ebenfalls behaupten darf?

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Auch Christophe Chavanon, Inhaber der vollanalogen Kerwax Studios, hat mehrere Bändchenmikrofone dieses Typs im Einsatz und vor Jahren den verwegenen Plan geschmiedet diese französische Mikrofon-Ikone wiederauferstehen zu lassen. Mit einigen Mitstreitern hat er sich die Markenrechte gesichert und in einem langwierigen Prozess versucht, der Magie des Melodium 42B auf die Spur zu kommen. Außer ein paar Skizzen eines ehemaligen Industriezeichners gab es keinerlei Dokumentationen oder Überlieferungen, wie man dieses Bändchenmikrofon fertigt. Es war also hundertprozentiges “Reverse-Engineering”. Man hatte das Ergebnis, aber musste sozusagen bei Null anfangen, was die Konstruktion, Materialbeschaffenheit oder Schaltung betrifft. Ein schwieriges und kostspieliges Unterfangen, zumal fast jedes einzelne Bauteil exklusiv für dieses Mikrofon hergestellt werden musste. Während sich andere Hersteller bei Mikrofonbody, Grill, und sonstigem Zubehör bei großen asiatischen Herstellern bedienen können, musste man für das neue Melodium Schrauben, Gehäuse, Magnete und dergleichen erst entwickeln und speziell anfertigen lassen. Auch waren gewisse Herstellungsprozesse in den 40er Jahren keinesfalls ökologisch nachhaltig und sind heutzutage verboten. Dafür mussten alternative Bearbeitungsvorgänge entwickelt werden.

Allen Widrigkeiten zum Trotz war es dann letztes Jahr endlich so weit: Über 80 Jahre nachdem das Original das Licht der Welt erblickt hatte, konnte eine kleine Vorserie des neuen Melodium 42Bn (n = new) gefertigt werden. Seit Anfang 2021 werden die Mikrofone in Kleinserie zu je 50 Stück pro Batch in Handarbeit hergestellt. Käuflich erwerben kann man die Mikros direkt auf der Webseite des Herstellers

Das Melodium 42Bn

Geliefert wird das neue Melodium 42Bn in einer sehr ansprechenden, handgefertigten Holzschatulle, in der das Mikrofon passgenau Platz findet. Durch die Halterung aus Eisen ist die neue Version noch einmal rund 300 Gramm schwerer als der Vorgänger und bringt knapp 2,8 Kilo auf die Waage. Mit Abmessungen von 320 x 140 x 50 mm ist es laut Kerwax das größte je gebaute Bändchenmikrofon: Nur ein RCA oder AEA 44 BX hat ähnliche Dimensionen. Wer sich solch ein Mikrofon anschafft, sollte also auch bei der Qualität des Mikrofonständers nicht sparen, um einen sicheren Stand zu gewährleisten.

Fotostrecke: 3 Bilder Kompletter Lieferumfang des 42B u0022nouveauu0022

Den Manufaktur-Charme eines hochwertigen, per Hand gefertigten Mikrofons versprüht das Melodium sofort beim Auspacken. Die Liebe zum Detail und die Leidenschaft der Macher ist unübersehbar. Die Verarbeitung des Melodium 42Bn ist sehr hochwertig und es vermittelt die Gewissheit, dass es für die nächsten Jahrzehnte (wenn nicht Jahrhunderte) gegen alle Widrigkeiten gewappnet ist. Wie beim Original ist der Bändchenmotor mehrfach geschützt: Neben dem gelöchertem Einsprechkorb, der an das Coles 4038 erinnert, gibt es ein feine Metallgaze und zwei zusätzliche Schutzgitter direkt vor dem Bändchen. Aber auch wegen seines dickeren Bändchens ist das Melodium 42Bn deutlich robuster als etwa das “Waffeleisen” der BBC.

Durch die vielen handwerklichen Verfahren weit weg von automatischer Präzisionsherstellung kommen Assoziationen zu Vintage- oder Roadworn-Instrumenten auf. Die Halterung aus Gusseisen könnte beispielsweise schon einige Jahrzehnte auf dem Buckel haben. Unser Testmodell wurde in leicht bräunlich schimmernder Lackierung geliefert. Bei der Bestellung hat man beim Look des Mikros die Wahl zwischen drei Möglichkeiten: Eine Lackierung in Schwarz wie beim Original, Braun wie auf unseren Fotos und unlackiert in goldglänzendem Messing (was mir persönlich das Wasser im Mund zusammenlaufen lässt).

Auf einem Etikett findet sich ein Stempel mit dem Herstellungsdatum. Als Zubehör liegen dem Paket ein Stativ-Adapter inklusive Feststellschraube sowie eine elastische Aufhängung bei. Ähnlich wie etwa beim Coles 4038 besitzt das Melodium Ösen am Mikrofonschaft und lässt sich kopfüber aufhängen. Bei 2,8 Kilo Lebendgewicht muss man dieser Konstruktion aber schon viel Urvertrauen entgegenbringen. Besitzer eines alten Originals können übrigens jegliches Zubehör auch einzeln beim Hersteller erwerben, es ist sozusagen voll abwärtskompatibel. Durch die verstellbaren Gewinde rechts und links vom Einsprechkorb lässt sich das Melodium 42Bn um rund 330 Grad um die eigene Achse drehen.

Ein Unterschied zum alten Melodium ist der fehlende dreistufigen Schalter auf der Vorderseite mit den Positionen “Speaker”, “Voix” und “Musique”. Dabei handelte es sich um nichts weiter als eine Bassabsenkung, die teilweise drastisch in den Klang eingreift. Diese Konstruktion war aber damals schon recht fehleranfällig und das neue Melodium 42Bn liefert immer das pure Signal, ohne jegliche Filterung. (Speaker nannte man in Frankreich damals übrigens Radio- und Fernsehmoderatoren, die mit ihren Lippen direkt am Korb klebten, die Bezeichnung hat also nichts mit Speakern eines Lautsprechers zu tun, wie es manchmal fälschlicherweise angenommen wird.)

Fotostrecke: 3 Bilder Plakette des 42Bn

Gottlob hat man sich beim neuen Melodium von der alten Steckverbindung verabschiedet, die damals ein eigenes Patent war und heute kaum noch zu finden ist. Anstatt diesem findet sich nun ein moderner XLR-Anschluss auf der Rückseite. Da könnten sich die Engländer mit ihrem Western Electric 4069 ausnahmsweise mal ein Vorbild bei den Franzosen nehmen.

Technische Daten des Melodium 42Bn

Neben den äußeren Abmessungen ist auch der Bändchenmotor selbst einer der größten seiner Art. Als Magnete kommen wie damals klassische AlNiCo Magnete zum Einsatz. Neodym wäre eine moderne Alternative gewesen, aber das Team von Christophe Chavanon wollte klanglich keine Kompromisse eingehen. Die vier Alnico-600-Magnete erzeugen eine Feldstärke von 4400 Gauss. Ähnlich wie etwa beim Royer 121 kommt ein 2,5 µm dickes Aluminium Bändchen zum Einsatz. Die Richtcharakteristik ist eine reine Acht, wie es für die meisten Bändchenmikrofone typisch ist, mit einer sehr starken seitlichen Dämpfung bei 90 bzw. 270 Grad. Die Empfindlichkeit gibt der Hersteller mit -50 dBV (1 kHz Pa) an. Diese wird aber für jedes Exemplar vor der Auslieferung individuell gemessen und beträgt beim Testgerät beispielsweise -53,8 dBV. Zum Vergleich liegt die Empfindlichkeit eines Royer 121, einem der lauteren passiven Bändchenmikros etwas höher bei -47 dBV. Im Gegensatz zum Original, welches mit einer Ausgangsimpedanz von nur 50 Ohm nicht gut mit aktuellen Preamps harmoniert, beträgt dieser Wert beim Melodium 42Bn 300 Ohm. Damit sollte jeder handelsübliche Preamp, der eine Eingangsimpedanz oberhalb von rund 1500 Ohm besitzt, gut zurechtkommen.

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Profilbild von Frans Stummer

Frans Stummer sagt:

#1 - 02.03.2022 um 10:20 Uhr

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Es ist immer gut, wenn sich Leute mit viel Liebe an die Schätzchen der Vergangenheit machen. Für die Leute, die alte Melodium (und ähnliches) auf dem Schirm haben, empfehle ich Xaudia. Die sitzen in England und haben enorm Erfahrung, die alten Dinger wieder auf 100% zu bringen.

Profilbild von Jo

Jo sagt:

#2 - 11.06.2023 um 12:28 Uhr

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Ein interessanter Test eines interessanten Mikros. Es scheint momentan sowieso ein wenig die Zeit der "Bändchen"-Renaissance zu sein. Interessant wäre auch mal ein Vergleich zum neuen Sandhill 6019A, das als Bändchen auch viele der erwähnten Probleme gelöst hat und trotzdem noch die Vorteile des Bändchen-Mikros hat...

    Profilbild von Nick Mavridis

    Nick Mavridis sagt:

    #2.1 - 12.06.2023 um 07:02 Uhr

    0

    Hallo Jo, ich kann Dir in beiden Dingen zustimmen: Das Melodium ist ein wundervolles, weiches Ribbon Mic und das Sandhill ist mit seinem Composit-Bändchen hoch interessant. Ich schlawenzel gedanklich immer wieder um ein Review herum – also immer mal wieder die Augen offen halten… :-) Beste Grüße Nick Mavridis (Redaktion Recording)

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