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Interview und Production-Story: Produzent Ed Buller

Der britische Produzent Ed Buller ist seit vielen Jahren im Geschäft. Er arbeitete erst als Musiker, dann als Toningenieur und schließlich als Produzent mit Bands wie Suede, Pulp, The Crystal Method und aktuell den White Lies. 2009 produzierte er bereits ihr viel beachtete Debüt “To Lose My Life“, und jetzt das neue Album “Big TV“. Als nächstes stehen bei ihm die Kaiser Chiefs auf der Tagesordnung  – und ganz nebenbei hat er mit Produzentenlegende Flood (u.a. Depeche Mode und U2) die Electronica-Band Node. Also ein extrem interessanter Gesprächspartner, der einiges zu erzählen hat – und das auch macht! Mit der Band sprachen wir erst vor Kurzem HIER, nun viel Spaß beim Lesen dieses ausführlichen Gesprächs über eine Produktionsphilosophie, bei der es vor allem um den Song geht!

Ed Buller produzierte u.a. Suede, Pulp – und die White Lies. (© Foto: E.Buller / ICP)
Ed Buller produzierte u.a. Suede, Pulp – und die White Lies. (© Foto: E.Buller / ICP)

Beim Einpegeln des Audiorekorders überrascht er mich mit Zählen von 1 bis 10 auf gebrochenem deutsch: “Ich habe in der Schule deutsch gelernt, weil ich unbedingt bei Tangerine Dream mitmachen wollte,” lacht er. “Ich war 13 und fest davon überzeugt, dass es unmöglich wäre, dort mitzumachen ohne deutsch zu können. Es gab aber nur langweilige Lektionen über Besuche im Schwimmbad und so – und nichts über Synthesizer. So habe ich nur Worte wie ‘Bürogebäude’ und ‘Entschuldigung’ gelernt.” Zum Einstieg frage ich nach den Produktionstools seiner Wahl, für Ed sind das Pro Tools für Audio und seit kurzem wieder Cubase für MIDI. Da drängt sich die nächste Frage förmlich auf:
Warum haben Kreativität und Abenteuerlust trotz virtueller Produktionswelten mit Plug-Ins aller Arten und unendlichen Möglichkeiten anscheinend abgenommen? “Der größte Grund dafür ist wahrscheinlich, dass es sehr schwer ist, seine Instrumente WIRKLICH zu beherrschen, wenn man 5000 Plug-Ins auf dem Laptop hat. Meister im Umgang mit einem Plug-In zu werden, ist eine ganz andere Disziplin als einen Minimoog zu beherrschen: Als ich anfing, hatten wir einen EMS VCS 3 Synthesizer an der Universität und meine Freunde hatten einen Minimoog – das war‘s. JEDER Sound musste mit einem dieser beiden Instrumente realisiert werden. Du musstest dich mit deinem beschränkten Equipment also wirklich auseinandersetzen und Meister darauf werden. Heute haben Bands Zugriff auf die größte Soundpalette aller Zeiten. Und das macht es schwer, ein eigenes klangliches Universum für sich zu finden, in dem man sich bewegt und dadurch wiedererkennbar wird.”
Leben viele Bands durch den Einsatz der scheinbar immer gleichen 10 Werkspresets nicht in einem sehr definierten Universum? “Ich weiß nicht, ob sie das wirklich machen”, meint Ed. “Aber was an diesen Presets schlecht ist, ist dass ein Instrument in der Regel einen erkennbaren Charakter hat: Wenn du z.B. Schlittenglocken benutzt, klingt es sofort nach Weihnachten. Das gilt für die meisten Instrumente, aber bei Synthesizern ist das deutlich schwieriger – und bei Plug-Ins, wo verschiedene Klangtechnologien gemischt werden, noch schwammiger.”
“Als wir das aktuelle White Lies Album vorbereiteten, haben wir vor der ersten Aufnahme erst einmal diskutiert, was die White Lies eigentlich zu einer einzigartigen Band macht. Für mich waren das der Sound des Basses und der Gitarre, die Klangfarbe von Harrys Stimme und der Klang sowie die ungewöhnliche Spielweise von Jacks Drums – außerdem noch die etwas eigenen Akkordfolgen ihrer Songs. Die Summe dieser Elemente sorgt dafür, dass die White Lies nach White Lies klingen. Diesen Elementen durfte sich also nichts in den Weg stellen – wir wollten, dass sie niemals verdeckt werden konnten. Sie sind immer am lautesten im Mix und transportieren die tragenden Elemente eines Songs.”

Ed bei der Arbeit in Studio D der ICP-Studios (Foto: © Ed Buller).
Ed bei der Arbeit in Studio D der ICP-Studios (Foto: © Ed Buller).
Waren die Songs für Big TV schon fertig, als Du dazu kamst? “Sie waren fast alle schon geschrieben,” erzählt Ed. “Wir waren seit der Arbeit am ersten Album befreundet, und so kam Charles eines Tages bei mir vorbei und spielte mir die Demos vor. Er meinte, dass sie anders  und ungewöhnlich poppig für sie seien. Sie hatten die Songs nur mit MIDI-Sounds skizziert, Melodien einfach mit einem Glockenspiel gespielt, wenn Harry sie noch nicht gesungen hatte. Die Essenz dieser Songs konnte zwar jemand wie ich in der Form schon nachvollziehen, aber Management und Label waren etwas verwirrt: Es klang so ja nicht nach White Lies. Wir wählten aus den sechs fertigen Ideen drei aus und produzierten hochwertige Demos. Das war unser erster Schritt.” Die Songs ‘Big TV‘, ‘Tricky To Love‘ und die spätere erste Single ‘There Goes Our Love Again‘ wurden so vorbereitet. “Diese Songs waren schon sehr weit, sie brauchten nur ein wenig Feinschliff. Ich arbeite mit Bands immer so, dass wir durch ein ‘Song Boot Camp‘ gehen: Wir setzen uns zusammen und analysieren Takt–für–Takt, ob die Melodienote auf dem richtigen Ton sitzt, und die Harmonien die Melodie in der richtigen Weise unterstützen. Ich mache das eigentlich mit jeder Band, mit der ich arbeite: Es ist fast so, als würde man den Song auf die Basis einer chemischen Formel runterbrechen. Charles und Harry lieben diese Phase, sie möchten, dass ihre Songs so stark wie möglich sind.”
Wie sieht das Song Boot Camp im Detail aus? “In diesem Fall brachte Harry Songdemos mit, wir luden sie in Pro Tools und editierten dann in den Sessions. Wir haben Teile verschoben, gelöscht oder einzelne Noten geändert.” Also eher der musikalische Ansatz eines George Martin als ein technischer? “Am Anfang meiner Karriere habe ich das eher technisch wie ein Engineer betrachtet. Ich wollte schon da Produzent sein, aber zuerst muss man natürlich die Basics beherrschen: Ich lernte also, wie man das ganze Equipment nutzt. Als ich dann damals mit Suede arbeitete, hatte ich großes Glück, dass sie bereits so tolle Songs hatten – und mit einem steifen Typen, der einen Drumstick im Hintern zu haben schien, arbeiten mochten. Ich habe mich da noch rein auf das Feeling eines Tracks konzentriert, nicht so sehr die Noten. Das alles änderte sich, als ich 1997 in die Staaten umzog, um zu lernen, wie man amerikanische Produktionen macht.”
Was ist das besondere an amerikanischen Produktionen? “Amerikanische Produktionen klangen immer besser als englische. Ein Grund dafür war, dass Amerikaner ein besseres Gefühl für Dynamik und Harmonien haben: Sie sind sehr diszipliniert im Umgang mit ihren Harmonien. Manchmal macht es das Resultat etwas fade, und man muss sehr vorsichtig damit sein. Amerikanische Bands sind nicht so waghalsig wie englische Bands. So hat man dann diesen eigenartigen Mix: viel besser klingende Veröffentlichungen aus Amerika – aber viel interessantere aus England. In meiner naiven Vorstellung dachte ich also: wäre das nicht cool, eine interessante Produktion zu machen, die gut klingt? Das war für mich der heilige Gral… also lernte ich, dass die Harmonien ein großer Faktor sind, einen Song gut klingen zu lassen.”
Der Song ist alles: Hier das Chord-Sheet des WL Songs "Getting Even" (© Song:White Lies, Foto: Universal)
Der Song ist alles: Hier das Chord-Sheet des WL Songs “Getting Even” (© Song:White Lies, Foto: Universal)

Der erste Schritt, wenn Du mit einer Band arbeitest, ist also die Songs in Form zu bringen? “Genau: Sicherzustellen, dass wir genau die richtigen Noten aufnehmen, wenn es ernst wird mit der Aufnahme. Wenn man einen Song konstruiert und zu früh anfängt ihn aufzunehmen, wird man irgendwann merken, dass die zugrunde liegende Idee schwach ist. Es ist dann ein wenig so, als würde man ein Haus ohne solides Fundament bauen. Viele Bands verzetteln sich dabei – auch Produzenten. Ich habe am Anfang meiner Produktionskarriere auch solche Fehler gemacht. Man konzentriert sich auf das falsche Element.”
Hast Du irgendwelche Aufnahmen der White Lies aus dem frühen Demostadium genutzt, oder habt ihr alles neu gemacht? “Wir haben alles neu aufgenommen. Aber ihre Demos waren schon sehr gut. Wir haben sicher noch zusätzlich Dinge entwickelt, und sie haben in meinem Beisein noch komponiert – aber die komplette Musik ist von den White Lies. Als sie mich dazu holten, hatten sie schon gut 70% der Musik fertig.”
Big TV ist das dritte Album der White Lies, Du hast aber auch schon am ersten gearbeitet. Wie hat sich die Band weiter entwickelt – sind sie gewachsen? “Ein Grund dafür, warum ich mit den White Lies so gern arbeite, ist, dass sie die nettesten Jungs sind, die man sich vorstellen kann! Im Vergleich zu mir natürlich noch Kids – ich bin gut doppelt so alt. Außerdem ist es sehr ansteckend, dass sie eine echte Gang sind: Die drei Jungs verstehen sich wirklich gut. Bei vielen Bands gibt es Kämpfe, Spannungen, Rivalität – das gibt es bei ihnen einfach überhaupt nicht. Niemals. Wir sind in den letzten 5 Jahren immer im Kontakt geblieben.”
Wo habt ihr aufgenommen? “In den ICP Studios in Brüssel, genau wie das Debüt.”

Fotostrecke: 5 Bilder Ed im ICP Studio A an der SSL 4000 G, wo das Debüt produziert wurde. (© Foto: ICP /Ed)

Als Du dazu kamst, waren also 70% vorhanden – und ihr habt die letzten 30 % dann noch entwickelt. Mit den ganzen Budgetlimitierungen heutzutage: wieviel Zeit blieb euch für das Projekt? “Wir haben die Vorbereitungen bei mir zuhause gemacht. Ich habe inzwischen ein Studio dort. Ich wollte das Label gleich zu Beginn für das Projekt begeistern, denn das zweite Album hatte kommerziell nicht so eingeschlagen. Das hatte Zweifel ausgelöst, und so waren wir unter Druck, zu beweisen, dass wir abliefern können – und ich der richtige für diesen Job war. So brachte ich die Band hinter meinen Plan drei Songs so vorzubereiten, das sie das Label bei der Präsentation umhauen würden – um wirklich volle Unterstützung zu bekommen. Denn mit Bands ist das immer so eine Sache (lacht): Eine Hälfte muss hören, dass man ihre Musik liebt – der anderen Hälfte ist das egal. Aber diese Position wechselt immer, und so ist jeder mal ‘bedürftig’. Lob ist sehr wichtig, wenn es zum richtigen Zeitpunkt kommt. Dann kann es Dinge beflügeln. Also habe ich versucht, nachdem wir etwa einen Monat bei mir gearbeitet hatten, drei Songs zu haben, die sie überzeugen würden. Das Demo klang noch überhaupt nicht so, wie die finale Produktion. Alles, was es erreichen sollte, war zu zeigen: ‘das werden die Noten sein, die wir spielen‘. Der Sound enstand dann später in der Produktion, mit den Elementen die ich für die White Lies sehe: Großes Schlagzeug, treibender Bass und massive Gitarren. Nach der Präsentation haben wir bis Weihnachten Demos gemacht für alle Songs – bis auf zwei, die erst später geschrieben wurden. In der Woche vor Weihnachten hatten wir dann 7 Songs, die wir Label und Management präsentierten. Da waren dann alle begeistert mit an Bord. Jim Chancellor, der A&R Mann, hatte noch sehr spezifischen Input, und spielte mir ein paar Referenzen vor: ‘Wenn ich Gitarren höre, möchte ich, dass sie massiv sind.‘ Ein Problem, wenn man viele Gitarrenspuren macht, ist aber dass sie dann irgendwann wie Synthesizer klingen. Deshalb haben wir bewusst nur ein paar Spuren links/rechts aufgenommen. Ich glaube, dass hat auch für die Power gesorgt, die ich mir vorgestellt hatte.”
Wie kriegt man so eine “Wall of Sound” hin, die trotzdem noch transparent ist – mit all dem Hall in der Musik? “Man muss orchestral und wissenschaftlich denken. Musik hat viel mit Physik zu tun. Du musst die Physik verstehen, um Musik schreiben zu können. Alle Topkomponisten haben es so gemacht: Hör dir einen beliebigen Tutti-Akkord an, wo das ganze Orchester spielt. Achte auf die Balance mit dem Akkord, und wie unterschiedliche Komponisten Transparenz auf ihre Weise erreicht haben. Man macht es bei der Produktion genau so: Man stellt sicher, dass die richtige Umkehrung eines Akkordes eingesetzt wird. Das du sie in enger Lage hast, die Terz und weiter oben. Und das Du unterhalb des mittleren Cs viel Raum lässt. Man achtet einfach darauf, das sich nichts ins Gehege kommt. Eins der größten Probleme beim Schreiben von Musik – insbesondere Popmusik – ist, dass ein Teil der Idee oft nicht zum Rest passt, nicht richtig funktioniert. Früher nannte man den richtigen Weg ‘Voice Leading‘.
Ich versuche sicherzustellen, dass eine Aufnahme die Wichtigkeit der entsprechenden Noten wiedergibt: welches Instrument das richtige für welche Noten ist, ob eine Note einen klareren Sound braucht, und so weiter. Durch meinen Aufenthalt in den Staaten habe ich mir diesen Fokus angewöhnt: Ich war fasziniert von den Fachkenntnisse einiger Toningenieure dort. Sie hatten richtig Ahnung von Musiktheorie. So nebenbei beim Aufbauen irgendeines Gitarrenamps sagten sie dann so Sachen wie: ‘Ihr spielt viele 7er-Akkorde, deshalb muss DAS dahin, und DAS dort hin.‘ Abgefahren!”

Fotostrecke: 3 Bilder Die Gitarren spielten diesmal eine tragende Rolle. (© Foto: Universal)

Also Ed: Was ist denn das Soundgeheimnis, wenn man viele 7er-Akkorde spielt? (Lacht) “Mein Tipp: Spielt einfach keine! Lasst sie zuhause.” Allgemeines Gelächter. “Bei Popmusik gefallen mir 7er-Akkorde nicht so, weil sie entweder Jazz verheißen oder dass gleich etwas passieren wird.” 
Geht eine 7 nicht in Ordnung, wenn sie im letzten Akkord vor dem nächsten Riff kommt? “Klar, wenn man von einem Dominat-7-Akkord kommt, und das dann auflöst. Aber das ist eine ZU starke Geschmacksnote für Popmusik…”, meint Ed ironisch. 
Du sitzt da also mit den armen Bands und sagst ihnen, dass sie die 7er und 9er entfernen müssen? “Oh ja – dauernd! Vor ein paar Jahren habe ich mal mit den Heartbreaks gearbeitet, einer wirklich talentierten Band, wo dann leider nichts passiert ist. Die hatten super Popsongs – aber alles 7er, 9er und sus-Akkorde. Wenn du die Musik mit all diesen zusätzlichen Noten auffüllst, dann vermischt sich alles, und deutet andere Tonalitäten an. Du verlierst die Klarheit. Popmusik ist eigentlich nur eine Melodie, die durch eine Basslinie unterstützt wird.Fängst du beim Arrangieren eines Song immer mit der Gesangslinie an? “Genau! Gesangsmelodie und Basslinie stehen am Anfang!” Gilt das dann auch für die Aufnahme? “Nein, wenn der Song fest steht, kann ich das in beliebiger Reihenfolge aufnehmen.” (Spielt am Piano die Strophe von Depeche Mode’s “Enjoy the Silence”) “Den kennst Du, oder? Das ist ein wirklich einprägsamer Song: Die erste Melodienote ist eine Quinte über dem Grundton, dann kommt eine große Terz, was ein bisschen ungewöhnlich ist, und dann kommt wieder eine Quinte.
Wenn ich also mit Bands arbeite, versuche ich immer diesen Effekt zu haben, dass die Topmelodie vom Rest in der richtigen Art und Weise unterstützt wird. Ein typischer Fehler ist es, in Bass, Akkord und Melodie die gleiche Note zu verwenden: Keine Spannung – man kann sich nirgendwo hinbewegen. Die White Lies sind hervorragende Songwriter, sie gehören zu den besten, die ich kenne. Die machen das schon instinktiv richtig. Ich pass also nur auf, dass ich auf Punkte hinweise, wo ich noch Schwächen sehe. Harry und Charles arbeiten dann zwischen sich die Lösung aus: entweder finden sie es gut so, oder sie finden doch noch eine bessere Variante. Beide wissen sehr viel über Musik. Das Schreiben von Popmusik ist eine besondere Disziplin: alle benutzen die gleichen 4 Akkorde (spielt C/G/F/am). Das ist die Herausforderung. Der Grund, warum alle diese Akkorde benutzen ist, dass man fast jeden Ton drüber singen kann, und es funktioniert. Für mich wird Popmusik interessant, wenn man etwas andere Akkorde einsetzt: Beim Song ‘Nowhere Man‘ von den Beatles sind es immer noch die gleichen Akkorde, aber dann ist da ein sonderbarer Akkord dazwischen (spielt Bb-Moll, dann F). Und das macht dann den Unterschied aus – genau wie bei dem Depeche Mode Song. Das ist dann das Geniale.”

Warum hast Du Big TV eigentlich nicht selbst gemischt – Du bist ja ein sehr renommierter Toningenieur? “Ich glaube, wenn man ein Album produziert, beeinflusst die Zeit, die man mit dem Projekt verbracht hat, die Qualität der Mischung. Ich mische selbst, wenn es schnell geht – und ich mische für andere. Aber ich mische meine großen Projekte generell nicht selbst, da ich der Meinung bin, dass es so besser wird. Vor 15 Jahren hätte ich natürlich gesagt: ich will, ich will. Die große Änderung kam, als ich in den USA Stabbing Westward produzieren sollte, und die Managerin mir gleich am Anfang sagte: ‘Nicht, dass es hinterher Verstimmungen gibt: Tom Lord-Alge wird das mischen.‘ Ich war natürlich enttäuscht: ‘Verdammt, Tom Lord-Alge bekommt immer alles zum mischen.‘ Aber weil ich wusste, dass ein anderer mischen würde, veränderte es den Produktionsablauf für mich ein wenig, und ich habe den Umstand berücksichtigt. Während des Mischens war ich bei Tom in Miami, aber habe versucht mich unsichtbar zu machen, denn er mag es einfach drauf los zu arbeiten. Und ich muss echt zugeben: Wie ich ihm so zusah, realisierte ich, dass er komplett andere Fähigkeiten als ich hat. Sobald die Fader oben sind, habe ich sofort eine emotionale Verbindung zum Sound des Tracks. Ein Mischer ist da nicht emotional, sondern schon eher wie ein Chirurg: beschneidet das Unwichtige, und schiebt das Wichtige nach vorn.“
Wie hast du bei diesem Album mit Spike Stent zusammengearbeitet?“Wir haben alles aufgenommen, ich habe ein paar sehr rohe Rough-Mixes gemacht – ich wollte nicht, dass die Band sich an diese Roughs heftet, das ist mir mit Suede nämlich mal passiert – und dann ging das an Spike. Als der erste Song zurück kam, fanden wir, dass es noch nicht in die richtige Richtung ging: Wir stimmten uns ab, und Charles schrieb dann eine E-Mail, in der er versuchte zu erklären, was uns vorschwebte. Spike begann von vorn – und nur einen Tag später kam ein Mix, der voll auf dem Punkt war.“
Wie machst Du das generell bei solchen Projekten: suchst Du einen bestimmten Song aus, den du dem Mischer dann erstmal schickst – oder wie geht das von statten? “Das ist unterschiedlich: An diesem Punkt habe ich bei Projekten dieser Art als Produzent eigentlich meinen Job getan. Das entscheiden dann Band, Label und Management – auch wenn sie mich in diesem Fall im Loop behalten haben, da wir so ein gutes Verhältnis haben. Das ist übrigens auch ein weiterer Grund, warum Mischer inzwischen neben Produzenten so beliebt geworden sind: Es gibt den Labels eine Möglichkeit, ein Album noch von einer weiteren Warte aus zu bearbeiten, und sicherzustellen, dass sie alles so bekommen, wie sie es benötigen.“
Warum die Entscheidung für Spike, ein absoluter Mischmeister? Er mischt ja von Hurts über Coldplay bis zu Lady Gaga alles, wie es scheint? “Spike ist so ziemlich DER Topmischer in England. Man hat den Eindruck, dass er und Allan Moulder fast alles mischen. Wir wollten Spike, damit der Pop durchkommt: wir wollten nicht, dass der Pop verdeckt wird. Er hat verstanden, wie es zugleich ‘heavy’ und klar klingen sollte.“
Hat Spike die Gabe Songs perfekt aufs Radio hin abzumischen? “Ja, das hat mit der Balance zu tun. Er ist ein bisschen wie ein elektrischer Leiter.“
Habt ihr euch auch ausgetauscht, oder war das eine reine Übergabe, und dann haben Management und A&R den Rest gemacht? “Nein, ich war schon involviert. Aber ich habe mich wirklich bemüht, meine Kommentare auf ein Minimum zu beschränken, weil ich gelernt habe, dass wir alle Kontrollverlustängste (“OCD Issues“) haben in Bezug auf Musik. Mein Vater war Komponist, und er hat sich teilweise an einem einzigen Takt aufgerieben: die 2stündige Oper wurde für weitere 3 Jahre nicht fertig, weil er sich in Kleinigkeiten verloren hat, die niemandem auffallen würden. Meine Kommentare sind also eher so: ‘Ok, die Snare Drum ist vielleicht einen Tick zu hell, der Bass ist etwas zu klicky, hier sind die Backing Vocals vielleicht etwas laut – aber wisst ihr was: insgesamt stimmt’s, wenn es also sonst niemanden stört, lasst es so.‘ Das ist im Prinzip jetzt meine Herangehensweise an Mischungen.“
Charles ist der 'Musicologist' der Band. (© Foto: Universal)
Charles ist der ‘Musicologist’ der Band. (© Foto: Universal)

Wie merkt man, wann der Punkt erreicht ist, wo man besser einen Schnitt macht und eine Produktion abschließt? “Das lernt man durch Erfahrung – und durch ein gesundes Selbstbewusstsein. Es gibt zwei Punkte, die niemals identisch sind: der, an dem DU denkst, dass es fertig ist – und der an dem die BAND denkt, dass es fertig ist. Manchmal muss man überzeugen: Bei den White Lies ist Charles derjenige, für den es niemals genug Finesse sein kann. Er ist ein ‘Musicologist‘, liebt Synthmusik und hört extrem genau auf Sounds. Ein Teil meines Jobs ist also zu sagen: ‘Dude, das ist in Ordnung so!‘ Es ist auch ein Kontrollding – nicht bei Charles, aber sicher im Falle meines Vaters: Du willst es nicht aus der Hand geben, es soll das ULTIMATIVE Ding werden.” 
Wenn Du ein Fazit Deiner Arbeit an Big TV ziehst – wie war das für Dich? “Alles in allem eine Produktion, die wirklich Spaß gemacht hat! Davor habe ich das aktuelle Suede Album gemacht, und das war sehr anstrengend.”
Stilistisch zwischen Britpop und Post-Punk Pop hin- und herzudriften ist also kein Problem für Dich? “Nein – es ist einfach Musik. Das ist einer der Gründe, warum ich mich auf die Noten konzentriere: schlussendlich sind es einfach nur Noten.”
Kannst du Produktionen machen, wo Du nicht hinter der Musik stehst? “Oh nein – das könnte ich nicht! Ich kann doch nicht den ganzen Tag mit einem Künstler arbeiten, und wenn der mich fragt: ‘ist das gut so?’, sagen: ‘fan-tas-tisch!‘ – obwohl ich das fürchterlich finde. Das wäre unehrlich. Damit könnte ich nicht leben. Klar, die Musikindustrie verändert sich, aber es gibt auch so immer genug Arbeit für mich. Wie das in 10 Jahren sein wird, kann man natürlich noch nicht sagen.”
Gibt es zur Zeit bestimmte Trends bei Produktionen? “Hmm – Eigentlich nicht. Der offensichtlichste Trend war sicher alles trocken, brutal nach vorn “In your Face” zu bringen, ohne Hall und Effekte – was ich nicht machen würde.” 
Das kann man Dir wirklich nicht gerade vorwerfen… was war die kürzeste Hallzeit bei den White Lies? “Verdammt, ja – ich kann keine trockenen Alben kaufen. (Lacht) Wir haben zum Beispiel einen bestimmten Sound vom Yamaha CS80 eingesetzt, wo ich beim Eventide H3000 den ‘Swept Reverb‘ benutzt habe. Den stell ich in der Regel immer so auf 20 Sekunden ein.” Wieder allgemeines Gelächter.”
Ihr habt also richtige Synths auf dem Album eingesetzt? “Absolut, wir hatten echt Glück, dass Neil von Suede uns seinen CS80 ausgeliehen hat – und im Studio in Brüssel hatten sie Polymoog, Prophet, Juno undsoweiter. Im Prinzip waren also alle Synths ‘echt‘ und Harry und ich haben dann die Sounds programmiert. Harry hat dann alles gespielt – wir haben so gut wie kein MIDI benutzt.”
Wie: Ihr habt ohne Sequenzer gearbeit? “Der Sequenzer kam von meinem Moog Modular. (Lacht) Und der Drummer hat dann dazu gespielt. Wir haben alles mit Click aufgenommen, Jack spielt extrem gut zum Klick. Als wir wieder hier waren, hat Harry dann mal einen Tag bei mir im Studio mit dem Moog gespielt und wir haben die ganzen Sequenzen hinzugefügt.”

Neben Pro08 kamen auch viele andere Hardwaresynths zum Einsatz. In der Regel von Hand gespielt... (©Foto: Universal)
Neben Pro08 kamen auch viele andere Hardwaresynths zum Einsatz. In der Regel von Hand gespielt… (©Foto: Universal)
Was ist eigentlich mit Deinem eigenen Projekt NODE? Wie ist das so mit der Produzentenlegende Flood eine Band zu haben? “Wir sind gerade dabei ein neues Album fertig zu stellen, Dave von Node kommt gleich bei mir vorbei, damit wir weiter machen (Anm: Musikprofessor Dave Bessell und Filmkomponist Mel Wesson gehören auch zur Band). Mit Flood zu arbeiten ist großartig, wir kennen uns seit 25 Jahren, und er ist einfach ein klasse Typ.
In der Band bist Du also einfach mal Keyboarder?
“Wir sind alle Keyboarder – Node funktioniert wie die Bands aus Deutschland in den 70ern, Tangerine Dream vor allen anderen. Für eine kurze Zeit in den frühen 70ern machten sie Musik, die komplett improvisiert war. Was echt schwer ist: komplett live direkt auf Zweispur.
Macht ihr mit Node absichtlich Musik, die weit weg ist vom klassischen Songformat, damit Ihr bei Eurem ‘Day Job‘ wieder frisch für die Arbeit im Quintenzirkel seit?;”>”Kann man so sagen – aber die Tonalität kommt von einem anderen Ort: Das funktioniert bei uns so, dass wir uns als erstes auf eine Tonart verständigen, dann in der Regel zwei Motive entwickeln – eins aus 5 und eins aus 3 Noten oder was auch immer. Ziemlich wie bei klassischer Musik. Als nächstes entwickeln wir eine Akkordfolge – das war‘s. Dann verschwinden wir hinter unseren Geräten und programmieren sie. Und nach etwa zwei Stunden nehmen wir die Kopfhörer ab und sagen: ‘OK – lasst uns loslegen!‘ Dann spielen wir eine Performance, hören sie an, stellen die Maschinen auf Anfang und spielen nochmal. Wir spielen so etwa fünf Performances hintereinander weg, bis wir das Gefühl haben, dass die Idee steht. Das geht direkt auf Zweispur, und einer von uns editiert hinterher aus allen Performances die optimalen Teile heraus. Das Album kommt wahrscheinlich im Januar 2014 raus.”
Ed vor seinem Moog Modular, an dem viele Sequenzen für Big TV entstanden. (© Foto: Ed Buller)
Ed vor seinem Moog Modular, an dem viele Sequenzen für Big TV entstanden. (© Foto: Ed Buller)
Wo wir die ganze Zeit bei Synthesizern sind: Was hältst Du eigentlich von der Wiederauferstehung der Hardwaresynthesizer – wie dem Korg MS20mini? “Ich finde das großartig. Mein Problem mit Synthesizern ist aber, dass ich das Gefühl habe, dass die besten schon gebaut wurden: Moderne Synths finde ich OK, sie haben aber alle den gleichen Soundcharakter. Mein Moog Modular klingt einfach so viel besser als jeder andere Synth, den ich jemals gehört habe. Ich habe sozusagen den Ferrari 250 GTO und benötige kein weiteres Auto… ich habe Glück gehabt, da ich ihn vor langer Zeit gekauft habe. Heute könnte ich mir den nicht mehr leisten!‘
Woran liegt es, dass Keyboarder inzwischen wie Gitarristen 30, 40 Jahre alte Instrumente bevorzugen – bei Keyboards also extrem alte anfällige Halbleiter und Elektronik? 
“Weil die Entstehung der Synthesizer mit subtraktiver Synthese in den 50ern und 60ern passiert ist. Robert Moog entwickelte seinen Oszillator, es ging um die Erzeugung großartiger Klänge: Bob Moog, Musiker wie Wendy Carlos – da waren die Besten der Besten und entwickelten gemeinsam. Wenn Du dir die Komponenten in einem Moog ansiehst: da ist nichts Ausgefallenes drin – keine speziellen Chips. Moog war in Bezug auf die Effizienz extrem diszipliniert: Er hat möglichst wenig Komponenten eingesetzt, die möglichst viel der Arbeit erledigen, es gibt sehr wenig Nebengeräusche… und heute entwickeln sie spezielle Chips, damit alles funktioniert. Die Band hat z.B. einen Prophet 08, der ist auf dem Album: Harry mochte ihn, aber für mich klingt der ein bisschen “Euro”.
Eine Sache bei Synths ist, dass jeder Synth EINE Sache wirklich gut kann: Ich habe z.B. keinen Synthie AKS oder VCS3 – ich hätte sie gern, aber sie sind für mich nicht mehr erschwinglich – sie sind großartig für ‘Bubbles’ und ‘Squeeks‘, aber können nix anderes wirklich gut.”
Hast Du Dir in dem Zusammenhang mal den alten Vermona Synthesizer aus der DDR angesehen? Den solltest Du mal checken…
(Ed googlet)”Aah… ich erinner mich an den. Aber nein – meine Frau erlaubt mir kein weiteres Equipment, ich habe schon eine Wand voller Moog. Mein Traum ist es, einmal ein Museum voller Synthesizer zu besitzen.”
Warum kommen eigentlich gerade so viele Bands im Stil der 80er Postpunk-Bewegung aus den UK: Also Bands wie Hurts, Editors, XX oder die White Lies? “Ich denke, das ist ein Teil eines größeren Problems in der Musikindustrie: Sie ist an einem Punkt angelangt, wo sehr viel recycelt wird.
Aber das sind doch alles junge Bands. Recyceln die bewusst?
“Nein. Das machen sie nicht. Hätten die White Lies zur gleichen Zeit wie New Order und The Teardrop Explodes existiert, hätten sie nicht so ‘deplatziert‘ gewirkt. Es ist auch nicht deplatziert, es ist einfach ihr Ding: Genau so wie bei Suede. Als ich begann mit Brett zu arbeiten, hatte er nur eine Platte: Hunky Dory (David Bowie, 1971). Seiner Meinung nach, die EINZIGE Platte, die man haben musste. Das ist das beste an Künstlern: sie können extrem auf ein kleines Gebiet fokussieren, und dort sehr gut werden.
Letzte Frage: Wie wählst Du die Künstler aus, mit denen Du arbeiten möchtest? “Oh, in der Regel höre ich mir die Musik an. Ich werde natürlich auch angesprochen. Viele Künstler mit denen ICH gern arbeiten würde, möchten aber nicht mir MIR arbeiten. (Lacht) Ich denke, es ist das Gleiche wie bei jedem!  Mir ist es wichtig, dass ich A. die Musik mag und B. der Meinung bin, sie nach vorne bringen zu können. Du musst schon etwas beitragen können.”
Wir bedanken uns bei Ed Buller für dieses ausführliche und sehr interessante Gespräch! Seine nächste Produktion sind die Kaiser Chiefs – wir sind gespannt auf das Resultat!

Mehr Informationen zu Ed Buller: http://www.140db.co.uk (Management)
Das Album der White Lies ‘Big TV’ ist bei Universal veröffentlicht worden.

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Profilbild von Heinzel

Heinzel sagt:

#1 - 21.05.2014 um 15:07 Uhr

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"Der größte Grund dafür ist wahrscheinlich, dass es sehr schwer ist, seine Instrumente WIRKLICH zu beherrschen, wenn man 5000 Plug-Ins auf dem Laptop hat."WORD! Gibt nix schlimmeres als die Leude, die sich tausend Programme kaufen und dann denken sie werden die dicken Produzenten...

Profilbild von NI Freak

NI Freak sagt:

#2 - 30.05.2014 um 12:54 Uhr

0

Haste Recht Heinzel. Aber ich browse schon gern durch meine Sound-Library. Hat was enorm inspirierendes! Da kann man dann auch nicht genug haben!

Profilbild von Guido

Guido sagt:

#3 - 19.06.2014 um 12:39 Uhr

0

Ich finde das genial, wenn man mit unglaublichen vielen Sounds rumprobieren kann und dann auf etwas kommt, was den Unterschied macht!

Profilbild von Frederik

Frederik sagt:

#4 - 21.09.2014 um 00:24 Uhr

0

Vielen Dank für ein sehr interessantes Interview :) Grüss von Dänemark

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