Ex-Mitarbeiter berichten: Spotify ersetzt Musiker durch Billigproduktionen

Spotify steht weiterhin unter Kritik: Ehemalige Mitarbeiter werfen dem Streaming-Giganten vor, systematisch auf sogenannte „Geisterkünstler“ zu setzen – anonyme Musikproduktionen, die günstig eingekauft und unter generischen Namen veröffentlicht werden. Hinter dem internen Programm steckt offenbar eine gezielte Strategie, um Lizenzzahlungen an echte Künstler zu vermeiden.

© Wikimedia Commons: Spotify AB, Dinamo Typefaces – 401(K) 2012

Von einem einfachen Streamingdienst zu einem gigantischen Musik-Imperium – doch zu welchem Preis? Laut Enthüllungen im neuen Buch „Mood Machine: The Rise of Spotify and the Costs of the Perfect Playlist“ von Musikjournalistin Liz Pelly verfolgt Spotify seit Jahren eine fragwürdige Praxis, um Lizenzkosten gegenüber echten Künstlern drastisch zu senken. Die Autorin stützt sich auf über 100 Interviews mit Musikern, Brancheninsidern und ehemaligen Spotify-Mitarbeitern.

Im Zentrum der Vorwürfe steht ein internes Spotify-Projekt namens „Perfect Fit Content“ (PFC), das in den 2010er-Jahren startete und ab 2017 voll ausgerollt wurde. Ziel des Programms: Die gezielte Verbreitung billig produzierter Musik über eigene Partnerfirmen – in Playlists, die Millionen Nutzer täglich hören. Diese anonymen oder pseudonym veröffentlichten Tracks stammen oft von Produzenten, die für eine einmalige Zahlung ihre Rechte am Lied abgeben. Dadurch erhalten sie anschließend keine Gewinnanteile mehr – der Profit geht stattdessen direkt an das Unternehmen.

Ein ehemaliger Spotify-Mitarbeiter beschreibt die Situation so: „Zuerst hieß es nur: ‘Schau dir diese Tracks an, vielleicht passen sie in deine Playlist.’ Später wurde der Ton fordernder: ‘Diese Musik passt gut in dein Format – versuch’s doch mal.’“ Intern arbeiteten Kuratoren mit einer neuen Kennzahl: Wie gut funktioniert eine Playlist mit PFC-Inhalten – also Musik mit besonders hoher Gewinnmarge für Spotify?

Laut Pelly geriet das Unternehmen intern zunehmend unter Druck. Zahlreiche Mitarbeiter äußerten Zweifel an der Praxis – doch statt auf Kritik zu reagieren, habe Spotify systematisch Teammitglieder ausgetauscht. Menschen, denen ethische Fragen egal waren, übernahmen das Ruder. Bis 2023 soll das PFC-Team für mehrere hundert Playlists verantwortlich gewesen sein. Zu ihnen sollen beliebte Formate wie „Deep Focus“, „Morning Stretch“ oder „Cocktail Jazz“ gehören. Diese seien nahezu vollständig mit “Geistermusik” bestückt.

Ausbeutung der Musiker

Besonders perfide: Viele der beauftragten Produzenten sind selbst Musiker, die sich über Nebenjobs etwas dazuverdienen wollen. Ein Jazzmusiker, der anonym blieb, berichtete gegenüber Pelly, er habe für einige Ambient-Tracks nur ein paar Hundert Dollar erhalten. Die Rechte an seine Musik übergab er damit vollständig an das Produktionsunternehmen. „Ich habe meine kreative Arbeit für ein Taschengeld verkauft – und dann Millionen Streams damit generiert, ohne je einen Cent an weiteren Einnahmen zu sehen“, so der Musiker.

Mir ist bewusst, dass die Masteraufnahme viel mehr einbringt, als ich bekomme. Vielleicht ist das einfach Geschäft, aber es hängt so sehr damit zusammen, wer überhaupt dafür sorgen kann, dass ein Track so viele Plays bekommt. Wer das kann, der hat die Macht. Es fühlt sich ziemlich seltsam an. Mein Name steht nicht drauf. Es gibt keinen Credit. Kein Label. Es ist wirklich so, als wäre da nichts – keine Angabe zum Komponisten. Es gibt eine Art Nebelwand. Sie versuchen ganz klar, es nicht nachvollziehbar zu machen.“

Offiziell streitet Spotify weiterhin ab, selbst Musik zu produzieren. Schon 2017 bezeichnete das Unternehmen solche Vorwürfe als „kategorisch falsch“. Doch CEO Daniel Ek selbst twitterte Anfang 2025, dass die Kosten für Content-Erstellung heute „nahezu bei null“ liegen – eine merkwürdige Aussage für ein Unternehmen, das vorgibt, keine eigenen Inhalte zu erstellen.

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Mehr Informationen

Was bleibt, ist der Eindruck eines durchkalkulierten Geschäftsmodells: Spotify scheint gezielt Inhalte zu fördern, die wenig kosten – auf Kosten unabhängiger Künstler*innen, die ohnehin schon mit extrem niedrigen Streaming-Tantiemen leben müssen. Die Kritik aus den eigenen Reihen zeigt: Viele sahen das Unrecht kommen, konnten es aber nicht aufhalten. „Es war wie ein Zug, der schon losgefahren war“, sagte ein Ex-Mitarbeiter. „Wir wussten, dass es falsch war. Aber es war nicht mehr aufzuhalten.“

In ihrem Bericht „The Ghosts in the Machine“ fasst Liz Pelly ihre Recherchen zusammen. Sie geht detailliert auf das Problem ein und teilt zusätzliche Interviews sowie Erfahrungen von weiteren ehemaligen Mitarbeitern.

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