Bitwig Studio 4 Test

Nächste Runde für die Modulations-DAW Bitwig Studio! Nachdem bei Bitwig Studio 3 The Grid eingeführt und in den Updates zu 3.1, 3.2 und 3.3 ausgebaut wurde, ist dieses Mal ein gemischtes Update rausgekommen.

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Neu sind Comping als klassische DAW-Funktion, sowie Operatoren und „Expression Spread“ im Bereich der Modulationsmöglichkeiten. Dazu gibt es wie immer noch weitere kleine Neuerungen und Verbesserungen, denn Konkurrenz belebt das Geschäft.


Der Wettstreit zwischen Ableton und Bitwig ist ein tolles Beispiel dafür. Wann immer einer der beiden DAWs ein Update veröffentlicht, wird nicht nur innerhalb beider Communities gefeiert oder gemeckert, sondern auch seitens der Produktstrategen überlegt.


Ableton stand zuletzt mit Version 11 unter Zugzwang: Einerseits wollte man sich der Masse der akustischen Musikschaffenden mehr öffnen, andererseits hatte Bitwig auch danke der vielen Modulationsmöglichkeiten eine zunehmend wachsende Fangemeinde. Ähnliche Überlegungen seitens Bitwig brachten auch Version 4 von Bitwig nun Comping sowie Chance Notes –  natürlich auch hier wieder mit ganz eigenem Spin und Bitwig-typisch viel komplexer. 

Details

Was ist neu in Bitwig Studio 4? – Comping

Comping – das ist die Funktion, die es erlaubt, aus vielen Aufnahmewiederholungen (Takes) die jeweils besten Momente zu einer perfekten Performance zusammenzuschneiden. Anders als in Ableton Live findet Comping in Bitwig Studio 4 auf der Clip-Ebene statt. Das bedeutet, dass ein Clip im Arrangement und im Launcher „gecompt“ werden kann. Lautstärke und Position der Aufnahme kann pro Take-Slice bestimmt werden. Comping für MIDI-Clips ist nicht möglich. Gerade für punktgenaue MPE-Performances ist das Feature unerlässlich.

Fotostrecke: 2 Bilder Der kleine Pfeil nach oben deutet an, dass dieser Teil bei einem Mausklick in den Comp geschoben wird.

Außerdem kann jeder andere Audioclip in eine Take-Spur gezogen werden. Dann wird Comping in Lichtgeschwindigkeit zum Sounddesign-Tool. Dazu müsst ihr einfach fünf verschiedene Clips untereinander in die Take-Spuren ziehen und beliebig zusammenschneiden. Mit „Take-Folder erstellen“ gibt es eine neue Funktion, die auf den ersten Blick schwer greifbar, auf den zweiten aber ziemlich mächtig erscheint. Mal angenommen, eine Aufnahme eines Drumbeats ist 24 Takte lang. Der Drummer spielt über vier Takte aber immer dasselbe. Anstatt jetzt mühsam per Hand taktgenau zu schneiden, erledigt das Bitwig für euch – einfach Aufnahme anwählen, Anzahl der Wiederholungen auswählen und schon kann die Aufnahme mit sich selbst gecompt werden. 

Was ist neu: Die Operatoren – Randomisierung bei Loops

Jeder Mensch, der einen Rhythmus oder eine Melodie am Instrument wiederholt, spielt kleine Variationen in Lautstärke, Timing und Timbre. Eine der größten Stolpersteine bei elektronischer Musikproduktion sind daher starre Loops. Zwei Takte Shaker oder Melodie, die sich an keiner Stelle des Tracks verändern – das klingt schnell langweilig. Die Operatoren in Bitwig Studio 4 bringen Varianz in die Loops – ganz im Bitwig-Style äußerst kreativ und gleichzeitig ziemlich verkopft. Vier Operatoren ermöglichen eine Vielzahl von Veränderungen. 

MIDI-Noten und Audio-Slices wie hier die Note F#4 oben rechts zeigen an, welche Operatoren sie verändern – in diesem Fall alle vier.
MIDI-Noten und Audio-Slices wie hier die Note F#4 oben rechts zeigen an, welche Operatoren sie verändern – in diesem Fall alle vier.

Wahrscheinlichkeit“ ist wie „Note Chance“ in Ableton Live eine Zufallsverteilung, wie sicher eine Note in jedem Durchlauf gespielt wird. Anders als bei der Konkurrenz ist das aber auch bei Slices in einem Audio Clip möglich. Operator zwei, „Wiederholung“, kennt man so ähnlich bereits aus dem Step Sequencer von Logic Pro 10.5. Jede Note und jeder Slice können hier in bis zu 128 Wiederholungen gesplittet werden. Außerdem kann der Drag-Regler das Timing der Wiederholungen in Richtung Anfang oder Ende des Events verschieben.

Wiedergabekondition und Recurrence – Operatoren für Loop-Vielfalt 

Wir bleiben noch etwas bei den Operatoren, sind sie doch DAS neue Feature in Bitwig Studio 4. Der dritte Operator „Wiedergabekondition“ bringt fast so etwas wie Programmierung mit „IF…THEN“-Parametern ins Spiel. So könnt ihr festlegen, ob das Event (Note oder Audio Slice) nur im ersten oder nur in jedem weiteren Durchlauf des Loops zu hören ist – beispielsweise eine Crash auf der ersten Eins, dann aber nie wieder. In Verbindung mit „Wahrscheinlichkeit“ kommen dabei schnell endlos variierende Loops zustande. 

Oben ist der Fill-Button aktiviert, der die gerade markierte Note G4 mit der Fill-Bedingung (unten links) belegt.
Oben ist der Fill-Button aktiviert, der die gerade markierte Note G4 mit der Fill-Bedingung (unten links) belegt.

Dazu kommt noch der neue „Fill“-Modus. Diese Funktion macht Bitwig livetauglicher. Jedes Event in einem Clip, das die „Fill aktiv“-Bedingung bekommt, wird nur dann abgespielt, wenn oben in der Titelleiste der neue „Fill“-Button gedrückt wird. Mappt ihr diesen auf einen Knopf auf eurem Controller, werden Drumfills oder Beatvariationen auf Knopfdruck abgespielt. Der vierte Operator „Recurrence“ ist der mächtigste, was kontrollierte Variationen von Loops betrifft. Für jede Note könnt ihr einstellen, in welchem Durchlauf er zu hören sein wird. Ihr könnt also zum Beispiel den Beat komplett programmieren und dann die Offbeat-Kickschläge nur jedes vierte Mal spielen lassen. 

Was ist sonst noch neu?

Bei der neuen „Spread“-Funktion hat Bitwig wieder zu Ableton Live 11 herüber gelinst und dann etwas Eigenes daraus gemacht. „Velocity Range“ heißt bei Bitwig „Verteilung“. Grundsätzlich erzeugt diese Funktion Variationen der Velocity-Werte in jedem Durchlauf, quasi eine Art laufende „Humanize“-Funktion. Bitwig erweitert die Idee. Auch bei Lautstärke, Panning, Pitch und den zwei MPE-Signalen Timbre (Slide) und Pressure kann für jede Note (!) über den Verteilungsregler ein Bereich eingestellt werden, in dem sie variiert. 

Fotostrecke: 2 Bilder Die Größe der „Verteilung“ (Spread) wird unter den Noten im Clip als der eingefärbte Bereich um den Wert (hier rot) angezeigt.

Vielleicht ist euch bis hierhin schon aufgefallen, wie „deutsch“ die ganzen neuen Funktionen klingen. Das liegt an der nun fest eingebauten Übersetzung, die nun bis in die Benennung der einzelnen Parameter der Instrumente hineinreicht – also weit tiefer als bei Live. Die Sprachbarriere ist nun keine Ausrede mehr. Die andere Funktion, die im ersten Moment nirgends sichtbar ist und im Changelog seltsam versteckt liegt, ist ein echter Paukenschlag in der Welt der DAWs. Bitwig erlaubt nun den Import von Projektdateien von Ableton Live und FL Studio! Mehr dazu lest ihr im Praxisteil. 
Außerdem sind die Optionen, was den Export aller Spuren und verschiedener Formate betrifft, aufgebohrt worden: Wav, Flac, Ogg Vorbis, Opus und MP3 gibt es jetzt auch für den gleichzeitigen Export zur Auswahl. Und gute Nachrichten für die Apple-Gemeinde: Als eine der ersten DAWs läuft Bitwig Studio 4 nativ auf Systemen mit M1-Prozessor.
Ferner sind 22 neue Presets ans Bord, davon 19 bei den Instrumenten und drei bei den Effekten. Das Sample-Pack „Anti-Loops“ ist ebenfalls neu. Sounddesigner wie Crisitian Vogel oder Polarity steuerten bei.
Ebenfalls nicht unerwähnt bleiben sollte das fantastische „DrivenByMoss“-Script von Jürgen Moßgraber, das die Einbindung von MIDI-Controllern in Bitwig erheblich erleichtert. Die aktuelle Version läuft grundsätzlich mit Bitwig Studio 4, einige Kleinigkeiten scheinen User-Berichten zufolge allerdings noch zu hängen. Moßgraber verspricht auf Anfrage sehr bald ein entsprechendes Update nachzuliefern.

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Morons MORONS! sagt:

#1 - 04.06.2021 um 21:15 Uhr

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Das sieht wirklich vielverprechend aus und ich freue mich über den Projekt-Import. Endlich von Windows-Ableton die Sachen nach Linux-Bitwig rüberziehen.
Ich hoffe allerdings auch, dass Bitwig endlich mit Skins und veränderbaren Farben kommt, ich wechsele gerne mal die Optik je nach Tageslicht oder Wachheit/Müdigkeit. Seit Jahren immer die gleiche Oberfäche zu sehen, ist eher unangenehm.

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