Bei der Entwicklung virtueller Amps hat sich einiges getan. War es Anfang der 90er Jahre noch schier undenkbar, mit digitalen Mitteln auch nur in die Nähe eines Röhrenamps zu kommen, so zeigen Hersteller wie Fractal Audio, Kemper, Avid und Line6, dass die Abstände sich doch zunehmend verringern.

Da auch beim Hardware-Equipment letztendlich das Rezept lautet: “Prozessorleistung trifft auf intelligente Algorithmenprogrammierung, das Ganze gewürzt mit einer Prise Impulsantwort”, war es nur eine Frage der Zeit, bis die Softwarehersteller hier nachziehen konnten.
An der DAW gestaltet sich dieses Konzept als Softwarelösung nicht ganz so einfach, da die natürliche Prozessorleistung des Rechners hier dem Ampmodelling Grenzen setzen kann und auch Soundkarten unterschiedlich klingen und wandeln. Nichtsdestotrotz schreitet auch hier die Entwicklung unaufhaltsam voran und wir wollen es uns nicht nehmen lassen, euch verschiedene Ampsimulationen auf Softwarebasis vorzustellen.
Da die Zeit auch vor Plugins nicht halt macht und die in vergangenen Tests vorgestellten virtuellen Amps, Cabinets und Effekte schon seit geraumer Zeit erhältlich sind, ergänzen wir die Software-Ampsimulationen in diesem Artikel immer wieder, um einige neuere Modelle, die teilweise signifikante Verbesserungen und Updates aufweisen.
Die Software im Überblick:
1. Scuffham S-Gear
Die britische Company Scuffham bietet mit dem S-Gear eine vielfältige Sammlung diverser klassischer Gitarrenamps, Speaker Cabinets und Effekte für Windows PC oder Mac. Hierbei kann die Software sowohl als Standalone-Anwendung als auch als Plugin für die DAW genommen werden.

An Amps findet man folgende Modelle, die jedoch wesentlich stärkere Eingriffe erlauben als die Vorlagen:
- Custom 57: basierend auf Fender Tweed
- The Wayfarer: basierend auf Fender Twin und Reverb-Deluxe-Modellen
- The Duke: basierend auf Dumble
- The Steeler: basierend auf Marshall/Park 75 Amp
- The Jackal: basierend auf Soldano SLO 100
Für die Effektsektion stehen eine Delay-, Reverb- und Modulationseinheit bereit. Die Cabinet-Simulation wird von der Proconvolver-Einheit bestritten, die auf Faltungsbasis arbeitet und mit Redwirez IR bestückt ist, allerdings auch das Laden von eigenen oder Faltungen von Drittanbietern erlaubt.
Preis (Stand Januar 2021):
- Scuffham S-Gear v2.9 : 129,00 USD
2. TSE Audio X50II 2.4.8
Der X50II von TSE Audio hat sich prinzipiell auf zwei Amptypen spezialisiert. Zum einen eine Emulation des Peavey 5150 und andererseits einen ENGL E530. Beide Amps bieten großzügige Eingriffsoptionen und mehrere Kanäle. Die Vor- und Endstufen der Amps können miteinander kombiniert werden und bieten weitere Editiermöglichkeiten.

Zwei parallele, einstellbare IR-Kanäle stehen zur Verfügung, die bereits mit einigen Faltungen von diversen Drittanbietern bestückt sind (z.B. von Kalthallen), wobei TSE Audio auch das Laden von eigenen IRs erlaubt.
Mehrere Delays, Overdrives, ein Delay mit Modulationsfunktion, ein Phaser, ein Tuner, ein Noise Gate und ein EQ sind ebenfalls an Bord.
Preis (Stand Januar 2021)
- TSE Audio X50II 2.4.8: 69,99 USD
3. Overloud TH-U Full
Die italienische Firma Overload hat ein größeres Portfolio an Amp und Effektplugins. Bisher war das Flaggschiff das TH-3, doch seit kurzem ist mit dem TH-U eine revolutionäre Neuerung erhältlich, die neben eigenen Ampmodellen auch das Laden eigener Amp-Profile erlaubt und damit eine ähnliche Vorgehensweise ermöglicht wie beim Kemper.

89 Gitarrenamps, 4 Bassamps, 50 Gitarren-Cabinets, 2 Bass-Cabinets, 77 Pedal- und Rackeffekte sowie 18 Mikrofone mit bis zu vier Mikes pro Cabinet sind in der Software inkludiert. Neben klassischen Ampmodellen finden sich hier auch Kandidaten, die sonst eher selten in Amp-Kollektionen der Plugins anzutreffen sind, wie z.B. Randall, DV Mark oder Brunetti.
Besonders erfreulich ist hier eine sehr intuitive, grafische Benutzeroberfläche, das flexible Routing der Signalkette und natürlich die Möglichkeit, neben eigenen Profilen auch noch eigene IRs zu laden.
Preis (Stand Januar 2021):
- Overloud TH-U Full: 269,00 Euro
4. Mercuriall
Mercuriall ist eine russische Plugin-Schmiede und bietet vier verschiedene Amp-Simulations-Plugins, die jeweils mit einem Ampmodell, beim Sparks mit vier ausgestattet sind. Darüber hinaus werden verschiedene Speakerfaltungen aus dem Hause Redwirez, und je nach Plugin diverse Effekte inklusive Verzerrer bereitgestellt. Die Endstufensektion lässt sich leicht modifizieren und die Mikrofonplatzierung an den Cabinets ist veränderbar.
a) Mercuriall Tube Amp Ultra 530
Der Ultra 530 hatte den Engl E530 als Vorlage und bietet vier Kanäle dieses Amps. Vier Speakerfaltungen und ein Stereochorus sind anwählbar.

Preis (Stand Januar 2021)
- Mercuriall Tube Amp Ultra 530: 59,99 USD
b) Mercuriall Spark
Das Spark Plugin basiert auf vier Marshallmodellen (AFD, JCM800, JMP Super Lead und JMP Super Bass). Vier Speakerfaltungen, fünf Overdrives, Chorus, Delay, Reverb und Noise Gate sind ebenfalls mit im Paket.

Preis (Stand Januar 2021)
- Mercuriall Spark: 120,00 USD
c) Mercuriall Reaxis
Wie der Name vermuten lässt, verbirgt sich hinter dem Reaxis eine Simulation des Mesa Boogie TriAxis Preamps. Auch hier stehen vier Cabinetsimulationen bereit, allerdings besteht die Möglichkeit, eigene Cabinet- oder Reverb-Impulsantworten zu laden. Vier Overdrives, ein Wah, Chorus, Delay, Reverb und ein Noise Gate runden das Plugin ab.

Preis (Stand Januar 2021)
- Mercuriall Reaxis: 89,99 USD
d) Mercuriall SS-11X
Der SS-11X ist in Zusammenarbeit mit der Amp- und Pedalfirma AMT entstanden und liefert eine Simulation der Pedal-Preamps SS11A und SS11B, wobei A eher klassische und B modernere Gainstrukturen bedient. Neun verschiedene Cab IRs werden angeboten, dazu die Option, eigene Faltungen für Speaker und Reverb zu laden. Hinzu kommen sechs Overdrives und ein Noise Gate.

Preis (Stand Januar 2021)
- Mercuriall SS-11X: 39,99 USD
5. Universal Audio – weitere Modelle
Universal Audio war als einziges Plugin unserer aktuellen Sammlung bereits Gegenstand des ersten Ampsimulationsvergleichs, allerdings wollen wir einige Modelle, die seitdem hinzugekommen sind bzw. nicht im Test vertreten waren, ebenfalls unter die Lupe nehmen. Dabei handelt es sich um die Suhr Amps, den Friedman Buxom Betty, den Diezel Herbert und den Fuchs Overdrive Supreme 50. Die UA-Amps kommen mit einem Noise Gate, zum Teil mit Delay und einer beachtlichen Anzahl an Speakerfaltungen.
Preise (Stand Januar 2021)
- Fuchs Overdrive Supreme 50 Amplifier: 149,00 Euro
- Fender ’55 Tweed Deluxe: 199,00 Euro
- Friedman Buxom Betty Amplifier: 149,00 Euro
- Friedman BE100 (nur im Bundle mit Dirty Shirley): 249,00 Euro
- Diezel Herbert Amplifier: 149,00 Euro
- Suhr PT100 Amplifier: 149,00 Euro
- Marshall Plexi Super Lead 1959: 199,00 Euro
6. Positive Grid Bias FX 2
Positive Grid legt mit dem Bias FX 2 ein tolles Facelift zum bereits etablierten Bias FX vor. 100 überarbeitete Ampsimulationen, mit Celestion entwickelte Cabinet-Simulationen und IRs, eine Tone-Match-Funktion für Gitarrentypen, neue Effekte und vieles mehr sind hier an Bord.
Das Bias FX 2 ist in verschiedenen Ausbaustufen von der günstigeren Standard- bis zur Elite-Version erhältlich und kann dank jeder Menge Expansion-Packs erweitert werden. Den vollständigen Test findet ihr hier:

Preise (Stand Januar 2021)
- Positive Grid Bias FX 2 Standard: 81,00 €
- Positive Grid Bias FX 2 Professional: 162,00 €
- Positive Grid Bias FX 2 Elite: 244,00 €
7. Native Instruments – Guitar Rig 6
Die deutsche Firma Native Instruments gehört bereits zu den Platzhirschen der ersten Stunde, wenn es um virtuelle Amps geht und Guitar Rig hat sich mittlerweile zu einem Standard entwickelt das bereits in Version 6 vorliegt. Neben allen erdenklichen Ampsimulationen, finden wir hier ein riesiges Arsenal an Bodentretern, Effekten, Mikrofonierungsoptionen und Impulsantwort – Loadern. Die neue Version besitzt eine skalierbare Ansicht, Artist Presets von Pete Thorn oder Vernon Reid und Impulsantworten von Sigma Audio und Ownhammer.
Eine abgespeckte Gratis Version ist mit dem GuitarRig Player ebenfalls erhältlich.
Preis (Stand Januar 2021):
- Guitar Rig 6 Pro: 199,- Euro
8. IK Multimedia – AmpliTube 5
Auch IK Multimedia zählt zu den Mitstreitern, die schon sehr lange im Amp Plugin Business tätig sind, und so ist AmpliTube mittlerweile in der 5. Version erhältlich. Auch hier zeigen sich neben einer Fülle an virtuellen Amps auch diverse Effekte, Bodentreter und ein Mikrofon Controllroom, der sehr großzügige Eingriffe ermöglicht.
Preis (Stand Januar 2021):
- AmpliTube 5 SE: 121,99 €
- AmpliTube 5: 178,49 €
- AmpliTube 5 MAX: 356,99 €
9. Neural DSP – Archetype: Petrucci
Die finnische Softwarecompany, die sich durch das Neural Quad mittlerweile auch im Hardwarebereich austobt, ist inzwischen zur etablierten Anlaufstelle im virtuellen Amp-Plugin-Business avanciert und wird von allen Seiten mit Lob überhäuft. Das Firmenkonzept sieht nicht vor, ein umfassendes Plugin mit allen erhältlichen Amps abzuliefern. Stattdessen beinhaltet es stilistisch spezialisierte Software für individuelle Soundvorlieben.
So wurden bereits unzähligen Künstlern wie Cory Wong, Plini, Tosin Abasi oder Gojira eigene Custom-Plugins auf den Leib geschneidert. Diese kommen zwar mit einer begrenzten Amp-, Cab- und Effektauswahl daher, bieten dafür aber eine relativ hohe Flexibilität und unterstützen auch das Laden eigener IRs. Als Stellvertreter für die gesamte Bandbreite der Neural Plugins haben wir euch den jüngsten Streich, das Archetype: Petrucci Plugin, ausgesucht. Die anderen Neural Softwares haben selbstverständlich nichts an Aktualität eingebüßt.
Preis (Stand: Februar 2022):
Archetype-Petrucci: 149 €
www.neuraldsp.com
Soundbeispiele
Dies soll kein wirklicher Vergleich mit Bewertung oder Ranking der einzelnen Plugins sein, da diese teilweise andere Modelle und auch andere Faltungen benutzen und somit keine wirkliche 1:1 Gegenüberstellung ermöglichen. Vielmehr sollen die Soundbeispiele die einzelnen Softwares vorstellen, die sich für meinen persönlichen Geschmack auch je nach Disziplinen und Amptypen unterschiedlich gut schlagen.
Auch wenn die Plugins diverse Effekte an Bord haben, soll es in dieser Auflistung in erster Linie um den reinen Ampsound gehen und daher wurde die Effektsektion weitestgehend ausgespart.
Für die Beispiele wurde das Gitarrensignal direkt durch einen API 512c HiZ Eingang in eine RME Fireface UFX geschickt. Innerhalb einer Disziplin wird das exakt identische DI Gitarrenfile mit dem Plugin belegt und die Dateien wurden in der Lautstärke normalisiert. Bei den Einzelfiles kamen keine Effekte oder EQs zum Einsatz und beim Beispielsong wurde in der gedoppelten und hart links-rechts gepannten Gitarrenspur lediglich ein Low Cut angesetzt. Die Songbeispiele wurden ganz rudimentär gemastert.
1. Clean Picking – Fender Stratocaster – Bridge
2. Blues Low Gain – Telecaster – Neck
3. Rock Midgain – Les Paul – Bridge
4. Vintage Rock – Stratocaster – Neck
5. Metal – Les Paul – Bridge (Drop D)
6. Lead – Ibanez AZ2204 – Bridge
7. Sound im Bandkontext – Ibanez AZ2204 – Bridge (double tracked)
