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Musik für Blockbuster

Foto zur Verfügung gestellt von barefoot music / Dirk Reichardt
Foto zur Verfügung gestellt von barefoot music / Dirk Reichardt

bonedo: Dirk, du bist derzeit mit dem Soundtrack zu Kokowääh 2 im Kino zu hören – nicht deine erste Zusammenarbeit mit Til Schweiger. Wie bist du zur Filmmusik gekommen und wie entstand diese Kooperation?
Dirk Reichardt: Ich habe schon relativ früh festgestellt, dass ich einen gewissen Hang zu bewegten Bildern und der Musik dazu habe. Es gab schon in der Schulzeit so kleine Amateurfilme – zum Beispiel erinnere ich mich noch gut daran, wie ich in der Oberstufe die Musik zu einem Science-Fiction-Film auf einem Tascam-Vierspur-Portastudio aufnahm. Wir hatten eine Menge Spaß, es war sehr inspirierend und leidenschaftlich. Damit fing es im Grunde genommen an. Ein Mitschüler von mir, Lars Büchel, den ich auch in der Theatergruppe der Schule schon begleitet hatte, ist später Regisseur geworden. Für seine Langfilme, beginnend mit „Jetzt oder nie – Zeit ist Geld“, habe ich dann gemeinsam mit meinem Kollegen und Freund Max Berghaus die Musik gemacht. So kam das also ein bisschen auch über den Kontakt zu Freunden. Regisseur-Komponisten-Beziehungen sind oft echte „Buddy-Beziehungen“, das ist nichts, was sich immer wieder neu auswürfelt. Wenn man einmal gute Erfahrungen mit jemand gesammelt hat, dann ist man oft so froh, einen verlässlichen Partner gefunden zu haben, dass man über längere Zeiträume zusammen arbeitet. Dafür findet man viele Beispiele.
Mit Til Schweiger war es genauso. Er war Co-Produzent von „Jetzt oder nie“. So lernte ich ihn 2000 in der Hauptmischung des Films kennen, und er hörte zum ersten Mal Musik von mir. Das gefiel ihm. Als dann 2003 oder 2004 „Barfuss“ im Kopf entstand, hat er mich angerufen und gefragt, ob ich nicht die Filmmusik machen wollte.
bonedo: Von welchem Instrument kommst du ursprünglich?
Dirk Reichardt: Vom Klavier. Ich habe ursprünglich mal zehn Jahre klassisches Klavier gelernt, aber zum Konzertpianisten hat es nicht gereicht – weil meine Wurstfinger nicht zwischen die Drillingstasten passen wollten… (lacht) Die große Karriere zum klassischen Pianisten war aber auch nie so mein Ding. Ich hatte gleich von Anfang an auch immer meine eigenen Sachen und Kompositionen – und zum Glück eine Klavierlehrerin, die das sehr gefördert hat. Bei ihr kann ich mich im Nachhinein nur dafür bedanken, dass sie es mir nicht verbaut hat, immer wieder mit eigenen Ideen um die Ecke zu kommen.
bonedo: Til Schweiger ist ja dafür bekannt, bei den Soundtracks zu seinen Filmen aktiv mitzuarbeiten. Wie kann man sich eure Zusammenarbeit vorstellen? Setzt ihr euch einfach zusammen und macht ein Brainstorming, kommt er mit konkreten Ideen zu dir oder machst du erst mal Vorschläge?
Dirk Reichardt: Weil es mittlerweile so ein eingespieltes Team ist, läuft es mit Til inzwischen etwas anders ab, als es vielleicht mit anderen Regisseuren oder in anderen Situationen wäre. Es hat sich nach und nach so eingebürgert, dass wir bereits mit und zu dem Dreh anfangen, Musik zu schreiben und Ideen abzuliefern. Er ist einer der wenigen, die parallel drehen und schneiden. Das gibt es hier sonst gar nicht – im Grunde genommen ist das eigentlich nur in Amerika finanzierbar. Ein Trailer mit einem komplett ausgestatteten Avid-Platz und ein Cutter sind jeden Tag am Set vor Ort. Dort wird immer gleich schon in den Umbaupausen und Drehpausen geschnitten: Die Einstellung vom Vortag, die Dinge, die halt im Kopf noch ganz warm sind. Da ist Til dann sehr intuitiv in Sachen Musik und braucht quasi einen Topf voller Farben, die er dann ausprobiert. Das ist meistens der erste Schritt.
Danach wird dann modifiziert. Der Schnitt wird angepasst, die Szene, und entsprechend auch die Musik. Da gefällt ihm dann vielleicht eine bestimmte Passage, aber das davor oder danach nicht mehr. Dann baut man in Absprache miteinander die Musik noch um und verändert sie. Der ganz große Vorteil dieser Entstehungsweise – neben dem großen Nachteil, dass man einfach doppelt bis dreimal soviel Arbeit hat – ist, dass der Bildschnitt mit Musik entsteht. Da Til so „driven by music“ ist, geht er dann halt mit seinem Kameraschwenk noch weiter bis der Takt zu Ende ist, weil er die Musik so geil findet. So etwas passiert natürlich nicht, wenn du als Komponist erst loslegen darfst, wenn der Schnitt “gelocked” ist, und dann hast du sechs oder acht Wochen Zeit bis zur Mischung. Da würde sich kein Frame und kein Bild mehr rühren nach deinen Tempi und dem, was du da machst. Das ist der große Vorteil: Es ist nicht so starr, wenn die Musik eingepasst wird. Und das merkt man: Am Schluss spricht die Musik mit dem Bild und das Bild mit der Musik – jedenfalls deutlicher als im anderen Fall.
bonedo: Was macht für dich gute Filmmusik aus? Was kann und muss Musik in einem Film leisten?
Dirk Reichardt: Oha… Eine schwierige Frage, wo es mir schwerfällt, eine kurze Antwort zu geben. Das ist wirklich ein sehr komplexes Feld. Ich habe darüber sogar mal einen Artikel in einem Buch geschrieben, weil mich diese Diskussion in den ersten Jahren oft verfolgt hat. Es gibt verschiedene Lager. Manche Leute sagen, dass Filmmusik dann gut ist, wenn sie nicht auffällt. Weil sie sozusagen nur Teil des Ganzen ist und nur im Ganzen funktioniert – und nur genau dann ist sie gut und sonst nicht. Dann gibt es die andere Fraktion, die Filmmusik auch absolut stehen lässt. Starke Themen, Motive, Eingängigkeit, alles mögliche spielt da eine Rolle. Das sind dann schon eher so Kategorien und Bewertungsmuster, wie man sie vielleicht aus der Popmusik kennt. Nino Rota ist ein gutes Beispiel, aber es gibt auch viele andere, die so denken.
Ich glaube, ich gehöre eher zur letzteren Fraktion. Wobei ich glaube, dass es kein richtig und falsch gibt. Es kommt darauf an – soll die Musik nun karikieren, soll sie sich zurückhalten, soll sie irgendeinen Charakter verstärken oder soll sie nur so ein flirrendes Gefühl auslösen.
Es ist ja auch sehr abhängig vom Wunsch der Regie. Bei Til Schweigers Filmen gibt es Musik deswegen, weil sie ein bestimmtes Gefühl auslösen soll, und zwar unmittelbar, so dass sich am besten gleich alle Haare aufstellen. Im Gegensatz zu diesem unterschwelligen, „underscorigen“ Element, das im ersten Lager oft vorkommt – und zwar in feinsten Kulturen und ganz virtuos, das ist überhaupt nicht abwertend gemeint – ist es bei Til eher nicht so die sanfte Methode. Musik hat da eine echte Wirkung, und oft auch einen Hinhör-Effekt. Beides hat sicherlich seine Berechtigung. Ich finde es nur gefährlich, wenn man zu extreme Positionen vertritt.

Foto zur Verfügung gestellt von barefoot music / Dirk Reichardt
Foto zur Verfügung gestellt von barefoot music / Dirk Reichardt

bonedo: Die Soundtracks zu euren Filmen bestehen ja zum Teil aus eigens geschriebener Szenenmusik und zum Teil aus Songs verschiedenster Künstler. Wie entscheidet ihr, was wo zum Einsatz kommt?
Dirk Reichardt: Das ist definitiv auch Tils Art und Weise, damit umzugehen. Für ihn ist ein Song an vielen Stellen nicht so konstruiert wie eine szenische Musik, die eine gewisse Aufgabe übernimmt. In der letzten Zeit mache ich viele Vorschläge, von denen ich ahne, dass er sie gut findet. Außerdem werden wir von den Plattenfirmen bemustert mit den Sachen, die bald irgendwo herauskommen. Da sind wir sozusagen schon ganz gut informiert. Letztendlich ist die Entscheidung über die Songs aber eine Regieentscheidung von Til. Ich mache zwar viele Vorschläge und viele andere tun das auch, aber er entscheidet, wo er welches Gefühl braucht. Da hat er eine sehr klare Sicht.
bonedo: Du hast gerade schon die Plattenfirmen erwähnt. Inwiefern spielen sie eine Rolle bei der Auswahl der Songs? Steht ihr auch unter Druck, bestimmte Titel zu verwenden?
Dirk Reichardt: Nein.
bonedo: Gibt es denn gezielte Promo-Platzierungen bestimmter Songs?
Dirk Reichardt: Das gibt es schon. Im Grunde genommen sind wir ja in der glücklichen Lage, dass Til einfach eine Popularität hat, durch die man Partner findet, die dann gern mit einem das eine oder andere realisieren. Ich kenne viele Kollegen, bei denen es nicht immer so einfach ist, gleich einen Deal mit einer Plattenfirma zu bekommen. Da haben wir natürlich wirklich den Vorteil von Tils Popularität.
bonedo: Zurück zu deinen szenischen Kompositionen. Wie gehst du beim Komponieren vor? Setzt du dich einfach zum Film ans Klavier?
Dirk Reichardt: Es ist unterschiedlich. Eigentlich müsste ich das für verschiedene Fälle einmal auseinander klamüsern: Einmal gibt es die Musiken zu den Til-Schweiger-Filmen, die man vielleicht am besten kennt, weil sie in den populärsten Filmen gelandet sind. Dann gibt es aber auch noch andere Musiken von mir, die vielleicht nicht ganz so bekannt sind, wo die Herangehensweise eine ganz andere war. Bei Til Schweiger ist es oft so, dass ich erstmal ein paar Farben zu Papier oder zu Gehör bringe, wie vorhin beschrieben. Das ist eine frühe Phase, wo man noch kein Bild hat. Wenn man dann in der zweiten Phase zum Bild arbeitet und noch andere Passagen mit Musik bekleiden möchte, lässt man sich natürlich sehr gern auch vom Bild inspirieren. In der Tat beginnt es am allerhäufigsten am Klavier, weil es einfach mein Instrument ist.
Dann gibt es andere Filme, wie zum Beispiel „Der rote Baron“, der zwar gefloppt ist wie ein Stein, dem aber eine anderthalbjährige, doppelte Orchesterproduktion vorausging. Es war wirklich ein Riesenprojekt, und herausgekommen ist eine große, symphonische Filmmusik. Dort ist das Vorgehen natürlich ganz anders. Man fängt dann nicht am Klavier an, sondern am Keyboard mit Samples, um eine musikalische Vorstellung zu bekommen. Bevor man in eine Aufnahme geht, muss man ja mit der Regie und den Produzenten Layouts und Demos abgesprochen haben: Eine Orchesterproduktion ist unermesslich teuer. Wenn man danach feststellt, dass es doch nicht das richtige Stück Musik war, ist das für alle Beteiligten keine gute Erkenntnis! Beim finalen Schritt, um die Noten für die Musiker herzustellen, bin ich dann auch auf professionelle Hilfe von Orchestrierern angewiesen, die das auf einzelne Stimmen für die verschiedenen Instrumente übertragen und die Noten ausdrucken. Da braucht man dann noch „Spezial-Kollegen“, die einem bei der Umsetzung helfen.
bonedo: Was würdest du einem jungen Musiker empfehlen, der sich dafür interessiert, Filmmusik zu machen? Studieren, auf die richtigen Partys gehen…?
Dirk Reichardt: Also, ich habe weder studiert, zumindest nicht dies, und bin auch nicht auf die richtigen Partys gegangen… (lacht) Es ist echt schwer, weil sich die Studioszene sehr stark verändert hat. Man muss außergewöhnliches Glück haben, so wie ich es auch hatte, und irgendwann am richtigen Ort sein. Und irgendeinen stößt es dann an im Herz und er fängt fast an zu weinen, weil er so berührt ist, und so entsteht dann etwas. Aus dieser Erkenntnis kann ich jungen Kollegen nur raten, alles, was man tut, mit großer Leidenschaft zu tun. Denn nur dann kann es überzeugend sein, egal, wann dieser Moment mal kommt. Wenn man Dinge macht, hinter denen man nicht steht, dann wird dieser Moment nie kommen.
bonedo: Ein schönes Schlusswort! Allerdings wollte ich dich noch kurz fragen, was deine derzeitigen Projekte sind. Woran arbeitest du gerade, was kommt als nächstes?
Dirk Reichardt: Bei vielen Dingen darf man ja leider immer noch nicht so wirklich alle Hosen runterlassen… (lacht) Es gibt mehrere Filmprojekte, die anstehen. Eines davon ist ein großer Animationsfilm, der im Herbst kommen wird. Ein zweites wird ein etwas jüngerer Film sein namens „Großstadtklein“, der im September veröffentlicht wird. Ein dritter Film könnte es auch noch werden, der dann aber erst im nächsten Jahr herauskommt. Von dem darf ich aber noch nichts erzählen!
bonedo: Dirk, vielen Dank, dass du dir die Zeit genommen hast, und viel Erfolg dabei!

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