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Kurzweil PC361 Test

Ich muss zugeben, dass ich mich mit Synthies der Kalifornischen Firma Kurzweil bisher nie beschäftigt habe. Dementsprechend ahnungslos näherte ich mich dem PC361 für diesen Test. Und dann gleich eine Enttäuschung: Äußerlich könnte der Synthie auch aus den frühen 90ern stammen – keine Spur von hippen Drehpotis, leuchtenden Farben oder wenigstens schickem Minimalismus. Stattdessen ein recht teures Gerät mit einer nicht gerade einladenden Arbeitsoberfläche („Arbeit“ im wahrsten Sinne des Worte).

Traditionellerweise wird Kurzweils PC-Serie in der Kategorie Controller-Keyboards eingestuft. Im Gegensatz dazu stehen die Vollsynthesizer der K-Reihe (etwa der Welterfolg K2600). Die Einordnung als Controller Keyboard stimmt aber spätestens mit dem PC361 nicht mehr, denn auch auch dieses Instrument ist mit der VAST-Klangerzeugung ausgestattet. Es bietet über seine Masterkeyboardqualitäten hinaus eine große Auswahl an internen Sounds sowie eine äußerst flexible Klangsynthese!

Soviel sei hier schon verraten: Die Klänge des PC361 sind qualitativ so weit vorne, dass dieser Synthie… diese Workstation… dieses Masterkeyboard … was auch immer es genau ist, ganz enstpannt über sämtliche Mäkeleien am Design hinwegschauen kann!  

KurzweilPC361gesamt
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Äußerlichkeiten
Das dunkelblaue Gehäuse könnte man noch als elegant bezeichnen. Und auch das stolze Gewicht von 14 kg lässt an einen erhabenen Straßenkreuzer denken. Die Tastatur ist ungewichtet und unerwartet klapprig (Ebenfalls erhältlich ist übrigens das baugleiche PC3 mit 76 Tasten und das PC3x mit 88 gewichteten Tasten). Links neben der Tastatur liegen die Pitch- und Modwheels, sowie zwei Taster zur Steuerung des Arpeggiators bzw. zur freien Belegung. Auf der linken Seite des Bedienpanels befinden sich der Volumenregler und neun Schieberegler mit jeweils einem darüber liegenden Taster. Es folgt der Tastenblock zur Modeauswahl  und drei Taster zur Steuerung des Sequenzers, sowie der Edit-Taster. Das Display ist schräg in das Frontpanel eingelassen und nicht zuletzt dank Brightness- und Contrast-Drehregler auf der Rückseite gut lesbar. Unterhalb liegen sechs Anwahltaster für die jeweiligen Funktionen, die am unteren Rand des Displays angezeigt werden. Auf der rechten Seite wartet ein Tastenblock für die Direktanwahl von Instrumentenkategorien, ein Datenrad sowie ein Ziffernblock.

Fotostrecke: 5 Bilder Totale

Als Controller macht der PC361 eine sehr gute Figur und bietet, dank seiner üppig ausgestatteten Oberfläche, eine Vielzahl guter Modulationmöglichkeiten. Die neun Schieberegler und Taster können fleißig mit Funktionen aller Art belegt werden.

Rückseite
Die Rückseite ist enorm reichhaltig ausgestattet: Neben Kopfhöreranschluss gibt es zwei Stereo-Ausgänge, sowie Anschlüsse für Ribbon- und Breath-Controll (!), zweimal Expression- und dreimal Switchpedal. Außerdem Synch-In, Digital-Out, das MIDI-Trio, USB-Anschluss und ein beleuchteter Slot für eine XD-Speicherkarte [KurzweilPC3foto5; KurzweilPC3foto6]. Kann man mehr verlangen?       

Fotostrecke: 2 Bilder Anschlüsse Rückseite links

Innere Architektur
Das Herz des Kurzweil PC361 ist der Program-Mode. Von hier aus steuert man die einzelnen Sounds an, Kurzweil nennt sie „Programs“. Hier wir der Benutzer eingeladen, in die Tiefen der Klangsynthese hinabzusteigen. Wer ein Kurzweil-Neuling ist, der wird einige Zeit brauchen, um sich in der Bedienung und Menüführung zurechtzufinden. Der Aufbau stellt sich folgendermaßen dar: Ein Program besteht aus bis zu 32 Layern. Ein Layer beinhaltet eine feste Samplemap und bis zu vier DSP-Klangmodulatoren wie Pitch, Filter, LFOs etc. Letztere lassen sich frei zusammenstellen und -schalten. Das Ganze nennt sich dann Variable Architecture Synthesis Technology, kurz VAST. Die komplett variablen Kombinationen von EQs, Filtern und Oszillatoren etc. und deren Positionen im Signalfluss sind ein gefundenes Fressen für Klangtüftler. Durch die Cascade-Funktion lassen sich sogar die Bausteine mehrerer Layer hintereinander schalten, was die Variabilität und den Glückshormonausstoß eben genannter Klangschrauber wohl endgültig zum Überschäumen bringt. Leider lässt sich die VAST- Technologie nur mit internen Samplemaps ausführen. Ein Audio-Eingang oder ein Import von fremden Sample-Formaten ist nicht vorgesehen, anders etwa als beim K2600.

Modulationsquellen zum Selberbauen
Ein weiteres Beispiel der unbegrenzten Möglichkeiten des Kurzweil PC 361: 4 x 2 Modulationsquellen können miteinander verbunden werden und so als neue, mitunter sehr komplexe „Verfremdungs-Codes“ dienen. Die Werte der einzelnen Quellen ergen durch Addition, Subtraktion usw. einen neuen Wert, der dann auf ein drittes Modulationsziel wirken kann. Für dynamische, nicht-lineare und experimentelle Klänge ein tolles Feature!
Dem ein oder anderen ist eine solche Funktion vielleicht schon aus anderen Synths unter dem Namen „Modifier“ bekannt …

Audio Samples
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Mod.Quellen Kombination

In diesem Beispiel habe ich die Formel “b / (1-a) = neue Modulationsquelle” angewandt. Was hier nach Physik-Leistungskurs aussieht, ist aber im Prinzip ganz einfach: “b” steht für die Intensität des LFO1 und “a” für den Wert des ModWheels. Das ModWheel steuert in meinem Beispiel die FilterResonanz des Lowpassfilters. Mit dem Ergebnis dieser “Gleichung mit zwei Variablen” moduliere ich nun die “DepthControl” des Lowpass Filters.

Betriebsmodi
Im Setup Modus lassen sich die Programme dann miteinander kombinieren oder auch externe Klangerzeuger ansteuern. Bis zu 16 Zonen kann man hier über- und nebeneinanderlegen.  Praktisch ist dabei der Direktzugriff über die Taster und Slider, mit denen etwa die einzelnen Zonen gemutet und die Lautstärke geregelt werden können. Der Quick Access Modus ist so etwas wie der Live Modus. Er erlaubt es, Programme und Setups in Bänken von jeweils zehn Einträgen zu organisieren. Praktisch also beim Zusammenstellen einer Liveshow.   
 
Effekte
Die Handhabung von Effekten ist bei Kurzweil mal wieder speziell. Es gibt insgesamt 16 DSP-Units für die Effekte. Ein Effekt benötigt ein bis zwei Units. Im Setup Modus könnte man also jeder der 16 Zonen einen Effekt zuweisen oder nur einer Zone alle Effekte. Zusätzlich stehen einem noch zwei Aux-Wege und ein Master-Effekt zur Verfügung, die den Effekt-Unit Verbrauch angenehm senken. Die Organisation und das Routing der Effekte ist nach dem Baukastenprinzip aufgebaut und recht logisch (nach der bereits bekannten Eingewöhnungszeit). Die Effektauswahl bietet eine enorme Bandbreite an allem, was das Ohr begehrt. Knappe 500 Presets aus Reverb, Delay, Kompressor, Rotary etc. stehen zur Verfügung – alles erwartungsgemäß vom Allerfeinsten.

Sequenzer
Desweiteren zu erwähnen ist der 16-Spur Sequenzer, der keine Features vermissen lässt und so komfortabel ist, wie der on-board Sequenzer eines Synthies (mit kleinem Display) eben sein kann. Ebenfalls dabei ist ein umfangreicher Arpeggiator, der im Setup Modus auch einzelnen Zonen zugeordnet werden kann.

Software Editor
Sämtliche Editierarbeiten können auch mit einem Software-Editor erledigt werden. Dieser ist über die Kurzweil-Homepage downloadbar. Die Oberfläche der Software ist anders aufgebaut als das Editiermenü des Synthies. Dennoch findet man sich recht schnell zurecht. Der Sequenzer ist von dort aus übrigens nicht zu bedienen. Warum eigentlich nicht? Die Übersichtlichkeit auf dem Computerbildschirm und das Arbeiten mit der Maus sind natürlich wesentlich angenehmer und schneller als über das kleine Display des PC361. So macht dann auch umfangreiches Editieren im Lowpass-Filter des 25. Layers Spaß.

Fotostrecke: 2 Bilder Software Editor
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Praxis

Presetsounds
Die Presets sind in 6 Bänken organisiert. Die ersten beiden beherbergen eine Mischung aus allem Brauchbaren, sie heißen dementsprechend auch Base 1 und Base 2. Die anderen Bänke sind spezialisiert auf eine Instrumentengruppe, als da wären: klassische Tasteninstrumente (Klassiker der Popmusik!):

Pianos
E-Pianos
Analogsynthies
Streicher& Orchestersounds
Orgeln

Was bei Vorgängermodellen noch als zusätzliche Sounderweiterungskarte eingebaut werden musste, ist hier schon gleich mit drin. Die Qualität der Sounds lässt sich durchweg als atemberaubend beschreiben.

Die akustischen Klaviersounds bestechen aber nicht zuletzt auch durch ihre geschmackvolle Auswahl. Da gibt es als Presets nicht nur einen Sound für Klassik und einen für Rock. Stattdessen hat man differenzierte Abstufungen und Klavierklänge wie sie für bestimmte Pianisten typisch sind. So gibt es etwa den „Grand Evans“ oder „Horowitz Grand“, aber natürlich auch handfestes wie das „Blues Piano 1974“. Zu kritisieren sind allerdings die wenigen Nuancen beim leisen Spiel. Unterhalb von pianissimo schlägt offensichtlich ein unsichtbarer Kompressor zu.

Audio Samples
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Grand Evans Blues Piano ClaviWonder SuperWurly

Die E-Pianos überzeugen ebenfalls durch ihre geschmackvolle Auswahl und Effektbelegung. So findet man Clavinets, die nach Stevie Wonder klingen, oder Wurlitzersounds à la Steely Dan oder Supertramp Auch entlegenere Sounds aus den Anfängen der Synthesizer sind dabei, so etwa Mellotrons, Arp Strings und natürlich eine Menge analoger Schätze. Qualitativ ist das alles Spitzenklasse!  

Die Orgeln bieten -neben einer großen Auswahl und guten Sounds- den Vorteil, dass sich die Schieberegler als Register benutzen lassen und die Taster als Steuerung für Percussion und Vibrato. Bei der Bedienung kommt richtiges “Orgelfeeling” auf.

Audio Samples
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Wind&Strings William Tell Drums Versch. Bass Sounds

Doch das absolute Highlight des PC361 sind die Orchester- und Streichersounds. Meiner Einschätzung nach ist das nicht nur die umfangreichste Library in einem Hardware-Synthie, sie ist auch klanglich konkurrenzlos. Warm, natürlich im Klang und im Ansprechverhalten, ausgewogen gelayerte Sounds – wirklich beeindruckend! Für mich, gerade im Zusammenspiel mit den hochwertigen Effekten, klanglich gleich hinter der Vienna Sound Library anzusiedeln. Obgleich diese und andere Software Libraries teilweise natürlich eine größere Auswahl an Ausdrucks- und Spieltechniken bieten. Um es kurz zu machen: Gitarren, Bässe, Bläser, Drums – alles ist in hervorragender Qualität vorhanden. Ganz allgemein kann man sagen, dass der Schwerpunkt insgesamt auf klassischen, weicheren Sounds und weniger auf elektronischen Brachial-Klängen liegt.

Wie bereits erwähnt: Das Kurzweil PC361 bedarf einiger Einarbeitungszeit. Als besonders musikerfreundlich und intuitiv würde ich den Aufbau und die Komplexität der Menüführung nicht bezeichnen – dafür gibt es klangtechnisch aber auch nichts, was sich nicht verwirklichen ließe – abgesehen von der Einbindung fremder Samples. Schließlich ist Ray Kurzweil, der Gründer und Chef von Kurzweil Music Systems, ja auch Informatiker und eine Koryphäe auf dem Gebiet der Künstlichen Intelligenz – und nicht etwa Keyboarder.

Dem Live-Keyboarder, der auf der Bühne flexibel und spontan Sounds bearbeiten und Controller zuweisen muss, möchte ich das PC361 nicht empfehlen, denn seine Bedienung ist dafür nicht ausgelegt. Was überhaupt nicht heißen soll, dass man das Instrument nicht auf der Bühne einsetzen kann! Man muss sich nur entsprechend vorbereiten und tief greifende Programmierungen bereits zu Hause erledigt haben. So können praktische Bühnenfeatures wie der Quick-Access-Mode, in dem Setups und Programme zusammengestellt werden können, oder auch die Riff-Funktion, mit der bestimmte Sequenzen eines abgespeicherten Songs per Tastendruck abgespielt werden, voll zur Geltung kommen. Auch die Tatsache, dass die Sounds beim Umschalten nicht abreißen ist ein selten gesehener Vorteil! Als Verbesserung, vielleicht für künftige Betriebssystem-Updates, könnte ich mir bei den Presets eine umfangreichere Controllerbelegung vorstellen. Warum nicht gleich alle Schieberegler, anstatt nur zwei oder drei, werkseitig mit naheliegenden Funktionen belegen? Das würde dem Benutzer ein paar Arbeitsschritte ersparen.

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FAZIT

Äußerlich schwer und konservativ und auch kein Selbstläufer in Sachen Bedienung: Das Kurzweil PC361 ist der “Anti-Microkorg”! „Mal schnell einen Sound an den Start bringen“ ist definitiv nicht Philosophie dieses Instruments. Nur wer sich auf das PC361 einlässt, wird belohnt und wird viel Freude mit einem flexiblen Controllerkeyboard mit ausgewachsenener Klangerzeugung haben. Die Qualität der internen Sounds und Effekte ist herrausragend, besonders gut gefielen mir die Orchesterklänge. Einzig die Möglichkeit zur Einbindung von Audiosamples fehlt zur vollkommenen Glückseligkeit. Das PC361 ist vor allem als Allrounder fürs Studio, für Filmkomponisten und Soundtüftler und mit Einschränkungen auch für den professionellen Bühneneinsatz eine Empfehlung. Und wer auf der Suche nach einem Digital- oder Stagepiano ist, sollte sich unbedingt die großen Brüder PC3 oder PC3x mit gewichteter Tastatur anschauen, denn die Klavierklänge der Kurzweil PC Serie sind richtig gut!

Unser Fazit:
4,5 / 5
Pro
  • Herausragende Sound- und Effektqualität
  • Flexible Klangsynthese
  • Klänge reißen beim Umschalten nicht ab
  • Gute Controller Eigenschaften
  • Vielseitige Anschlussmöglichkeiten
Contra
  • Gewöhnungsbedürftige Bedienung
  • Kein Audioeingang
  • Keine „Sampling Option“
Artikelbild
Kurzweil PC361 Test
Für 1.111,00€ bei
Kurzweil PC361
Kurzweil PC361
Technische Daten
  • 61 ungewichtete Tasten mit Aftertouch
  • 9 Schieberegler
  • 128-fach polyphon
  • 16-fach multitimbral
  • Presets: 1024 Programs; 128 Setups
  • 2 ROM Expansion Slots
  • Arpeggiator und “Riff”-Funktion
  • 16-Spur Sequenzer
  • Anschlüsse: 2x Stereo-Out, Kopfhörer, Digital-Out, Sync-In, MIDI In/Out/Thru, Ribbon- und Breath-Control, 3x Switch-Pedal, 2x Control Pedal, USB, XD-Speicherkarte
  • Maße: 1000 x 355 x123 (B x T x H in mm)
  • Gewicht: 14 kg
  • UVP: 2021€
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Profilbild von Kaffimusic

Kaffimusic sagt:

#1 - 04.12.2011 um 23:12 Uhr

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Daß in dem Teil noch ein VA-Synth (zusätzlich zur VAST) enthalten ist sollte noch erwähnt werden. Außerdem frisst das Schätzchen alle samplefreien Synthsounds der Kurzweil K-Serie (ab K2000), womit sich eine Kollektion auftut, die sich über die letzten 20 Jahre erstreckt...Der neue PC3K6/7/8 erfüllt nun auch die Bedingung "Samplespeicher" als nicht flüchtiger Flash. Nett.

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