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Vintage Synth: Korg Polysix und Korg Poly-61

Der analoge, sechsstimmig polyphone Synthesizer Korg Polysix zählt ohne Zweifel zu den großen Klassikern der Synthesizergeschichte. Er erschien im Jahr 1981 ungefähr zeitgleich mit dem Roland Juno-6 und gehörte damit zu den ersten bezahlbaren polyphonen Synthesizern. Auch Speicherplätze waren damals ein Novum und trugen ihren Teil zur Popularität des Polysix bei. In den letzten Jahren erschienen im Zuge des Analogrevivals mehrere Emulationen des Klassikers, etwa als PlugIn im Rahmen der Korg Legacy Collection oder zuletzt als iPad-App iPolysix.

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Fotostrecke: 4 Bilder Der Klassiker: Korg PolySix, der analoge mit vielen Knöpfen!

Doch kaum waren polyphone Analogsynthesizer erschwinglich geworden, da drohten sie schon wieder obsolet zu werden: Die digitale Revolution zog am Horizont auf, und die heute wieder so geschätzte Direktprogrammierung über viele Drehpotis galt als hoffnungslos veraltet. Korg ging mit der Zeit, eliminierte 1983 beim Nachfolgemodell Poly-61 fast alle Drehknöpfe und ersetzte sie durch ein fortschrittliches (lies: umständliches) Taster-Display-Programmierverfahren mit teilweise sehr groben Parameterabstufungen. Aus heutiger Sicht ist es kaum vorstellbar, dass das mal als erstrebenswert galt. Unter der Haube des Poly-61 steckt aber eine mit dem Polysix eng verwandte analoge Klangerzeugung, und wegen der komplett unerotischen Programmierung ist der Synthesizer heute zum absoluten Schnäppchenpreis zu haben. Lohnt sich also vielleicht auch die Anschaffung des „hässlichen Entleins“ Poly-61, oder sollte man lieber sparen und ein Vielfaches für einen gut erhaltenen Polysix auf den Tisch legen? Wir haben beide Synths für euch noch einmal angeworfen, auf ihre Stärken und Schwächen getestet und miteinander verglichen.
Bevor wir beide Synthesizer im Detail betrachten, gibt es schon mal was zu hören. Die folgenden Sounds habe ich auf beiden Instrumenten – soweit möglich – exakt gleich programmiert, und sie zeigen ganz gut die unterschiedlichen Charaktere der Probanden. Der Poly-61 sieht nämlich nicht nur „80er-mäßiger“ aus, er klingt auch so – vor allem, weil ihm statt der VCOs digital überwachte und extrem stimmstabile DCOs eingepflanzt wurden. Bei polyphonen Pads halten sich die klanglichen Unterschiede noch in Grenzen, wobei schon hier deutlich wird, dass der Poly-61 „sauberer“ und härter klingt als der Polysix:
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PolySix – Pad Poly-61 – Pad PolySix – 1 OSC PWM Pad Poly-61 – 1 OSC PWM Pad

Der Polysix ist zu Recht berühmt für seinen fetten Unison-Sound. Hier kann der Poly-61 nicht mithalten – seine DCOs sind viel zu stimmstabil, um einen breiten Unison zu erzeugen.

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PolySix – Unison Bass Poly-61 – Unison Bass

Wer jedoch auf etwas 80er-Trash steht, der wird mir vielleicht darin zustimmen, dass der unscheinbare und auf den ersten Blick unattraktivere Poly-61 seinem berühmten Vorgänger bei einem solchen „drahtigen“ Sound nicht nur das Wasser reichen, sondern sogar den Sieg davon tragen kann.

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PolySix – Unison Draht Bass Poly-61 – Unison Draht Bass

Damit haben wir die Charaktere der beiden Geschwister, die so viel gemeinsam haben und doch unterschiedlicher nicht sein könnten, schon einmal grob umrissen. Doch schauen wir uns die beiden jetzt einmal gründlich an.

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Korg Polysix Vintage Synth Feature

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Der Korg Polysix ist ein sechsstimmig polyphoner Analogsynthesizer, der nach dem Prinzip der subtraktiven Synthese arbeitet. Für die damalige Zeit ist er recht kompakt – zuvor waren polyphone Synthesizer wie der Roland Jupiter 8 oder der Yamaha CS80 nicht nur teuer, sondern meist auch enorm groß und schwer gewesen. Das Gehäuse besteht aus beschichteter Spanplatte (Boden, Seitenteile) und Metall (Bedienfeld, Rückseite) und hat mit seiner Stabilität sicher dem einen oder anderen Polysix das Überleben gerettet. Auf dem Bedienfeld tummeln sich zahlreiche Drehpotis, Schalter und Taster für alle Parameter des Synths.
Die Tastatur umfasst 61 Tasten ohne Anschlagdynamik und gehört sicher nicht zu den besonderen Stärken des Polysix – das Keyboard klappert doch recht stark und wirkt beispielsweise im Vergleich zum Roland Juno-60 regelrecht billig. Aber das soll uns bei einem Vintage-Synth natürlich nicht weiter stören. Neben der Tastatur befinden sich klassische Räder für Pitchbend und Modulation – der charakteristische Korg-Joystick hatte erst beim Nachfolgemodell Poly-61 Premiere. Der Pitchbend-Bereich ist mit einem Drehpoti einstellbar, wird aber nicht mit Presets abgespeichert.
Apropos speichern: Der Polysix verfügt über 32 interne Speicherplätze für Programme, gegliedert in vier Bänke mit je acht Plätzen. Wer mehr Speicherplätze benötigt, kann den Programmspeicher mit einem Tape-Interface (In/Out) auf einem Kassettenrecorder sichern und wiederherstellen – der C64 lässt grüßen! In der heutigen Zeit kann man natürlich auch eine DAW benutzen, um den Speicherinhalt als Audiofile zu archivieren und bei Bedarf wieder auf den Polysix aufzuspielen. Im Auge behalten sollte man die Speicherbatterie, die beim Polysix wie bei vielen anderen Synths aus dieser Ära nicht nur plötzlich leer sein, sondern auch auslaufen und die Hardware zerstören kann: Da solltet ihr bei einem Gebrauchtkauf also besonders drauf achten. Denn ausgelaufene Säure aus der Batterie zerfrisst sonst ganz langsam euer neues Schätzchen. Ein vertrauenswürdiger Polysix-Verkäufer sollte über das Problem Bescheid wissen und über den Zustand der Batterie und einen eventuell bereits vorgenommenen Austausch Auskunft erteilen können.
Fotostrecke: 5 Bilder Der PolySix: Tolle analoge Sounds und viele Knöpfe!

Anschlüsse
Rückseitig verfügt der Polysix über einen Mono-Ausgang und einen Kopfhörerausgang (ebenfalls mono). Der Line-Ausgang kann mit dem Output-Schalter stumm geschaltet werden, während der Kopfhörerausgang davon unbeeindruckt weiterspielt. Außerdem gibt es einen CV-Eingang zur Filtersteuerung (z.B. mit einem CV-Fußpedal), einen Eingang für einen Triggerimpuls zur Arpeggiator-Synchronisation sowie einen Fußschaltereingang zur Aktivierung der Chord-Memory-Funktion. Daneben liegen die Anschlussbuchsen (In/Out) für das Tape-Interface. Eine Pedalbuchse für eine Sustain- bzw. Releasefunktion wie beim Nachfolger Poly-61 gibt es leider nicht. Auch eine MIDI-Schnittstelle besitzt der Original-Polysix noch nicht. Mittlerweile gibt es aber verschiedene Nachrüstkits, um den Synthesizer mit MIDI auszustatten, wie auch bei unserem Testgerät, das mit einem günstigen Kit von CHD Elektroservis versehen wurde.
Oszillatoren
Der Polysix verfügt pro Stimme über einen VCO (Voltage Controlled Oscillator) mit den Schwingungsformen Sägezahn oder Puls, wobei die Pulsbreite manuell regelbar oder mit einem eigenen LFO modulierbar ist. Zusätzlich gibt es pro Stimme einen zuschaltbaren Suboszillator mit einer Rechteckschwingung, der eine oder zwei Oktaven unter dem VCO klingen kann. 
Mit den Tastern der Key Assign-Sektion wählt man den Betriebsmodus der Oszillatoren: In der Stellung POLY ist der Synth polyphon spielbar – jeder der sechs auf der Platine verlöteten VCOs kümmert sich um eine der sechs Stimmen. Versetzt man den Polysix in den UNISON-Modus, so fällt die Polyphonie weg und alle sechs Oszillatoren spielen unisono. Das Ergebnis sind fette, dichte Klänge mit VCO-typischen Schwebungen – ideal für Bässe und Leads. Im Modus CHORD MEMORY merkt sich der Polysix einen gespielten Akkord und transponiert ihn je nach gedrückter Taste. Das sorgt für manche unerwartete Harmonik und macht nicht nur bei Oldschool-House-Tracks Spaß.
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Saw Square PW manuell PWM MG Sub OSC Unison Unison PWM Chord Memory

Was dem Polysix leider fehlt, ist ein vollwertiger zweiter Oszillator. Hier hat das Nachfolgemodell Poly-61 zumindest auf dem Papier die Nase vorn, dem statt des Suboszillators ein verstimmbarer zweiter DCO mit umschaltbarer Schwingungsform spendiert wurde. Bei Unison-Bässen und -Leads habe ich mir außerdem häufig eine Portamento- oder Glide-Funktion gewünscht, die ebenfalls nicht an Bord ist. Auch auf einen Rauschgenerator muss man leider verzichten. Dennoch sind sehr vielseitige Klänge möglich, was vor allem an der Pulsbreitenmodulation und am charakteristischen Filter liegt. 
Filter
Der Polysix besitzt ein resonanzfähiges Tiefpassfilter auf Basis des Chips SSM2044 LP, das bei viel Resonanz in die Eigenschwingung (Selbstozillation) übergeht. Das Filter verfügt über regelbares Keytracking und kann von der ADSR-Hüllkurve positiv oder negativ beeinflusst werden. Die Filterfrequenz lässt sich mit einer externe Steuerspannung von -5V bis +5V kontrollieren, wofür ein CV-Eingang an der Rückseite vorhanden ist. Beim Erscheinen des Polysix dachte man dabei in erster Linie an die Steuerung per Fußpedal, ein entsprechendes Pedal war als Zubehör erhältlich. 

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Filter

VCA
Die Amp-Sektion des Polysix ist denkbar simpel aufgebaut: Per Wahlschalter kann man einstellen, ob der VCA der Filterhüllkurve folgen soll – eine gesonderte VCA-Envelope gibt es leider nicht – oder in der Stellung GATE einfach an und aus gehen soll. Zusätzlich gibt es einen gerasterten ATTENUATOR-Regler (-10 bis +10dB), dessen Stellung mit Presets gespeichert wird, sodass man die Lautstärken verschiedener Sounds angleichen kann.
Fotostrecke: 2 Bilder Bedienpanel Detailansicht links

Hüllkurve und LFO
Die einzige Hüllkurve des Polysix (EG – Envelope Generator) ist im klassischen ADSR-Schema aufgebaut und wird über vier Potis eingestellt. Charakteristisch ist dabei, dass bei den Zeiten Attack, Decay und Release in der ersten Hälfte des Regelwegs kaum etwas passiert, danach aber umso mehr umso schneller. Deshalb ist die Envelope nicht ganz so feinfühlig justierbar, wie man es manchmal vielleicht gern hätte. Die Hüllkurve steuert das Filter und auf Wunsch auch den VCA – eine Pitch-Modulation via Envelope ist nicht möglich.
Außerdem besitzt der Polysix einen LFO bzw. MG (Modulation Generator) mit einer Sinusschwingung. Er wirkt mit einstellbarer Intensität entweder auf die Stimmung der VCOs, die Filterfrequenz oder die Lautstärke. Da das Modulationsrad das MG-Signal unabhängig von der Stellung des Wahlschalters stets zur VCO-Frequenz schickt (Vibrato), ist bei gleichzeitigem Einsatz des Modwheels und des MG LEVEL-Potis auch die simultane Modulation von Oszillatorfrequenz und Cutoff bzw. Amp möglich. Dennoch sind die möglichen Modulationsroutings beim Polysix nicht gerade flexibel. Der Frequenzbereich des MG ist aber in einem erfreulich weiten Bereich einstellbar – am oberen Ende kratzt er mit etwa 50Hz am hörbaren Bereich, was interessante Klänge ermöglicht. Zusätzlich bietet er einen DELAY-Parameter zur Einstellung der Einsatzverzögerung. Eine Keysync-Option gibt es leider nicht.
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LFO Filter LFO Pitch

Effekte
Mit den drei eingebauten Effekten Chorus, Phaser und Ensemble hatte der Polysix seinerzeit einen echten Trumpf im Ärmel. Die Einstellmöglichkeiten beschränken sich auf Effektauswahl (Off, Chorus, Phaser, Ensemble) und ein SPEED/INTENSITY-Poti, das bei Chorus und Phaser die Modulationsgeschwindigkeit und beim Ensemble-Effekt die Intensität regelt. Die Effekte klingen schön retro und eignen sich gut dafür, Klängen mit interessanten Schwebungen den letzten Schliff zu geben. Im Gegensatz zur Roland Juno-Serie hat der Polysix aber nur einen Mono-Ausgang, sie taugen also leider nicht zur „Stereofizierung“ eines Sounds.
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Chorus Phaser Ensemble

Arpeggiator
Der Arpeggiator des Polysix beherrscht die Modi UP, DOWN und UP&DOWN und kann wahlweise eine oder zwei Oktaven oder den gesamten Tastaturumfang bespielen. Außerdem gibt es einen Latch-Modus, in dem das Arpeggio weiterläuft, wenn man die Tasten loslässt. Das Tempo wird mit einem Poti eingestellt und von einer LED angezeigt.
Für sich genommen wäre der Arpeggiator aus heutiger Sicht kaum erwähnenswert, wäre da nicht die Möglichkeit der externen Synchronisation per Trigger-Impuls. Wenn man die entsprechende Buchse mit einem analogen Impuls füttert, pluckert das Arpeggio im Einklang mit externem Equipment vor sich hin. In den letzten Jahren hat gerade Korg wieder einige Instrumente herausgebracht, die einen solchen Impuls liefern können (Monotribe, volca-Serie). Im Notfall tut es aber auch ein in der DAW erzeugter, kurzer Audio-Impuls: Im Test akzeptierte der Polysix problemlos einen auf die Schnelle mit Logics Klopfgeist-Metronom erzeugten Klick als Sync-Referenz. Wer braucht schon MIDI-Clock?!
Schon intern kann man die Arpeggio-Geschwindigkeit in luftige Höhen treiben, was sich sehr gut für lustige Effektsounds à la Mario Kart eignet. 
Bedienung
Der Polysix kombiniert ein klassisches Drehpoti-Programmierkonzept mit einem Programmspeicher. Das bringt die typischen Vor- und Nachteile mit sich: Einerseits gibt es für alle Parameter direkt ein Poti oder einen Schalter auf dem Bedienfeld, man muss sich nicht durch Menüs quälen und hat alle Stellschrauben immer im direkten Zugriff. Das sorgt für ungetrübten Schraubspaß. Andererseits stimmen die Regler- und Schalterpositionen natürlich nicht mit den gespeicherten Werten überein, wenn man ein Programm aus dem Speicher aufruft. Dann muss man die Werte „abholen“, was zu Sprüngen führen kann. Gerade bei den Wahlschaltern ist das manchmal etwas verwirrend – so kann es sein, dass der MG MOD-Schalter auf VCF steht, in Wirklichkeit aber die Tonhöhe moduliert wird. Die Beseitigung dieser „Schwäche“ war dann auch das Hauptargument für die Veränderungen, die beim Nachfolger an der Bedienung vorgenommen wurden. Heute hat sich zum Glück die Erkenntnis durchgesetzt, dass es einfach viel mehr Spaß macht, an Reglern zu drehen, und davon hat der Polysix jede Menge. Von echtem „What-you-see-is-what-you-get“ kann man wegen der Speicherfunktion aber nicht sprechen, ein Problem, das der Polysix mit vielen seiner Zeitgenossen gemeinsam hat.
Sounds
Zum Abschluss hier noch ein paar Soundbeispiele zum Polysix:
Audio Samples
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Unison Arp Poly Arp LFO Bass Bass man PW Pad 1 Pad 2 Strings Arp Organ 80s Chords

Fazit
Der Korg Polysix ist ein klassischer analoger Polysynth, der zu Recht seinen festen Platz in der „Hall of Fame“ innehat. Der Polysix ist einfach zu programmieren, klanglich flexibel, klingt fast immer toll und verfügt über ein paar Features, die ihn ganz besonders auszeichnen, wie den fetten Unison-Mode, die integrierten Effekte und den sychronisierbaren Arpeggiator. So eignet er sich nicht nur für warme Pads und Strings, sondern auch für Bässe, Leads und Sequenzen. Der fantastische Sound entschädigt dann auch für die wenigen Schwächen des Polysix, wie etwa den fehlenden Rauschgenerator und die etwas eingeschränkten Modulationsmöglichkeiten. Ein Klassiker, den man nicht mehr hergeben sollte, wenn man ihn einmal ergattert hat.

PRO

  • vielschichtiger, kraftvoller Analogsound
  • fetter Unison-Mode
  • Drehpotis für alle wichtigen Parameter
  • gesonderter LFO für Pulsbreitenmodulation
  • integrierte Effekte
  • extern synchronisierbarer Arpeggiator

CONTRA

  • nur ein VCO plus Suboszillator pro Stimme
  • eingeschränkte Modulationsmöglichkeiten
  • nur Mono-Ausgang (Effekte auch mono)
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Korg Poly-61 Vintage Synth Feature

Korg_poly61 Bild

Der Korg Poly-61 ist der direkte Nachfolger des PolySix und auch wenn er nicht so aussieht, ist die Klangerzeugung doch noch analog! Er erschien zu einer Zeit, als die bedientechnischen „Errungenschaften“ der Achtziger, also Drucktaster, Folientastaturen und 7-Segment-LED-“Weckerdisplays“, gerade schwer angesagt waren. Außerdem stand der Yamaha DX7 in den Startlöchern und schickte sich an, den Synthesizermarkt zu revolutionieren. Also stattete Korg den (eigentlich analogen) Poly-61 mit einem „modernen“ digitalen User-Interface aus. Rückblickend ist das sicherlich der Hauptgrund, weshalb der Synthesizer nicht annähernd so attraktiv erscheint wie sein älterer Bruder. Doch in der Original-Bedienungsanleitung klingt das ganz anders:
„Mit dem Digital Access Control-System (Digitale Zugriffssteuerung) können Sie über numerische Drucktasten jeden Programmparameter steuern. […] Dabei wird das ‘Wirrwarr’ auf dem Bedienungsfeld auf ein Minimum reduziert.“
Und weiter: „Bei einem herkömmlichen Synthesizer müssen Knöpfe gedreht werden, um die Parameter einzustellen. Aus diesem Grunde ist es sehr schwierig zu sagen, welchen genauen Wert man eingestellt hat. […] Beim Poly-61 wird jeder Parameter und sein Wert durch eine Zweier-Zahlengruppe ausgedrückt. […] Jeder Parameter wird durch eine Parameternummer […] identifiziert. Die spezifische Einstellung eines Parameters wird durch eine zweite Zahl ausgedrückt, die ihr Wert (VALUE) genannt wird. […] Wenn Sie irgendeinen Teil eines vorprogrammierten Klangbilds ändern wollen, müssen Sie lediglich die verschiedenen Parameternummern auswählen und deren Werte einzeln einstellen.”
Sexy, oder? Für Live-Schrauber ist der Poly-61 jedenfalls nichts, das erkennt man schon auf den ersten Blick. Andererseits hat die eigentliche Klangerzeugung viele Gemeinsamkeiten mit dem Polysix, und wegen seiner offensichtlichen Bedienungs-Defizite ist der Poly-61 heute für einen Bruchteil des für seinen Vorgänger zu zahlenden Preises zu haben. Ein Billig-Polysix für Verwegene, die mit der – mit Verlaub – beknackten Programmierung leben können? Wir haben den Poly-61 neben seinen berühmten Bruder gestellt und ausprobiert, was man damit anstellen kann.
Konzept
Der Poly-61 ist wie der Polysix ein sechsstimmig polyphoner, analoger Synthesizer.  Neben der geänderten Gehäusefarbe (grau statt schwarz mit Holzteilen) ist die fast vollständige Abwesenheit von Drehpotis äußerlich die auffälligste Veränderung gegenüber dem Vorgänger. Stattdessen besitzt der Poly-61 jede Menge Drucktaster und gleich drei je zweistellige 7-Segment-Anzeigen – mehr Achtziger geht kaum. Während die Tastatur wie beim Vorgänger 61 recht klapperige Tasten umfasst, wurden die Räder für Pitchbend und Modulation durch einen X-Y-Joystick ersetzt, der später zu einem Markenzeichen von Korg werden sollte. Die Klangerzeugung entspricht im Wesentlichen der des Polysix – mit ein paar nicht ganz unerheblichen Unterschieden. Auch wurde beim Poly-61 leider auf die internen Effekte verzichtet. Dafür wurde der Programmspeicher auf 64 Programme verdoppelt. Wie beim Polysix besteht die Möglichkeit, die internen Programme per Kassettenrecorder-Interface extern zu sichern und wiederherzustellen. In die heutige Zeit übertragen, kann man auf diese Weise per Audioaufnahme in der DAW Backups des internen Speichers machen – bei meinem Poly-61 funktioniert das auch ganz hervorragend und der Synth bestätigt die erfolgreiche Wiederherstellung jedes Mal mit einem treuherzigen „gOOd“. 
Fotostrecke: 5 Bilder Korg Poly-61: Keine Knöpfe, aber trotzdem analog!

Anschlüsse
An der Rückseite gibt es ein paar Verbesserungen gegenüber dem Polysix. Natürlich besitzt auch der Poly-61 einen Line-Ausgang (nach wie vor mono) und einen Kopfhöreranschluss. Auch der Arpeggio-Triggereingang und das Tape-Interface (In/Out) für Backups des Programmspeichers wurden übernommen. Außerdem hat der Poly-61 einen Pedaleingang namens RELEASE, der eine proportionale Verlängerung der Release-Zeit bewirkt (also nicht ganz wie ein Sustainpedal, aber so ähnlich). Sehr nützlich für den Live-Einsatz – sofern man mutig genug ist, den Poly-61 auf die Bühne mitzunehmen – ist die Buchse PROG UP: Ein hier angeschlossener Fußtaster schaltet die Programme der Reihe nach weiter.
Auf die Pedalbuchsen zur Filtersteuerung und für die Chord Memory-Funktion wurde beim Poly-61 verzichtet. Bei frühen Modellen fehlt auch eine MIDI-Schnittstelle. Später erschien der Poly-61M mit eingebauten MIDI In/Out-Buchsen.
Oszillatoren
Anders als der Polysix ist der Poly-61 mit DCOs (Digitally Controlled Oscillators) ausgestattet. Hierbei handelt es sich um analoge Oszillatoren, die aus Gründen der Stimmstabilität digital „überwacht“ werden, wie zum Beispiel auch bei der Roland Juno-Serie. DCO1 entspricht in etwa dem VCO des Polysix: Er liefert wahlweise Sägezahn oder Puls, wobei die Pulsbreite manuell regelbar (wegen der Taster-Display-Bedienung leider nur in sieben recht groben Stufen) oder per LFO modulierbar ist. Leider gibt es beim Poly-61 aber keinen eigenen LFO für die Pulsbreitenmodulation mehr – hierfür muss nun der „normale“ LFO herhalten. 
Anstelle des Suboszillators beim Polysix besitzt der Poly-61 einen zweiten DCO mit deutlich mehr Funktionen. Er erzeugt die Schwingungsformen Sägezahn oder Rechteck und lässt sich wie DCO1 in der Oktavlage einstellen (16′, 8′, 4′). Also kann er bei Bedarf auch höher als der erste Oszillator klingen. Zusätzlich kann er in Intervallen gestimmt werden (kleine/große Terz, Quarte, Quinte) und verfügt über einen DETUNE-Parameter, mit dem er in feinen Abstufungen gegenüber DCO1 verstimmt werden kann. Leider lässt sich die Lautstärke nicht regeln – DCO2 ist entweder aus oder an. Dennoch ist der Poly-61 in Sachen Oszillatoren damit zumindest auf dem Papier besser ausgestattet als der Polysix.
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OSC 1 Saw OSC 1 Square OSC 1 Pulse Width manuell OSC 1 PWM MG OSC 1 Saw – Osc 2 Square Oct. minus 1 und plus 1 OSC 2 Detune OSC 2 Intervalle

Wie beim Polysix gibt es die drei Betriebsmodi POLY, UNISON und CHORD MEMORY, allerdings fehlt der UNISON-Taster: Wird CHORD MEMORY gedrückt, ohne dass ein Akkord gespielt wird, befindet sich der Synth im Unison Mode. Nachdem man die CHORD MEMORY-Funktion aber einmal für einen Akkord benutzt hat, muss man den Synth ausschalten und 10 Sekunden warten oder den UNISON-Mode manuell über das Schichten von sechs Tönen im CHORD MEMORY-Modus unter Zuhilfenahme der HOLD-Funktion wieder programmieren. Nicht gerade intuitiv… Enttäuschend ist auch das klangliche Ergebnis des UNISON-Mode, das beim Poly-61 leider längst nicht so eindrucksvoll wie beim Polysix ist – die DCOs sind einfach viel zu stimmstabil. Wo beim Polysix charmante Schwebungen und fette Dopplungen auftreten, wird der Poly-61 im Unison Mode meist lediglich etwas lauter und ein bisschen quäkig. Der verstimmbare zweite Oszillator ist kein vollwertiger Ersatz. Und damit sind wir bei seinem zweiten großen Schwachpunkt neben der Programmierung angekommen. 

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Poly-61 Unison

Zum Vergleich noch einmal der Unison des PolySix:

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PolySix – Unison

Filter
Wie der Polysix hat der Poly-61 ein resonanzfähiges Tiefpassfilter. Der Cutoff ist in 64 Stufen einstellbar, die Resonanz lediglich in acht Abstufungen. Auch Keytracking ist vorhanden, aber anders als beim Polysix nicht stufenlos regelbar, sondern nur an- und abschaltbar. Auch die Möglichkeit, die Hüllkurve negativ einzusetzen, wurde beim Poly-61 gestrichen: Die EG Intensity ist nur positiv in acht Stufen wählbar. Einmal eingestellt, kann das Filter durchaus ansprechend klingen. Ohne Potis ist aber natürlich kein befriedigendes Filterschrauben möglich und der Synth wirkt gerade beim Filter ohne vernünftige Echtzeit-Steuerungsmöglichkeiten etwas verkrüppelt. Nachfolgend drei Filter-“Fahrten“, zuerst ohne, dann mit mittlerer und schließlich mit maximaler Resonanz. Vor allem beim letzten Beispiel hört man deutlich die Cutoff-Abstufungen, und schneller kann man beim Poly-61 ohne Einsatz der Hüllkurve bzw. des LFOs auch nicht am Filter „drehen“.
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Poly-61 – Filter

VCA
Wie beim Polysix kann man wählen, ob der VCA der Hüllkurve folgen soll oder nicht (Gate). Die Attenuator-Funktion zur Pegelangleichung verschiedener Programme gibt es beim Poly-61 nicht.
Hüllkurve und LFOs
Die ADSR-Hüllkurve (EG) des Poly-61 steuert das Filter und wahlweise den VCA. Alle vier Phasen lassen sich in 16 Stufen einstellen, wobei die Abstufungen etwas unglücklich gewählt sind. Bei Attack, Decay und Release bewirken die Stufen 0 – 7 kaum Veränderungen, darüber sind die Sprünge dafür umso größer. Ich musste schon häufig frustriert feststellen, dass die beste Attack-, Decay- oder Release-Zeit für einen Klang leider genau zwischen zwei möglichen Werten lag. Beispiel: Zwischen den beiden verschiedenen Decay-Zeiten im nächsten Beispiel gibt es keine Abstufung.
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Poly-61 ENV Times

Der LFO (MG) liefert wie beim Polysix eine Sinusschwingung und verfügt über einen Delay-Parameter, der in stolzen vier Stufen eingestellt werden kann. Seine Frequenz ist großzügig in 16 Stufen wählbar, erreicht aber nicht ganz die maximale Frequenz des Polysix-LFOs. Der LFO kann mit einstellbarer Intensität (acht Stufen) auf die DCO-Frequenz und – auf Wunsch auch gleichzeitig – auf die Filterfrequenz wirken und dient zugleich zur Pulsbreitenmodulation. Die Möglichkeit, den VCA per LFO zu steuern, wurde hingegen gestrichen.
Zusätzlich gibt es einen zweiten LFO, der mit dem Joystick gekoppelt ist und für Performance-Modulationen gedacht ist. Seine Einstellungen werden nicht mit Programmen gesichert. Die Frequenz ist über ein Poti (!) einstellbar und wird durch eine LED angezeigt. Dieser LFO wirkt entweder auf die DCO-Frequenz (Vibrato, Joystick hoch) oder das Filter (Joystick runter).
Effekte
Warum Korg beim Poly-61 die drei integrierten Effekte des Vorgängers eliminiert hat, ist mir ein Rätsel. Jedenfalls hat der Synth in dieser Kategorie nichts mehr vorzuweisen.
Arpeggiator
Der Arpeggiator des Poly-61 entspricht exakt dem des Polysix: Er kennt die Modi UP, DOWN und UP&DOWN und bedient eine oder zwei Oktaven oder den gesamten Tastaturumfang. Das Tempo wird über ein Poti eingestellt und von einer LED angezeigt. Außerdem besteht wie beim Polysix die Möglichkeit, den Arpeggiator extern mit analogen Impulsen zu triggern. Ein solches Sync-Signal können viele analoge Drummachines liefern, zum Beispiel auch die vergleichsweise neuen Monotribe und volcas von Korg. Aber auch zu einem in der DAW erzeugten Audio-Klicksignal synchronisiert sich der Poly-61 zumeist ohne Probleme.
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Bedienung
Ja, was soll man dazu noch sagen? Um beim Poly-61 einen Sound zu verändern, begibt man sich durch Druck auf den PARAMETER-Taster in den Edit-Mode. Nun wählt man den zu verändernden Parameter aus der auf dem Bedienfeld aufgedruckten Liste aus und tippt die zweistellige Parameternummer ein, z.B. 31 für den Filter-Cutoff. Anschließend kann man den Wert mit den UP/DOWN-Tastern einstellen. Um den nächsten Parameter zu ändern, muss man die nächste Parameternummer eintippen. Das artet schnell in eine langwierige und wenig inspirierende Fummelei aus, mal ganz abgesehen von den gravierenden Nachteilen, dass das gleichzeitige Verändern zweier Werte unmöglich ist und viele Parameter sich nur in recht groben Abstufungen einstellen lassen. 
Praktisch ist hingegen die EDIT-LED, die anzeigt, wenn der Wert des gewählten Parameters gegenüber dem gespeicherten Sound verändert wurde. Das ist dann aber auch fast das einzig Positive, was man über die Bedienung des Poly-61 sagen kann. Ein solches Bedienkonzept beseitigt vielleicht die Total-Recall-Probleme der Drehpotis, aber man bezahlt dafür mit dem Verlust jeglicher Intuitivität und Spontaneität. Den Vorgänger Polysix kann man nach Gefühl und Gehör „aus dem Bauch heraus“ programmieren. Beim Poly-61 ist zuallererst der Kopf gefragt. 
Sounds
Wer sich aber die Zeit nimmt, sich durch das Dickicht aus Parameternummern zu wühlen und die richtigen Knöpfe drückt, wird vom Poly-61 mit dem einen oder anderen wirklich schönen Sound belohnt. Hier noch ein paar Beispiele:
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Dark Chords Bright Sweep Pad Arp Down Weird Interval Thin Unison Lead Bass of Doom Sunshine Pad Unison Arp Bass

Besonders gut kann der Poly-61 so etwas hier. Ich bin mir fast sicher, dass Prince seinerzeit auch einen hatte…

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Square Lead Chord Memory mit Joystick Mod Saw Lead Chord Memory mit Joystick Mod

Fazit
Der Korg Poly-61 gehört sicherlich nicht zu den begehrenswertesten Vintage-Synthesizern. Abgesehen von der unpraktischen, unintuitiven und nicht live-tauglichen Programmierung liegt das auch an seinem etwas zu „cleanen“ Sound, der im Vergleich mit dem Unison-Monster Polysix doch etwas blass wirkt. ABER, und das muss man auch ganz deutlich sagen: Der Poly-61 ist weit davon entfernt, ein schlechter Synthesizer zu sein. Er hat einen schönen, charakteristischen Analogsound, der wegen der vergleichsweise sauberen DCOs aber eher in einer 80er-Klangästhetik zu Hause ist als in den wilden 70ern. Wer verwegen genug ist, es mit der unmöglichen Bedienung aufzunehmen, und nicht gerade live an Knöpfen drehen möchte, bekommt mit dem Poly-61 für vergleichsweise wenig Geld einen analogen Polysynth, dem man durchaus die eine oder andere schöne Fläche oder ein paar hypnotische 80er-Plastik-Arpeggios entlocken kann. Ein Schnäppchen für Mutige!

PRO

  • vollwertiger zweiter Oszillator
  • „80er-mäßiger“ Analogsound
  • extern synchronisierbarer Arpeggiator
  • Pedalanschlüsse für Release und Programmweiterschaltung
  • 4-Wege-Joystick mit Performance-LFO für Filter und Pitch

CONTRA

  • umständliche Programmierung über Taster und Display
  • Parameterabstufungen teilweise sehr grob
  • Unison-Mode zu sauber
  • kein eigener LFO für Pulsbreitenmodulation
  • keine Effekte
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Profilbild von p_greendale

p_greendale sagt:

#1 - 14.01.2016 um 13:10 Uhr

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Dass man die Parameter beim Poly61 live nicht wirklich verändern kann, stimmt so nicht ganz. Der zuletzt bearbeitete Parameter wird auch im Preset-Modus angezeigt und man kann diesen mit den Up/Down Tasten bearbeiten, die Parameternummer wird beim Umschalten beibehalten. Drückt man Up/Down gleichzeitig, springt der Synth zum ursprünglich gespeicherten Wert zurück. Das ist nich viel, aber praktisch, wenn man z.B. mit Pads die Sonne aufgehen lassen möchte.

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