4,56 Kilogramm – so viel wiegt das Koinzidenz-Stereomikrofon Golden Age Project R1 ST. Zudem ist das Ribbon-Mikrofon 33 Zentimeter hoch und besitzt einen Durchmesser von sieben Zentimetern.
Zum Vergleich: Das Doppelbändchen Beyerdynamic M130 wiegt 150 Gramm.
Bei einem Mikrofon sind solche Daten natürlich nur Nebeninformationen, es geht schließlich um Sound und Praktikabilität. Letztere ist sicher insofern hoch, als dass man das GAP R1 ST hinstellen und anschließen kann und mit Blumlein sofort ein beliebtes Stereofonieverfahren bekommt. Um 45 Grad gedreht kann auch direkt MS aufgenommen werden, was entweder eine direkte Matrizierung nötig macht oder aber sogar noch die Einstellung der Stereobasisbreite nach der Aufnahme ermöglicht.
Details
Riesiger Koffer und 5pin-XLR
Geliefert wird das Golden Age Project R1 ST in einem wuchtigen Tweedkoffer. Neben dem eigentlichen Stereomikrofon ist dort noch eine klassische Gummiband-Mikrofonspinne zu finden sowie ein 5pin-XLR-Kabel und eine kleine Breakoutkiste mit zwei 3pin-XLR-Ausgängen.
Im eigentlichen Mikrofon arbeiten zwei der Bändchenmotoren, die auch im GAP R1 zum Einsatz kommen. Als reine Gradientenempfänger ohne Labyrinth ist die Richtcharakteristik eine Acht. Die eigentlichen Aluminiumbändchen sind auf Vorder- wie Rückseite mit einer Gaze gegen gefährliche Luftstöße gesichert. Darüber befindet sich ein vor allem akustisch notwendiges Lochblech. Je zwei Kabel laufen zu den beiden Ausgangsübertragern im Fuß des GAP R1 ST, wonach der Feldleerlauf-Übertragungsfaktor immerhin 2,51 mV/Pa beträgt. Die Ausgangsimpedanz ist mit 600 Ohm reichlich hoch. Der maximale Schalldruckpegel ebenfalls, er wird zwar für 1 % statt wie sonst häufig 0,5 % angegeben, beträgt aber 160 dB SPL. Schlagzeugaufnahme? Kein Problem (außer bei starken Luftbewegungen). Als Frequenzgang sind -3dB-Punkte mit 30 Hz und 18 kHz angegeben.
1/5 Ganz normal für passive Ribbons: Das Gehäuse ist fast leer!
2/5 Blick auf eines der beiden Bändchenelemente.
3/5 Im Fuß sind die beiden Übertrager.
4/5 Multipin-Ausgang
5/5 Natürlich kann man auch einen Teil des Mikrofons solo benutzen.
Eher einfach gebaut
Eher einfach, robust und pragmatisch ist das Golden Age Project R1 ST gebaut. Die Materialien und Oberflächen, die Verarbeitungsgenauigkeit und das Design bekommen den „Ok“-Stempel, lösen aber keinerlei Begeisterungsstürme aus. Dafür muss man allerdings auch nicht wirklich viel Geld auf den Tisch legen.
Kein Feinmechanisches Wunderwerk: Das GAP R1 ST ist einfach und rustikal gefertigt.
Nicht das einzige Stereobändchen
Von Form und Funktion vergleichbar erscheint das AEA R88 von Mikrofonbaulegende Wes Dooley – ein wirklich tolles Mikrofon, leider mit etwa 2000 Euro auch nicht gerade preiswert. Auch von anderen Firmen gibt es 90-Grad-Doppelachten, etwa von Royer das SF-24, von Coles das 4050 und von Sontronics das Apollo.
Golden Age haben das Prinzip des Koinzidenz-Stereomikrofons mit zwei Bändchen (natürlich) nicht erfunden – das gab es schon vorher.
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Praxis
Prinzipbedingte Nachteile
Nun, in der Wahrnehmung der Welt ist es wohl „typisch deutsch“, wenn zunächst einmal nach Negativem gesucht wird und bei der Benennung kein Blatt vor den Mund genommen wird. Aber alles halb so wild: Klar, das Golden Age Project R1 ST ist ein riesengroßes Mikrofon. Das bedeutet, dass ein enorm stabiler Mikrofonständer zum Einsatz kommen muss. Insbesondere dann, wenn das Stereomikrofon geneigt oder sogar bodenparallel eingesetzt werden soll, dann ist es doch etwas anderes, als wenn man zwei Beyerdynamic M130 aufbaut. Max, der die Schlagzeugaufnahmen zum GAP R1 ST beigesteuert hat, war vom Sound zwar begeistert, fühlte sich mit diesem Riesending über dem Kopf aber nur bedingt wohl. Ich habe Triad-Orbit-Stative benutzt und mich erst getraut sie zu tilten, als ich die Füße mit den Sandsäcken aus dem Zubehör beschwert hatte.
Dieses riesige Mikrofon stellt selbstverständlich gewisse Ansprüche an einen Mikrofonständer.
Ein One-Point-Stereosystem zu haben, ist wirklich praktisch: aufbauen und aufnehmen. Will ich mit meinen Coles 4038 Blumlein- oder MS-Aufnahmen machen, muss ich die Bändchenmikros erst in ihre Halterung fummeln, die übrigens alleine schon fast die Hälfte eines GAP R1 ST kostet!
Blumlein: Die beiden Bändchenmotoren zu je 45 Grad aus der Stereomitte positionieren, MS: Ein Bändchenelement zeigt auf die gewünschte Mitte, das andere 90 Grad zur linken Seite („Engineersicht“, nicht „Musikersicht“). Fertig ist der Kuchen.
Praktisch ist das allemal. Allerdings bin ich beispielsweise am Drumset durchaus ein Freund von Spaced-Stereo-Mikrofonierung. Auch ein „Mikrofonteil“ des Riesenzäpfchens als Vocal-, das andere als Cabinet- oder Saxofonmikro zu benutzen, das geht nicht. Schließlich sind die beiden Elemente baulich miteinander verbunden.
Der Versatzwinkel zwischen den beiden Bändchenelementen ist fix – auch wenn es vielleicht auf den ersten Blick anders aussehen mag.
Was auch nicht möglich ist, ist ein Verdrehen der beiden Kapseln gegeneinander. Zwar ist Blumlein-Stereo mit den beiden 90-Grad-Achten ein wirklich tolles Stereosystem mit klaren klanglichen Vorzügen, aber de facto ist es ja auch nur ein XY-Prinzip, eben mit Achten und eben mit festgelegtem, seit- und rücksymmetrischem Öffnungswinkel von 90 Grad. Diesen Winkel verkleinern oder vergrößern? Das geht nicht. Wenn das Stereobild also zu groß oder zu klein wird, hilft nur ein Verändern der Schallquelle (durch Umsetzen von Musikern beispielsweise) oder aber eine Änderung der Entfernung. Dadurch ändern sich Diffusschallanteile in der Aufnahme und die Gestaltung des Bassbereichs durch den bei Achterbändchen alles andere als unerheblichen Nahbesprechungseffekt. Und ein Credo bei Blumleinmikrofonierung lautet: Geh nah ran! Und wer mal an einem Schlagzeug mit Druckgradienten zu nah an Becken dran war, der weiß, wie unschön das klingen kann…
Zu den Vorteilen: Klangeigenschaften!
Mit gebührendem Abstand, den man für ein gutes Einschätzen eines Bändchenmikrofons immer zu Beginn einhalten sollte, klingt das R1 ST sehr klar und detailliert. Ein wenig Bändchen-Schmelz auf den Höhen, etwas zurückhaltende Schärfe, ein warmer, wohliger, aber natürlich nicht sonderlich straffer Bass machen klar: Ja, dies hier ist eindeutig ein Bändchen. Es wirkt insgesamt zurückhaltender und unaufgeregter als beispielsweise ein Rode NTR, gleichzeitig weniger „bigger than life“, staubig und feinkörnig wie etwa das sagenumwobene Coles 4038 (welches allerdings selten die erste Wahl als Gesangsmikrofon ist). In jedem Fall bin ich geneigt, ein Adjektiv zu bemühen, dessen Erklärung der technischen Bedeutung jeden schnell ins Schwitzen bringen kann: „musikalisch“. Ist mir aber egal: Ich finde, dass das GAP außerordentlich musikalisch klingt. Seine eben beschriebenen Klangeigenschaften tun vielen Instrumenten und besonders Stimmen gut. Im Nahbereich verschwindet die Detailliertheit etwas, zu mächtig wird der Bass durch den Nahbesprechungseffekt. Aber wenn man an die Arbeit mit Ribbons gewohnt ist, hat man gelernt, die Positionierung an Proximity-Effekt und Anteil rückseitiger Reflexionen einschätzen zu können. Das GAP R1 ST ist übrigens mäßig poppunempfindlich, ein Poppschutz bei Stimmen, Bassdrum, Blech und anderen Luftstöße erzeugenden Schallquellen also unabdingbar. Ein AEA R88 macht diesen Job deutlich besser, was sicherlich dem aufwendigeren Korbaufbau zu verdanken ist.
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Golden Age Project R1 ST, Vocals, 10 cmGolden Age Project R1 ST, Vocals, 30 cmGolden Age Project R1 ST, Vocals, 30 cm, 45 GradGolden Age Project R1 ST, Vocals, 70 cmColes 4038, Vocals, 10 cmColes 4038, Vocals, 30 cmColes 4038, Vocals, 30 cm, 45 GradColes 4038, Vocals, 70 cmBeyerdynamic M130, Vocals, 30 cmBeyerdynamic M130, Vocals, 30 cm, 45 GradBeyerdynamic M130, Vocals, 70 cm
Sterobild super
Es sollte nicht verwundern, dass eine echte Acht das stabilste aller Polar Patterns liefert. Auch aus 45 Grad auf ein Element besprochen, klingt dieses fast wie bei axialer Besprechung – nur eben mit weniger Pegel. Und hier liegt auch einer der Vorteile des Stereoprinzips von Alan Blumlein: Da es so gut wie keine Frequenzabhängigkeit gibt und die Phasenlage – wenn man den durchaus erhablichen Wegunterschied vom unteren zum oberen Element mal außer Acht lässt – bei One-Point-Stereo keine negativen Einflüsse haben kann, ist auch die Ortbarkeit von Signalen hervorragend. Natürlich gilt das auch für das R1 ST. Die Tiefenstaffelung, ein manchmal als Blumlein- (und erst recht MS-)Problemkind angesehen, gelingt dem Stereobändchen von Golden Age Project aber den Umständen entsprechend gut. Ganz toll übrigens, das muss mir aufgrund wenig vorzeigbarer spielerischer Fähigkeiten aber einfach so geglaubt werden, ist das R1 ST an einer Stahlsaitengitarre.
Beste Freunde: Drumkit und R1 ST
Über dem Drumkit macht das Golden Age Project R1 ST eine hervorragende Figur. Max, der für uns schon einige Mikrofone am Drumset getestet hat, gefällt ganz gut, dass der „Bändchen-Muff“ wie etwa der eines Coles 4038, in weitaus geringeren Dosen auftritt und freut sich sehr an der Transientenwiedergabe. Wirklich toll klingt das R1 ST als „Front of Kit“-Mikro. Das ist ja auch eine beliebte Position für ein One-Point-Stereomikrofon, aber auch für Monomikrofonierungen. Als Monomikrofon verwendet, ist der Unterschied zum etwa gleich teuren Shinybox 46 MX (mit Cinemag-Übertrager) sehr gering, wie Max feststellt. Und wie man hier nachhören kann:
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Golden Age Project R1 ST, Drumset Overheads, soloGolden Age Project R1 ST, Drumset Overheads, KitGolden Age Project R1 ST, Drumset Front-of-Kit, soloGolden Age Project R1 ST, Drumset Front-of-Kit, KitGolden Age Project R1 ST, Drumset Front-of-Kit, monoShinybox 46 MX, Drumset Front-of-Kit, mono
1/3 Hoch über dem Drumset: GAP R1 ST während der Aufnahmen.
2/3 Front-of-Kit macht das GAP eine sehr gute Figur.
3/3 Links zum Vergleich ist das Shinybox aufgebaut.
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Fazit
Wenn man Gefallen am Arbeitsprinzip eines Blumlein- und MS-Mikrofons hat und Verwendung dafür findet, ist das Golden Age Project R1 ST eine absolute Empfehlung. Sicher, es ist groß, schwer, und alleine deswegen nicht für alles überall zu gebrauchen, aber es liefert sofort einen vernünftigen, angenehmen Stereosound mit nur einem Mikrofonierungsort. Alles, was man dafür tun muss, ist sich ein wenig Gedanken um die Positionierung machen. Und natürlich 599 Euro ausgeben, was allerdings in Anbetracht des klanglichen Gegenwerts absolut in Ordnung geht. Nicht vergessen: Ein wirklich robustes Stativ ist unabdingbar!
Unser Fazit:
4,5 / 5
Pro
hervorragendes, klares Stereobild
praktisches One-Point-Stereosystem
hohes Maß an Detailtreue
frisch und schnell, aber nie beißend
sanfte, wohlige Bässe, vor allem im Nahbereich
gutes Preis-Leistungsverhältnis
Contra
prinzipbedingt groß, schwer, unhandlich und wenig flexibel
Hallo Thomas, vielen Dank, das freut mich! Der Test ist schon ein Weilchen her, ich positioniere die Mikrofone aber fast immer ca. 90 cm über der Snaremitte. beste Grüße Max
Ich habe es ca. 1 m über der Snare, funktioniert ganz gut. Ich habe es mir aufgrund eures Tests geholt. Ich hatte zwar das AEA r88 im Auge, aber das ist momentan vom Preis nicht machbar.
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Thomas Nussbaum sagt:
#1 - 25.08.2020 um 16:58 Uhr
Wie hoch hattet ihr das Mikrofon als Overhead und war es direkt über der Snare? Informativer und toller Test.
Max Gebhardt sagt:
#1.1 - 26.08.2020 um 17:38 Uhr
Hallo Thomas, vielen Dank, das freut mich! Der Test ist schon ein Weilchen her, ich positioniere die Mikrofone aber fast immer ca. 90 cm über der Snaremitte. beste Grüße Max
Antwort auf #1 von Thomas Nussbaum
Melden Empfehlen Empfehlung entfernenThomas Nussbaum sagt:
#1.1.1 - 26.08.2020 um 19:47 Uhr
Ich habe es ca. 1 m über der Snare, funktioniert ganz gut. Ich habe es mir aufgrund eures Tests geholt. Ich hatte zwar das AEA r88 im Auge, aber das ist momentan vom Preis nicht machbar.
Antwort auf #1.1 von Max Gebhardt
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