„Es gibt Musiker und es gibt Sänger“ – wie man Sängerklischees durchbrechen kann

Viele Sänger und Sängerinnen haben es schon oft erlebt: Man wird von seinen Bandkollegen oder Instrumentalisten belächelt und bekommt sogar den ein oder anderen Witz zu hören. Wie jede Instrumentalistengruppe haben auch die Vokalisten mit Situationen zu kämpfen, die auf ihre Kosten gehen.

(Bild: © ALDECAstudio)
(Bild: © ALDECAstudio)


Doch warum eigentlich? So wie der Klischee-Gitarrist, der seinen Amp angeblich immer lauter dreht, gibt es auch typische Sänger-Momente, die recht häufig passieren. Und die man auch einfach vermeiden kann, wenn man es mit der Musik ein bisschen ernster meint. In diesem Beitrag habe ich ein paar solcher Standard-Situationen, über die Instrumentalisten lästern, zusammengetragen und erkläre euch, warum sie euch als Sänger oder Sängerin in ein schlechtes Licht rücken.

1. “Die Stelle, wo ich ‘yeah, yeah, yeah’ singe”

Folgende Situation: Ihr probt mit der Band, es gibt eine Stelle, die vielleicht unklar oder noch nicht ganz rund ist. Zwei mögliche, peinliche Szenarien:

  • Einer der Instrumentalisten schlägt zum Beispiel vor “lass uns doch zwei Takte vor dem Refrain noch mal einsteigen” – und du weißt nicht, wo ihr einsteigen sollt.
  • Du wirst gefragt, wo du einsteigen möchtest und antwortest mit “der Teil, wo ich xy singe” (am besten machst du es noch vor). Spätestens hier weiß deine Band: Ok, unser Sänger hat keine Ahnung von dem, was wir hier tun.

Sänger und Sängerinnen haben (meistens) das Privileg, sich mit ihrer Stimme auf das musikalische Gerüst der Band zu setzen. Natürlich ist das sehr bequem und je besser die Instrumentalisten sind, desto mehr läuft das Spielen von allein und man kann praktisch einfach drauf los singen. Und genau darin besteht das große Missverständnis: Ein Song besteht aus Akkorden, Melodieläufen, einer festgelegten Form. Ein Gerüst, das erst funktioniert, wenn jeder seinen Part im richtigen Formteil spielt. Der Refrain ist oft anders gespielt und arrangiert als der Vers, manchmal verändert sich das Arrangement innerhalb des Verses und so weiter. Deshalb ist es für Bands meistens unerheblich, welchen Text oder was DU über eine Stelle singst, der Instrumentalist muss nämlich wissen, was ER an dieser einen Stelle genau spielen soll. Und dafür benötigt deine Band klare Aussagen zur jeweiligen Stelle im Ablauf.
Denke wie ein Instrumentalist!
Der erste Weg, von deinen Bandkollegen ernster genommen zu werden, ist, ihren Job ernster zu nehmen. Frage dich, was für deine Bandkollegen relevant ist in dem jeweiligen Stück. Was muss deine Band wissen, damit sie dich als Sänger auf der Bühne besonders gut begleiten kann? Ein Sänger ist nur dann Musiker, wenn er/sie sich damit beschäftigt, wie ein Song aufgebaut ist. Auch, wenn du kein Über-Instrumentalist bist oder werden willst – es lohnt, sich ein bisschen mit Klavier oder Gitarre spielen vertraut zu machen. Es wird dir allein schon beim Songwriting helfen, aber es hilft auch, deine Bandmitglieder zu verstehen, was für sie relevante Informationen sind. Du beschäftigst dich automatisch mehr mit Abläufen, Akkordfolgen, Arrangements und sprichst so mehr und mehr die gleiche Sprache wie deine Bandkollegen.

2. “Hihi, also ich habe schon fertig aufgebaut”

Wenn du dich bei deiner Band auf jeden Fall unbeliebt machen möchtest, betonst du beim Soundcheck belustigt und mehrfach, wie schnell du dein Equipment aufgebaut hast – und im Zweifel hat dir sogar noch der Tontechniker Stativ und Mikrofon hingestellt.
Natürlich erwartet niemand, dass du deiner Band das Equipment hinterherträgst, aber es ist schon ein doofes Schicksal, dass ein Schlagzeug-Talent immer damit einhergeht, sein Leben lang viel schweres Zeug mit sich herumzutragen, dass eine Bassbox auch etwas unhandlich sein kann oder ein Gitarrist gerne mal mehrere Gitarren dabeihaben muss. Nur, weil Sänger ihr Instrument versteckt im Hals dabeihaben und ansonsten wenig technisches Equipment benötigen, muss man sich nicht darauf ausruhen. Sei kollegial, schnapp dir beim nächsten Gig ein paar Cases und hilf deinen Leuten.

3. “Nee, von Technik habe ich keine Ahnung”

Tontechnik ist ein absolut eigenes Thema für sich und viele Sänger und Sängerinnen haben auch keine bis wenig Lust, sich damit ausgiebig auseinanderzusetzen. Spätestens aber, wenn deine Band Gigs spielt, solltest du über diverse Dinge ein bisschen Bescheid wissen.
Wenn du nämlich auch das Sprachrohr der Band bist, wird der Tontechniker bei Rückfragen zu eurem Tec Rider auf dich zukommen. Erstelle einen Technical Rider am besten gemeinsam mit der Band und frage sie auch, welche Angaben zwingend sind und über welche sich sprechen lässt. Falls es nicht genügend Monitorwege gibt, könnten sich 2 Bandkollegen zum Beispiel einen Monitorweg teilen und wenn ja, welchen? Ihr spielt auf einer kleinen Bühne und steht eng zusammen – kannst du einschätzen, ob dein Mikrofon für diese Bühne vielleicht zu feedbackanfällig ist und könntest den Mischer um ein anderes Mikro bitten? Oder hast du im Zweifel sogar selbst ein anderes dabei?
Klar ist das Thema Tontechnik ein weites Feld und kann in diesem Artikel nur angerissen werden. Geh mit offenen Augen durch deine Musikwelt und frage, wenn du etwas nicht verstehst. Dann baust du dein Wissen, dass du im täglichen Musikergebrauch benötigst, stetig aus. Aber Vorsicht: Wissen aufschnappen bedeutet nicht nachplappern! Pseudokompetente und wichtigtuerische Halbwissenswünsche à la “Ich bräuchte da eine leichte Anhebung im Frequenzbereich xy” ohne zu wissen, wovon du da genau redest, lösen mindestens genauso Stirnrunzeln aus wie komplette Ahnungslosigkeit.
Weitere Tipps für einen gelungenen Soundcheck:

4. “Mikrofontechnik? Immer schön nah an den Mund halten, dachte ich…”

Erfahrene Sänger beschäftigen sich ausgiebig mit dem Thema Mikrofontechnik und wer sich Sängerinnen wie Christina Aguilera anschaut, erlebt, dass einige Sänger das Spiel mit dem Mikro ziemlich ausgecheckt haben: Eine sich verändernde Distanz bei leisen zu lauten Tönen, das Wissen über den Nahbesprechungseffekt, Vorsicht bei Explosivlauten, die Kenntnis darüber, dass unterschiedliche Mikrofone unterschiedlich reagieren All das ist Mikrotechnik die du dir erabeiten kannst und mußt. Die Arbeit mit dem Mikrofon erfordert vergleichsweise genauso viel Übung und Zeit wie ein Gitarrist aufwendet, um sich mit neuen Pedalen auseinander zu setzen, oder ein Keyboarder, der neue Sounds programmieren möchte. Ein Sänger oder eine Sängerin, der/die sich dieser Dinge nicht bewusst ist und nicht daran arbeitet, wird schnell belächelt. Damit lieferst du quasi eine Steilvorlage für Kommentare wie: “Das einzige Stück Equipment und selbst das hast du nicht im Griff?” Denn spätestens beim Soundcheck solltest du eine Livesituation am besten abrufen können.
Ein Soundcheck hat das Wort “Check” im Namen, weil die Band so gut es geht den wirklichen Livesound des Konzertes antesten soll und der Tonmann diesen dann bestmöglich justieren und abbilden kann. Dafür ist es seitens der Band nötig, dass ihr unterschiedliche Facetten kurz anspielt, ein Gitarrist seinen Lead-Sound testet, der Keyboarder seine Sounds anbietet, damit diese in der Lautstärke angeglichen werden können, der Schlagzeuger sanft bis laut spielt – das gleiche wird von dir als Sänger*in erwartet. Der Proberaum ist daher der beste Ort, um sich damit vertraut zu machen. Probiere aus, wie deine Stimme mit unterschiedlichen Mikrofonpositionen klingt, spiele mit der Nähe und leisen Tönen. Kurzum: Experimentiere!

5. “Oh, über das Gitarrensolo könnte ich auf jeden Fall ein paar Adlibs singen”

Während des Großteils eines Konzertes liegt der Fokus auf der Frontperson. Der Frontmann bzw. die Frontfrau führt durch den Abend und gibt den Songs mit der gesungenen Melodie und Text ein Gesicht. Solange wir nicht von klassischem Bluesrock sprechen, bei dem ein Solo das nächste jagt, ist ein Instrumentalsolo innerhalb eines Songs immer ein ganz bewusst geschaffter Platz, um einen Instrumentalisten ins Rampenlicht zu rücken. Hier hat er einen Moment, um zu zeigen, was er kann, um zu improvisieren und sich ein Stück weit von seiner songdienlichen Begleitung zu entfernen. Klar, dass euer Gitarrist, Keyboarder oder Bassist in diesem Moment zum einen hochkonzentriert ist und sich zum anderen frei von der Rolle als Sideman macht. Kommt der Sänger nun auf die Idee, ins Solo zu singen, ist das doppelt unglücklich:
Zum einen stiehlst du deinem Bandkollegen die Show und lenkst den Fokus wieder auf dich. Zum anderen könntest du den Solisten irritieren: Soll man nun gegen deine Adlips solieren oder wieder in den Begleitmodus switchen?
Lass deinen Kollegen in einem Solo ihren Platz! Solltet ihr mit der Band ein längeres Solo ausgemacht haben, könntest du überlegen, in diesem Moment von der Bühne zu gehen oder, statt vorn am Mikro zu bleiben, einfach am Bühnenrand mit zu grooven (so hat man dann auch nicht das Gefühl, irgendwie doof herumzustehen).

6. “Ich weiß nicht, in welcher Tonart ich das Lied singe”

Manchen, die viel Covermusik spielen und vielleicht auch mit unterschiedlichen Instrumentalisten zusammenarbeiten, kommt die Frage sicher bekannt vor: “In welcher Tonart möchtest du das Lied spielen?” Auf diese Frage solltest du immer eine Antwort haben.
Viele Songs singen sich in der originalen Tonart nicht so entspannt und es ist angenehmer, sie etwas höher oder tiefer zu spielen. Viele Sängerinnen, die ich kenne, singen z.B. Songs von Jessie J gern etwas tiefer, damit sie sie problemlos performen können.
Wie finde ich nun heraus, welche Tonart mir liegt?
Erfahrene Sänger kennen ihre Range und können bei einem Song den höchsten/tiefsten Ton lokalisieren und gut abschätzen oder an einem Instrument gegenchecken, wieviel tiefer/höher sie einen Song singen müssten. Falls du darin noch nicht so sicher bist, bitte doch deinen Bandkollegen (am besten Keyboarder oder Gitarristen), den Song mit dir in der jeweiligen Tonart anzuspielen und auszuprobieren, welche Tonart passt.
Tipp:

Beschäftige dich mit Harmonielehre!
Auch hier ist es nicht wichtig, dass du ein Crack bist, aber es macht wirklich Sinn, sich mit den Grundzügen der Harmonielehre, dem Quintenzirkel, etc. zu beschäftigen, damit man eine Tonart bestimmen kann. Solange das aber noch nicht dein Steckenpferd ist, hilft es deinen Bandkollegen schon immens, wenn du angeben kannst, das Stück “x Halbtöne/Ganztöne höher/tiefer” als die jeweilige Aufnahme zu spielen. Wenn du eine Tonart noch nicht benennen kannst, aber weißt, mit welchem Akkord das Stück beginnt, ist auch das schon ein guter Anhaltspunkt für deinen Instrumentalisten.
Wir haben bereits einen Workshop zum Thema Harmonielehre veröffentlicht:

Zugegeben, dieser Artikel legt sicher den Finger in die ein oder andere Sänger-Wunde, aber so unangenehm es auch ist, so gut tun wir daran, uns unseren Schwächen zu stellen und an uns zu arbeiten. Damit wir souverän mit typischen Stolpersteinen umgehen und eben keine Klischee-Sänger*innen sind, über die unsere Instrumentalisten-Freunde Witze machen.

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(Bild: © ALDECAstudio)

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von nina.graf

Kommentieren
Profilbild von Henry

Henry sagt:

#1 - 01.05.2018 um 11:42 Uhr

0

Das gilt alles übrigens genauso für alle anderen Bandmitglieder.

Profilbild von Denise Wed

Denise Wed sagt:

#2 - 29.10.2019 um 13:01 Uhr

0

Sehe ich auch so - man sollte als Sänger sich nicht zum Trottel machen. Da ich Instrumental- und klassischen Unterricht hatte, sind mir aber Tonarten etc. geläufig.

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