Das Weinen der bonedo-Tester wegen der fehlenden guten alten B4 II im Komplete 6-Paket war wahrscheinlich bis in die Berliner Zentrale von Native Instruments zu hören. Um so größer ist die Freude über die Kunde, dass NI mit dem Vintage Organs Plug-In nun einen Nachfolger der legendären B4 II präsentiert, das weit mehr verspricht als „nur“ ein Hammond-Klone zu sein und auch noch in Komplete 7 enthalten ist.
Die NI Vintage Organs werden als 1,4 GB großes Samplepaket für den Kontakt-Sampler geliefert. Das Plug-In beinhaltet detaillierte Samples von fünf Zugriegellegenden aus den 60er und 70er Jahren. Neben den drei Hammond-Modellen B3, C3 und M3 wurden auch die beiden Transistororgeln Vox Continental und Farfisa Compact sehr detailreich gesampelt. Die Bedienoberfläche ermöglicht die komplette Soundkontrolle per Zugriegel, Percussion, Chorus/Vibrato, Overdrive, Rotor, Hüllkurven, EQ und Reverb.
Alle Parameter der Vintage Organs werden in vier Seiten aufgeteilt. Start- und Hauptseite ist die Organ-Page. Hier sind alle Bedienelemente des jeweiligen Orgelmodels sehr schön originalgetreu nachgebildet. Bei den Hammond-Modellen bilden zwei Drawbarsets für die beiden Manuale den Mittelpunkt. Über einen Button gelangt man zum Pedalregister, das über eine stufenlos regelbare Sustain-Funktion verfügt. Sehr schön ist der „Direct“-Schalter, der dafür sorgt, dass das Pedalregister die Leslie-Simulation umgeht und sehr druckvoll und – wortwörtlich – direkt klingt. Darunter sind auf der gleichen Page die Funktionen für die Chorus/Vibrato-Funktion und die Percussion angeordnet. Das Scanner-Vibrato ist einzeln auf beide Manuale schaltbar und bietet die typischen sechs Varianten an – dreimal Chorus und dreimal Vibrato. Ebenso vollständig zeigt sich die Percussion-Abteilung mit den vier Schaltern On/Off, Soft/Normal, Fast/Slow und Second/Third. Zwei „Fader“ im Vintage Halfmoon-Switch-Look zur Steuerung der Rotorgeschwindigkeit und der Volume vervollständigen die wichtigsten Orgelfunktionen. Vermisst habe ich bei der Leslie-Steuerung die Brake-Funktion. Analog dazu präsentiert sich die Organ-Seite auch für die beiden Transistor-Modelle.
Jedes Vintage Organs Programm beinhaltet 12 Presets, die sowohl über ein virtuelles Poti als auch über die Tasten C0 bis B0 einer angeschlossenen MIDI-Tastatur selektiert werden können. Letzteres Feature entspricht der invertierten Oktave zur Preset-Anwahl der analogen Ahnen und zeigte sich während des Tests als äußerst praktisch. Last but not least ist der Mode-Schalter zu erwähnen, der definiert, wie eine angeschlossene Tastatur die Tonerzeugung ansteuert. Im „Key-Split“-Mode wird sie in einen Lower- und Upper-Bereich gesplittet, während im MIDI-Mode die beiden Manuale und das Pedal auf verschiedenen MIDI-Kanälen angesprochen werden. In der Stellung Lower bzw. Upper kann entweder das untere oder das obere Manual gespielt werden. Erwähnenswert ist die einfache Controller-Zuweisung der einzelnen Parameter. Mittels der Learn-Funktion lassen sich z.B. die einzelnen Zugriegel den Fadern des Masterkeyboards zuordnen. Da kommt echtes Orgel-Feeling auf!
Auf der Amp-Seite gelangt man in die Verstärkerabteilung der virtuellen Orgeln. Untypisch sind die Parameter für Velocity, Attack und Decay, wodurch sich jedoch hervorragend “spooky” Effektsounds kreieren lassen. Der Tube-Amplifier bietet mit Vintage und Modern zwei Charakteristiken, die sich über einen Tone-Regler und einen 3 Band-EQ den gewünschten Klangvorstellungen anpassen lassen. Hinzu kommt der Drive-Regler, mit dem man von leicht angezerrten Sounds bis zum vollen Bratbrett alles realisieren kann. Der Effekt klingt schön bissig, spricht für meinen Geschmack etwas zu schnell an und klingt mir in den Höhen etwas zu kratzig. Sehr schön originalgetreu ist die Abhängigkeit des Verzerrungsgrades von der Stellung eines angeschlossenen Volumen-Pedals. Die Rotorsektion bietet Potis zur Steuerung der Anlauf- bzw. Abbremszeiten und der Balance zwischen Hochton- und Bassrotor. Schade, dass es keine Möglichkeit gibt, die Rotationsgeschwindigkeit zu verändern. Trotzdem klingt die Leslie-Simulation sehr authentisch. Der Effekt eiert nicht und hat eine schöne Breite im Stereobild. Die Cabinet-Sektion simuliert zwei Leslie-Varianten und sieben Verstärkertypen. Der Air-Regler bestimmt dabei den Mikrofonabstand. Einfach, lädt aber gerade deshalb zum experimentieren ein. Zum Schluss gibt es noch einen Reverb-Effekt, der sich sinnvollerweise auf eine Platten- und Federhallvariante beschränkt. Mit Short und Long stehen zwei feste Hallzeiten zur Verfügung. Der Effektanteil lässt sich mit dem Amount-Poti regeln.
Das Wichtigste beim Orgelspiel ist die Echtzeitkontrolle aller Bedienelemente. Neben der oben erwähnten Learn-Funktion können weiter Controllereinstellungen auf der Settings-Page vorgenommen werden. Das NI-Plug-In bietet komplette Controller-Presets für die optional erhältlichen Hardware-Zugriegelcontroller NI B4D und Doepfer d3c an. Daneben kann man die Modulationsziele (Rotor-Speed, Swell) für Sustain-Pedal, Aftertouch, Modulation- und Pitchbend-Wheel definieren. Ein nettes Feature ist die „Adjust-Drawbar“-Funktion. Mit dem Pitchbend-Rad lassen sich dabei alle aktuell verwendeten Zugriegel komplett herausziehen und zurückschieben.
Als kleine optische Zugabe kann auf der Model-Page das jeweilige Orgelmodell in seiner typischen Umgebung bewundert werden. Da kommt Vintage-Feeling auf!
Akustisch wird das Plug-In dem Begriff „Vintage“ mehr als gerecht. Den gesamten Grundsound möchte ich als schmutzig und bissig mit leicht aggressiven Höhen beschreiben, was dem Ganzen Charakter, Charme und Durchsetzungsfähigkeit verleiht.
Die 100 mitgelieferten Presets sind nach Orgelmodellen, Stilistiken (Funk, Gospel, Jazz, Rock), Organisten (R.I.P. Mr. Preston) und Songs (Green Onions) gegliedert und geben den typischen Charakter dieser Kategorien sehr treffend wieder. Ich muss gestehen, dass ich mich während des Tests immer wieder in ausufernde und beinahe schon ekstatische Improvisationen (mancher würde es mit Gedudel umschreiben) verloren habe.
Die Ladezeiten der Presets sind aufgrund des geringen Speicherbedarfs von max. 90 MB relativ kurz, wodurch die Vintage Organs auch für den Live-Betrieb brauchbar werden.
Die Hammondmodelle sind sehr detailreich gesampelt und lassen sich ebenso spielen. Bei den einzelnen Drawbars ist der Leackage-Effekt unterschiedlich stark wahrnehmbar, die Percussion verstummt beim Legato-Spiel und das Volumen-Pedal beeinflusst den Verzerrungsgrad und die Brillanz des Sounds.
Die fehlenden Parameter zur Anpassung der Leackage, des Key-Clicks und der Percussion habe ich nicht vermisst. Dies hängt damit zusammen, dass die Modelle B3, C3 und M3 darin unterschiedlich klingen. Die B3 wirkt sehr clean und jazzig „brav“, während die C3 das abgerockte Rockgroupie mit viel Leackage, schärferen Höhen und „böserem“ Charakter ist.
Das fehlende Foldback beim M3-Modell lässt diese Orgel etwas matter klingen. Dennoch hat der Klang genug Schärfe und viel Key-Click.
Die Transistororgeln wurden mit derselben Liebe zum Detail gesampelt und klingen sehr authentisch. In Kombination mit der Vox Amp-Simulation kommt bei der Vox Continental echtes Doors- und Beach Boys-Feeling auf, während die Farfisa über den virtuellen Tweed Alnico Verstärker herrlich „cheesy“ klingt.
Die NI Vintage Organs sind mehr als ein würdiger Nachfolger der B4II. Man bekommt sehr viel Orgel für sehr wenig Geld. Das Plug-In kann in Bezug auf Sound und die für das Orgelspiel so wichtigen Controller-Möglichkeiten voll und ganz überzeugen.
Obwohl der ein oder andere Parameter zur Feinjustierung des Instrumentes fehlt, ist die teilweise beschränkte Auswahl an Basis-Parametern sehr gut getroffen. Sie sind effektiv einsetzbar, die Bedienung bleibt dabei überschaubar und geht flott von der Hand. Durch die Controller-Learn-Funktion kann man sich auf seinem MIDI-Keyboard schnell und einfach seine persönliche Orgel zusammenbasteln.
Lediglich die fehlende Brake-Funktion der Leslie-Simulation kann ich nicht verschmerzen.
Unser Fazit:
4,5 / 5
Pro
Drei Hammond-Modelle mit unterschiedlichem Grundsound
Vox Continental und Farfisa Compact Modell
Sehr guter, detailreicher, durchsetzungsfähiger Klang
Vollständige Controlleranbindung aller Bedienelemente
Einfache Controllerzuweisung
100 Presets mit je 12 Registrierungen
authentische Leslie-/Verstärkersimulation
Sehr gutes Preis-/Leistungsverhältnis
Contra
keine Brake-Funktion des Rotoreffektes
Native Instruments Vintage Organs Test
Features:
samplebasiertes Plug-In von 5 legendären Orgeln für NI Kontakt 4/Kontakt-Player
drei Hammond-Modelle (B3/C3/M3) und zwei Transistororgeln (Vox Continental, Farfisa Compact)
Echtzeitkontrolle aller Parameter wie Zugriegel, Percussion, Vibrato etc.
Alle Manuale können per Keysplit auf einer Tastatur oder per MIDI-Split auf mehreren Keyboards gespielt werden
100 Presets
12 Zugriegel-Einstellungen pro Preset (umgekehrte Key-Funktionalität, wie bei der B-3)
acht Leslie- und Verstärker-Emulationen inkl. Overdrive-Effekt und EQ
Reverb mit Feder- und Plattenhall-Emulation
Unterstützung der Zugriegel-Controller NI B4D und Doepfer d3c
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Lorenzo Frank sagt:
#1 - 09.11.2015 um 13:05 Uhr
Klingt gut, jedoch hat die GSi VB3 den besseren Leslie Effekt.https://soundcloud.com/tony...