Über den Access Virus TI wurde schon viel geschrieben. Dennoch möchten wir die Veröffentlichung der neuen Firmware 4.0 zum Anlass nehmen, uns das Instrument noch einmal etwas genauer anzuschauen. Die neue Software, die sich jeder Virus Besitzer kostenlos bei Access herunterladen kann, beinhaltet ein neuartiges „Vowel“-Filter, ein Kammfilter, sechs neue Verzerrertypen, die klassischen Stomp Box Geräte nachempfunden sind, und die Möglichkeit, den Arpeggiator als Modulationsquelle einzusetzen.
Die hochgelobte Möglichkeit, den TI in einem Sequencer-Programm wie ein Plug-in zu betreiben, soll hier jedoch nicht Gegenstand sein. In unserem Test wird es in erster Linie um den TI als Stand-Alone-Instrument im Live-Einsatz gehen.
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Das Bedienfeld des TI2
Details
Beim Virus TI handelt es sich um einen virtuell-analogen Synthesizer, der mit 61 oder 37 Tasten (TI Polar) sowie als Desktop-Version ohne Tasten erhältlich ist. Alle Modelle haben drei Stereoausgänge, Audioeingang, S/PDIF, MIDI Trio, USB, Eingang für Hold- und Controller-Pedal sowie Kopfhörerausgang.
Auf der Oberfläche befinden sich 32 Drehpotis, mit denen sich nahezu alle wichtigen Parameter sofort erreichen lassen. Durch Doppelbelegungen hat man mit Hilfe der Shift-Taste unmittelbaren Zugriff auf 47 Parameter.
Die Stimmenzahl des TI wird mit etwa 80 angegeben, wobei diese abhängig von der Komplexität der Sounds ist. Ein Live-Keyboarder wird jedoch selten an diese Grenze stoßen, anderenfalls gibt es mit dem Modell TI2 auch hierfür eine Lösung. In der TI2 Variante verfügt der Virus über einen leistungsstärkeren Prozessor, der zusätzliche Stimmen mobilisieren kann. Da sich beide Ausführungen ansonsten nur äußerlich voneinander unterscheiden, bezieht sich dieser Bericht im weiteren Verlauf auf beide Modelle.
Der Virus TI verfügt pro Stimme über vier Oszillatoren und einen Rauschgenerator, wobei einer der Oszillatoren ein sogenannter Suboszillator ist, der ausschließlich Dreieck und Rechteck produziert und immer exakt eine Oktave unter Oszillator 1 schwingt.
Die Oszillatoren 1 und 2 können in verschiedenen Modi arbeiten:
Classic:
Zwischen Sinus, Sägezahn und Rechteck kann überblendet werden. Weiterhin stehen Dreieck und 62 Spektralwellenformen zur Verfügung, die aus mehreren Sinusschwingungen mit unterschiedlichen Amplitudenverhältnissen bestehen und beispielsweise für Orgelsounds, Clavinet, Cembalo, Oboe o.ä. interessant sein können.
Im ersten Audiobeispiel eine Fahrt durch ein paar Waves, von Sinus über Sägezahn nach Rechteck, danach verschiedene Spektralwellen:
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Sine/Saw/Pulse/Spectral waves
Die Oszillatoren können per Ringmodulation und FM miteinander verknüpft werden, außerdem gibt es Hard Sync und Pulsweitenmodulation.
Die Pulsweitenmodulation klingt ausgesprochen gut und ermöglicht schon mit nur einem Oszillator toll schwebende Flächen, die es locker mit einem Juno 60 aufnehmen können.
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PWM Fläche
Hypersaw
Im Hypersaw-Modus kann ein Oszillator bis zu neun Sägezahnschwingungen erzeugen. Diese lassen sich gegeneinander verstimmen und darüber hinaus im Panorama verteilen. Auf diese Weise ist es möglich, typische Klänge aus dem Trance- und Techno-Genre herzustellen, ohne dabei Stimmen opfern zu müssen. Man kann sogar bei gehaltenem Akkord zwischen einem und neun Sägezähnen spielerisch hin- und herfahren – und das absolut sauber und knackfrei.
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Hypersaw 1-9
Wavetablesynthese
Hier finden sich 100 Wavetables, deren Start- und Endpunkte in Echtzeit verschoben werden können (Wavetable-Sweep). So lassen sich komplexe Obertonverläufe realisieren, die mit den üblichen Oszillatoren plus Filtern in dieser Form nicht darstellbar wären. Die Wavetables sind fix und lassen sich daher nicht austauschen, wobei die Auswahl jedoch ausreichend vielfältig ist. Diese Wavetable-Synthese ermöglicht außer lebendigen Flächenklängen auch interessante Effektsounds.
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Wavetable sweep
Darüberhinaus gibt es noch ein paar exotische Möglichkeiten, mit den Wavetables umzugehen, die sich Wave PWM, grain simple, grain complex, formant simple und formant complex nennen. Klanglich unterscheiden sich diese Modi aber kaum von der Wavetablesynthese, und im Alltag des Popkeyboarders spielen diese Syntheseformen wohl keine Rolle.
Richtig interessant würde die Graintablesynthese eigentlich erst bei der Arbeit mit Samples – diese kann der Virus jedoch nicht verarbeiten.
Oszillator 3 lässt sich ausschließlich im Classic Mode betreiben, bietet aber immerhin auch Sinus, Sägezahn, Rechteck/Puls, Dreieck und die 62 Spektralwellen.
Bei extremer Tonhöhe geben die Oszillatoren übrigens leichte Aliasing-Artefakte von sich. Analog-Puristen und Pedanten stören sich gerne an so etwas, aber denjenigen, die mit ihrem Synthesizer Musik machen möchten anstatt Hunde anzulocken oder Fledermäuse vom Kurs abzubringen, dürfte das Aliasing in diesen Tonhöhen ziemlich egal sein.
Filter
Der Virus verfügt pro Stimme über zwei Filter, die die bekannten Analogfilter-Typen nachbilden: Tiefpass, Hochpass, Bandpass und Bandsperre, außerdem vier unterschiedliche Tiefpass-Varianten mit 6, 12, 18 und 24dB/Okt. Flankensteilheit, die klanglich dem legendären Minimoog Filter nachempfunden sind.
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24dB Moog Filter
Die Filter lassen sich seriell, parallel oder im Split-Mode anordnen, wobei dann Oszillator 1 mit Suboszillator dem Filter 1 zugeordnet sind, die anderen Oszillatoren und Rauschen dem Filter 2.
Modulation
Die Modulationsmöglichkeiten des Virus TI sind sehr umfassend und luxuriös: In der Matrix kann jede Quelle (z.B. Modulationsrad, Aftertouch, alle MIDI-Controller, die drei LFOs etc.) mit jedem Ziel (wirklich jeder Parameter, sogar Noise Color, Ringmodulationsintensität etc.) verknüpft werden. Es gibt 6 Matrix Slots mit je einer Quelle und drei Zielen. Hier werden der Fantasie des Programmierers keinerlei Grenzen gesetzt. Und egal welches Ziel man auch moduliert, man hört niemals Knacken, Rasterungen oder Aliasing. Das kann kein anderer Hardware-Synthesizer, egal ob digital oder analog. Mit Firmware 4.0 lässt sich sogar der Arpeggiator als Modulationsquelle einsetzen.
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Arp moduliert Cutoff
Effekte
Der Effektbereich ist so umfangreich, dass die Möglichkeiten hier nur kurz angerissen werden können. Pro Stimme gibt es Delay und Reverb, jeweils in unterschiedlichen Varianten wie Tape-Delay, Ping-Pong 4:3 , Ambient, Small Room, Hall etc.
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Delay, Reverb
Der Bereich Delay/Reverb/EQ verfügt über drei Drehpotis, die je nach angewähltem Effekt unterschiedlich belegt sind. Durch den direkten Zugriff lassen sich die Effekte sehr dynamisch und lebendig einsetzen.
Alle Effektparameter können auch Modulationsziele sein. Es stehen 19 verschiedene Distortion-Typen zur Auswahl, u.a. Rectifier, Rate Reducer, Bit Reducer, Soft, Hard und Waveshaper.
Die neue Software 4.0 beinhaltet zusätzlich noch 6 neue Emulationen von klassischen Stomp-Box-Verzerrern.
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die neuen Verzerrertypen
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Praxis
Der Grundsound des Virus gehört zum Besten, was es im virtuell-analogen Bereich gibt und ist über jeden Zweifel erhaben. Bekanntlich wird der Virus weltweit bei Top-Produktionen eingesetzt (Depeche Mode, Madonna etc.) und hat ganze Genres mitgeprägt. Aber man sollte den Sound des Virus nicht nur anhand der Werkspresets beurteilen, denn diese sind eher einseitig effekt- und technolastig.
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zufällige Presets
Am besten nimmt man sich ein Init-Programm aus zwei Sägezähnen und schraubt sich selbst zusammen, was man braucht. Dem Programmierneuling hilft dabei das sehr informative Tutorial „Programming Analog Synths“, das dem Virus beiliegt. Das folgende Beispiel zeigt, wie man mit dem TI Sounds in Echtzeit editieren kann.
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live editing
Virus TI2 polar
Es lassen sich 4 Bänke mit je 128 eigenen Programmen speichern. Darüber hinaus gibt es noch 26 ROM-Bänke mit Werkssounds und 128 Multispeicherplätze, wovon die ersten 16 auch alle Part-Programme mit speichern. So bleiben diese Multis immer gleich, auch wenn man enthaltene Programme im Single-Mode editiert.
Für Live-Keyboarder sind neben gutem Sound die folgenden Features nützlich: Da wäre zunächst das 61 Tasten-Keyboard des großen TI. Es handelt sich hier um ein Synthesizer-Keyboard und nicht um eine schwer gewichtete Pianotastatur. Dennoch lässt sie sich sehr gut und schön dynamisch spielen. Sie fühlt sich ausgesprochen edel an und ist meiner Meinung nach die beste Synthesizer-Tastatur auf dem Markt. Anders jedoch die 37 Tasten des TI Polar, dessen Keyboard zwar ebenfalls hochwertig, aber mit dem des großen TI dennoch nicht vergleichbar ist.
Die zahlreichen Potis und Schalter lassen blitzschnelle Änderungen an fast jedem Parameter zu. Das Knöpfe-Schrauben wird so zum Teil der Performance und inspiriert ungemein. Tatsächlich lässt sich kaum ein anderer Synthesizer so schnell programmieren wie der Virus. Unterhalb des Display befinden sich drei sogenannte Soft-Knobs, die sich mit beliebigen Parametern belegen lassen. So lassen sich auch Funktionen für den direkten Zugriff bestimmen, für die man sonst in die Tiefen des Edit-Menüs hinabtauchen müsste. Auch das Hold- und das Controller-Pedal lassen sich frei mit Funktionen belegen. Sicherlich wären Endlos-Encoder mit LED-Kränzen praktischer gewesen wären als die üblichen Potis, aber 32 davon hätten wohl weder auf die Bedienoberfläche gepasst, noch wäre das Ganze dann noch im bezahlbaren Bereich angesiedelt gewesen. Aber dafür kann man ja im Config-Menü drei verschiedene Arten festlegen, wie die Potis bei Berührung reagieren sollen: jump, snap und relative. Bei Umschalten der Programme reißt der Sound nicht ab, und auch die Effekte klingen noch aus, wobei lange Release-Fahnen oder Delays etwas schneller ausgeblendet werden.
Leider gibt es keine Taster, mit denen Programme direkt angewählt werden können. Es gibt nur Bank +/- und Programm +/-. Zwar hat man mit der Kombination Shift+Soft Knob die Möglichkeit, schnell durch die Presets zu scrollen, doch zielgenau weiter entfernte Programme zu treffen, ist dann schon eher schwierig. Mit einer Zifferntastatur wie bei Kurzweil oder acht Bank und acht Programmtastern wie bei anderen Synthesizern wäre das besser gelöst. Man kann sich jedoch mit einem externen MIDI-Program-Changer behelfen, beispielsweise einem alten Roland RC3, der ab und an auf Ebay zu finden ist.
Der Tempo-Tap-Knopf, mit dem z.B. Delays oder der Arpeggiator zum Drummer synchronisiert werden können, erweist sich live als absoluter Joker. So kann man bei live gespielter Dancemusic auf einen Clicktrack verzichten und sich tempomäßig immer der Band anpassen. Nur schade, dass sich das Hold-Pedal nicht mit der Tap-Tempo-Funktion belegen lässt.
Im Multimode lassen sich dank der hohen Zahl von Stimmen aufwendige Layer- und Split-Setups herstellen, trotzdem behält jedes Programm alle Effekte. Externe Soundmodule oder ein Laptop können dank der Masterkeyboard-Funktionen in die Setups eingebunden werden, und über die Audioeingangsbuchsen lassen sich diese auch gleich im Gerät mit den Klängen des Virus mischen. Selbst Plattenspieler oder Mikro lassen sich so direkt anschließen, wobei der Virus TI diese entsprechend vorverstärken kann.
Bekanntlich sind Einzelausgänge nicht nur im Studio nützlich, da man ausgesuchte Klänge so externen Effektgeräten zuweisen kann – eine in jeder Live-Situation durchaus gebräuchliche Anwendung. Es lassen sich mit dem Virus in Verbindung mit einem externen Leslie vorzügliche Orgelsounds herstellen, da dieser entsprechende Sinus- und Spektralwellenformen anbietet. Über Oszillator-Balance können so Zugriegel-ähnliche Obertonbewegungen erzeugt werden, dazu noch ein Keyclick aus dem Rauschgenerator, und ein extra Orgelmodul ist eingespart.
Hier ein Beispiel eines Orgelsounds aus dem Virus in Kombination mit einem externen Leslie Effekt (Neo-Instruments Ventilator)
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Virus TI Orgel + Ventilator
Virus TI2 Desktop White Out Edition
Ein unauffälliges, aber im Live-Notfall ungemein wichtiges Detail ist die Panik-Funktion, die bei gleichzeitigem Drücken des Sync- und Mono-Tasters einen All-Notes-off Befehl auf allen MIDI-Kanälen sendet. Da es in jedem Setup schon mal MIDI-Hänger geben kann, fragt man sich, wieso viele andere Keyboards diese Funktion nicht bieten.
Hat man einen Sound im Single-Mode verändert und schaltet in den Multi-Mode, findet man beim Zurückschalten den Single-Sound in der Ursprungsform wieder. Das kann beim Live-Einsatz sehr nützlich sein, wenn man beispielsweise einen Sound stark verändert hat, aber zwischendurch mal für einen anderen Part des Songs in den Multi-Mode wechseln muss.
Das robuste Metallgehäuse ist zwar schwer, dafür aber unverwüstlich. Auch die Potis und Taster sind von hoher Qualität und daher langlebig. Mein Virus TI Polar ist seit 2006 im Live-Dauereinsatz und hat einige schwere Stürze, etliche Flüge und meinen ruppigen Umgang unbeschadet überstanden: Alle Potis und Taster funktionieren immer noch einwandfrei.
Das Format des TI Polar ist perfekt für den reisenden Musiker, passt er doch im Flugzeug ohne Probleme ins Handgepäck. Leider ist er etwas schwerer als die üblicherweise erlaubten 8kg (TI Polar: 9,6kg, TI2 Polar: 8,4kg), aber das Gewicht des älteren Polar lässt sich um 2kg reduzieren, indem man die massiven Aluminium-Seitenteile durch Holz ersetzt.
Virus TI polar
Das Betriebssystem des TI wird von Access vorbildlich gepflegt, und es gibt regelmäßig Updates, die immer wieder neue und interessante Features mitbringen und auch Bugs entfernen. Mittlerweile (OS 4.0) ist der TI weitgehend frei von Bugs, was in der Welt der virtuell-analogen Synthesizer leider alles andere als selbstverständlich ist. Der Support bei Access ist gut erreichbar und auskunftsfreudig.
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Der Access Virus TI ist ein gut durchdachter Synthesizer, der kaum einen Wunsch unerfüllt lässt. Er bietet eine Menge unschätzbar nützlicher Features und wird durch Updates immer besser. Der Preis des TI mag erst einmal recht hoch erscheinen, ist aber angesichts des Gebotenen durchaus angemessen. Wer einmal längere Zeit mit diesem Synthesizer gearbeitet hat, wird sicherlich nie wieder darauf verzichten wollen, und wer all diese Möglichkeiten zu schätzen weiß, findet auf dem Keyboardmarkt keine Alternative.
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