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Die Geschichte der elektronischen Musik #7

Nachdem wir in Teil 6 der Reihe Geschichte der elektronischen Musik schon von lauter legendären Schätzchen umgeben waren, geht es in diesem Teil nahtlos weiter: Mit dem Chamberlin, dem Mellotron und dem Optigan tauchen geradezu sagenhafte Gerätschaften aus der prä-digitalen Ära vor unseren Augen auf. Dabei ist es gerade mal 30 Jahre her, dass alle diese Instrumente untergegangen sind, aber es ist ein bisschen wie mit Atlantis: Man hat davon gehört, man ist fasziniert, aber wer hat schon eines der Instrumente wirklich mal gesehen?

Musik und Strom Folge 7 - Chamberlin, Mellotron und Optigan
Musik und Strom Folge 7 – Chamberlin, Mellotron und Optigan


Genau wie bei den Tonabnehmern im letzten Teil beginnt unsere Geschichte auch hier in den 1920/30er Jahren. Berlin, 1928: der Ingenieur Fritz Pfleumer erfindet das Tonband, das von BASF, AEG und der Reichs-Rundfunk-Gesellschaft sofort begeistert aufgegriffen wird. Mitte der 1930er wurden auf der Internationalen Funkausstellung in Berlin dann auch schon die ersten industriell gefertigten Tonbandgeräte – damals Magnetophone genannt – vorgestellt. Mit Beginn des Zweiten Weltkriegs wurde die Weiterentwicklung des Tonbands natürlich sofort geheim gehalten, sodass die Technik erst nach 1945 so richtig kommerzialisiert und international bekannt wurde.

1949: Das Chamberlin

Umso erstaunlicher, dass schon 1949 ein gewisser Harry Chamberlin aus Iowa ein erstes Instrument mit Tonband gebaut hat. Und noch erstaunlicher, dass das dann auch gleich die allererste Drum Machine war! Chamberlin war ein leidenschaftlicher Heimorgelspieler und wollte eigentlich nur einen Apparat bauen, mit dem er sich selbst begleiten konnte – also so etwas wie eine Play-along-Maschine. Gesagt, getan, und wie machte er das? Ganz einfach, in dem er Drumloops auf Band aufnahm. Und zwar auf 14 verschiedene Bänder mit jeweils drei verschiedenen Tracks. Die Geschwindigkeit konnte man über die Abspielgeschwindigkeit der Bänder kontrollieren. Der ganze Apparat wurde samt Lautsprecher in ein Gehäuse eingebaut und fertig war das erste Begleitmodul.
Allerdings war das erst der Anfang, denn schon bald dämmerte es Chamberlin, dass man ja eigentlich nicht nur Drums, sondern auch alle anderen Instrumente auf Band aufnehmen und dann zu Hause abspielen konnte. Damit war die Idee des Tonband-basierten „Sample Players“ geboren, der zunächst als Chamberlin und später als Mellotron bekannt wurde. Ich sage nur: Led Zeppelin, Rolling Stones, Beatles, David Bowie, Bee Gees, Yes, Genesis, Tangerine Dream, King Crimson, Marvin Gaye, Beach Boys, Stevie Wonder… und das Cello auf Oasis’ “Wonderwall” ist übrigens auch kein Cello, sondern ein Mellotron.
Chamberlin hatte also die Idee, Tonbänder zu bespielen und diese dann von einer Tastatur gesteuert wieder abzuspielen. Dazu brauchte er erst einmal Aufnahmen, weshalb er sich zu Hause ein Studio baute, in dem er ab Ende der 1940er Jahre und die ganzen 1950er Jahre hindurch Aufnahmen von Instrumenten machte, die er dann in seinem Chamberlin einsetzen konnte. Ein Instrumentalist nach dem anderen spazierte also zu Chamberlin nach Hause und wurde sorgfältig „gesampelt“. Und dabei wurde übrigens nicht geloopt, sondern ein achtsekündiger „ganzer“ Ton vom Einschwingvorgang bis zum Ende aufgenommen. Diese Tonbänder wurden dann in das Chamberlin eingesetzt und somit konnte man zum ersten Mal auf einem Tasteninstrument Geige, Cello oder Trompete spielen.
Nach und nach hatte Chamberlin mit seinem Instrument Erfolg. Zwar nicht so viel Erfolg wie Laurence Hammond mit seiner Orgel, aber immerhin so viel, dass er Ärger mit der amerikanischen Musikergewerkschaft bekam, die Angst hatte, dass man demnächst überhaupt keine live spielenden Musiker mehr bräuchte. Tatsächlich erreichte die Gewerkschaft, dass das Chamberlin außer in Cocktailbars nicht mehr live gespielt werden durfte. Trotzdem hatte das Instrument weiterhin Erfolg und die Firma stellte einen Verkäufer ein, einen gewissen Bill Franson. Der hatte so seine eigenen Ideen und verschwand plötzlich mit zwei der Instrumente. Er schiffte sich 1962 klammheimlich auf einem Schiff ein, fuhr nach England und tat so, als ob die Instrumente seine Erfindung wären. Prompt fand er einen Käufer und die Instrumente wurden in England unter dem Namen Mellotron nachgebaut. Erst 1965 bekam Chamberlin Wind davon und nach einem Treffen mit den Mellotron-Bauern wurde der Markt aufgeteilt: Chamberlin blieb in den USA und das Mellotron wurde unter Lizenz in Europa gebaut. Bill Franson und Harry Chamberlin sollen dabei wohl auch ein eher „intensives“ Gespräch miteinander gehabt haben.
Nichtsdestotrotz: Die nächsten 15 Jahre liefen bei Chamberlin richtig gut. Es folgten verbesserte Versionen des analogen „Sample Players“, und auch die Drum Machines wurden weiter entwickelt. Außerdem bekam Chamberlin Geld von den Mellotron-Leuten aus England und konnte seine Patente an andere Firmen verkaufen. Das Ende kam plötzlich, kurz und schmerzvoll in der Form der ersten digitalen Sampler von Kurzweil, dem Synclavier und dem Fairlight CMI, mit dem man nicht nur Samples abspielen, sondern auch aufnehmen konnte. Ende der 1970er Jahre ging es also rapide abwärts und die letzten Geräte wurden 1981 wieder zu Hause in der Garage von Harry Chamberlin gebaut, der 1986 verstarb. 

Ein Mellotron (Bild: Buzz Andersen, lizenziert unter CC BY-SA 2.0)
Ein Mellotron (Bild: Buzz Andersen, lizenziert unter CC BY-SA 2.0)

1964 bis heute: die weitere Geschichte des Mellotrons

Beim Mellotron-Hersteller Bradmatic Ltd. in England dagegen wurde ab 1964 das Mellotron Mk II gebaut, das mit seinen 1000 Pfund nicht gerade ein Schnäppchen war: für 2000-3000 Pfund konnte man sich zu jener Zeit schon ein Haus bauen. 1970 brachten Streetly Electronics, wie sich die Erbauer des Mellotrons inzwischen nannten, ihr erfolgreichstes Modell auf den Markt: das Mellotron M400. Es hatte den Vorteil, dass die Bänder sich leicht auswechseln ließen. Aber auch Streetly Electronics kam in schweres Fahrwasser. Nicht nur, dass die Firma im Jahr 1976 den Markennamen Mellotron an die Firma Sound Sales verlor und die Instrumente fortan unter dem Namen Novatronics verkaufen musste; Sound Sales brachte auch noch ein Konkurrenzprodukt auf den Markt, das Mellotron 4-Track. Aber sowohl Sound Sales als auch Streetly Electronics ereilte das Schicksal, das auch Chamberlin zur Strecke brachte: ROMpler und digitale Synthesizer veränderten den Markt dermaßen, dass beide Firmen Konkurs anmelden mussten. Allerdings mit dem entscheidenden Unterschied zu den Chamberlins, dass es Mellotrons auch heute noch gibt – oder besser – wieder gibt. Und das gleich doppelt. 1990 kaufte ein gewisser David Kean alle verbliebenen Teile und den Namen Mellotron und gründete eine Firma namens Mellotron Archives. Ursprünglich sollte diese Firma nur ein Reparaturservice für Mellotrons sein, aber 1998 entwickelte David Kean mit seinem schwedischen Partner ein neues Mellotron: das Mellotron Mark VI, das man auch heute noch kaufen kann. Daneben produzieren sie auch noch einen Nachfolger des zweimanualigen Mark V, das es als Mark VII auch noch zu kaufen gibt.
Doch damit nicht genug: Ein paar Jahre, nachdem David Kean seine Firma in Kanada gründete, belebte einer der Söhne der ursprünglichen Firma Streetly Electronics die Firma seines Vaters in Birmingham wieder. Ursprünglich nur als Reparaturservice für alte Novatrons gedacht, baut auch diese Firma wieder Instrumente. Und auch diese unter dem Namen Mellotron und zwar das M4000 als Nachfolger des erfolgreichen M400 und das M5000 als zweimanualige Version des M4000. Man muss also genau schauen, wer jetzt eigentlich hinter welchem Instrument steckt, und nicht hinter jedem Mellotron/Novatron stecken die englischen Entwickler.
Glücklicherweise gibt es heute allerdings eine Reihe virtueller Instrumente auf Basis der alten Bänder des Mellotrons, Novatrons und Chamberlins. Denn abgesehen von den mechanischen Aspekten sind die Originalaufnahmen natürlich entscheidend für den Klang, und hier hatten Mellotron und Chamberlin ziemlich unterschiedliche Ansichten: Chamberlin bevorzugte einen sehr natürlich Klang, während die Engländer ziemlich viel komprimiert haben. Und abgesehen davon wurden ohnehin einfach unterschiedliche Instrumente aufgenommen.

Das Innere eines Mellotrons (Bild: eric haller / lizenziert unter CC BY-SA 2.0)
Das Innere eines Mellotrons (Bild: eric haller / lizenziert unter CC BY-SA 2.0)

Wie funktioniert eine Tonbandmaschine?

Obwohl wir es also inzwischen mit vier bis fünf unterschiedlichen Firmen zu tun haben, die Technik der Chamberlins, Mellotrons und Novachords basieren alle auf der gleichen grundlegenden Idee. Man nehme eine Tastatur und baue unter jede einzelne Taste einen Bandabspielmechanismus. Der besteht aus einem Tonband, einem Tonkopf und einer Vorrichtungen, die das Band bewegt. Drückt man eine Taste herunter, wird der Tonkopf an das Tonband gedrückt und gleichzeitig wird das Band nach vorne gezogen – das Tonband wird also abgespielt. Wird die Taste losgelassen, so bewegt sich der Tonkopf wieder zurück und das Tonband wird auf mechanische Weise wieder zurückgespult. Aber wie funktioniert überhaupt ein Tonband?

Fotostrecke: 2 Bilder Das Prinzip einer Bandmaschine (Bild: Dirk Becker, lizenziert unter CC-by-sa 3.0/de)

Wie wir es schon von den Mikrofonen und Lautsprechern, dem Plattenspieler und den Pickups kennen, kann man relativ einfach Schall in elektrische Spannung und zurück umwandeln. Beim Mikrofon und Pickup wird der Schall in elektrische Spannung umgewandelt, beim Lautsprecher geschieht das gleiche andersherum. Bei der Aufzeichnung auf Schallplatte wird die mechanische Schwingung des Schalls direkt auf eine Platte übertragen. Die Plattenspielernadel übernimmt die mechanische Schwingung und diese Schwingung wird dann von einem Wandler in elektrische Spannung umgewandelt. Bei einem Tonband ist das Ganze nun ein bisschen raffinierter, denn das Besondere an einem Tonband ist ja, dass man es bespielen, abspielen und wieder löschen kann. Und es wird auch gar keine mechanische Schwingung mehr gespeichert, sondern gleich sozusagen „die elektrische Spannung“ selbst. Ja, aber wie denn jetzt genau?
Ein Tonband ist meistens ein Kunststoffband, das mit einem magnetischen Pulver beschichtet ist. Im „Reinzustand“, also vor der ersten Aufnahme oder wenn das Tonband „gelöscht“ ist, ist diese Beschichtung nicht magnetisiert. Wenn auf diesem Tonband jetzt etwas gespeichert werden soll, brauchen wir einen Magnetkopf – auch Tonkopf genannt – der die elektrische Spannung an das Tonband weiter gibt und das Band somit magnetisiert. Die magnetische Schicht auf dem Band ändert sich dadurch und somit haben wir die Information gespeichert.
Das Auslesen bzw. Abspielen funktioniert genau anders herum: Wir brauchen dafür zwar wieder einen Magnetkopf, aber diesmal einen, der die magnetisch gespeicherte Information auf dem Band ausliest und wieder in elektrische Spannung verwandelt. Auf diese Weise kann man also aufnehmen und das Aufgenommene wieder abspielen. Der entscheidende Vorteil des Tonbandes im Gegensatz zur Schallplatte ist , dass man die Magnetisierung auch wieder löschen kann und das Band dann immer wieder aufs neue bespielen kann. Dazu braucht man einen Löschkopf, der zwar das Tonband nicht wirklich entmagnetisiert, aber mit einem für menschliche Ohren nicht hörbaren Ton mit einer Frequenz von 70 kHz das Band überschreibt, sodass es theoretisch fast wie neu ist. Theoretisch deshalb, weil ja alles mechanisch bewegt wird: Das Band wird hin- und herbewegt und der Tonkopf reibt auf dem Band. Außerdem kann sich die Magnetisierung auf anliegende andere Bandteile „durchdrücken“. Ein Tonband altert also und mit ihm auch die ganze Mechanik mit Aufnahme-, Abspiel- und Löschköpfen und den Bandtransportmechanismen.
Die Idee des Chamberlins ist also eigentlich relativ einfach, aber gleichzeitig machte die ganze benötigte Mechanik die Chamberlins, Novachords und Mellotrons zu ziemlich heiklen Geräten, die gerne mal kaputt gingen oder anderweitig Probleme bereiteten. Von Keith Emerson wird erzählt, dass er sein Mellotron in den Orchestergraben geschmissen hat, und Rick Wagemann soll seins mit Benzin übergossen und angezündet haben. Ganz klar overkill, offensichtlich hat der Mann sein Instrument halt doch geliebt. Aber trotzdem, anfällig blieb das Instrument zeitlebens und billig war es natürlich auch nicht. Trotzdem – oder gerade deshalb? – ist das Mellotron eine Ikone der elektronischen Musik. 

1971: Das Optigan

Der große Erfolg des Mellotrons rief natürlich Nachahmer auf den Plan. Ausgerechnet die Spielzeugfirma Mattel erinnerte sich an die optoelektronischen Instrumente der 1930er Jahre (siehe Die Geschichte der elektronischen Musik #4) und brachte ein weitere Variante der analogen Sample Player auf den Markt: das Optigan. Vom Namen her ein Kofferwort aus “Optical” und “Organ” wurde es ab 1968 entwickelt und kam 1971 auf den Markt. Das Optigan sah zwar aus wie eine kleine E-Orgel, hatte aber die gleiche Klangerzeugung wie seine Vorgänger aus der Frühzeit: Auf durchsichtigen Plastikplatten waren 57 Schwingungsformen aufgedruckt, von denen 37 die einzelnen Töne für das 3-Oktaven-Keyboard waren. Die restlichen Tracks waren für die Begleitautomatik, die links von der Tastatur angebracht war. Die optische Schallplatte rotierte auf einer Spindel und die Schwingungsformen wurden mithilfe von Lichtsensoren ausgelesen. Wenn man eine andere Klangfarbe wollte, musste man also nur die Platte wechseln und los ging’s. Von der Verteilung der Hände war das Ganze ein bisschen ähnlich wie bei einer Ziehharmonika, bei der die rechte Hand auf den Tasten spielt und die linke Hand mit Knöpfen direkten Zugang zu den gängigsten Akkorden hatte. Dazu noch ein fescher Rhythmustrack und fertig war die Schmuseorgie, denn die Sounds des Optigan waren ganz im Stil der Zeit weichgespült wie eine James Last-Platte.
Dennoch: Das Gerät wurde in kurzer Zeit ein großer Erfolg und verkaufte sich wie geschnitten Brot. Verschiedene Modelle aus Plastik und Holz und mit und ohne mechanischem Hall wurden auf den Markt gebracht, dazu auch gleich noch eine Optigan-Lehrschule und Schallplatten mit den klingenden Namen „White Christmas“ und „Südsee“. Gespielt wurde in topmodernem Stereo, wobei die Tastatur immer auf dem rechten Kanal, die Begleitautomatik immer auf dem linken Kanal zu hören war. Alles also sehr, sehr hübsch. Fünf Jahre später allerdings gingen die Verkaufszahlen schon wieder herunter, wobei sich das vielleicht insofern relativiert, weil Mattel natürlich für den Massenmarkt produzierte und die Optigans in Stückzahlen verkaufte, von denen die Vorgänger natürlich nur träumen konnten. Nichtsdestotrotz zog Mattel sich im Jahr 1976 wieder zurück, nicht aber ohne die Patente weiter auszunützen. 

Fotostrecke: 3 Bilder Das Optigan (Bild: PMDrive1061, lizensiert unter CC BY-SA 3.0)

1975: Das Orchestron

Diese gingen nämlich an die Firma VaKo, die vom Moog-Techniker und Verkäufer David Van Koevering 1975 gegründet wurde. Dessen Orchestron basierte auf der Technik des Optagon, sollte aber den professionellen Markt bedienen und in direkte Konkurrenz zum Mellotron treten. Um der neuen Zielgruppe gerecht zu werden, wurde das Orchestron nicht aus Plastik, sondern komplett aus Holz gebaut, zudem fiel auch die Begleitautomatik weg. Vorteile des Orchestrons gegenüber dem Mellotron waren die größere Portabilität und der Wegfall des Acht-Sekunden-Limits (denn die Platten enthielten natürlich Loops, im Gegensatz zu den nicht-geloopten Tonbändern des Mellotrons). Außerdem stand auf dem An-/Ausknopf ziemlich groß „Juice“, was ja eigentlich schon alleine ein Grund ist, so ein Ding zu kaufen.
Probleme bereitete hingegen die grundlegende Technik, denn die rotierenden optischen Schallplatten klangen im Vergleich zum Mellotron einfach nicht so gut. Und auch wenn das Optigan das Acht-Sekunden-Tondauerlimit des Mellotrons dahingehend optimierte, dass durch die Loop-Technik der Ton beliebig lange klingen konnte, so konnte man doch oft den Loop-Point heraus hören, was man dann mit Effekten wieder verschleiern musste. Und ein weiterer Nachteil des Loops war es, dass die “natürlichen” Attack- oder Release-Phasen des jeweiligen “Samples” fehlten. Während auf den Bändern des Mellotron ein kompletter Ton mit Anfang und Ende aufgenommen war, war auf den optischen Schallplatten des Optigans quasi nur die Sustainphase des Tons als Loop zu hören, was der Natürlichkeit des Klangs großen Abbruch tat. Als Sample Player zur Nachahmung natürlicher Instrumente – und als solche waren diese Instrumente ja eigentlich gedacht – hatte das Mellotron hier einen unüberhörbaren Vorsprung. Trotzdem fand das Orchestron seine Käufer und wurde in den fünf Jahren seines Bestehens oft eingesetzt – nicht zuletzt von Kraftwerk auf den Alben Radio-Aktivität und Trans-Europa Express, aber auch beispielsweise von Yes. Und auch auf Foreigners „Cold as Ice“ ist ein Orchestron zu hören – man muss es nur wissen.

Das Birotron

Nachdem die Nachteile der Vorgänger genügend analysiert waren (Mellotron: kein Loop, Orchestron: nur Sustain), dachte sich ein gewisser David Biro, dass man da doch noch etwas machen können müsste. Er hatte die Idee, geloopte Tonbänder zu verwenden und Attack und Decay über den Verstärker zu regeln. Man hatte also auch hier nur die Sustain-Phase des Sounds, konnte aber „von Hand“ eine passendere Lautstärkekurve einstellen. Außerdem konnte man wieder wie beim Mellotron zwischen verschiedenen Sounds überblenden, was bei den optischen Schallplatten des Optigan und Orchestron natürlich nicht möglich war. Biro verwendete 8-Spur Kassetten, und von denen brauchte er 19 Stück, um den Klang über die ganze Tastatur zu verteilen. Ein Vorteil gegenüber den Mellotrons war dabei nicht nur, dass das Birotron eben auch „unendlich“ lange Töne spielen konnte, sondern auch der Anschlag viel direkter war – beim Mellotron konnte man ja Pech haben und das Band wurde gerade zurück gespult.
In der Theorie war das also alles ganz toll und mit Rick Wakeman war auch ein einflussreicher Geldgeber und prominenter Keyboarder gefunden, der das Projekt förderte. Und seltsamerweise fand sich ausgerechnet mit der Campbell Soup Company (genau, die auf dem Bild von Andy Warhol) auch ein finanzkräftiger Investor. In der Praxis allerdings erwies sich das Birotron als Flop: Erstens war das Gerät noch unzuverlässiger als das Mellotron, zweitens war es sehr schwer zu konstruieren und sprengte alle Budgets und drittens machten die 19 kontinuierlich laufenden Bänder ziemlich viel Lärm – mal ganz abgesehen davon, dass sich die Bänder auch schnell abnutzten. Alles in allem war dieses letzte Gerät vor der digitalen Revolution also ein Rohrkrepierer: obwohl mit über 1000 Vorbestellungen gesegnet und auf der Frankfurter Musikmesse vorgestellt, ging die Firma bankrott, bevor überhaupt ein Modell wirklich auf den Markt kam. Aber dieses Schicksal ereilte ja auch schon viele andere visionäre Firmen vor und nach Birotronics. 

Das Ende

Die Geschichte der analogen Sample Player geht, genau wie die der elektromechanischen Musikinstrumente, mit dem Beginn der digitalen Ära zu Ende. Viel Nostalgie weht um Instrumente wie das Mellotron und in Zeiten, wo Producer ihre Aufnahmen durch eine Bandmaschine schleifen, um ihre Sounds anzuwärmen, erscheint ein Instrument, das von vornherein Tonbänder abspielt, wie ein Traum. Und einige der Anfang der 1980er Jahre untergegangenen Geräte werden heute deshalb auch wieder produziert, wenn auch zumeist als ziemlich hochpreisige Boutique-Instrumente. Die Sounds an sich haben überlebt und werden in unzähligen Samplebibliotheken verkauft, von Kontakt über Nord bis zu den heutigen samplebasierten Hardwarenachbauten. Die Instrumente selbst – da muss man sich heute nichts mehr vormachen – waren schwer, teuer, unzuverlässig und gingen dank komplizierter Mechanik oft kaputt. Insofern ist es wirklich kein Wunder, dass man damals so schnell es ging auf den digitalen Zug aufgesprungen ist. Aber die Faszination bleibt bestehen, das ist keine Frage. 

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