AKG K702 65th Anniversary Limited Edition Test

Praxis

AKGs K702 setzt man auf und macht “Hmmmm…”: Wie ein verschmuster schwarzer Kater streichelt das Velours den Kopf und lässt die gesamte Ohrmuschel unter dem Wulst verschwinden. Wer also sein Außenohr mit Metall verziert, löchert oder sonstwie kunstvoll verändert, kann mit dem 702 einen Hörer finden, der sich dennoch bequem tragen lässt. Selbst wenn Ohrringe lang und dick oder die Tunnels in den Ohrläppchen so groß wie Waschmaschinentrommeln sind, die Polster werden sich sanft wie frischer Januarschnee darüberlegen. Na, wenn das mal nicht poetisch klingt… Aber wirklich: Ich kenne nur wenige Kopfhörer, die ich so gerne so lange auflasse. Ich hatte den 65th Anniversary schon zehn Stunden am Stück auf, mit wirklich nur winzigen Pausen. Er ist aber kein “Nichts”, sondern sorgt für ein behagliches Kopfgefühl. “Gemütlichkeit” ist tatsächlich der passende Begriff, um das Erlebnis zu beschreiben. Selbst bei hohen Temperaturen schwitzt man nicht darunter, durch das einfach, aber gut funktionierende System verteilt sich der (sowieso geringe) Druck der Muscheln und des Überkopfbandes äußerst gut: Bestnote dafür. Natürlich spielt nicht nur die reine Mechanik eine Rolle, sondern auch die Bauform: Unter geschlossenen, ja sogar halbgeschlossenen Phones bekommt man schnell einen Rappel, weil man akustisch gewissermaßen eingeschlossen ist. Es gibt ja Leute, denen das „Abgeschieden sein“ tatsächlich auf das Gemüt schlägt.

Ohrauflage des AKG K702 Anniversary: Ja, das ist kuschelig.
Ohrauflage des AKG K702 Anniversary: Ja, das ist kuschelig.

Zum Testhören habe ich ein paar meiner Standard-Produktionen bereitgelegt, von Klassik bis IDM. Die Referenz, an der sich auch der AKG messen muss, ist ein für Kopfhörer unangenehmer Gegenspieler, den ich auch bei Produkttests benutze, um noch die feinsten akustischen Feinheiten entdecken zu können: ein Elektrostat. Dessen Prinzip ist zwar aufwändig, doch an Impulstreue von dynamischen Systemen so gut wie nicht zu überbieten. Einen klaren Nachteil gibt es natürlich auch: So etwas ist um ein Vielfaches teurer als eigentlich alle dynamischen Oberklassemodelle der gängigen Hersteller.
Doch der K702 Anniversary Edition kann voll überzeugen. Mit ihm auf dem Schädel lässt es sich ermüdungsfrei hören – und zwar wirklich einen ganzen Arbeitstag lang. Der in Werbungen für Schallwandler etwas inflationär benutzte Begriff der Ermüdungsfreiheit stimmt beim AKG also – was Komfort und Klangbild angeht. Viele Phones haben in den Präsenzen kleine Unebenheiten, die das Hören auch bei geringen Pegeln auf Dauer anstrengend werden lassen, weil sie “beißen”. Erstaunlich linear ist er dort, der Österreicher. Die Höhen sind ebenfalls hervorragend, wodurch rauschhafte Bestandteile wie Atmer, Saitensirren, Strömungsgeräusche, aber auch Texturen auf Becken und Rückwürfe von Räumen (oder aus Effektgeräten) sehr gut nachvollzogen werden können. Der Stax-Elektrostatenkopfhörer löst naturgemäß noch ein wenig besser auf, was sich vor allem bei dichtem Material zeigt – etwa, wenn man dort auf (Band-)Rauschen achtet. Sehr gut gefällt mir auch die scharfe Ortbarkeit des Materials. Der Tiefbassbereich kommt mit ordentlich Pfund daher, wirkt aber in keiner Weise übertrieben und bleibt immer natürlich. Dass die Bässe satt und mächtig klingen, macht das Musikhören zu einer wahren Wonne. Für die Beurteilung ist es mir jedoch eine Spur zu breit und nicht ganz trocken genug. Mein Referenzkopfhörer neigt hingegen kein Stück zum Wummern, “rockt” aber anders als der AKG durch seinen klinisch-analytischen Sound überhaupt nicht.

Mit dem K702 kann man problemlos stundenlang hören.
Mit dem K702 kann man problemlos stundenlang hören.

Wo wir beim Rocken sind: Über einen kurzen Zeitraum kann man seiner Seele ja mal auf Kosten der Ohren etwas gönnen… Der AKG K702 ist dazu perfekt, denn auch bei enormen Pegeln macht er keine Anstalten, Verzerrungsprodukte hinzuzufügen oder sich sonstige Unzulänglichkeiten zu leisten.
Was man sich gewiss denken kann: Hätte der handgefertigte Exklusiv-Kopfhörer auch nur die geringsten Anzeichen von nicht perfekter Verarbeitung gezeigt, hätte ich bei AKG den Verantwortlichen das doch recht gewichtige Preisschild des K702 Anniversary Edition um die Ohren gehauen. Es kann ja jeder selbst entscheiden, wie viel mehr er für Special Editions und Handarbeit in der EU auszugeben bereit ist. Nur so viel: Hier kann man dann tatsächlich mal wählen, das finde ich sehr gut. Sind einem solche Sachen egal, kann es ja auch der bewährte Serien-K702 werden.

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T.S. sagt:

#1 - 08.05.2014 um 22:21 Uhr

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Hallo,
ich lese sehr gerne Eure Tests und nun diesen hier auch.
Jedoch fehlt mir als Kopfhörer-Suchender der Vergleich zur Standartversion. Wie schlägt sich der Standart K702 zum Special?
Lohnt sich der Aufpreis klanglich, oder geht es hier nur um Prestige und "Haptik"?

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Nick (bonedo) sagt:

#2 - 09.05.2014 um 12:18 Uhr

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Hallo T.S.,der Anniversary verwendet nicht die gleichen Treiber wie der Standard-702. Sie sind laut AKG anders abgestimmt, selektiert und haben einen weiteren Frequenzgang. Zudem haben auch die verwendeten Ohrpolster Einfluss auf den Klang.Bei AKG heißt es, der 702 Anniversary sei klanglich eher mit dem K712 Pro zu vergleichen.Beste Grüße,
Nick

Profilbild von T.S.

T.S. sagt:

#3 - 15.05.2014 um 12:01 Uhr

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Danke für die Antwort.
Immer etwas verwirrend was AKG da mit "uns" macht…
Eine Frage zum 712 wäre da noch: wie schlägt sich denn der restliche Frequenzbereich durch den besseren Bass? Wird die Klarheit und Differenziertheit weniger? "Müllt" der Bass den anderen Bereich zu?danke für Deine Hilfe!

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