Zurück aus der Gruft. Das Comeback der Gothic Genres

Der Tik-Tok Hype um Molchat Doma oder der immer größere Erfolg von Bands wie Boy Harsher sind ganz klare Indizien für ein stattfindendes Gothic Comeback. Wie kommt es, dass die in den 80er Jahren entstandenen düsteren und kalten Klänge um die Genres Darkwave und Post-Punk sich 40 Jahre später wieder an so großer Beliebtheit erfreuen? Ein Blick auf das Erwachen aus der Gruft und mögliche Gründe für die Wiederbelebung der Toten.

Aus dem Film „Dracula“ (1931)

Ursprünge

Um den aktuellen Erfolg der Gothic Genres zu verstehen lohnt sich ein Blick auf die Vergangenheit und die Ursprünge. Was wir heute verallgemeinert als „Gothic“ bezeichnen ist eigentlich ein großer Zusammenschluss aus Genres wie Post-Punk, Darkwave und Industrial. Prägend ist die besonders düstere und kalte Ästhetik sowohl in Musik als auch im Look. Das inhaltliche Themenfeld reicht von Existenzialismus bis Romantik, Partysongs findet man eher selten.

Post-Punk entstand Ende 70er Jahre als klare Weiterentwickelung Der Punkmusik. Aggressivität und simples Songwriting wurden ausgetauscht durch düstere Klangwelten und und experimentelle Strukturen. Dies jedoch ohne vom DIY und Underground Ansatz abzuweichen. Das Ergebnis waren Alben wie Closer von Joy Division oder ein wenig später Pornography von The Cure. Darkwave nahm dieses Grundgerüst, fügte aber noch mehr Synthesizer Klänge und Hall hinzu. Parallel entstand um Bands wie Nitzer Ebb oder Front 242 eine tanzbare Form des Industrials. Heutzutage gibt es viele aktuelle Bands die all diese Einflüsse in einen modernen Sound verarbeiten der sich als Gothic überkategorisieren lässt.

Möglich war das Entstehen dieser Genres einerseits durch zugänglichere Musiktechnologien, wie Effekte oder Synthesizer, und den damals herrschenden Zeitgeist. Gesellschaftliche Umstände wie der kalte Krieg oder die Thatcher Ära haben viel Missmut in der Gesellschaft ausgelöst. Dieser wollte durch düstere Klänge Gehör finden. Beides sind Faktoren die auch in heutiger Zeit zu beobachten sind und zum Gothic Comeback beisteuern.

Die Weiterentwicklung der DAWs und der damit kleiner Werdende Zugang zum Musizieren ermöglicht es jeder Person mit Laptop Musik zu schreiben und sie dann zu veröffentlichen. Gerade die Produktion von synthlastigen Genres wie Darkwave wird durch die digitale Musikproduktion erheblich einfacher. Es ist kein teurer Hardwaresynth mehr nötig, vielmehr findet man alles Benötigte in einem Programm. Gleichzeitig leben wir in einer Zeit geprägt von Klimawandel, dem Nachhall einer globalen Pandemie und scheinbar irren Millionären die über unsere Zukunft entscheiden. Themen wie Zukunftsängste und Isolation müssen Ausdruck finden, und warum soll man sich nicht an den Pionieren dieser Gefilde orientieren?

Popkultur

Auch Abseits der Musik findet man ein Comeback des Gothics. Serien wie Stranger Things sind schon seit 2016 unter Anderem wegen des starken 80er Jahre Feelings beliebt. Post-Punk Songs wie um Beispiel Atmosphere von Joy Division erreichen so vor allem junge Hörer*innen die so einen Zugang zu ähnlicher Musik erhalten. Die Horrorcomedy Serie Wednesday aus dem Jahr 2022 treibt die Darstellung der Gothic Ästhetik noch weiter. Das aktuellste Beispiel wäre die Neuverfilmung von „Nosferatu“ von Robert Eggers. Aus der Beliebtheit der Serien und Filme folgt ein Hype auf Social-Media und die Codes der Szene werden reproduziert.

Die Fashion-Welt blieb ebenfalls nicht unberührt vom Gothic Comeback. Hashtags wie z.B „Dark Academia“ erfreuen sich auf Social Media großer Beliebtheit. Schaut man sich die darunter geführten Beiträge an findet man Personen die Aussehen wie Dead Can Dance in ihren jungen Jahren. Da wir heutzutage eine unwirklich große Menge an Informationen in unserer Hosentasche transportieren können, fällt es jungen Menschen immer leichter die Szene und Musik zu finden die zu ihnen passt.

Der dadurch generierte Traffic fällt auch großen Popstars Wie „The Weekend“ auf. In seinem Hit After Hours aus dem Jahr 2020 lassen viele Elemente auf eine Inspiration aus den Gothic Genres schließen. Auch der dunkle Look wird von einigen großen der Industrie reproduziert. Schaut man sich die Albumcover von z.B. Ethel Cain an, würde man fasst vermuten man findet sie auf dem Lineup des WGT.

Social Media

Wie bei so gut wie allen gesellschaftlichen Themen darf man auch beim Gothic Comeback den Einfluss von Social Media nicht außer Acht lassen. Die dort vorhandene Kultur der Individualisierung zeigt uns oft perfekte, sauber Lebensrealitäten ohne Ecken und Kanten. Und wie immer wenn es eine Kultur gibt: es entsteht eine Gegenkultur. Die optisch vom Punk und inhaltlich vom Existenzialismus inspirierte Gruftiwelt ist die perfekte Art sich gegen die makellose Welt von Instagram und Co zu stellen. Es ist quasi Anti-Influencer.

Ab August 2020 ging der Song Судн von Molchat Doma auf Tik-Tok viral. Meist unterlegte er Videos mit Akteuren in Gothic-inspirierten Outfits umgeben von desolaten Stadtlandschaften. Schaut man sich nun ein paar Jahre später den aktuellen Status auf den Social-Media Plattformen an, kann man beobachten, dass Hashtags wie #gothtok oder #darkfashion absolut im Trend sind.

Natürlich könnte man argumentieren, dass durch die Natur der Social-Medias dieser anfängliche Ansatz zu Gegenkultur verloren gehen kann. Dies mag durch einige Gothic-Influencer mit teils abstrus wirkenden Videos bestätigt sein, jedoch darf man die Nebeneffekte davon nicht vergessen. Viele Menschen, auch wenn Sie mit der Musik und Szene nichts zu tun haben, werden so erstmalig mit Inhalten aus dem Gothic Bereich konfrontiert. Viele werden dies nicht weiter hinterfragen und Gothic weiter als reinen Kleidungsstil wahrnehmen. Parallel gibt es aber immer die Leute, die mehr Interesse entwickeln und sich mit der Gothic Szene identifizieren können. Diese werden sich tiefer mit der Geschichte und den Hintergründen beschäftigen. Und wer weiß vielleicht stößt dieser kleine Bruchteil aber auf Musik wie Einstürzende Neubauten oder DAF und schreibt so die Grufti Hymnen der Zukunft.

Was Social Media übrigens noch mit Musiker*innen macht könnt ihr hier nachlesen

Fazit

Das Gothic Comeback der letzten Jahre wird beeinflusst von einer großen Dynamik aus gesellschaftlichen Entwicklungen, technologischen Innovationen und dem Austausch auf Social Media. Nicht immer bezeichnen sich Menschen aus musikalischem Interesse als Goth. Jedoch zeigen die Entwicklungen in Genres Post-Punk und Darkwave einen klaren Anstieg der Hörer*innen und Artists. Gothic ist von den Toten auferstanden und ist bereit sich dem aktuellen Zeitgeist anzupassen. Zum Abschluss noch eine Playlists mit aktuellen Gothic Artists:

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Aus dem Film „Dracula“ (1931)

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