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Orange Tiny Terror Test

Kürzlich erzählte mir ein Kollege, dass er im nächsten Leben Querflöte spielen oder Sänger werden möchte. Man muss nicht viel mit sich herumschleppen, kann mit der Bahn fahren und ist nach dem Gig als erster fertig. Ein guter Sound und Hosenflattern beim Gitarrespielen haben eben ihren Preis. Das geht einfach nicht mit kleinem Besteck. Da muss ein ordentlicher Röhren-Amp mit der entsprechenden Box her – und ein solches Setup kann man nun einmal nicht so einfach in öffentlichen Verkehrmitteln mitnehmen. Dazu kommt noch, dass man immer recht höflich zu seinen Kollegen sein muss um sicher zu stellen, dass diese dann auch nach dem Gig beim Schleppen helfen. Einige Konstrukteure der Verstärkerhersteller haben Hilferufe dieser Art erhört bzw. sind in der gleichen Situation wie mein Kollege und haben versucht, einen Kompromiss zu finden: Amps, die klein und tragbar, aber immer noch laut genug sind, um auch in der Band gegen Schlagzeug und Bass einen guten Schnitt zu machen. Einen Vertreter dieser Gattung aus der britischen Amp-Manufaktur Orange haben wir eingefangen und ausgiebig auf Lautstärke und Handlichkeit überprüft. Seine Name lässt zumindest schon viel hoffen: Tiny Terror!

Bedenkt man, dass Orange ein renommierter britischer Verstärker-Hersteller ist, der die Rock´n´Roll-Bühnen dieser Erde schon seit 1968 mit seinen Amps bestückt, setzen die Erwartungen an den Terror-Zwerg zugegebenermaßen ziemlich hoch an. Bekannt geworden sind die Verstärker durch den einzigartig satten Ton, der einer kompromisslosen Röhrenschaltung und der daraus resultierenden Endstufenverzerrung zu verdanken ist. Orange-Verstärker begannen also erst zu zerren, wenn man die Endstufe in die Sättigung trieb. Die nötigen Lautstärke-Level waren zwar hoch, das Ergebnis aber ein Traum aus Dynamik und Punch. Auch optisch sind die Amps durch ihren orangenen (was sonst!) Vinyl-Bezug und den Schriftzug im typischen Seventies-Style extrem auffällig. In den 70er Jahren spielten unter anderem Jimmy Page (Led Zeppelin), Billy Gibbons (ZZ Top) und Tony Iommi (Black Sabbath) die orangenen Krachmacher. In den 80ern wurde es etwas leiser um die Briten – seit den 90ern sind die farbenfrohen Verstärker aber wieder voll angesagt und werden auch wieder im alten Design hergestellt. Gerade im Brit-Rock und Alternative-Bereich ist Orange Kult. Von Oasis bis zu den Kaiser Chiefs stehen die tönenden „Orangenkisten“ auf der Bühne – und zwar immer dann, wenn es um druckvolle Clean-Sounds geht. Man kann also schon mal mit ruhigem Gewissen davon ausgehen, dass die Herren Techniker von der Insel wissen, was Gitarristen hören wollen, wenn sie nach einem kleinen Verstärker fragen. Ob das Klassenziel erreicht wurde, erfahrt ihr im folgenden Test des Terror-Zwergs.

Orange-TinyTerror-and-Back-Pack
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Rein optisch betrachtet  macht der „Kleine“ seinem Familien-Namen allerdings keine Ehre, denn ein mit orangenem  Vinyl überzogenes Holzgehäuse sucht man hier vergebens. Und das ist in diesem Falls auch gut so, denn ansonsten wäre der erste Teil der Aufgabenstellung (klein und leicht) wahrscheinlich schwer zu erfüllen gewesen.

Stattdessen verbirgt der Tiny Terror seine Innereien in einem komplett weißen Stahlblechgehäuse (ca. 1,5mm stark). Der Amp ruht auf vier stabilen, relativ hohen Gummifüßen, so dass eine sehr gute Standfestigkeit gewährleistet ist, wenn man den Verstärker z.B. auf einer Box abstellt deren Tragegriff sich an der Oberseite befindet. Er bringt schlanke 5,7 Kilo auf die Waage – das lässt sich noch gut tragen. Allerdings kann es beim Absolvieren weiter Strecken zu Fuß etwas schwierig werden, da der Metall-Tragegriff recht schmal ist und so auf Dauer Schmerzen in der Hand verursacht – und die wird ja noch für weitere Höchstleistungen benötigt. Aber keine Sorge, auch hier wurde mitgedacht, denn die mitgelieferte Tasche (übrigens sehr gut gepolstert und absolut roadtauglich) hat einen Schultergurt, und somit ist der Transport überhaupt kein Problem. Das Gehäuse ist mit zehn Schrauben mit dem Chassis (ebenfalls aus Stahlblech) verschraubt. Darin befinden sich die Elektronik und die Röhren. In der Endstufe schuften zwei EL84 in Class-A Schaltung. Die Vorstufe wird durch zwei ECC83 Röhren „beleuchtet“. Das Gehäuse ist mit üppig bemessenen Lüftungsschlitzen versehen, so dass eine ausreichend gute Belüftung der Röhren gewährleistet ist.

BEDIENPANEL

Orange-Tiny-Terror_front_detail

Auf der Frontseite des Amps sehen wir oben den typischen Orange-Schriftzug, darunter sind die Bezeichnungen der Schalter und Regler aufgedruckt, einmal mit den Symbolen, die Orange schon seit Jahrzehnten für die verschiedenen Amp-Funktionen benutzt und einmal standardmäßig ausgeschrieben.
Das Bedienfeld ist sehr spartanisch ausgestattet. Auf der linken Seite sind die beiden Schalter für Power und Standby untergebracht. Der Standby-Schalter bietet  drei Möglichkeiten: In der Mittelstellung ist der Standby-Modus aktiv, bewegt man den Schalter nach oben, leistet der Amp 15 Watt, nach unten gedrückt, wird die Leistung auf 7 Watt reduziert. Rechts daneben stehen die Regler für Volume, Tone und Gain Schlange. Ganz rechts  ist die Input-Buchse zum Anschluss der Gitarre positioniert. That´s it!

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RÜCKSEITE
Die Rückseite gibt sich ebenfalls recht übersichtlich. Auf der linken Seite befinden sich die drei Lautsprecher- Buchsen (Klinke, 8Ω/8Ω/16Ω), rechts ist die Buchse für das Netzkabel angebracht – das war´s! Kein Fußschalter, kein Effekteinschleifweg, etc. Nur das Wesentliche – das ist auch völlig in Ordnung für diese Art der Konzeption.

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PRAXIS
Vorab gibt es schon mal ein dickes Lob für das Zubehör des Kleinen. Der wird nämlich in einem Gigbag mit Seitentasche, ausreichend groß für Netzkabel und Lautsprecherkabel, geliefert. Die Tasche ist sehr gut gepolstert, entsprechend gut geschützt kann der Tiny Terror also in der Bahn, dem Auto und dem Bandbus verreisen. Dann gibt es noch ein Netzkabel, eine Bedienungsanleitung sucht man vergebens. Aber die ist auch eigentlich nicht notwendig. Dennoch wäre ein kleiner „Beipackzettel“ gar nicht so verkehrt, denn man sollte  schon wissen, dass ein Röhrenverstärker immer mit Lautsprecherbox (die richtige Impedanz einstellen!) betrieben werden muss und dass man nach dem Einschalten die Röhren vorglühen lassen soll, bevor man  den Standby-Schalter auf „On“ stellt.  Das werde ich jetzt auch tun, damit ich euch die wichtigste aller Fragen – „issser laut genug???“ –  beantworten kann.

15 Watt klingt ja eigentlich nach ziemlich wenig. Wenn man aber bedenkt, dass 15 Watt  auch die Hälfte der Leistung eines AC30 sind, sieht die Sache doch schon anders aus. Hier geht es nämlich um Schalldruck und deshalb sollte die Frage eigentlich etwas präziser formuliert werden. Ich persönlich teile Verstärker grundsätzlich in vier Kategorien ein: 

  1. Amps, die man nur zu Hause spielt.
  2. Amps, die man in Proberaumlautstärke spielen kann, wenn Schlagzeuger und Bassist mitspielen.
  3. Amps, die man auf der Bühne spielen kann.
  4. Amps, die man auf der Bühne spielen kann und die nicht abgenommen werden müssen.

Selbstverständlich sind die Vorstellungen von Zimmer- und Bühnen-Lautstärke je nach Musikrichtung und Mensch unterschiedlich, aber nehmen wir doch einfach mal einen Mittelwert. So, jetzt spanne ich euch aber nicht mehr weiter auf die Folter, sondern lasse die Katze aus dem Sack. Der Tiny Terror gehört zur Kategorie 2-3. Er gibt ein ordentliches Lautstärke-Level ab, mit dem man sich locker gegen Bass und Schlagzeug durchsetzen kann. Allerdings muss man hier und da ein paar Abstriche machen, die ich im Folgenden etwas genauer erläutern werde.

Audio Samples
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Clean

Wir beginnen wie immer mit den Clean-Sounds und arbeiten uns dann in Richtung Verzerrung und HiGain vor. Stellt man den Gain-Regler auf 10 Uhr,  hat man den Punkt erwischt, an dem der Sound gerade noch unverzerrt ist. Der Volume-Regler steht auf 17 Uhr (voll aufgedreht), aber die Lautstärke reicht in diesem Setting leider nicht für den Einsatz in der Band. Für Aufnahmen geht sie allerdings völlig in Ordnung, vor allem, weil der Sound des Tiny Terror immer einen leicht dreckigen Charakter hat. Er liefert nicht diesen typisch crisp und klar klingenden Ton eines Fender Amps, sondern einen eher mittenbetonten Grund-Sound britischer Natur! Das Beispiel wurde mit einer Strat eingespielt.

Jetzt wird der Gain-Regler ein Stück weit höher eingestellt (11 Uhr), und wir erhalten den typischen angezerrten Crunch-Sound, der bei leichtem Anschlag fast clean klingt.

Audio Samples
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Stevie

In dieser Einstellung haben wir  dann auch eine Lautstärke erreicht, mit der wir in der Band mithalten können. Eine Sache fällt aber trotzdem negativ auf: Die Basswiedergabe ist doch recht bescheiden. Ich habe den Verstärker an eine offene 1×12“ Box angeschlossen, und es fehlt etwas Schub untenherum, den ich von anderen Amps über diese Box gewohnt bin. Über eine 4×12“ Box klingt das natürlich schon viel satter, aber wenn man doch mit kleinem (Reise-)Besteck arbeiten möchte, dann muss man dieses Manko leider in Kauf nehmen. Benutzt man den Amp zum Recording, ist das Problem meines Erachtens gar nicht so tragisch, denn beim Abmischen werden die tiefen Frequenzen aus dem Gitarren-Sound doch sehr häufig herausgefiltert, um den Mix etwas schlanker und aufgeräumter klingen zu lassen.

Audio Samples
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Young

Bei gleicher Gain-Einstellung wird jetzt die SG angeschlossen, und der Sound bekommt noch einen Hauch mehr Schärfe. AC/DC lässt grüßen, und man merkt, dass auch die Endstufe jetzt einiges zu tun bekommt. Die Kompression der Endstufe (Volume voll aufgedreht, Gain auf 12 Uhr) greift dezent hörbar ins Geschehen ein. Derartig kompakte Sounds lassen sich mit einem Verstärker, dessen Endstufe nur wenig aufgedreht ist, schwer erreichen.

Audio Samples
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Tele Crunch

Beim nächsten Beispiel wird deutlich, wie harmonisch und geschmeidig der Tiny Terror in die Verzerrung geht. Hier wird wirklich jede Nuance des Gitarrenspiels 1 zu 1 übertragen. Ich habe eine Tele angeschlossen (Halspickup), Gain auf 12 Uhr und den Tone-Regler auf 9 Uhr eingestellt.

Der Tone-Regler hebt bzw. senkt den Höhenbereich im kleinen Rahmen. Mit seiner Unterstützung können also lediglich Feinabstimmungen vorgenommen werden, extreme EQ-Settings, wie der typische Mid-Scoop Sound für den Metal-Bereich sind hier nicht möglich. Wo wir aber schon beim Thema Metal sind… Ihr denkt vielleicht, der kleine Orange ist so ein Amp für Rentner, die in ihren Hobbykeller-Blues spielen möchten, wenige Regler bedienen wollen – und das ganze bitte nicht so sehr laut… Falsch gedacht! Hier ist ein kleiner Wolf im Schafspelz am Start.

Audio Samples
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Heavy Riff

Beim nächsten Beispiel wird der Gain-Regler voll aufgedreht. Mit der entsprechenden Humbucker-Power einer Les Paul lässt sich aus dem kleinen Giftzwerg ein sehr ordentlicher Distortion-Sound herauskitzeln, sehr gut geeignet für tiefe Riffs. Selbst bei hohen Gain-Einstellungen wird der Klang niemals matschig, und die Verzerrung bleibt immer harmonisch und dynamisch.

Auch heruntergestimmte Gitarren-Sounds verkraftet der Kleine ohne Mühe. Die Wiedergabe von Akkorden ist auch in diesem Verzerrungsbereich außerordentlich gut. Wir hören die SG in Drop D-Tuning bei voll aufgedrehtem Gain.

Audio Samples
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SG Riff

Mit angeschlossener Les Paul und Gain auf Rechtsanschlag wird die Akkordverständlichkeit überprüft. Die Akkorde E, G, D, A werden nacheinander angeschlagen und sollten auch noch als solche zu erkennen sein (Chords).

Audio Samples
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Chords Dyna Poti

Sehr gute Verzerrung und sehr gute Akkordverständlichkeit! Als nächstes kommen noch die Tests zum Thema Dynamik. Wiederum ist der Gain-Regler voll aufgedreht und ich spiele eine kleine Passage mit zurück gedrehtem Volume-Regler an der Gitarre (Strat). Anschließend wird der Volume-Regler voll aufgedreht (Dyna Poti).
Alle Achtung, der Verstärker hat eine sehr große dynamische Bandbreite. Hier kommen Blues-Spieler und Vintage-Tone-Liebhaber voll auf ihre Kosten und werden garantiert ihren Spaß haben.

Weiter geht es mit der Anschlagsdynamik. Wie reagiert der Amp, wenn man leicht mit den Fingern und dann  hart mit dem Pick anschlägt. Wir hören!

Audio Samples
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Dyna Pick

Respekt! Alle Anschlagsstärken und Klangnuancen werden hundertprozentig übertragen. So will man das hören. Keine weiteren Fragen!

Audio Samples
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Lead

Zum Schluss noch ein Beispiel für einen Lead-Sound mit der Les Paul. Auch hier zeigt der Tiny Terror seinen eigenen Charakter. Der Hochmitten-Bereich ist angehoben, der Sound etwas aggressiv und bissig, aber von sehr guter Durchsetzungskraft – und das ist schließlich sehr wichtig beim Solo.

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FAZIT
Von wegen Wohnzimmer-Amp…. Der kleine Blechkasten macht richtig Lärm – und damit seinem Namen alle Ehre. In der Band und auf kleinen Bühnen kann man den Kollegen auf jeden Fall einsetzen. Vom Grund-Sound ist der  Amp eher als bissig-aggressiv zu beschreiben und eignet sich  deshalb auch besonders für härtere musikalische Einsätze. Selbst bei geringen Lautstärken kippt der Ton wunderbar in den Obertonbereich und fängt an, zu singen. Die Verarbeitung und Ausstattung lässt keine Wünsche offen, und auch als Recording-Amp ist der Verstärker sehr gut und vor allem vielseitig einsetzbar. Durch die Möglichkeit, zwischen 7 und 15 Watt Leistung umschalten zu können, kann man bereits bei niedrigen Lautstärken die Kompression der Endstufe zur Erzeugung eines satten Recording-Sounds nutzen. Einziges Manko für den Bühnenbetrieb ist die zu schwache Wiedergabe des Bassbereichs. Das Preis/Leistungs-Verhältnis ist gut.

Orange-TinyTerror_Perspektive
Unser Fazit:
3,5 / 5
Pro
  • Sound
  • Gain
  • Dynamik, Ansprache
  • Lautstärke
Contra
  • schwache Wiedergabe im Bassbereich
Artikelbild
Orange Tiny Terror Test
Für 466,00€ bei
Technische Daten Orange Tiny Terror
  • Hersteller: Orange
  • Modell: Tiny Terror
  • Typ: Gitarrenverstärker Topteil
  • Ausgangsleistung: 7/15 W RMS
  • Röhrenbestückung: 2x EL84, 2x ECC83S
  • Gleichrichter: Röhrengleichrichtung
  • Bedienfeld: Gain-, Tone-, Volume-Regler, Power-, Standby-Schalter, Input-Buchse
  • Rückseite: 3 Lautsprecher-Buchsen, Netzteil-Anschluss
  • Abmessungen: ca. 305 x 158 x 132 mm (B x H x T)
  • Gewicht: ca. 5,8 kg
  • Lieferumfang: Gepolsterte Tragetasche mit Schultergurt, Netzkabel
  • Preis: 499 Euro
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