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Musik und Strom #1


Wir fangen von vorne an. Ein Jesuitenpater, Paris 1759.

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Wir beginnen mit dem ersten elektronischen Musikinstrument und kommen dann über Telefon, Schallplattenspieler, Theremin, Trautonium und Hammond Organ nach Paris zu Pierre Schaeffer und seiner Musique concrète. Dann nach Australien, wo 1951 der erste Computer Piep sagte. Es folgen die großen elektronischen Studios der 1950/60er Jahre mit Max Matthews, Karlheinz Stockhausen und John Cage. Und endlich Bob Moog, Walter Carlos und Donald Buchla und damit die Synthesizer, wie wir sie heute kennen. 

Kam dann noch was? Ach so, ja: Live-Elektronik, MIDI, die Digitale Revolution, Sampling, mp3, virtuell analoge Synthesizer, die Wiederkehr der „echten“ analogen und schließlich die völlige Vermischung von digital/analog, erzeugt/aufgenommen, gespielt/abgespielt. Aber was war noch mal das Analoge bei analogen Instrumenten? Wieso heißt mein Wandler jetzt Interface? Und was hat eine B3 mit Fourier-Analyse zu tun? 

1759 – Das Clavessin électrique

Jean-Baptiste Delaborde war katholischer Priester und Erfinder. Er erfand das erste Musikinstrument, das in irgendeiner Form Elektrizität verwendete, das Clavessin électrique (oder Clavecin électrique). Ob das jetzt genau 1759 oder 1760 war, wie man es lesen kann, und wie der Erfinder genau heißt, weiß man alles nicht so genau. Aber weil das „elektrische Cembalo“ und alle Unterlagen in der französischen Nationalbibliothek stehen, weiß man wenigstens, wie alles funktioniert hat. Das „elektrische“ am Clavessin électrique war die Klaviatur, die zwei Oktaven umfasste: Durch Reibung entstand elektrischer Strom, der kleine Hämmer in Bewegung setzte. Die Hämmer schlugen dann auf kleine Glocken. Das Instrument war also eigentlich ein Glockenspiel, das mithilfe der Elektrizität bedient wurde.

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Streng genommen hat Jean-Baptiste Delaborde damit nicht die elektrische Klangerzeugung erfunden, sondern das erste elektrische Interface. Bis elektrische Spannung in Schall umgesetzt werden konnte (und andersherum), vergingen noch mal 100 Jahre. Bei der Erfindung des Telefons um 1860 passierte das nämlich ganz nebenbei. Manchmal wird behauptet, dass das erste elektrische Instrument das Denis d’or eines gewissen Procopius Diviß aus dem Jahr 1730 gewesen sein soll. Dabei handelt es sich aber eher um eine Art monströses Klavier mit 790 Saiten, das als besonderen Spaß dem Spieler manchmal einen kleinen elektrischen Schlag versetzte. Tja, so war das in Barock und Rokoko – Spiel und Spaß mit Elektrizität.

Exkurs: Das Interface

Ein MIDI-Keyboard, der Bildschirm eines Computers und eine externe Soundkarte sind völlig verschiedene Dinge, wieso heißen die bitte alle Interface? Erstmal: Das Wort Interface ist zwar Englisch, hat aber lateinische Wurzeln und hat mit einem Gesicht überhaupt nichts zu tun (inter = zwischen, facere = ausüben / errichten). Auf Deutsch ist das einfach eine Schnittstelle. Aber was ist eine Schnittstelle? Die hat ja wohl kaum was mit Schneiden zu tun?

Wir schauen uns einfach mal den Aufbau eines Computers an, dann wird es schnell klar. Ein Computer besteht im Kern aus dem rechnenden Prozessor. Wenn der Prozessor und ich uns aber so ansehen, passiert erstmal gar nichts. Der Prozessor weiß nicht, was ich denke, und ich denke, wieso denkt der nichts. Wir haben keine Möglichkeit zu kommunizieren. Deshalb setze ich den Prozessor auf eine Platine, und zwar auf das Mutterschiff aller Platinen, das Motherboard (dt.: Hauptplatine). Und jetzt wird angebaut, und zwar Kommunikationswege. Üblicherweise sind das:

  • ein Eingabegerät (Tastatur, über Tastaturanschluss)
  • noch ein Eingabegerät (Maus, über Mausanschluss)
  • ein Ausgabegerät (Drucker, über Druckeranschluss)
  • noch ein Ausgabegerät (Bildschirm, über Videokarte)
  • und noch ein Ausgabegerät (Lautsprecher, über Soundkarte)

Die Ein- und Ausgabegeräte ermöglichen den zwei Systemen Mensch und Computer miteinander zu kommunizieren – es sind Mensch/Maschine-Schnittstellen. Genauso wie ein MIDI-Keyboard mir (dem Menschen) ermöglicht, dem angeschlossenen Soundmodul zu sagen, welchen Ton es spielen soll. Oder wie die gesamte Oberfläche eines Synthesizers mir Möglichkeiten gibt, ihn zu kontrollieren, sprich: mit ihm zu kommunizieren.

Grundsätze sind dabei: Mensch/Maschine-Schnittstellen werden fast nur mit den Fingern bedient. Maschine/Mensch-Schnittstellen sind fast immer zum Sehen (Drucker, Bildschirm) und zum Hören (Lautsprecher). Mensch/Mensch- und Maschine/Maschine-Schnittstellen sind fast immer Steckverbindungen. Weshalb Kabelanschlüsse folgerichtig Männchen oder Weibchen genannt werden.

Früher waren alle Schnittstellen eines Computers nur für eine Sache zu gebrauchen: der Druckeranschluss nur für den Drucker, der Mausanschluss nur für die Maus. Heute kann man fast alle Sachen an einen USB- oder Firewire-Anschluss hängen. Nicht umsonst steht das U in USB für “Universal”. Und wenn die eingebaute Soundkarte meines Computers zu schlecht ist (wenn er denn überhaupt eine hat), hänge ich eben eine gute Soundkarte an den USB- oder Firewire-Anschluss. Das ist dann ein externes (weil nicht innerhalb des Computergehäuses) Audio-Interface.

1876/1877 – Telefon und Phonograph (Mikrofon, Lautsprecher, Verstärker, Oszilloskop)

In den zwanzig Jahren, die von den ersten Versuchen bis zur Marktreife von Telefon (1876) und Plattenspieler (1877) vergingen, wurden viele grundlegende Erfindungen gemacht, die elektronische Musik überhaupt ermöglichen.

Als im März 1857 der Franzose Édouard-Léon Scott de Martinville das erste Mal eine Tonaufzeichnung machte, hatte er gar nicht vor, seine Aufnahme wieder abzuspielen. Er interessierte sich lediglich für die Visualisierung von Klang und schaffte es, die Schwingungen einer Membran mit einer Schweineborste auf eine rußgeschwärzte Platte zu kratzen. Damit hatte er den Oszillographen erfunden! Genau diese allererste Aufnahme der Welt kann man übrigens seit März 2008 unter www.firstsounds.org anhören.

Wer das Telefon erfunden hat, ist bis heute umstritten. Für uns entscheidend ist, dass damit gleichzeitig Mikrofon, Lautsprecher und Verstärker erfunden wurden – im Hörer und in der Sprechmuschel. Dazu muss man wissen, dass Mikrofon und Lautsprecher genau das gleiche sind, nur anders herum. Im Mikrofon wird Schall über eine Membran und einen elektrischen Leiter in sehr kleine elektrische Spannung umgewandelt, im Lautsprecher wird das Ganze umgedreht. Mikrofon und Lautsprecher sind also beides Schallwandler. Jetzt noch ein Kupferkabel dazwischen und schon kann man Klang übertragen.

Da die Spannung in dem Kupferkabel aber so klein ist, dass sie nicht in der Lage ist, eine Lautsprecher-Membran zu bewegen, muss das Signal verstärkt werden. Bevor das Signal also in den Lautsprecher gelangt, geht es erst noch durch einen Verstärker. Allerdings darf man diese frühesten Verstärker nicht mit den heutigen elektrischen Verstärkern vergleichen, die gibt es erst seit 1920. Aber für einen Telefonhörer hat’s gereicht.

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Exkurs: Wie funktioniert eine Schallplatte, oder: Was ist eigentlich ein Oszilloskop?

Das Prinzip der Schallplatte ist einfach, aber die technische Umsetzung ist ziemlich schwierig. Wie beim Telefon wird Schall in ein elektrisches Signal umgewandelt. Dieses Signal wird dann aber nicht über Kabel an einen anderen Ort geleitet, sondern mit einer Nadel auf einen Untergrund übertragen. 1857 waren das eben noch Schweineborste und Rußwalze, danach Wachs und Schellack.

Erst 1948 wird die Vinylschallplatte erfunden, die von einer Diamantnadel abgetastet wird. Die Bewegung der Nadel in der Rille entspricht dabei genau dem, was man in einem Oszilloskop sehen kann, allerdings um 90° gedreht. Je weiter die Nadel innerhalb der Rille horizontal ausgelenkt wird, desto lauter ist die Musik. Bei einem Oszilloskop wird die Lautstärke an der Y-Achse gemessen, also vertikal. Würde die Schallplattennadel mit Tinte auf einem Blatt Papier schreiben, könnten wir das gleiche Bild sehen wie auf dem Oszilloskop.

Fotostrecke: 2 Bilder Edison Standard Phonograph mit Wachswalze, um 1900…

Der Unterschied zwischen einem Oszillographen und einem Oszilloskop besteht nur darin, dass der Oszillograph das ganze Stück abbildet, das Oszilloskop dagegen nur einen Bruchteil davon. Wenn man ein Instrument bauen könnte, das in der Lage wäre, genau das zu spielen, was man auf dem Oszilloskop sieht, dann könnte dieses Instrument alles spielen, was man aufnehmen kann: ein Orchesterstück von Tschaikowsky, ein Containerschiff, das Brusttrommeln eines Gorillas… Aber keine Sorge, es dauert nur noch 100 Jahre bis zur Entwicklung des Fairlight CMI.

1876 – Der Musical Telegraph (Oszillator)

Im Streit, wer denn nun das Telefon erfunden hat, gibt es einen großen Verlierer, und das ist Elisha Gray. Ob der früher oder später als Graham Bell beim Patentamt war – egal, Bell war am Ende der Erfinder der Gelddruckmaschine Telefon (und die Bell Laboratories werden uns 1957 wieder begegnen), aber Elisha Gray ging wenigstens in die Musikgeschichte ein, weil er zufällig (!) entdeckte, wie er den Klang einer selbstschwingenden elektronischen Schaltung kontrollieren konnte. Weil aber eine selbstschwingende elektronische Schaltung nichts anderes ist als ein Oszillator, hat Gray damit die elektrische Klangerzeugung erfunden.

Eigentlich war Gray auf der Suche, wie man über eine Leitung mehr Nachrichten als mit dem bisherigen, monofonen Morse-Telegraphen senden kann. So entwickelte Gray erstmal einen achttönigen Telegraphen. Schließlich baute er das Ganze auf 24 Töne aus, setzte eine Klaviertastatur davor und später auch noch einen passenden Lautsprecher dazu. Dann nannte er das ganze „Musical Telegraph“ und ging damit Tournee. Und spielte 1877 das wohl erste Konzert mit elektronischer Musik überhaupt.

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1897 – Das Telharmonium

Um das 200 Tonnen schwere Telharmonium von Thaddeus Cahill zu transportieren waren 30 Eisenbahnwaggons nötig – ein unschlagbarer Rekord. Aber die drei zwischen 1897 und 1911 konstruierten Instrumente waren nicht nur monumental, sondern auch genial. Die Tonerzeugung war so flexibel, dass erst Instrumente der 1950er Jahre mithalten konnten. Die Manuale umfassten sieben Oktaven, wobei jede Oktave in 36 Töne unterteilt wurde, die von 40-4000 Hz gestimmt werden konnten. Das Instrument wurde üblicherweise von zwei Spielern vierhändig gespielt und war in reiner Intonation gestimmt.

Fotostrecke: 3 Bilder Das “Telharmonium” in der “Telharmonium Hall”, New York City

Das Telharmonium arbeitete mit Rotoren und Zahnrädern, weshalb es auch Dynamophon genannt wird. Die Anzahl der Zähne und die Rotationsgeschwindigkeit bestimmten dabei die Tonhöhe. Da der elektrische Verstärker noch nicht erfunden war, musste das Instrument die ganze Leistung selber erzeugen – jeder der Tongeneratoren war ein kompletter Stromgenerator. Aus diesem Grund gab es zu der allein schon riesigen Konsole noch einen viel riesigeren Unterbau.

Einerseits war das Telharmonium ein Erfolg, denn die Konzerte in der Telharmonium Hall in New York City waren ein einzigartiges Spektakel. Es gab aber auch viele Probleme, welche die weitreichenden Ziele von Cahill und seiner ‘New England Electric Music Company’ zunichtemachten. So sollte ‘Telharmony’ über das Telefon in Hotels, Restaurants, Theater und auch Privathäuser übertragen werden. Die Telefonleitungen waren aber noch nicht abgeschirmt genug und es gab Beschwerden, dass man immer Musik hören musste, wenn man telefonierte. Außerdem wurden das Radio und der elektrische Verstärker erfunden und machten dem Telharmonium seinen Rang streitig. Und nicht zuletzt war das Telharmonium sehr schwer zu spielen, denn die Pianisten kamen mit der 36-tönigen Oktave nicht klar.

Wieso das Telharmonium aber so viele Tasten brauchte, hat mit einem gewissen Jean Baptiste Joseph Fourier zu tun. Der war mit Napoleon in Ägypten, legte in Frankreich Sümpfe trocken und erfand nebenbei auch noch die Fourieranalyse. Darum geht es in Folge 2 unserer Reihe zur Geschichte der Musikelektronik!

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