Der Osmose der kleinen französischen Firma Expressive E ist ein polyphoner Synthesizer mit einer neuartigen Tastatur in drei Dimensionen. Konkret heißt das, dass Expressive E etwas geschafft hat, was sich Keyboarder seit Jahrhunderten wünschen: eine Tastatur, bei der man die Tasten nicht nur vertikal sondern auch horizontal bewegen kann. Auf diese Weise ist es möglich, wie ein Streicher oder eine Gitarristin Vibrato zu spielen – einfach mit dem Finger.

Damit ist auch schon klar, dass der Osmose ein MPE Gerät ist. Wir erinnern uns: bei einem MPE Controller wird bei Anschlag nicht einfach ein Envelope abgefeuert, der dann stur durchläuft, sondern man hat es viel mehr mit einem Drucksensor zu tun. Auf diese Art kann die Lautstärke durchgehend kontrolliert werden, und vor allem auch ganz sanft angeschlagen werden. Dazu kommt dann polyphoner Aftertouch und beim Osmose jetzt eben auch noch die verschiebbaren Tasten. Wir haben uns das inzwischen ausgereifte Instrument in der Version 2.1 angesehen und auf Herz, Nieren und Anschlag getestet.


Expressive É Osmose: Design & Verarbeitung
Der Expressive E Osmose, das muss man jetzt einfach mal so direkt sagen, sieht absolut klasse, edel und elegant aus. Das Gerät ruht in einem ausgesprochen soliden Metallchassis aus leicht angerautem, schwarzen Metall. In dieses Chassis sind die Verbindungen eingelassen: vorne links der Kopfhörerausgang mit eigenem, versenkbarem Lautstärkeregler, hinten links der Ein-/Ausschalter, das mit einem Dreh verriegelbare Stromkabel, die beiden Audioausgänge, zwei Pedaleingänge, USB-B Anschluss und MIDI In und Out. Auf der Vorderseite wurde hauchdünn “Osmose” eingefräst, auf der Rückseite prangt dann in weiß “Expressive E”. Der USB-B Anschluss hätte dabei auch gerne ein USB-C Anschluss sein können, außerdem gibt es recht viel Spiel bei der USB Buchse.

Auf dem Chassis befindet sich die Tastatur, die richtiggehend präsentiert wird. Das besondere hierbei: die Tastatur steckt nicht wie sonst zur Hälfte in einem Gehäuse sondern ist hier samt Hinterhebel – das ist der Teil der Taste, die normalerweise im Klavier steckt – offen zu sehen. Die Tasten bestehen aus Plastik, sehen aber aus wie Holz und fühlen sich auch gut an. Die Tastatur selber ist eine komplett neu entwickelte, halbgewichtete Synthesizertastatur, bei der man den Übergang zum Aftertouch gut bemerkt. Und wie schon erwähnt, es geht nicht nur nach oben und unten sondern auch seitwärts, aber darüber später mehr.
Das Farbdisplay ist gestochen scharf
Links von der Tastatur gibt es ein hervorragendes, gestochen scharfes Farbdisplay. Über Taster und Drehregler kommt man durch die Presets, an die Effekte oder auch in die Tiefen der MIDI Einstellungen. Die Presets lassen sich im NKS Stil nach Quelle (Factory, Add-ons, User), Typ (z. B. Bass, Keys) und Charakter (z. B. digital, dark) filtern, allerdings ist der Osmose nicht NKS fähig.
Das Ganze ist grafisch toll designt: so taucht zum Beispiel der Preset Name zweimal auf, einmal im Vordergrund in Grün und dann noch einmal als grafisches Element im Hintergrund in Hellgrau. Und die Piktogramme der Makros sind auch sehr nett: Der Mix wird mit einem Küchenmixer gekennzeichnet, bei Distribution ist es ein Funkturm, bei Balance ist es eine Waage.

Knapp 2 Sekunden Wartezeit, bis das neue Preset geladen ist
Weiter geht es mit je zwei separaten Schaltern für die Oktavlage und für Preset Up und Down. Leider muss man mit dem neuen Update knapp zwei Sekunden warten, bis das neue Preset lädt, so richtig schnell kommt man da also nicht voran. Das kennt man zwar zum Beispiel auch vom Arturia Matrixbrute oder vielen digitalen Synthesizern, die erstmal das neue Patch berechnen müssen. Aber einen Ticken kürzer könnte es schon gehen.
Aber das ist Meckern auf hohem Niveau. Der Osmose will ein edles Designstück sein und er ist ein edles Designstück geworden. Und mehr Regler gibt es nicht, denn die Musik soll nicht über den Screen und Regler gemacht werden wie bei anderen Synthesizern, sondern über die Tastatur. Der Osmose zwingt einem dieses Denken auf, und das ist gut so, weil der Paradigmenwechsel sonst vielleicht nicht wirklich ankommt.
Damit das Ganze jetzt auch ein richtiger Synthesizer wird, gibt es die eingebaute Soundmaschine. Damit ist der Osmose nach dem längst vergangenen Roli Seaboard das einzige MPE Gerät, das nicht nur ein Controller sondern ein waschechter Standalone Synthesizer ist. Die Soundengine ist die gleiche wie bei den Haken Fingerboards von Lippold Haken, nämlich die Eagan Matrix von Edmund Eagan.
Wer oder was ist also die Eagan Matrix?
Die Eagan Matrix kombiniert additive, spektrale, modale und physikalische Modelle mit digitalen Algorithmen wie FM und Feedback-Pfaden. Aber es ist vieles anders, als man das von landläufigen VSTs oder AUs kennt. Hier gibt es keine analogen Wellenformen und auch keine Wavetables sondern DSF Synthese, was für Discrete Summation Formula steht. Die wird zum Beispiel beim Kyma, in SuperCollider und CSound eingesetzt. Mit diesen Oszillatoren kann man dann sehr gezielt Obertöne gestalten, die dann zum Beispiel in Modalresonatoren geleitet werden. Ein typischer Signalverlauf in der Eagan Matrix könnte zum Beispiel Noise → Modalresonator → Feedbackpfade → Z-gesteuerte Spektralverschiebung lauten. An dieser Stelle muss man sich also ganz schön einarbeiten.
Programmiert wird die Eagan Matrix über einen Maxpatch, und der schaut doch eher trocken aus. Zentral ist – wer hätte das gedacht? – eine Matrix wie man sie zum Beispiel von einem EMS Synthi-100 oder einem Arp 2500 kennt. Die virtuellen Verbindungen sind hier aber nicht bunte Plastikpins sondern durchaus mal mathematische Funktionen. Also auch hier ist Einarbeitungszeit gefragt, wenn man grundständig arbeiten will.

Expressive E öffnet sich auch für Software von Drittanbietern
Sowohl Haken als auch Expressive E haben aber erkannt, dass die meisten Leute sich wohl nicht so intensiv mit so einem Spezialfall auseinandersetzen möchten. Von Haken gibt es deshalb jetzt ganz neu und noch als pre-release Versionen sogenannte “Overlays”, die der Eagan Matrix quasi ein anderes Aussehen überstülpen und sie als einfachere Synthesizer mit bekannteren Synthesearten erscheinen lassen. Bislang veröffentlich wurden zum Beispiel
- Ratio, ein FM Synthesizer
- Ishango Bone, inspiriert ein steinzeitliches Artefakt, mit dem man wohl Rechnen als auch Musik machen konnte
- oder auch Loris Synth, den man käuflich erwerben kann und Resynthese Möglichkeiten bietet.
Expressive E geht einen anderen Weg und bietet zum eigenen eigene Software wie Soliste für realistische Streicherklänge oder Noisy mit modalen Resonatoren an. Außerdem gibt es in Zusammenarbeit mit bekannten Softwareschmieden wie u-he, Dawesome oder Synapseaudio Presetbundles mit MPE Sounds käuflich zu erwerben. Mit Presets für Dune 3, Myth, The Legend, Hive 2, Phase Plant und Hive 2 gibt es da eine wirklich vielfältige Auswahl von ganz unterschiedlichen Synthesizern von Physical Modeling über Popproduktion bis zu experimentelleren Sachen.