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Analogue Solutions Nyborg-12 Test

Praxis

Optik und Haptik

So sehr wir auch alle an inneren Werten interessiert sind, baut man doch insbesondere bei Instrumenten oder anderen musikalischen Gerätschaften auch über Optik und Haptik eine wesentliche Beziehung auf. Was diesen Aspekt angeht, war meine Zeit mit dem Nyborg-12 so etwas wie eine Berg- und Talfahrt. Ich weiß bis jetzt nicht, ob ich ihn hässlich finden soll, oder ob nicht diese schlicht-technoide Erscheinung auch etwas Verlockendes hat. Die aufrecht stehende Formgebung ist auf jeden Fall ein Hingucker. Eigentlich muss man konstatieren, dass der Nyborg aus der Ferne interessant wirkt, beim Bedienen von Nahem aber doch einiges an Charme einbüßt. Dies geht nicht zuletzt auf das Konto einer recht unterirdischen grafischen Gestaltung und auch eines Layouts, das offenbar vor allem technisch-funktionalen Überlegungen folgt. 31 gleich große Potis vermitteln wenig Struktur, und die Anordnung der Bedienelemente wirkt teilweise etwas wahllos. Jedenfalls geben ein Mastervolume-Poti, das irgendwo mittendrin liegt, oder ein LFO, der ein layouttechnisches Schattendasein unten rechts von den VCOs führt, dem Benutzergehirn wenig Sinn und Halt. Von der wirklich lieblosen und schlechten Grafik (Typo!) einmal abgesehen, weiß ich schon, dass hier auch die optische Nähe zum Oberheim gesucht wurde. Aber dieser hat ein ganz anderes Format, seine grafische Gestaltung ist sehr gelungen und letztendlich wird ja hier ein Gerät für 2015 produziert, das auch hier und heute und für sich Sinn machen muss – oder auch Spaß. Diese Qualitäten fehlen mir beim Nyborg-12.

Sound

Mag aber sein, dass jemand anderer den Nyborg-12 besonders schön findet, weshalb wir uns jetzt lieber tatsächlich mit den inneren Werten befassen. Fangen wir mit dem Herzstück jedes Analogen an, dem Filter. Ein gutes seiner Zunft, muss man sagen. Leider besitze ich keinen Original-Oberheim, aber ich gehe davon aus, dass sich die beiden Filter in ähnlichen Qualitätsregionen bewegen. Besonders reizvoll ist natürlich die Variabilität des Filters, das durch Lowpass, Highpass, Bandpass und insbesondere Notch viele Möglichkeiten eröffnet, den Klang zu formen. Schön an dieser Filterarchitektur ist übrigens auch, dass das Reindrehen der Resonanz nicht dazu führt, dass dem Sound Bässe geraubt werden. So lässt sich das Filter mit voll aufgedrehtem Cutoff über den Resonance-Regler auch als eine Art EQ missbrauchen, der dem Signal noch mal eine Portion bissige Höhen mit auf den Weg gibt. Allerdings muss man wissen, dass das Filter extrem schnell zu einer etwas grobkörnigen Verzerrung neigt. Anfangs fand ich es gar nicht so leicht, dem Gerät überhaupt cleane gefilterte Sounds zu entlocken, bis ich mir angewöhnt habe, die Oszillatoren höchstens auf halbe Lautstärke einzustellen. Keine Ahnung, ob dieser Effekt so beabsichtigt ist, aber für meinen Geschmack ist das etwas heftig.
Wie schon beschrieben, hat mir die Boost-Funktion Rätsel aufgegeben. Nimmt man sie aber einfach mal so, wie sie eben ist, muss man zugestehen, dass sie eine Menge reizvoller Soundoptionen beisteuert, so dass es definitiv ein Gewinn ist, sie an Bord zu haben.

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Filter (volle Resonanz / Boost)

Eine Verwendung steht für ein Modul dieser Art selbstverständlich ganz oben auf der Liste, nämlich jene als Effektprozessor für externe Signale. Zu diesem Zweck ist der Nyborg-12 mit gleich zwei Klinkeneingängen bestückt, über welche die Signale zum Filter gelangen können. Zudem bietet der VCA mit der Option “Bypass” die Möglichkeit, dass auch ohne Tastendruck oder anliegende Kontrollspannung der Sound dauerhaft durchgereicht wird. Warum Analogue Solutions beim Nyborg gleich zwei Eingänge verbaut haben, die, soweit ich das sehe, die identische Funktion haben, ist mir nicht ganz klar. Aber über ein Mehr sollte man sich in der Regel nicht beschweren, und immerhin kann man diese Ausstattung nutzen, um zum Beispiel ein Stereosignal zu filtern – das dann allerdings mono-summiert den Nyborg wieder verlässt.
Es könnte also alles so schön sein, gäbe es nicht ein Riesenproblem: Bei meinem Testgerät ließ sich nämlich VCO2 nicht völlig stummschalten. Selbst in der einrastenden Mittelstellung des entsprechenden Potis bleibt ein – gar nicht so leiser – Sound hörbar. Wie im nächsten Klangbeispiel nachzuvollziehen, wird damit diese gesamte Funktionalität unbrauchbar. Da VCO1 diesen Bug nicht aufweist, gehe ich davon aus, dass es sich hierbei um ein defektes Poti oder ein sonstwie produktionsbedingtes Problem handelt, das vermutlich bei anderen Geräten nicht auftritt. Wenn es sich aber um keinen wahnsinnig unglücklichen Zufall handelt, deutet dieser Fehler möglicherweise auf ein konzeptionelles Problem hin. In jedem Fall ist es für jeden Nutzer sehr ärgerlich, so ein flammneues Gerät zu kaufen, das er dann gleich wieder einschicken muss.

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Filtern eines externen Signals

Bei den Oszillatoren, der Basis für jeden Analogsynth, kann der Nyborg-12 – wie beim Filter – durchaus punkten. Zwar erreichen Rechteck und Sägezahn nicht ganz die satte Tiefgründigkeit meines Moog Voyager, aber man bekommt absolut fetten, durchsetzungsfähigen Analog-Dampf geliefert. So macht ein Sägezahn auch schon mal ohne jede weitere Bearbeitung Spaß. Natürlich bleibt das Soundspektrum durch nur zwei Schwingungsformen recht begrenzt, was allerdings beim großen Vorbild ja nicht anders ist. Dafür präsentieren sich die VCOs sehr stimmstabil und in diesem Sinne zeitgemäß. Die Konkurrenz, nicht zuletzt Tom Oberheim bei seinem SEM-Reissue, ist teilweise so pfiffig, den Geräten einen 440 Hz Stimmton einzupflanzen, so dass man ohne weiteres die VCOs richtig tunen kann – aber das ist ein Luxus, ohne den man zur Not leben kann.

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Schwingungsformen: Sägezahn, Puls

Rätselhaft wird es wiederum bei den Hüllkurven. Zwei Stück bietet der Nyborg auf, wobei Nummer 1 standardmäßig für die Modulation des Filters, Nummer 2 für jene des VCA gedacht ist. Die Funktionsweise ist durch das sehr einfache ADR-Schema leider ziemlich begrenzt, nur das ganz Wesentliche ist regelbar. Wenn man EG2 in eine Extremstellung bringt (alle Regler voll nach links), fallen allerdings zwei Seltsamkeiten auf: Zum einen ist das Decay – also die Zeit, die vom Maximalwert nach der Attackphase bis zum Erreichen des Sustain-Pegels vergeht – relativ lang; und zum anderen bleibt bei gehaltener Taste weiterhin ein Ton hörbar, obwohl ja der Sustain-Pegel auf null sein sollte. Um zu untersuchen, ob dieser merkwürdige Verlauf bei beiden Hüllkurvengeneratoren auftritt, habe ich ein kleines Experiment gestartet, bei dem EG 1 in maximaler Stärke die Frequenz von VCO1 moduliert und EG2 jene von VCO2. Sofern die Generatoren identisch arbeiten, sollte sich tonal der gleiche Verlauf einstellen, was aber nicht der Fall ist. EG1 weist eine deutlich schnellere minimale Decay-Zeit auf. Und auch das Sustain-Level ist unterschiedlich: Während Oszillator 1 am Ende seiner Modulationsfahrt ungefähr einen Viertelton über seiner eigentlichen Frequenz landet (also ist auch bei EG1 das Sustain-Level nicht ganz null bei Linksanschlag des Potis), richtet sich Oszillator 2 sage und schreibe eine große Septime über seiner Basis ein. Heißt: Die Hüllkurvengeneratoren arbeiten tatsächlich unterschiedlich, und gerade Nummer 2, zuständig für die so zentrale Modulation des VCA, serviert uns eine tranige Decay-Zeit und einen Sustain-Level, der sehr deutlich über null liegt. Schlecht!
Ich habe es schon bei einigen Testgeräten erlebt, dass man zu Anfang keinen rechten Zugang findet und wenig angetan ist, über die Arbeit und das Schrauben aber doch die Qualitäten eines Synths entdeckt. Genau dies ist auch beim Nyborg-12 passiert, der schließlich doch seine voll analoge Klasse ausspielen kann und die Fummelei mit satten bis brachialen Sounds belohnt. Wie gesagt: Die Oszillatoren liefern gutes Futter, mit dem das Filter eine Menge anzustellen weiß. Hier kommt der Analog-Freund auf seine Kosten.

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2 Voice Tremolo Adding Pulse C64 I Saw You Little Groove Riding The Notch Serious Sync

Hellauf angetan war ich indes auch nach einigen Stunden Beschäftigung nicht. Das liegt zum einen daran, dass der Nyborg-12 doch immer etwas Nüchternes, Kühles, vielleicht auch Uninspiriertes an sich hat. Wer sich im Netz Sounddemos des Oberheim SEM anhört, wird feststellen, dass der doch irgendwie mehr Soul hat. Der Nyborg wirkt dagegen etwas klinisch, und man muss ihm die gute Laune schon abringen. Zum zweiten wird die Benutzerfreude schon durch ein paar Ungereimtheiten (s. o. ) getrübt, und einige Designentscheidungen gehen klar zu Lasten der Bedienbarkeit. So muss man zum Beispiel bedenken, dass Potis, die nach links oder nach rechts gedreht zwei unterschiedliche Funktionen haben, pro Funktion ja nur den halben Regelweg aufweisen. Das fällt vielleicht beim Einstellen der Lautstärke eines VCOs nicht so ins Gewicht. Möchte man aber die Frequenzmodulation eines Oszillators durch den LFO regeln, kann es schon mal anstrengend werden. Da ist ein dezentes Vibrato fast unmöglich. Gleiches gilt für VCO2 im “free & wide”-Modus. Ein riesiger Regelbereich ist ja schön, aber wenn es “Wetten, dass …”-mäßige Fähigkeiten erfordert, eine saubere Quinte zu VCO1 einzustellen, ist das nicht sehr hilfreich.

Der Analogue Solutions Nyborg-12 hat etwas Nüchternes, Kühles an sich
Der Analogue Solutions Nyborg-12 hat etwas Nüchternes, Kühles an sich

Konzept

Wenn man versucht, den Nyborg-12 mal in seiner Gesamtheit zu bewerten, bleiben doch ziemlich viele Fragezeichen. Klar, es ist etwas wert, dass Analogue Solutions uns ein durch und durch analoges, SEM-ähnliches Modul offerieren, das durch seinen (wenn auch etwas kühlen) Sound zu gefallen weiß. Es ist zudem handlich, dass Freunde modularer Systeme den Nyborg leicht in ihre CV-Welt einbinden können, da er über ein paar passende Anschlüsse verfügt. Und es gibt einige schöne Details wie die Tatsache, dass MIDI und CV gleichzeitig verarbeitet werden, so dass man zum Beispiel über einen Analogsequenzer eine Melodie generieren kann, die sich dann über Drücken einer Taste am MIDI-Keyboard transponieren lässt.
Aber das gesamte Konzept hat auch viele Ungereimtheiten, die schon mit der Frage beginnen, warum man überhaupt ein SEM-Modul mehr oder minder eins zu eins bauen muss, zumal dessen Erfinder vor nicht allzu langer Zeit aktuelle Versionen aufgelegt hat, die nur unwesentlich teurer sind als der Nyborg-12 und – je nach Version – deutlich mehr anzubieten haben. Und wenn man schon beim SEM-Gedanken ist, warum führt man ihn dann nicht ins 21. Jahrhundert, baut also ein Arbeitstier, das den teuren monophonen Prachtstücken in der Kollektion möglichst viele Brot- und Butter-Aufgaben abnehmen kann. Dann könnten doch zum Beispiel die Oszillatoren mehr als nur zwei Schwingungsformen beherrschen. Der LFO könnte ebenfalls mehr Formen haben und auch zu irgendwas synchronisierbar sein. Die MIDI-Implementierung könnte gerne etwas weniger rudimentär daherkommen. Die Hüllkurven dürften sich ein wenig komplexer präsentieren. Glide/Portamento wäre ebenfalls sinnvoll, wenn man beim Thema Leads wirklich mitsprechen möchte. Und schließlich könnte auch der Preis etwas attraktiver sein, selbst wenn man dafür ein paar winzige Kompromisse bei der Produktion eingeht.
So aber stelle ich mir die Frage, welche Zielgruppe Analogue Solutions für den Nyborg-12 im Sinn hatten, der sie (da sich tatsächlich mehrere Nyborgs verschalten lassen) offenbar sogar zutrauen, dass man knapp 2.000 Euro in die Hand nehmen könnte, um ein zweistimmiges analoges Modul zu haben. Was ist das Besondere am Nyborg, was sein – wie man so schön sagt – “unique selling point”? Ich sehe ihn nicht. Wenn ich an einem SEM interessiert bin, kaufe ich mir für höchstens 100 EUR mehr den neuen des Herrn Oberheim, der nun mal irgendwie das Original ist und zudem in den aktuellen Versionen deutlich mehr Funktionalität bietet – wie ausgearbeitete MIDI-Optionen oder Modularität. Wenn es mir einfach um guten Analogsound geht, greife ich vielleicht zu einem Moog Minitaur für zwei Drittel des Preises oder meinetwegen einem Arturia Minibrute für die Hälfte. Und da haben wir Optionen wie den perFOURmer MkII von Vermona oder den Elektron Analog Four noch gar nicht im Gepäck, die zwar ein wenig mehr kosten als der Nyborg, dafür aber deutlich mehr im Portfolio haben. So kann ich nicht anders, als mir in dieser schönen, neuen, schillernden Analogwelt ein wenig Sorgen um den Nyborg-12 zu machen, dem vermutlich nicht die Rolle des mächtigen, gefürchteten Borg-Kubus zufallen wird. Eher jene der kleinen, weißen Kiste am Rande der Galaxie.

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Profilbild von Jens

Jens sagt:

#1 - 05.06.2015 um 21:35 Uhr

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In deinem Test blitzen hier und da vorgefertigte Aversionen gegen AS heraus. Warum testest du das Gerät, wenn du sowieso schon eine negative Meinung davon hast?
Ich kann viele Argumente nicht nachvollziehen. Die Bedienoberfläche ist eine der aufgeräumtetsten überhaupt und durch die Möglichkeit, das Panel zu drehen, lässt sich der Nyborg in jede Studioumgebung integrieren.
DerKlang ist über jede Zweifel erhaben, satt und brachial, ich kann da nichts Steriles erkennen.
Die Hüllkruven sind bewusst unterschiedlich, sie lassen sich nämlich alternativ auf Filter oder VCA anwenden.
Den Nyborg als SEM Clone zu sehen, wird ihm nicht gerecht, er ist eher eine Weiterentwicklung.
Das Manual ist in der Tat unvollständig, wird jedoch durch die intuitive Bedieung nicht benötigt.
Zielgruppe des Nyborgs sind Klangtüftler und sicher keine Live-Keyboarder wie du einer bist. Dafür tut das Gerät seinen Arbeit hervorragend.Sicher könnte man den Preis noch drücken. Das glt jedoch auch für eine Reihe anderer Geräte auf dem Markt. ich denke da nur mal an die Schotten-Synths oder Rote aus dem Norden.

    Profilbild von Lasse|bonedo

    Lasse|bonedo sagt:

    #1.1 - 10.06.2015 um 11:56 Uhr

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    Hallo Jens,
    danke für deinen Kommentar und deine Anmerkungen. Du kannst dir sicher sein, dass wir ohne Vorurteile testen. "Vorgefertigte Aversionen" sind bei unseren Tests ganz sicher nicht im Spiel, auch nicht in diesem Fall. Natürlich spiegelt ein Test aber immer den persönlichen Eindruck des Testers wieder, das liegt in der Natur der Sache. Das heißt nicht, dass man nicht anderer Meinung sein kann, so wie du in diesem Fall.
    Deine Abgrenzung zwischen "Klangtüftlern" und "Live-Keyboardern" finde ich allerdings etwas engstirnig. Ich kenne sehr viele Kollegen, die beides sind.
    Viele Grüße
    Lasse (Redaktion bonedo)

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