Workshop Software für Live-Keyboarder #6: Cantabile 3

Den Live-Host Cantabile hatten wir im Zuge des Workshops für Live-Keyboarder bereits im Jahr 2016 vorgestellt. Damals zeichnete sich jedoch schon ab, dass zeitnah ein Nachfolger erscheinen sollte. Inzwischen ist die aktuelle Version Cantabile 3 ein knappes Jahr auf dem Markt. Höchste Zeit also, die Software erneut unter die Lupe zu nehmen und in einem neuen Workshop zu zeigen, wo die Stärken und die Schwächen des neuen Live-Hosts liegen.

Foto: © peshkova , fotolia.de
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Wie auch schon bei Cantabile 2 steht eine kostenfreie Version von Cantabile 3 zur Verfügung. So kann man bequem in das Programm hinein schnuppern. Auch gibt es nach wie vor zwei unterschiedlich umfangreiche Bezahlversionen namens Solo ($69) und Performer ($199), wobei ich mich in diesem Workshop auf die Performer-Version beziehe. Leider ist derzeit nur eine Windows-Version erhältlich. Wie mir der Entwickler Brad Robinson versicherte, wird aber mit Hochdruck an einer Version für Mac gearbeitet.

Installation

Die Installation geht wie üblich reibungslos und schnell von der Hand, sodass man zügig starten kann. Ein Einrichtungsassistent führt den Benutzer durch eine Handvoll Optionen, wie Audiotreiber, Audio Ports und VST-Ordner.
Ein optischer Unterschied zu Version 2 wird sofort deutlich: Während v2 in einem eher tristen Windows-Grau daher kam, zeigt sich Cantabile 3 edler und schicker in einem dunklen Blau. Wenn man mit Cantabile nicht vertraut ist, kann die Oberfläche anfangs etwas wirr und unübersichtlich wirken. Das ändert sich aber nach einer kurzen Einarbeitungszeit und am Ende ergibt alles Sinn! 

Die Arbeitsoberfläche von Cantabile 3
Die Arbeitsoberfläche von Cantabile 3

Struktur von Cantabile 3

Als erstes gilt es zu verstehen, wie Cantabile 3 organisiert ist. Die höchste Ebene ist Set List. Innerhalb der Set List werden Songs geladen, die sich einzeln abspeichern lassen. Ein Song kann aus mehreren Song Parts / Song States bestehen, die zum Beispiel verschiedene Teile bzw. Abschnitte eines Songs repräsentieren können. Auch kann ein Song mehrere Racks beinhalten. Alle Song States eines Songs verwenden die gleichen Plug-ins bzw. Racks. Ein Rack enthält die Plug-ins und kann wiederum in mehrere Rack States aufgeteilt werden. Ein Rack ist als eine Art Container zu verstehen, der jede Art von Plug-ins aufnehmen kann, sei es Instrumente und/oder Effekte. Racks können abgespeichert und in andere Songs importiert werden (siehe weiter unten).
Als zweites wichtiges Konzept muss man die Routes verstehen. Route ist dabei der Oberbegriff für MIDI-Route oder Audio-Route. Ohne mindestens eine MIDI- und eine Audio-Route wird man kein Instrument zum Klingen bringen. Beim Erstellen eines Racks werden jedoch automatisch entsprechende Routes angelegt. Eine Route besteht immer aus der Zusammensetzung zweier Ports, Ein- und Ausgang.  

Einstellungen einer MIDI Route
Einstellungen einer MIDI Route

Im folgenden Video zeige ich euch die Oberfläche und die soeben erklärten Grundlagen:

Cantabile 3 in der Praxis

Welche Punkte sind uns Keyboardern im Live-Workflow nun besonders wichtig? Ganz vorne steht sicherlich schnelles Umschalten zwischen Songs oder Song Parts (Verse, Refrain, Bridge, etc.) sowie möglichst flexibles und gleichzeitig schnelles Arbeiten. Dazu gibt Brad Robinson, der Entwickler von Cantabile, dem Benutzer die sogenannten Rack- und Song-States an die Hand. Ein Rack-State ist als eine Art Rack-Preset zu verstehen. Die Funktion und Arbeitsweise der States lässt sich schwer in Worte fassen, daher soll dieses Video euch helfen, dieses Feature von Cantabile zu verstehen:

Ihr seht: Mit States kann man sehr flexibel arbeiten, sofern man die entsprechenden Vorbereitungen getroffen hat. Und um dem Ganzen noch eins draufzusetzen: Innerhalb der Racks können natürlich auch weitere Racks geladen werden….ok ok … ich hör schon auf!
Nun möchte ich aber mal einen Song bauen. Schaut her:

Eine Sache sei noch erwähnt: Es ist nicht unbedingt nötig, für jedes Plug-in ein Rack zu erstellen. In der Praxis hat sich diese Arbeitsweise aber besonders bei Instrumenten-VSTs sehr bewährt, eben weil die Racks sehr flexibel eingesetzt, importiert und exportiert werden können.
Neben den States gibt es eine weitere Besonderheit in Cantabile: Die Bindings. Ein Binding kann grundlegend die Zuweisung eines eingehenden MIDI-Befehls sein, der eine Aktion auslöst, wie z.B. ein Instrument muten, ein Rack per Program Change umschalten, etc. Ein Binding kann aber noch sehr viel mehr als das. So lassen sich z.B. beim Laden eines Songs bestimmte Befehle ausführen (z.B. Ausführen eines externen Scripts oder Senden eines MIDI-Befehls). Das gleiche gilt auch für das „Entladen“ eines Songs. Auch eine Verzögerung kann man für diese Befehle einstellen. Nicht nur auf Song-Ebene lassen sich Bindings erstellen. Man könnte ebenso den Gain-Regler eines Racks mit der Geschwindigkeit des Metronoms koppeln und diesen Wert invertieren. Welchen Sinn das macht? Gar keinen, aber es wäre theoretisch möglich. Grundsätzlich lässt sich hier also alles mit allem ansteuern.
Bindings sind ein mächtiges Tool und es gibt wohl kaum etwas, was nicht geht, ob man nun externe Instrumente oder Peripherie ansteuern oder innerhalb von Cantabile Parameter verknüpfen möchte. Selbstredend funktionieren MIDI-Bindings (z.B. das Fernsteuern eines Plug-in-Parameters) bidirektional. Derzeit muss man den „Rückweg“ noch händisch anlegen. Brad arbeitet aber an einer automatischen Lösung. Auch können Bindings komfortabel über MIDI Learn zugewiesen werden. 

Mit den flexibel zuweisbaren Bindings kann man alles durch alles steuern.
Mit den flexibel zuweisbaren Bindings kann man alles durch alles steuern.

Praktische Features

Kommen wir zu weiteren Features, die Cantabile 3 ausmachen:
Pre-Load-Setlist: Mit dieser Einstellung unterscheidet sich Cantabile 3 als einziger Kandidat essentiell von allen anderen Alternativen zu MainStage. In der Grundeinstellung lädt Cantabile immer von Song zu Song – erst beim Aufrufen eines Songs werden die entsprechenden Plug-ins in den Speicher geladen. Dies führt natürlich zu Ladezeiten zwischen den Songs, spart aber Systemressourcen ein. MainStage hingegen pumpt beim Öffnen eines Konzerts alle Instrumente, Plug-ins und was es sonst noch gibt in den Arbeitsspeicher, wodurch man ohne Ladezeiten hin- und herschalten kann. Mit dem Haken bei „Pre-Load-Setlist“ ist dies auch in Cantabile möglich.
Linked Racks: Was ist, wenn ich mein Piano in zehn verschiedenen Songs einsetzen möchte? Muss ich dann immer wieder ein neues Rack erstellen? Nein! Einerseits lassen sich Racks sowieso separat abspeichern und in anderen Songs importieren. Weiterhin lassen sich aber auch Linked Racks erstellen. Linked Racks haben den Vorteil, dass Änderungen, die hier gemacht werden, in allen anderen Songs, in denen dieses Linked Rack verwendet wird, übernommen werden. Dabei werden allerdings Instrumente oder Plug-ins, die einem Linked Rack neu hinzugefügt werden, in den anderen Songs nicht aktiviert, sodass die Rückwärtskompatibilität erhalten bleibt! Mitgedacht! Linked Racks sind in Verbindung mit Rack- und Plug-in-States sehr mächtig. So kann man sich zum Beispiel ein Rack zusammenbauen, welches Pianosounds für alle Gelegenheiten geladen hat, und über die States jeweils nur die Bausteine des Racks aktivieren, die man wirklich braucht.
Setlist Grid: Gerade über ein Update implementiert wurde das Setlist Grid. Einige von euch kennen diese Übersicht sicher aus dem Korg Kronos oder anderen Hardware Workstations. Dieser Modus macht die Setliste übersichtlicher.

Die Setlist Grid sorgt für Übersichtlichkeit.
Die Setlist Grid sorgt für Übersichtlichkeit.

Background Rack: Das Background Rack ist zu jederzeit und setlistenübergreifend verfügbar und wird beim Start von Cantabile 3 geladen. Theoretisch ist es zwar möglich, hier große Librarys einzuladen. Empfehlen würde ich dies jedoch nicht, da sich die Background Rack States nicht automatisiert umschalten lassen. Das Background Rack ist eher dazu da, um grundlegende Dinge zu regeln. Ich habe z.B. in meinem Background Rack ein Rack erstellt, in welchem die Summe meiner Instrumente eines Songs landet. So kann ich recht schnell Mastereffekte einbinden oder aber die Summe zu anderen Audio-Ports senden. Dies hat sich als sehr nützlich für das Monitoring erwiesen.
Controller Bar: Die Controller Bar kann auf Wunsch eingeblendet werden. Hier lassen sich Schalter erstellen, denen man wiederum eine Funktion zuweisen kann. Das Dropdown-Menü, über welches man diese Funktion auswählt, ist schier unendlich. Von simplen MIDI-CCs bis hin zur Anzeige der GUI eines bestimmten Plug-ins in einem bestimmten Rack ist auch hier alles machbar. Das wird umso praktischer, wenn man einen Touchscreen benutzt. Ich habe diese Controller Bar beispielsweise dazu genutzt, um das Background Rack ein- und auszublenden oder um mir das Orgel-Plug-in anzeigen zu lassen.
Show Notes: Neben der Routing- und der Bindings-Ansicht gibt es eine dritte namens Show Notes. Hier kann man sich entweder über Texteingabe Notizen machen (und diese natürlich an die Song-States anknüpfen) oder auch Noten (derzeit nur als JPEG und PNG) einblenden lassen.
Media Player: Wie ihr schon im dritten Video sehen konntet, verfügt Cantabile über einen leistungsstarken Media Player. Dieser kann unter anderem Dateien loopen, pitchen und in der Geschwindigkeit verändern. 

Kritikpunkte

Gibt es nach all den Lobeshymnen auch etwas Negatives zu berichten? Ehrlich gesagt fällt mir da nicht viel ein. Eine Kleinigkeit, die sicher mit einem nächsten Update nachgereicht wird, ist die Unterstützung für PDFs im Show Notes-Reiter.
Eine weitere Sache ist die GUI. Cantabile 3 wirkt auf den ersten Blick wirklich etwas knifflig. Wenn viele Bindings benutzt werden, kann es etwas unübersichtlich werden. Aber auch hier arbeitet Brad an einer Lösung. So soll es bald Screen Controller ähnlich wie bei MainStage geben, die eben dieses Problem lösen sollen. Ich bin gespannt und zuversichtlich, dass dies bald nachgereicht wird, da die Community diesen Wunsch lautstark äußert.

Cantabile 3 kann anfangs etwas unübersichtlich wirken.
Cantabile 3 kann anfangs etwas unübersichtlich wirken.

Stabilität

Während der intensiven Nutzung von Cantabile 3 habe ich wieder erfahren, was mir schon bei der Seelake AudioStation klar wurde: In den seltensten Fällen ist der Live-Host selbst für Crashs verantwortlich. Ich will hier nicht behaupten, dass Cantabile nie abgestürzt sei. Aber in 90% der Fälle waren es die Plug-ins, die dies verursachten, und die anderen 10% hat Brad innerhalb von 24 Stunden gelöst. Crash Reports wurden vom Entwickler immer zügig (auch am Wochenende und auch nachts) bearbeitet und beantwortet. Dabei decken sich die Aussagen von Brad mit denen der Entwickler der AudioStation: Viele Plug-ins seien „schlampig“ programmiert und verursachten Abstürze. Die Crash Logs von Cantabile 3 sind übrigens für den Benutzer einsehbar und zeigen übersichtlich, an welcher Stelle es Probleme gab. Oft kann man der Sache also selbst auf den Grund gehen.

Fazit

Cantabile ist in der Version 3 meiner Ansicht nach einer der umfangreichsten und stabilsten Live-Hosts, die es je gegeben hat. Dank der Pre-Load-Funktion ist sogar unterbrechungsfreies Umschalten möglich. Die Community ist groß und der Entwickler ist offen für Vorschläge und jederzeit um besten Support bemüht. Allein während des Schreibens dieses Workshops gab es einige Updates, die viele Neuerungen beinhalten. Selbst bei hoch komplexen Setups, die MainStage gerne mal zu seltsamen Bugs verführen, blieb Cantabile immer stabil. Wenn kein Ton kommt, hat es einen Grund! Nur manchmal ist der eben wegen der vielen Möglichkeiten nicht ganz einfach zu finden. Sich selbst eine Struktur zu schaffen, ist daher das A und O in dieser Software. Dann wird man mit einer gut durchdachten, leistungsstarken und stabilen Live-Umgebung belohnt. Für mich: Eine ganz klare Empfehlung und Daumen hoch! 

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