Wie schön ist es doch, wenn man die Möglichkeit hat, ein wenig Farbe ins triste Musikerdasein zu bringen. Die britische Traditionsfirma Orange, die ihre Blütezeit in den 60er und 70er Jahren hatte, ist seit einiger Zeit wieder vermehrt auf Bühnen und in Studios zu finden. Und auch wir von bonedo.de hatten in den letzten Jahren Gelegenheit, die eine oder andere frische Orange zu schälen – und haben den Inhalt durchaus genossen.
Mit der überarbeiteten Version des Rockerverb 100, eines 100-Watt starken Vollröhren-Heads, wartet diesmal ein ganz besonderes Früchtchen auf den Qualitätscheck. Man darf also gespannt sein.
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Details
Auch hier ist der Name wieder Programm: Orange, wohin man sieht. Mit seinen 23 Kilo ist das Topteil kein Leichtgewicht, kann im Gegenzug aber mit einer roadtauglichen Solidität klotzen. Die Verarbeitung ist insgesamt hervorragend, hier finden sich keinerlei Fehler – bei einem empfohlenen Verkaufspreis, der sich deutlich der magischen 2000 Euro Grenze nähert, kann man das aber auch erwarten.
Mit Abmessungen von 55 x 28 x 28 cm ist der Rockerverb recht handlich, wobei er in der Tiefe seines Raumes doch einiges mehr vorzuweisen hat als zum Beispiel ein klassischer Marshall-Amp. Geschützt wird das orangefarbene und mit Tolex überzogene Topteil durch acht schwarze Kugelecken und zwei Metallbügeln auf der Frontplatte, die, falls man ohne Flightcase unterwegs sein sollte, Potis und Schalter von Transportattacken fernhält. Ein Gummigriff auf der Oberseite dient dem Transport und vier verhindern ein Abrutschen, dienen aber auch als Schutz vor Vibrationen, wenn das Topteil auf einer Box steht. Das weiße Bedienfeld beherbergt außer dem groß dimensionierten Firmennamen mit passendem Logo die Regelmöglichkeit für zwei Kanäle.
Der Clean-Channel bietet die drei Regler Treble, Middle und Bass zur Klangformung, wobei die Potis mit einem Piktogramm versehen sind, das die jeweilige Funktion erklärt. Als Beispiel: Der Bassregler besitzt einen Bassschlüssel mit einem Pfeil nach unten, Treble einen Violinschlüssel mit Pfeil nach oben. Der Volumenregler wurde größer dimensioniert und befindet sich rechts direkt neben der Klinkenbuchse.
Der Dirty-Channel besitzt eine eigene Klangregelung mit denselben Features wie der cleane Bruder, jedoch kommt hier ein Gainpoti hinzu, das ebenso wie der entsprechende Volumenregler größer ausfällt. Links neben dem Lautstärkeregler befindet sich ein Reverb-Poti, das die Hallspirale in ihrer Intensität regelt. Es folgen links daneben ein Channel-Switch und ein Dreiwegschalter, der OFF/ STANDBY und ON bietet. Das war es dann aber auch schon.
Die Rückseite ist ähnlich übersichtlich gehalten. Hier finden sich eine Send- und eine Return-Buchse, wobei der Effektweg übrigens mit Röhren realisiert wurde. Eine Channel- und eine Reverb-Klinkenbuchse dienen dem Anschluss eines Fußschalters, der leider nicht mitgeliefert wird. Die obligatorischen Speaker-Outs dürfen natürlich nicht fehlen, hier bietet der Rockerverb 100 MKII zwei 8 und einen 16 Ohm-Anschlüsse. Fragen wirft jedoch ein versenkter Schieberegler mit der Aufschrift ‘Output Valve Selection‘ auf. Lösung des Rätsels: Der Rockerverb lässt sich mit verschiedenen Endstufenröhren betreiben, zur Auswahl stehen: 6L6, KT88 oder 6550.
Werksseitig wird das Topteil mit vier EL34 ausgeliefert, was dem Amp seinen typisch britischen Charakter verleiht. Bei Bedarf lassen sich aber, wie gerade schon erwähnt, andere Glaskolben verwenden, diese sollten aber von einem erfahrenen Techniker eingemessen werden. Vorstufenseitig wird der Amp mit vier ECC83 betrieben. Zwei ECC81 werden für den Effektweg und den Hall verwendet. Eine ganze Menge Röhren finden sich da im Inneren, entsprechend fällt auch das Gewicht aus. Das Manko nimmt man aber gerne in Kauf, wenn der Amp denn auch so gut klingt.
Zurück zur Rückseite. Der Netzstecker findet hier sein entsprechendes Pendant und eine Sicherung darf natürlich auch nicht fehlen. Eine in orange lackierte Metallblende lässt sich mittels Schraubendreher leicht entfernen, was das Röhrenwechseln sehr vereinfacht. Natürlich gibt es auch Lüftungsschlitze, die der Kühlung dienen, aber eines ist sicher: Warm wird’s auf jeden Fall.
Aber wo stecken denn eigentlich die Unterschiede zur Vorgängerversion? Eine berechtigte Frage! Wie der Hersteller angibt, soll die Effektloop wesentlich transparenter arbeiten, auch am Hall wurde gebastelt und die Röhrenbestückung wurde von 6V6 auf EL34 umgestellt. Dazu kommt die Möglichkeit, wie schon erwähnt, den Amp auch mit verschiedenen Endstufenröhrensätzen zu betreiben und so an die eigenen Bedürfnisse anpassen zu können. Genug der Worte! Es werde laut!
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Praxis
Das Topteil habe ich an meine momentane Lieblings 2 x 12“ Box gestöpselt, die im Grunde ähnlich aufgebaut ist wie eine entsprechende Box von Orange. Sie ist sehr schwer, tief und beherbergt zwei Vintage 30 Speaker. Abgenommen habe ich das Ganze mit einem Brauner VM1 und gehe damit wie immer in eine Neve-Vorstufe.
Eines vorweg: Der Amp kann sehr, sehr laut sein, clean wie verzerrt. Das Rauschverhalten hält sich sehr in Grenzen, nur ab Dreiviertel des Gainwegs kommt eine Menge hinzu, was aber völlig in Ordnung geht.
Als Erstes habe ich eine Tele in Mittelstellung durch den Cleankanal gejagt.
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Funk Tele Mid Clean
Sehr direkt geht da der Orange zur Sache! Der Cleansound steht wie eine Eins. Töne werden äußerst impulstreu und direkt wiedergegeben. Da macht es wirklich Sinn, eine entsprechende Box zur Hand zu haben, die dem Amp Paroli bietet und nicht gleich in die Knie geht. Das Mittenbild ist sehr ausgeprägt, was für ein gutes Durchsetzungsvermögen spricht. Auch wenn der Kanal für clean steht, bekommt jede Note bei ihm eine gute Portion Schmutz mit auf den Weg. Er ist also gar nicht so sauber, wie man das von seinen amerikanischen Kollegen gewohnt ist, sondern wandelt auf eigenen Pfaden.
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Tele Steg Clean
In diesem Beispiel habe ich die Tele in die Stegposition geschaltet. Hier kann man sehr gut seine spezielle Charakteristik heraushören. Rockig-Clean wäre da wahrscheinlich am passendsten. Die Bässe sind da, aber nicht zu prominent, selbst das Höhenbild wirkt sehr aufgeräumt, ohne die teleüblichen Nerv-Frequenzen zu featuren. Wie gesagt, typisch britisch findet hier der Sound primär in den Mitten statt. Und das interessiert uns Gitarristen in erster Linie, denn geht es ums Bandgefüge, sollten wir auch zu hören sein.
Ich schalte jetzt einmal den Federhall dazu und drehe ihn auf ca. 11 Uhr.
Wieder kommt die Tele in der Mittelstellung zum Einsatz.
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Tele Mid Clean Reverb
Der Hall ist sehr dicht und tief. Das typische Scheppern hält sich zum Glück in Grenzen, aber alles jenseits von 9 Uhr des Reverb-Reglers ist für meinen Geschmack zu viel des Guten und nur punktuell einsetzbar.
Ich schalte jetzt in den Dirty-Channel und überprüfe, ob das Topteil zu seinem Namen steht.
Für das folgende Beispiel habe ich eine Düsenberg Starplayer in der Stegposition gewählt, für mich eine der Rockgitarren. Der Gainregler steht auf 9 Uhr und der EQ wie immer in Mittelstellung.
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Duese Steg Dirty 9 Uhr
So staubtrocken haut mir der Amp die Riffs um die Ohren, dass es eine Freude ist! Akkorde behalten ihre Einzeltöne und werden mit einer fast schon brutalen Direktheit zu Gehör gebracht. Auch hier gibts keine nervenden Höhen oder überbetonte Bässe, wie sie in Verstärkern neuerer Bauart vermehrt zu finden sind.
Schnell mal auf den P90 in der Halsposition geschaltet und ansonsten nichts am Amp verändert, und es klingt so:
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Duese Hals Dirty 9 Uhr
Alles, was ich bereits oben erwähnt habe, trifft auch hier zu. Orange und P90 scheint generell eine großartige Verbindung zu sein. Erstaunlich ist die kompromisslose Direktheit. Jeder Anschlag scheint im Amp abgefeiert zu werden, und das hört man! Gerade 100 Watt Amps sind für Riffs und Cleansounds meiner Meinung nach die beste Wahl, da genug Hubraum für Dynamik im Spiel ist.
Ich drehe jetzt den Gainregler in Mittelstellung und schalte wieder in die Stegposition.
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Duese Steg Dirty 12 Uhr
Natürlich verdichtet sich das Klangbild und die Mitten und Bässe treten in den Vordergrund. Seinen rotzfrechen Charakter verliert der Rockerverb aber trotzdem nicht und rockt, was das Zeug hält. Er ist definitiv kein moderner Amp, soviel ist klar. Soll er aber auch nicht sein. Vielmehr hat der Orange Persönlichkeit und beschäftigt sich mit dem Instrument, mit dem er gefüttert wird. Dann ist er definitiv wandlungsfähig, wie wir später noch hören werden.
Für das nächste Beispiel habe ich eine modifizierte Strat mit Jeff Beck Humbucker in der Stegposition verwendet, den Hall ein wenig reingedreht und den Gainregler auf 3 Uhr geparkt.
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Strat Steg Dirty Reverb
Auch hier lässt das Topteil, trotz des hohen Gains, nicht die Einzeltöne vermissen. Überraschend finde ich den Zerrgehalt! Hier ist definitiv kein Bodentreter mehr nötig, um einen singenden Leadsound zu erhalten. Auch der Hall fügt sich sehr angenehm ein und gibt dem Sound eine gewisse Tiefe.
Um den Amp einmal im Bandgefüge als Lead-Instrument zu hören, habe ich ein kleines Stück eingespielt. Hier kann man sehr gut heraushören, wie der Orange zu Werke geht. Für die Cleansounds kam wieder die Tele zum Einsatz, diesmal in Halsposition, und für das Solo eine Les Paul. Auf allen Gitarren befindet sich KEIN EQ.
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Rockerverb Song
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Der Rockerverb 100H MKII ist in der Tat ein wahrer Rocker. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Breitbeinig und kraftstrotzend wandelt er zwischen charmanten Cleansounds und hartem Rockbrett bis hin zum cremigen Leadsound und liefert alles, was das Gitarristenherz sich wünscht. Ich würde ihn nicht als modernen Amp bezeichnen, dafür hat er zu viele klassische Anleihen, aber genau das finde ich auch gut. Ich jedenfalls bin begeistert.
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