Harmonielehre-Workshop #6 – Die II-V-I-Verbindung…

Ein herzliches Willkommen allen treuen Freunden meiner Harmonielehre-Reihe. In der letzten Folge haben wir uns mit Harmonisch- und Melodisch-Moll beschäftigt und damit unseren tonalen Raum um zwei Tonleitern erweitert.

©Trum Ronnarong, Shutterstock
©Trum Ronnarong, Shutterstock


Heute wollen wir unser Vokabular um weitere Akkorde bereichern, die über die sieben diatonischen Akkorde hinausgehen und ihren Ursprung zum Teil in den neuen Tonleitern haben.

WORKSHOP

Als Ausgangspunkt für neue harmonische Kniffe möchte ich euch noch einmal die Folge 2 meines Workshops ins Gedächtnis rufen. Dort fiel zum ersten Mal der Begriff Kadenz.
Die Kadenz, in C beispielsweise die Folge C-Dur, F-Dur, G-Dur und C-Dur, bildet die Basis für unser westliches Harmonieverständnis und ist aus diesem Grund auch in sehr vielen Stücken zu finden, von der Volksmusik bis zum aktuellen Pop-Genre. Erweitern wir diese Kadenz um die sechste Stufe (in obigem Fall wäre das Am), werdet ihr bereits unzählige der in Folge 2 vorgestellten 4-Chord-Songs finden. Doch das ist noch lange nicht das Ende der Fahnenstange, und aus diesem Grund möchte ich jetzt noch einmal auf den Begriff “Kadenz” zurückkommen.
In der Klassik unterscheidet man verschiedene Formen der Kadenz: Die authentische Kadenz: I V I (bzw. in C: C G C)

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Audio 1 – I – V – I

Die plagale Kadenz:

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Audio 2: I – IV – I

Und die Vollkadenz (die auch Gegenstand der Folge 2 war):

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Audio 3: I – IV – V – I

Da bereits in der Klassik mit Optionstönen gearbeitet wurde, findet man dort eine kleine Erweiterung der Vollkadenz, indem die Subdominante mit dem Zusatzton “Sexte” (die sogenannte sixte ajouteé) ausgeschmückt wurde:
Betrachten wir die Töne dieses F6, erhalten wir: F A C D. Im Jazz hat man diesen Akkord dann umgekehrt zu D F A C, also einem Dm7. Außerdem wurden die Tonika und die Dominante zu Septakkorden erweitert, sodass sich im Jazz und auch in der Popmusik folgende Kadenz herauskristallisiert hat:
Die II V I Kadenz in Dur
Dm7 G7 Cmaj7

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Audio 4: II – V – I

Da Dm7 die zweite, G7 die fünfte und Cmaj7 die erste Stufe der Tonart C ausmachen, wird diese Kadenz salopp gerne “II V I” sprich “zweifünfeins” genannt und soll nun im Zentrum unserer Untersuchungen stehen.
Ein anderer Weg, zu dieser wichtigen Kadenz zu gelangen, ist das Spielen aller diatonischen Akkorde im konsequenten Quintfall ab der Tonika:

Cmaj7 Fmaj7 Bm7b5 Em7 Am7 Dm7 G7 Cmaj7

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Audio 5

Wie ihr seht, bilden die letzten drei Akkorde genau unsere II V I Verbindung.
Die oben gezeigte Akkordfolge könnt ihr übrigens (leicht abgewandelt und natürlich in anderen Tonarten) in sehr vielen Stücken wiederfinden. Häufig wird hier bereits der Em7 durch einen E7 ersetzt, um einen stärkeren Dominantzug zum Am zu erhalten:
In den folgenden Beispielen transponiere ich der Übersicht halber alles nach C:
“I will survive” von Gloria Gaynor: Am7 Dm7 G7 Cmaj7 Fmaj7 Bm7b5 E7 E7
“Europa” von Santana (im Original in Eb Dur): Dm7 G7 Cmaj7 Fmaj7 Bm7/b5 E7 Am7
“Still got the Blues” von Gary Moore (Strophe): Dm7 G7 (bzw. Dm7/G) Cmaj7 Fmaj7 Bm7/b5 E7 Am7
“Autumn Leaves” von Cosmin/Mercer (ein bekannter Jazzstandard, wird in allen Tonarten gespielt): Dm7 G7 Cmaj7 Fmaj7 Bm7/b5 E7 Am7
 Die ” II V I” – Verbindung ist die wohl am häufigsten vorkommende Kadenz in Jazzstandards. Macht mal die Probe aufs Exempel, schnappt euch ein Realbook und ihr werdet feststellen, dass diese Kadenz nahezu in jedem Stück ihren Platz findet.
Vielleicht kommt jetzt von dem einen oder anderen der Einwand: “… aber das ist doch Tschäääässss, das brauche ich im Rock-Pop sowieso nicht.” Weit gefehlt! Es gibt auch unzählige Popnummern, in denen die “II V I” Verwendung findet.
Hierzu könnte ich euch zahllose Beispiele nennen:
 “A Night like this”(Carol Emerald): Refrain: Ebm7 Ab7 Dbmaj7 (II V I in Db Dur)
“Feel like makin´ Love”(Eugene Mc Daniels; Version von Roberta Flack): Gleich zu Beginn: Fm7 Bb7 Ebmaj7 ( II V I in Eb Dur)
” It´s now or never”(Elvis Presley) Refrain: Emaj7 F#m7 B7 Emaj7 (I II V I in E-Dur)
 Als Übungstipp möchte ich euch auf jeden Fall ans Herz legen, diese Kadenz in allen Tonarten auf eurem Instrument zu trainieren. Wenn ihr Gitarristen oder Pianisten seid, dann in Form von Akkorden (und solistisch), wenn ihr Bassisten seid, in Form von Basslines, die diese Kadenz ausdrücken, und wenn ihr Solisten (Bläser oder Streicher) seid, dann eben improvisatorisch.
Hier ein paar Voicingsvorschläge für euer jeweiliges Instrument – alle in C (ich habe die Standardvierklänge um ein paar gängige Optionstöne erweitert):
Am Piano:

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Audio 6 : II – V – I – Piano

Für Gitarristen:

Fotostrecke: 3 Bilder Dm9
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Audio 7 : II – V – I – Gitarre

Oder als Walking-Bassline:

HarmonyPt6_6
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Audio 8: Walking Bass-Line

Der folgenden Tabelle könnt ihr die “II V I” Kadenzen aller Tonarten entnehmen:

TonartIIVI
CDm7G7Cmaj7
GAm7D7Gmaj7
DEm7A7Dmaj7
ABm7E7Amaj7
EF#m7B7Emaj7
BC#m7F#7Bmaj7
F#G#m7C#7F#maj7
DbEbm7Ab7Dbmaj7
AbBbm7Eb7Abmaj7
EbFm7Bb7Ebmaj7
BbCm7F7Bbmaj7
FGm7C7Fmaj7

Diese wunderschöne Akkordfolge existiert natürlich nicht nur im Durgeschlecht, sondern auch in Moll.

Die II V I Kadenz in Moll
Dazu nehmen wir unsere diatonischen Akkorde zur Hand, ausgehend von Am:
I II III IV V VI VII = Am7 Bm7/b5 Cmaj7 Dm7 Em7 Fmaj7 G7
 Wenn wir hieraus eine “II V I” generieren, so landen wir bei: II V I Bm7/b5 Em7 Am7

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Audio 9a

Das heißt, unsere Dominante (also die V. Stufe) wäre Em7, doch wie wir in der vergangenen Folge gelernt haben, eignen sich Mollakkorde nur bedingt als Dominantfunktion, da sie kein sonderlich starkes Auflösungsbedürfnis in die Tonika haben. Aus diesem Grund ersetzen wir den Em7 durch einen E7, also einen Dominantseptakkord. Wir erinnern uns: Dieser Akkord war letztendlich der Grund, warum wir auf die Harmonisch-Moll-Tonleiter gestoßen sind.
Darum lautet unsere neue “II V I” in Moll:
     II             V        I
Bm7/b5        E7      Am7

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Audio 9b – II – V – I in Moll

Natürlich kann ich euch neben unzähligen Jazztunes auch hier wieder -zig Beispiele aus der Popwelt geben, in denen diese Kadenz zum Einsatz kommt:
“A Night like This”(Carol Emerald): Schluss des Refrains: Ebm7/b5 Ab7 Dbm7 (II V I in Db Moll)
“Still got the Blues”(Gary Moore) Siehe oben, im Strophenteil Die Übungen für die Durkadenz sollte man natürlich ebenfalls in Moll nachvollziehen.
Auch dazu möchte ich euch ein paar Beispiele an die Hand geben, wieder in C. Die Kadenz in C-Moll lautet dann Dm7b5, G7, Cm7, und auch hier habe ich gebräuchliche Erweiterungen in die Akkorde verpackt:
Für Pianisten:

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Audio 10 – Piano

Für Gitarristen:

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Audio 11 – Für Gitarristen

Als Walking Bassline:

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Audio 12 – Als Walking-Bass-Line

Hier seht ihr die “II V I” Kadenz in Moll in allen Tonarten:

TonartIIVI
CDm7b5G7Cm7
GAm7b5D7Gm7
DEm7b5A7Dm7
ABm7b5E7Am7
EF#m7b5B7Em7
BC#m7b5F#7Bm7
F#G#m7b5C#7F#m7
DbEbm7b5Ab7Dbm7
AbBbm7b5Eb7Abm7
EbFm7b5Bb7Ebm7
BbCm7b5F7Bbm7
FGm7b5C7Fm7

In allen genannten Beispielen habe ich die Akkordfunktionstöne auf eine Basisvariante beschränkt. Natürlich werdet ihr häufig für die Dominante einen E7/b9 oder einen G7/9/13 finden, ebenso wird die Molltonika auch oft als Mollmaj7 Akkord dargestellt, aber welche zusätzlichen Optionstöne in diesen Kadenzen möglich sind, soll Gegenstand einer späteren Harmonielehrefolge werden.
In den obigen Akkordfolgen könnt ihr gut die Funktion der jeweiligen Stufen wahrnehmen. Die Subdominante (als IIm – ein Subdominantvertreter), die V als die Dominante, die Spannung aufbaut und sich auflösen will und die Tonika, die den Ruhepol und das Gefühl von “ich bin zu Hause” darstellt.
Dieses Spannungsgefälle von Tension-Release, Spannung und Entspannung, stellt die Basis der westlichen funktionalen Harmonielehre dar und findet in vielen Stücken Anwendung.
Wenn man das verinnerlicht hat, kann man noch einen Schritt weitergehen:
Sekundärdominanten (auch Zwischendominanten genannt):
Betrachten wir noch einmal unsere Stufenakkorde der C-Dur Tonleiter:
I II III IV V VI VII = Cmaj7 Dm7 Em7 Fmaj7 G7 Am7 Bm7b5
Wie wir bereits gelernt haben, befindet sich auf der fünften Stufe die Dominante, die sich in die Tonika auf Stufe I auflösen will. Generell findet man auf der V. Stufe einer Tonart eine Dominante, und weil der Abstand zur fünften Stufe eine Quinte ist, spricht man in diesem Zusammenhang auch von “quintfälliger Auflösung”.
Unter dem Begriff Sekundärdominanten firmieren also Dominanten, die sich eben nicht in die erste Stufe der Tonart (also die Tonika) auflösen, sondern in einen der verbleibenden Stufenakkorde. Und unbewusst haben wir in der letzten Folge bereits eine Sekundärdominante kennengelernt, nämlich den E7, der sich in das Am7 (also die sechste Stufe der Tonart) auflöst.
Doch dieses Spiel können wir jetzt natürlich auch mit allen anderen diatonischen Akkorden treiben. Wir knöpfen uns einfach jeden Akkord vor und suchen eine Quinte höher einen Dominantseptakkord:

StufeAkkordSekundärdominante
ICmaj7G7 (ist eigentlich keine Sekundärdominante, sondern die reguläre Dominante)
IIDm7A7
IIIEm7B7
IVFmaj7C7
VG7D7(wird auch gerne Doppeldominante genannt, da es die Dominante der Dominanten ist)
VIAm7E7 (wissen wir ja bereits)
VIIBm7b5Die große Ausnahme: Für die VII. Stufe gibt es keine Dominante, zumindest findet man sie nicht in freier Wildbahn. Der halbverminderte ist als Tonika-Akkord wohl zu instabil.

In der Analysesprache benennt man die Sekundärdominanten auch gerne als “fünf von” und dann kommt der Zielakkord. So ist z.B. ein E7 in diesem Fall “fünf von sechs”, da er auf der fünften Stufe von Am7 steht und Am7 die sechste Stufe ist. D7 wäre “fünf von fünf” usw. Die Schreibweise ist dann V/VI bzw. V/V.

Zielakkord in CSekundärdominante in CSchreibweise
Dm7A7V/II
Em7B7V/III
Fmaj7C7V/IV
G7D7V/V
Am7E7VI/V

Hier wäre z.B. eine mögliche Akkordverbindung, wie sie auch gerne in Lagerfeuersongs oder in der Volksmusik vorkommt:
Als kurze Akkordübersicht mit Analyse:

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Und das klingt dann so:

Audio Samples
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Audio 13

Und wozu ist das jetzt gut?
Nun, zum einen habt ihr neben den diatonischen Akkorden noch fünf weitere zur Hand, die ihr in Eigenkompositionen verwenden könnt, zum anderen kann euch die Kenntnis über solche, die gerne innerhalb einer Tonart gespielt werden, sehr hilfreich sein, wenn es darum geht, die Harmonien von Songs zu transkribieren. Das Raushören von Songs ist nämlich nicht nur eine Frage des Gehörs, sondern zu über 50% eine Frage der Logik. Wenn ich weiß, welche Akkorde innerhalb einer Tonart Sinn ergeben, kann ich viel gezielter suchen und komme wesentlich schneller an mein Ziel.
Ich möchte euch jetzt ein paar Beispiele aus der Popwelt geben, in denen Sekundärdominanten erscheinen. Dazu transponiere ich alles in die Tonart C-Dur/ Am, um es möglichst anschaulich zu halten:
Stücke mit V/VI habe ich in der letzten Folge ja schon zur Genüge präsentiert. In den folgenden Beispielen haben wir eine ganze Reihe von Sekundärdominanten:
“Blackbird” von den Beatles:
In G- Dur: I G Am7 G/B I G I C A7 D B7 I Em I
Transponiert nach C: I C Dm7 C/E I C I F D7 G E7 I Am I
Hier schön zu sehen: Der D7 leitet uns elegant zum G, und der E7 führt uns zum Am.
“Hotel California” von den Eagles:
In Bm: I Bm I F#7 I A I E7 I G I D I Em I F#7 I
Wenn wir das Stück nach C-Dur bzw. Am transponieren, erhalten wir: I Am I E7 I G I D7 I F I C I Dm I E7 I
Hier kann man interessanterweise beobachten, dass die Dominante nicht vor dem Zielakkord platziert wird, sondern dahinter. Das ist auch vollkommen in Ordnung so, denn es klingt gut und man muss die Zwischendominante nicht zwangsläufig auflösen. Versucht sie auch einfach als Farbe in einer Komposition zu betrachten, experimentiert ruhig etwas herum, spielt irgendeine Akkordfolge aus den diatonischen Akkorden und setzt eine der fünf Sekundärdominanten ein. Manches wird sehr interessant und eventuell sogar neu für euch klingen.
Anmerkung: Ein Grund, warum die Akkordfolge von Hotel California so überzeugend klingt, ist die sogenannte “Guidetoneline”, die in den Akkordtönen entsteht:
Töne in den Akkorden fallen chromatisch abwärts: A – G# – G – F# usw. (Grundton vom Am) ( Terz vom E7) (Grundton vom G) (Terz vom D7)
Auch das ist ein probates Mittel in Kompositionen, um auf interessante Akkordverbindungen zu kommen – ein weiteres Thema für eine spätere Folge.
Mit diesen neuen Akkorden habt ihr die harmonischen Möglichkeiten innerhalb einer Tonart um ein ganzes Stück erweitert – immerhin stehen euch fünf neue Akkorde zur Verfügung, die ihr in Eigenkompositionen ausprobieren könnt. Vielleicht nehmt ihr euch auch ein Songbook zur Hand und recherchiert, welche Stücke sich die Sekundärdominanten zunutze machen und ihr werdet staunen, wie viele es tatsächlich sind.t Und es gibt noch einige harmonische Möglichkeiten mehr, die in unserem chromatischen Kosmos herumfliegen. Aber das werden wir in den nächsten Folgen erkunden – bis dahin alles Gute, Haiko

Zum Abschluss noch ein paar Übungen zu den obigen Topics:
1. Wie lautet eine II V I in Ab-Dur?
2. Wie lautet eine II V I in F#m?
3. Was ist die Doppeldominante in der Tonart F-Dur?
4. Wie heißen alle Sekundärdominanten in der Tonart G-Dur? 5. Analysiere in Stufen folgende Akkordfolge: I Am7 I D7 I Gmaj7 I G7 I Cmaj7 IB7 I Em7I

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