Nachhallerzeugung gilt ganz zu Recht als Königsdisziplin unter den Audio-Effekten. Sie ist zudem auch sehr flexibel: Reverb kann einzelne Signale oder einen ganzen Mix in natürliche Räume setzen, Vocals ein gewisses Maß “Sparkle” hinzufügen, mit künstlicher Hallfahne Lücken füllen und Signale miteinander verbinden.
Mit dem auf Faltung basierenden Hallplugin Altiverb geht der niederländische Hersteller AudioEase nun bereits in die sechste Runde. Das Unternehmen aus unserem Nachbarland war bislang sehr erfolgreich mit diesem Produkt, mal sehen, ob die neueste Version den Erwartungen gerecht wird!
Viele Jahrzehnte lang war die Abbildung von künstlichen Räumen vor allem eine Budgetfrage. Angefangen bei den monströsen Hallplatten von anno dazumal bis hin zu den Klassikern wie dem Lexicon 480L oder dem 6000 MK2 von TC Electronic: Für alle muss man tief in die Tasche greifen. Der Siegeszug der Plug-Ins verringerte den Geldaufwand zum Teil erheblich, ausserdem wurde eine interessante im letzten Jahrzehnt massiv weiterentwickelt: Der Faltungshall.
Faltung an sich ist eigentlich nichts neues, sondern eine altehrwürdige mathematische Operation, bei der eine Funktion um eine weitere so “gefaltet” wird, dass sich eine dritte ergibt. Im speziellen Fall des Faltungshalls wird also unser trockenes Audiosignal so um die Impulsanwort des Raumes (quasi das “Raumsample”) gefaltet, damit ein “verhalltes” drittes Signal entsteht. Übrigens: Was mit Räumen machbar ist, geht auch mit Verzerrern, Kompressoren, EQs, Gitarrenverstärkern mit Cabinet und Mikrofon…
Obwohl Altiverb als Vorreiter in Sachen Faltung gilt und sich so einen regelrechten Kultstatus erarbeitet hat, besticht es in erster Linie gar nicht durch seine eigentlichen Funktionen, Impulsantworten auszuwerten, denn das kann auch so manch andere Freewarelösung. Was es so besonders macht, ist seine mehr als mächtige und üppige Library. So einfach wie das Prinzip der Faltung ist auch die theoretische Erstellung von Impulsantworten: Auf das zu samplende System (also in den Raum oder einen Geräte-Input) wird ein Testsignal gegeben. Daraufhin wird die Antwort des Systems aufgezeichnet. Die Qualität des Endresultats ist demnach direkt von der der erstellten Impulsantworten abhängig.
Darüber müssen sich Altiverb-Besitzer aber zum Glück keine Gedanken machen. Denn neben der erstklassigen Factory-Library bietet das Onlineportal des Herstellers auch regelmäßige, kostenlose Updates, mit denen sich diese bis ins Unermessliche erweitern lässt.
Ausgeliefert wird das etwa 600 Euro teure Plug-In für alle gängigen Platformen (VST, AU und RTAS). Die XL Version, die mit knapp 1000 Euro annähernd doppelt so viel kostet, bietet darüber hinaus auch eine TDM-Version, die es ProTools HD-Besitzern ermöglicht, die Rechenleistung auf ihre DSP-Chips zu verteilen.
Die Unterschiede beiden Versionen beschränken sich aber nicht nur darauf: Die reguläre Version von Altiverb bietet “lediglich” Mono- und Stereoausgabe, während die XL auch Surroundfähigkeit bis zu 5.1 bietet und Samplerates bis zu 384 kHz unterstützt. Die “normale” Version arbeitet bis maximal 96 kHz. Den meisten Musikproduzenten wird aber wahrscheinlich auch die reguläre Ausführung genügen.
Die zwei unabhängigen Installationen für Plug-In und Library liefen wie erwartet ohne Probleme ab. Altiverb greift in Sachen Authorisierung auf den allseits bekannten iLok-Dongle zurück.
Die Oberfläche von Altiverb wirkt von Anfang an vertraut. Wer aufwendige Diagramme und unzählige Buttons erwartet, liegt falsch. Ganz im Gegenteil: Übersichtlichkeit und klare Strukturen sind angesagt. Dies ist für Convolution-Reverbs üblich, schliesslich gibt es nicht so viele einzustellende Parameter wie bei komplett künstlich erzeugtem Nachhall. Über den internen Browser kann die Library nach Herzenslust durchstöbert werden. In den Hauptverzeichnissen (z.B. Churches, Scoring Stages, Recording Studios, Gear) finden sich die einzelnen Gebäude mit Räumen oder Geräte mit entsprechenden Presets. Darüberhinaus finden sich dort auch weitere Informationen zur Erstellung der Impulsantwort und Details zur Entfernung und Positionierung der Mikrofone zur Schallquelle, bzw. ob eine Stereo oder Mono-Source verwendet wurde. Pro Gerät bzw. Raum gibt es also mindestens ein nettes Bild des jeweiligen Raumes, teilweise sogar “virtuelle Rundgänge”. Das Auge hört eben doch mit!
Darüber hinaus können die “natürlichen” Rauminformationen aber auch nach allen Regeln der Kunst verbogen werden. Dem User stehen dazu unter anderem die Paramter „Length“ (Länge der Hallfahne), „Size“ (Raumgröße) und „Damping“ (Grad der Absorption) zur Verfügung. Die Absorption kann dabei in drei verschiedenen Frequenzbereichen (Höhen, Mitten, Tiefen) geregelt werden, wobei die Grenzfrequenzen variabel sind. Auch das Verhältnis von Pre-Delay, Early Reflections und Nachhall zueinander ist modifizierbar. Ebenso kann aber auch die Klangfarbe mit Hilfe des integrierten 4-Band-EQs an die eigenen Bedürfnisse angepasst werden.
Als besonderes Feature ausgewählter Räume bietet Altiverb mit einem 3D-Positioner dem User die Möglichkeit, Schallquellen dreidimensional im Raum verteilen zu können. Leider ist dieses geniale Feature ist nur bei ausgewählten Programmen anwendbar, da es dazu einiger wichtiger Zusatzinformationen bedarf.
Neben erstklassigen Räumen von Weltruhm fanden auch diverse Klassiker in Sachen Hallprocessing ihren Weg in diese Library. Neben diversen Platten wie der EMT 140 kann auch auf Flagschiffe wie das Lexicon 480L zurückgegriffen werden.
Allein die zwei Parameter Reverb Time und Size haben eine erhebliche Auswirkung auf den Gesammklang, wie man sehr schön bei diesen beiden “Platten” Beispielen hört.
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Song – DrySong – Drum Room ISong – Drum Room IISong – Guitar Hall
Es muss aber nicht immer so effektvoll zugehen! Gerade dezent eingesetzt wird ein Reverb Wunder, wie diese drei Beispiele beweisen. Zum einem haben wir einen “echten” Raum und zum zweiten und dritten eine Faltung eines Presets vom 480 L. Rein technisch gesehen, ist es auf Grund der fehlenden Zeitinvarianz beim Originalgerät zwar nicht möglich ein exaktes Abbild des 480 L zu erzeugen, dennoch kann das Ergebnis mehr als überzeugen.
Alle Modifikationen können im Anschluss in einem der Userpresets gespeichert und jederzeit mit Hilfe der in die GUI integrierten 40 Preset-Buttons direkt aufgerufen werden.
So schön diese ganzen möglichen Modifikationen auch sein mögen – mit jedem Eingriff in den Klang der jeweiligen Impulsantwort geht auch etwas Natürlichkeit des Signals verloren. Drastische Eingriffe empfehlen sich daher nur für erfahrene User oder zu experimentellen Zwecken.
Wer Wert auf grafische Darstellung legt, wird sich freuen, dass Altiverb sogar zwei verschiedene Ansichten des Hallsignales bietet: Zum einen die so genannte Wasserfallansicht – ein dreidimensionales Diagram, welches eine sehr detaillierte Ansicht auf Zeit- und Frequenzinformationen bietet. Zum anderen eine klassische Wellenformansicht, die zwar nur den Zeitbereich wiederspiegelt, dafür aber einzelne Kanäle getrennt voneinander aufzeigt. Das ist vor allem bei einer Mehrkanalanwendung sehr sinnvoll.
Auch die Echokammern können überzeugen: An dieser Stelle ist sehr schön zu hören, wie man sich das EQing eventuell sparen kann, wenn man die richtigen Wahl beim Raum getroffen hat.
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Nylon – DryNylon – Large Hall INylon – Large Hall II
Lange Hallfahnen in hoher Qualität zu finden, stellt mit Altiverb auch kein Problem dar: Bekanntermaßen trennt sich hier die Spreu vom Weizen, wie der natürliche Ausklang der Files beweist.
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Vocals – DryVocals – Medium Hall IVocals – Medium Hall IIWestern Guits – DryWestern Guits – Cathedral IWestern Guits – Cathedral II
Natürlich düfen auch Vocals bei einem Reverbvergleich nicht fehlen: Es zeigt sich, wie bei dezentem Einsatz von Räumen, die gesamte Qualität der Aufnahmen gesteigert werden kann. Aber auch “dramatische” Verhallungen stellen für den Altiverb kein Problem dar.
Für die Anwendung von Faltungshall ist auch auch eine FFT (eine Rechenvorgang namens “Fast Fourier Transformation”) notwendig, die allein schon einiges an Rechenpower benötigt. Ausserdem sind ein schneller Speicher und Cache vonnöten, da die Impulsantworten permanent geladen sein müssen. Abhängig von der Nachhallzeit ist so eine Impulsantwort aber auch gerne mal mehrere Megabyte groß! DSPs, wie sie ProTools HD nutzt, sind auf Grund der geringen Größe des Caches dafür eigentlich nicht geeignet, überraschenderweise und entgegen der grauen Theorie hat Audioease aber die Hausaufgaben gemacht: Altiverb gönnt sich nur erstaunlich mäßig Ressourcen.
Unserem Testsystem (bestehend aus einem Intel i7 920 2,4 Ghz @ 4,0 Ghz und 6 GB Triple DDR3 @ 1600 MHz FSB) war es ohne weiteres möglich, 64 Spuren mit unabhängigen, nativen Instanzen des Plug-Ins mit einer durchschnittlichen Impulsantwortenlänge von 6sec zu verarbeiten. Empfehlenswert ist in jedem Fall ein hohes Maß an schnellem Speicher, da durchschnittlich etwa 150 MB für die erste Instanz und 50 MB für jede weitere beansprucht werden.
Während Altiverb XL aufgrund der TDM Anbindung nahezu latenzfrei läuft, muss man sich in der nativen Variante mit circa 9 ms ( 128 Samples ) Latenz bei 44.1 kHz abfinden. Ein Punkt, den man aber aufgrund der enorm hohen Qualität der Signale getrost vernachlässigen kann. Zudem sind Reverb-Signale nicht so timingkritisch.
Auch mit Version 6 kann Altiverb seine Vorherrschaft in Sachen digitalem Hallprocessing verteidigen. Das schlanke, jedoch extrem funktionelle Interface, die erstklassige Library sowie der vergleichbar sehr geringe Leistungshunger machen aus diesem Plug-In eine Allzweckwaffe, die für jeden Mix den passenden Raum bereit hält und die Qualität des Gesamtmixes stark verbessern kann.
Ganz klar, es gibt auch hervorragende, algorithmische Reverbs, allerdings ist man naturbedingt hier immer limitiert und verliert sich womöglich in unnötiger Schrauberei. Bei Altiverb hingegen wechselt man einfach die Impulsantworten, bis was passendes dabei ist. So einfach ist das. Und sollte man irgendwann dennoch einen Mangel an Antworten verspüren, kann man sich – bewaffnet mit Speakern und Mic – auch selbst auf die Jagd nach Räumen machen.
Zwar ist Altiverb mit etwa 520 Euro Strassenpreis auch schon eine mittlere Investition, jedoch geht der Preis in Anbetracht von Qualität, Umfang und gebotenen Funktionalität mehr als in Ordnung – top Support und zukünftige kostenfreie Updates der Library inklusive.
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