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Guerilla-Gigging #5

Hallo liebe Rock’n’Roll-wütige Community. Diesmal wollen wir eine spezielle Sparte des Musikerfahrens unter die Lupe nehmen. Haptik, Haptik, Haptik oder wie es unser Percussionist Frank Groener formulieren würde: “Das fass’ ich aber net an!” Es geht um Rollrasen, exponentiell expandierende Unbekanntheit und Veränderungen.

Gras

Karlsruhe/Bruchsal: Der Regen prasselt an die Fensterscheiben. Es wird kalt. Im Kago-Kamin knistern die Holzscheite und verbreiten wohlige Wärme. Ein verängstigter Vogel zwitschert in den Bäumen. Oh shit! Ein Sanifair. Wir sind auf Tour. Haben immerhin schon 27 km hinter uns gebracht als unser Sänger Nesa zwingend eine Rast verlangt. Übertönt werden seine Rufe nach einer Pinkelpause nur von den unsinnigen “Ist es noch weit?”-Fragen der restlichen Besatzung. Nein, Frankfurt am Main ist nicht mehr weit. Gönne mir trotzdem fünf Minuten Pause in der artifiziellen Sanifair-Welt und freue mich jetzt schon auf das Gesicht eines armen Tankstellenpächters, wenn ich zum Tourende eine Flasche Talentwasser aus Lynchburg mit unseren gesammelten Wertbons erstehe. Nesa schikaniert derweil Tausende von Sanifair-Besuchern, indem er kleine Post-Its mit der Aufschrift “Beware of Limbo-dancers” an die unteren Kanten der Toilettentüren klebt.

urinals

Frankfurt am Main/Musikmesse: Zehn Minuten nach Mitternacht präsentieren wir am ersten Checkpoint unsere Parkkarte. Die Hierarchie ist klar. Besucher im Ibis-Hotel, Stars im Radisson – wir aber auf dem VIP-Parkplatz auf dem Messegelände direkt hinter der Agora-Stage. Die Firma Bürstner aus Kehl hat uns für unsere Tour ein Wohnmobil gestellt. Luxuriöses Ambiente, sechs Schlafplätze, Küche, Bad, Entertainment-Center und Standheizung. Plattgedrückte Nasen und verzweifelte Gesichter an den Fensterscheiben der angrenzenden Hotels. Wir dagegen machen erst einmal Chilli warm und stellen uns im strömenden Regen den Securities vor. Ein Vibrieren liegt in der Luft!

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Der erste Messetag: Pünktlich 20 Minuten vor Eröffnung haben wir am Torhaus-Eingang aufgebaut, das Bottleneck übergestülpt, die AERs hochgefahren und ab geht’s! “Letters from the Bayou” ist unser erster Song. Genau das Richtige, um aufzuwecken. Konfettikanonen werden gezündet und auch unser aus Straßenmusikfolkloregründen aufgestellter, mit Geschenken für die Besucher gefüllter Gitarrenkoffer entertainen die Leute schon am frühen Morgen. Irgendwie sorgt unser Schild “No money, please! Just rehearsing!” für Erheiterung. Der Chef der heiligen Musikmessehallen kommt, um uns zu begrüßen. Der Sachverhalt ist relativ einfach. Wir sind in keinem Messeplaner aufgeführt und nirgends angekündigt. Dürfen deshalb fast überall spielen, wo wir wollen. Das technische Equipment wird verplombt. Und natürlich trifft man gleich am frühen Morgen Dutzende von Musikerkollegen. CP und die süßen Mädels von Reinhardt, Rico Loop, Andy Jelitte machen den Anfang. Tour- und Equipment-Gespräche, Austausch von Standnummern, Bekanntmachung von Slots lassen schon eine Ahnung aufkommen, wie lustig dieser Tag werden wird. Das Equipment wird auf den Warwick Rock’n’Roller geschnürt und ab geht es auf der Suche nach dem nächsten Guerilla-Auftritt.

hippie cowboy II

Richten unser erstes Basislager vor Halle 9.0 ein. Die Messe ist noch keine Stunde alt, da genügt sie schon unseren gestalterischen Ansprüchen. Bunt, wild und laut. Jetzt müssen wir erst einmal alte Freunde besuchen. Graben bei Fred Starkowski von Around Music Kaffee ab. Zwei Hosentaschen voller Salzstangen später treffen wir unseren Freund Svenson wieder. Den Freiburger Gitarristen haben wir auf der MusicChina 2007 kennengelernt. Merkwürdige kleine Welt.
Mein guter Freund Peter findet mich in dem Messegewusel und will mir unbedingt etwas zeigen. Fünf Minuten später stehe ich vor einer Gruppe smokingtragender, schöner Menschen, die schöne Dinge in einer schönen Umgebung tun. Ich sinniere weiter so vor mich hin über diesen kleinen Planeten mit seinen lustigen kleinen Bewohnern und betrachte den Flatscreen, auf dem gezeigt wird, wie erwachsene Männer mit Schrotflinten Gitarren erlegen. Was für ein wunderschöner, bizarrer Planet, auf dem ich mich gerade befinde. Aliens! Aus Oregon! Kommen aber in Frieden und haben Gummibärchen und Gitarren dabei. Haptik – der Tastsinn! Nehme also eine der Gitarren aus Oregon in die Hand. Und es passiert etwas Einzigartiges. Die Technologie der Aliens ermöglicht es, so etwas wie Humanitars (Human-Guitars) zu erschaffen. Sie nennen sie Breedlove. In dem Moment, in dem Du den Hals einer Breedlove-Gitarre berührst, saugt die Gitarre Dich auf und Du wirst eins mit dem Instrument. Der Klang austariert und brillant, die Form vollendet. Ich mache den freundlichen Herren aus Oregon ein unschlagbares Angebot: Ich werde die Gitarre vier Tage lang auf der Messe durchhuddeln und eventuell danach sogar wieder zurückgeben. Alien aus einem fremden Land schaut mich, nicht minderkomisches Wesen aus Deutschland, an. Aber bei dem Bandana und dem Hut kann nur eine Entscheidung getroffen werden. Ich spiele die Breedlove!

Breedlove – Monstercable – BOSS TU-2 – Monstercable – ReezaFRATzitz – Monstercable – BOSS RC-2 – Monstercable – AER. Wow! Eine Verkettung glücklicher Umstände. Kennst Du das, wenn eine Gitarre Dich erzieht?

Zwischen Guerilla-Gigs über die ganze Messe verstreut und Freundschaftsbesuchen an anderen Messeständen bleibt immer etwas Zeit, zurück zu unserem Wohnmobil zu kehren. Chill-Zone! Kollegen kommen uns besuchen und wir machen Pläne für die nächsten Tage. Pimpen uns für die International Reception am Abend. Hurra, Ausstellerparty! Hammerbuffet mit ständig nachwachsenden Köstlichkeiten und wasserfallartigem Bierausschank. Die Band auf der Bühne heizt allen Gästen mächtig ein – Mick Moody an der Gitarre! Wir haben definitiv den kürzesten Nachhauseweg. Nutzen den Standortvorteil aus und helfen das Partyzelt abzuschließen. Als wir uns in unsere luxuriösen Schlafgemächer in unserem geliebten Wohnmobil begeben, scheint es mir für einen kurzen Augenblick so, als ob einer der Hotelgäste ein Help-me-Schild ans Fenster seines Zimmers hält. Sorry, folks! Da müsst Ihr durch.

Luau02
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Der zweite Messetag: Der Voggenreiter-Verlag hat unsere Give-away-Kiste deutlich aufgewertet. Wir verteilen Hunderte von Rasseleiern an die Messebesucher und ermuntern sie, den Tag einmal klassisch brasilianisch anzufangen. Tanz Baby, schwitz Baby. Über das Angebot einer Bikinirasur reden wir vielleicht später. Es ist einfach toll, jeden Morgen die Messe am Torhaus-Eingang zu eröffnen. Schicken die Leute natürlich alle gleich zu Marcus Deml, Christina Lux, Matthias Arp und machen Werbung für unsere nachmittäglichen Auftritte am Voggenreiter-Stand.

Wusstet Ihr, dass es bei 3.1 einen Raucherbalkon gibt? Da spielt man jahrelang auf der Musikmesse und es gibt immer noch Fleckchen, die man noch nie gesehen hat. Beschließen also umgehend, das neue Terrain für uns zu okkupieren. Beginnen unser Set mit einem flammenden Appell gegen die Diskriminierung Diskriminierter und verkünden, dass auch Raucher ein Recht auf Musik haben.

voller aschenbecher

Starten mit “Velvet Grant”. Tolles Publikum. Ein Fernsehteam stürzt sogleich auf uns und die Meute zu. Unsere drei AERs reichen nicht nur aus, um den Balkon zu beschallen, sondern unsere Musik über den ganzen Messeinnenhof zu tragen. Sehr geile Location. Ach übrigens, nur einer hat das Rauchen aufgegeben.

Schaue kurz bei Shure vorbei und bedanke mich erst einmal, dass die Firma mich mit einem Headset für die Messe ausgestattet hat. Endlich die Hände frei fürs Gitarrespielen, war sowieso nie ein haptisches Vergnügen am Galgenmikrofonständer herumzuschrauben. Ich muss allerdings zugeben, dass uns schon bei den ersten Guerillarunden am Tag zuvor aufgefallen ist, dass es nicht immer von Nöten ist, als Gitarrist freundliche, belanglose Gespräche mit Deinem Percussionisten zu führen. Schon gar nicht während dem Song. Ja, Frank, Dein Publikum weiß nun auch, dass Du jetzt gerne ein Bier trinken würdest. Ups! Der Tragekomfort des Mikros ist übrigens hervorragend. Auch mit Brille, Bandana und Hut.

Kommen pünktlich zum Voggenreiter-Stand und bauen auf. Hervorragendes Catering, superfreundliches Personal, wir fühlen uns wohl und geliebt. Nutzen die Gelegenheit, um noch kurz in der Fachliteratur des Verlags zu stöbern und schlagen kurz vor Beginn der Show Griffdiagramme nach. Hat geholfen. Sind irgendwie der genehmigte Skandal in der leisen vor sich hinraschelnden Verlagshalle. Voggenreiter wollte uns und machte sich auch keine Illusion über gebührliches Benehmen von Seiten der Band socialplastic. Voggy hatte unsere Show schließlich schon auf der MusicChina in Shanghai gesehen. Wuff, macht die Konfettikanone. Papier, Papier, überall Papier. Ich liebe die Verlagshalle.

Abenddämmerung. Auf geht es zur nächsten Party. Der MIPA-Award wird verliehen. Also, zurück zum Bürstner. Das ganze Equipment in die Garage des Wohnmobils gepackt, ein himbeerfarbenes Bandana übergestülpt, Hutkrempe glattgezogen: Dress like a rockstar, behave like a rockstar, become a rockstar! Unser alter Freund Gunter Janssen, Herausgeber vom Vintage Guitar Magazine, trudelt in unserer mobilen Chill-out-Lounge ein. Beschallen uns mit “Modern Hippie” von Marcus Deml, kochen ein wenig und schlürfen Cocktails. Der Abend kann kommen. Und der Abend kam. Oh, ja.

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Der dritte Messetag: In gewohnter Manier beginnen wir am Torhaus-Eingang das Messespektakel. Die Security kann sich ein Schmunzeln nicht verkneifen, schließlich hat er mich öfter mit einem Besen als mit einer Gitarre in der Hand gesehen. Oh, ich liebe Konfettikanonen. Dass wir bekennende Wiederholungstäter sind, zeigt sich auch daran, dass wir auch dieses Jahr wieder ein VIP-Shuttle der Firma Euler schanghaien. Treffen sich zwei Euler-VIP-Shuttles am Ausgang der Messe. Sagt der eine: “Ich komme gerade vom Flughafen. Und wohin fährst Du?” Antwortet unser Fahrer: “Ich fahr die Jungs von socialplastic zur Metro, die brauchen Talentwasser.” Fühlen uns wie wahrhafte Metropoliten. Obwohl die letzte Meola-Tour auch nicht schlecht war.

Lassen uns für unsere Feier von der Firma Roland Stärk, Weingarten, 8 qm Rollrasen anliefern. Die Vorbereitungen sind abgeschlossen. Kümmern uns wieder um das Wesentliche und ziehen weiter guerillamäßig durch die Messe. Ruhe und Erholung finden wir nachmittags wieder am Voggenreiter-Stand, um sie in das genaue Gegenteil zu verkehren. Machen so unsere Show, als plötzlich ein Mann in einem schwarzen Westernhemd den Stand kreuzt. Peter Bursch! Ich meine DER Peter Bursch! Wer hat nicht angefangen mit einem seiner Gitarrenbücher? Der Rest vom Auftritt ist schnell erzählt. Boom, zisch, krach, ploing, plopp.

Rollrasen rules!
Rollrasen rules!

Dass Fabian, der uns den Rollrasen gebracht hat, währenddessen die Motorhaube seines 73er Monte Carlos demontiert, um sie zur Gibson-Autogrammstunde mit Slash zu bringen, lassen wir unkommentiert.

Luau 2008/Musikmesse: Die erweiterte Familie gibt sich ein Stelldichein. Rollrasen, Liegestühle, eine gut sortierte Bar, drei AERs, Shure-Mikrofone, Ovation-, Takamine-Gitarren und die Breedlove. Unseren 30 Einladungen folgen 80 Leute. Manche Familien sind eben größer. Es wird gelacht und Musik gemacht. Ich werde aufgefordert, unser “Letters from the Bayou” zum Jam freizugeben. Ich sitze also so auf meinem Hocker, den ich aus dem Club Logo in Shanghai habe. Ihr erinnert Euch? Spiele meinen Song und denke so über mein Leben nach. Also, ohne Plattenvertrag, von exponentiell expandierender Unbekanntheit betroffen, in mehr als 30 Ländern der Welt gespielt und jetzt das! Ganz außen rechts sitzt Matt Smith aus New York, daneben Svenson, direkt hinter mir Peter Bursch, links von mir Matthias Arp. Und alle spielen zu meinem Song. Peter Sonntag und Reno Schnell von Final Virus kommen hinzu. Und natürlich Sky, der DJ von Prince. Was für ein Augenblick. Das Peavy-Team gibt sich die Ehre. Detlef von Schlagwerk stößt hinzu. Wolfgang Lücke bewundert kopfschüttelnd das Partymonster, das er geschaffen hat. Voggenreiter-Verlag schlägt auf und löst mit einem Lächeln unser Bierproblem. Vier Kästen werden angeliefert und die Feier geht weiter. Christian von Breedlove und der 15jährige Guitar-Guerillero Luke geben sich ein gnadenloses Gitarrenduell. Die Stimmung kocht. Erwähnte ich übrigens, dass zur gleichen Zeit kein geringerer als Yngwie Malmsteen direkt hinter uns im Agora-Zelt ein Konzert gab? Irgendwie hat sich unsere Party herumgesprochen und verselbständigt. Leute kommen aus dem Zelt und feiern mit uns. Manche Familien ticken eben anders. Ein freundlicher Anruf eines angrenzenden Hotels beendet den Einsatz von Verstärkern. Und wirklich unplugged beendet Chuck Pleasance die Feier. Ob ich dem Mann im Hotel vielleicht doch hätte helfen sollen?

Der vierte Messetag: Gutgelaunt und pünktlich erscheinen wir am Torhaus-Eingang. Juhuu, Publikumstag! Das heißt Musikmesse Frankfurt hoch 10. Noch wilder, noch lauter, noch bunter. Eben lustig. Der Respekt vor der Loudness-Polizei weicht ein bisschen dadurch, dass man die Jungs meistens vor lauter Lärm nicht versteht. Also stürmen wir das Acoustic Village, bauen uns direkt neben dem Around Music-Stand von Fred Starkowski auf, klatschen Matt Smith am gegenüberliegenden Ovation-Stand ab und lassen unsere AERs ‘mal kurz in die Dezibelmessgeräte husten. Klassenbester! AER hat gerade ein Filmteam am Stand, das eine Reportage über die Firma produziert. Die Jungs sind heftig begeistert und begleiten uns zu weiteren Guerilla-Auftritten.

Wehmut macht sich breit, als wir eines unserer letzten Konzerte vor 4.0 geben. Wir verlosen noch ein paar Ernie Ball-Saiten. Toby schenkt uns T-Shirts und Mützen von Dean. Jetzt kommt der wirklich schwere Gang. Die Abschiedsrunde durch die Hallen. Shure bekommt sein Headset zurück. Wir werden in Kontakt bleiben. Breedlove bekommt die wunderschöne Gitarre zurück. Ich glaube, dass ich mich mit Handschellen an den Stand gekettet habe, hat die Jungs davon überzeugt, dass ich wohl ein ernsthafter Breedlove-Spieler bin. Aktion war gut, hätte vielleicht bedenken sollen, dass der Stand abgebaut wird. Überlege mir für die Zukunft, mich direkt an den Chef zu ketten. Vorerst letztes Zusammentreffen mit Peter Sonntag, Reno Schnell und Matthias Arp bei Sandy und Uwe am Peavey-Stand.

Besteigen unser Wohnmobil und fahren in die Abendsonne. Ups! Fast hätten wir noch Svenson am Messeausgang überfahren. Hinter uns liegt die Skyline von Frankfurt.

Mit musikalischen Grüßen
Frank Heydthausen
www.socialplastic.com

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