Sontronics Sigma Test

Ein Röhren-Kompressor oder ein hochwertiger EQ sind Bauteile, die heute schon in verblüffender Qualität virtuell in DAWs genutzt werden. Ein Mikrofon-Wandlerprinzip zu modellieren, wird allerdings auch den Düsentriebs unter den Programmierern so schnell nicht gelingen (zumindest nicht realistisch). Dabei ist es bekanntermaßen ein Riesenunterschied, ob ein Signal mit einem dynamischen oder einem elektrostatischen Wandler aufgenommen wird. Allerdings gibt es nicht nur diese Tauchspulen- oder Kondensator-Mikrofone: Wer den wohlig warmen, seidigen Klang amerikanischer 50er- und 60er-Aufnahmen durch seine Signalwege fließen lassen möchte, kommt oftmals um den Einsatz einer speziellen Unterform der dynamischen Wandler nicht herum: dem Bändchen.

Ein Geheimtipp sind sie schon lange nicht mehr, doch sind es die etablierten Marken AEA und Royer, deren Mikrofone meist zuerst genannt werden. Die Kenner unter euch schmunzeln jetzt, wissen sie doch, dass es neben “g-u-t” noch eine andere Möglichkeit gibt, diese Firmenbezeichnungen zu buchstabieren: “t-e-u-e-r”. Trotz edler Retro-Optik verbraucht die Preisangabe des Sontronic Sigmas nur drei Stellen vor dem Komma – und nein, die vorderste Stelle ist keine Neun! Weil man trotz des geringen Preises nur Gutes über das Sontronics hört, wollen wir wissen, ob es denn auch “Schlechtes” zu hören gibt. Ihr seid dank unserer Hörbeispiele wie immer eingeladen, dabei zu sein!

Ein Leisetreter ist das Sigma bestimmt nicht: Im wuchtigen Koffer mit Zahlenschloss kommt es daher, eingebettet in schwarzen Samt wie ein diamantbesetztes Diadem. Das Sigma macht unmissverständlich klar, dass es Zeichen setzen will. Auch die Produktbezeichnung lässt aufhorchen: Der griechische Buchstabe Sigma (sieht aus wie ein um 90° gegen den Uhrzeigersinn gedrehtes großes “M”) wird in der Tontechnik für “Summe” verwendet. Offensichtlichen Freunden des Wortspiels (“Son” und “…tronics”) traue ich auch eine gewisse Bedeutungsschwangerschaft zu. Doch verlassen wir den schmalen Pfad der Mutmaßungen und biegen auf die Hauptverkehrsstraße der technischen Grundlagen ab.

Arbeitsweise eines Bändchen-Mikrofons
Ein üblicherweise rechteckiges, gefaltetes Aluminiumbändchen wird durch Luftdruckveränderungen in Schwingung versetzt. Dazu muss es idealerweise sehr dünn sein – das des Sigma misst ganze zwei Mikrometer. Durch seine Schwingung verändert es ein durch einen Magneten aufgebautes Feld, ist daher also ein dynamisches Mikrofon. Diese Bauform ermöglicht weder die Verwendung von geschlossenen Kapseln zur Nutzung des Druckempfängerprinzips (Richtcharakteristik: Kugel) noch das Ansetzen eines Laufzeitgliedes, damit der Schall einen “Umweg” zur Rückseite der Membran laufen muss (dadurch mögliche resultierende Charakteristika: Niere, Superniere, etc.). Wir haben es also auch beim Sigma mit der für Druckgradienten-Empfänger üblichen Grundcharakteristik “Acht” zu tun, welche den Schallwandler von seiner Rückseite genauso empfindlich macht wie von seiner Vorderseite. Das ist nicht unbedingt schlecht, denn die Off-Axis liegt dadurch genau seitlich, die Richtempfindlichkeit ist fast frequenzunabhängig und Achten werden für bestimmte Stereo-Mikrofonierungstechniken zwingend benötigt.
Bändchen-Mikrofone (engl. “Ribbon Mike”) haben einige Eigenschaften, die auf alle derartigen Mikrofone zutreffen: Sie liefern wenig Output, die notwendige starke Hochverstärkung und Impedanzwandlung sorgt für einen im Vergleich zu Kondensatormikrofonen höheren Rauschteppich. Neben verhältnismäßig schwachen Höhen muss man noch in Kauf nehmen, dass diese Bauform mechanisch sehr empfindlich ist. Selbst auf Luftstöße reagiert ein Ribbon-Mike allergisch!

Übrigens: Die Mikrofon-Grundlagen kann euch ein Artikel meines Kollegen Guido Metzen schonend beibringen: http://www.bonedo.de/index.php?id=1532

Das Sontronics bezirzt seinen Betrachter mit eleganter Optik in Schwarz und Silber. Das Gehäuse besteht aus zwei Backen links und rechts, umlaufend ist ein Lochblech angebracht, durch das das rechteckige Bändchen zu erkennen ist. Das an DDR-Design erinnernde Sontronics-Logo prangt mitsamt eines eingekreisten Sigmas und der großen Seriennummer auf einem Schild über dem Mikrofonverstärker. Auf der Rückseite findet man ein ähnliches Schild, das die Information über die Richtcharakteristik und die Notwendigkeit einer anliegenden 48V-Phantomspannung beinhaltet. Bedienelemente hat das Sigma keine, demnach verfügt das Mikrofon weder über Hochpassfilter noch über ein Pad.
Die “Spinne”, die zum Lieferumfang des Bändchenmikrofons gehört, sieht nicht unbedingt so aus, als könne sie manche Menschen zu panischem Kreischen veranlassen. Die elastische Aufhängung hat ein erfreulich “anderes” Design. Insgesamt macht das tontechnische Gerät einen solide verarbeiteten Eindruck, allerdings erkennt man, wenn man es genau frontal auf Achse betrachtet: Die Membran ist leicht aus der Mitte versetzt. Das ist natürlich kein technischer oder akustischer Makel, aber zumindest ein optischer. Die offizielle Bonedo-Vitrineneignungsprüfung hat das Sigma also knapp bestanden, doch was wirklich interessiert, ist schließlich der Sound. Also schnell an der Zeigefinger-Kuppe geleckt und umgeblättert!

Praxis
Es gibt drei klassische Anwendungsfelder für Ribbon-Mikrofone: Gesang, akustische Gitarre und “Gebläse”, seltener Amps und Drums. Holz- und Blechbläser werden aus Respekt vor der Fragilität des dünnen Bändchens meist in einiger Entfernung aufgezeichnet, was den oft gewünschten Nebeneffekt des größeren Raumanteils im Signal und dadurch die vor allem zur Natürlichkeit des Klangbildes beitragende Aufzeichnung in alle Richtungen abstrahlender Signalanteile führt. Den “Ella-Fitzgerald”-Bläsersatz-Sound kann man anders als mit Ribbon-Mikes kaum bewerkstelligen. Saxophone, Trompeten, Posaunen, Klarinetten, Tuben mit dazugehörigen Instrumentalisten konnten wir uns nicht so schnell aus der Rippe schneiden, aber die Erfahrung zeigt, dass heute mit derartigen Mikros vor allem Gitarre und Gesang aufgezeichnet werden. Mit beidem kann hier gedient werden, denn im Berliner Gatestreet-Studio schnappte sich Gitarrist Bassel El Hallak seine Akustikgitarre und stellte sich Sängerin Lana Quish vor verschiedene Mikrofone. Ausnahmsweise lassen wir diesmal dem Herren den Vortritt. Die folgenden Files zeigen euch, wie das Sigma mit dem Signal einer Dreadnought-Gitarre umgeht. Die Position der Membran ist parallel zur Gitarren-Decke in etwa 25 cm Abstand auf Höhe des Schallochs (mit leichtem Versatz nach oben). Mono- und Stereo-Takes sind identisch, bei den Stereofiles liefert ein verwandtes Sontronics Delta, welches Dank seiner Achtercharakteristik als Differenz-Mikrofon herhalten kann, die Stereo-Information. Das angewendete Stereo-Verfahren ist demnach “MS”, von dem man das “M”-Signal auch einzeln verwenden kann.

Audio Samples
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Gitarre MS Gitarre MS (nur Begleitung) Gitarre M (nur Begleitung) Gitarre M (nur Solo) Gitarre Bumlein

Gitarre und Bändchen vertragen sich gut: Die “Sanftheit” (oder weniger diplomatisch ausgedrückt: die Höhenarmut) ist kein Makel für das Signal, da man im Mixdown gerne sowieso die Höhen absenkt. Auch der breiter wirkende Attack steht der Gitarre gut zu Gesicht, trotzdem ist das Signal nicht breit und “platt” wie nach einer Kompression. Und wo wir schon einmal bei der Dynamik sind: Es lässt sich eine leichte Verdichtung feststellen, das Signal ist nicht neutral und sonderlich transparent – aber wer das möchte, der sollte sich schließlich auch einen anderen Mikrofontyp zulegen. Für viele Anwendungen mit akustischer Gitarre ist das Mikrofon eine “Mix-Ready-Maschine”, die den Impuls, zum EQ zu greifen, erfolgreich unterbindet. Der zu erwartende Wasserfall aus Rauschen ist beim Sontronics erfreulicherweise nur ein verhaltenes Plätschern. Schön, denn nicht alles, was “retro” ist, ist auch wünschenswert!

Das letzte File ist mit der “Blumlein”-Technik aufgezeichnet worden (koinzidente Achten mit 90° Öffnungswinkel). Dies ist vielleicht deshalb interessant, weil es im Sontronics-Schaufenster auch ein Sigma-Derivat namens “Apollo” zu bestaunen gibt, welches zwei Bändchen in MS/Blumlein-geeigneter Ausrichtung in einem einzigen monströsen Gehäuse anbietet.

Jetzt bitte die Madame ans Mikrofon! Was selbst bei mittlerem Abstand auffällt, ist die enorme Anfälligkeit dieses Bautyps für Luftbewegungen. Um die Ergebnisse nicht zu verfälschen, wurde auf ein Poppfilter verzichtet. In etwas größerem Abstand klingt das Mikrofon richtig gut. Der Röhren-Vorverstärker M610 ist offenkundig der passendste Partner für das Sigma.

Audio Samples
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Vocals Standardabstand Vocals Close Vocals Far Vocals Standardabst. Röhrenamp Vocals Standardabst. Kondenser

Für den Gesang ist das Bändchen ein wirkliches Spezialgerät, welches nicht mit jeder Stimme harmoniert und erst recht nicht für jede Mix-Ästhetik geeignet ist. Wie zu erwarten, fehlt der Stimme der hohe “Sparkle”, in unserem Beispiel ist das sogar recht schmerzlich. Wer auf die übliche Kondensator-Transparenz hofft, wird natürlich enttäuscht. Das Mikro klingt zwar nicht schlecht, es gibt jedoch (vielseitigere) dynamische Mikrofone, die auch eine Alternative darstellen. Nicht umsonst jedoch setzt fast jeder Toningenieur bei der Aufnahme von Gesang in erster Linie auf Kondensatormikrofone. Als “Effekt-Mikrofon” wirkt das Sigma allerdings doch etwas zu verhalten, die teureren Originale sind deutlich charakterstärker.

Fazit
Den vollen Retro-Style liefert das Mikrofon nicht, es klingt dafür ein wenig zu sehr nach diesem Jahrtausend. Die Frage nach der Mikrofongattung, also ob es denn wirklich ein Bändchen sein muss, sollte jeder für sich beantworten. Wer sich ein multifunktionelles Mikrofon für Gesang und akustische Instrumente besorgen möchte, ist mit dem Sigma sicher schlecht beraten: Das Sontronics ist wie alle Bändchen eben ein Spezialgerät, welches kaum als Standard-Mikrofon genutzt werden wird. Daran ändert auch der im Vergleich zu den berühmten Originalen etwas verhaltenere Retro-Charakter nichts. Wer für die Spezialanwendung Bändchenmikrofon aber nicht bereit ist, einer Schubkarrenladung Geld von seinem Konto beim Auswandern zuzusehen, der findet mit dem Sigma sicher einen sehr guten Kompromiss. Um dem Einerlei der Kondensator- und Tauchspulen-Mikrofone bei der Aufnahme von Akustikgitarren, Bläsern und Amps zu entkommen, ist das Sigma also sicher eine Überlegung wert.

Unser Fazit:
3,5 / 5
Pro
  • Preis-Leistungsverhältnis
  • für ein Bändchen gute Audiowerte
Contra
  • etwas verhaltener Bändchencharakter
Artikelbild
Sontronics Sigma Test
Für 595,00€ bei
TECHNISCHE DATEN
  • Technische Daten:
  • Empfängerprinzip: Druckgradient
  • Wandlerprinzip: dynamisch
  • Membran: Aluminiumbändchen, Dicke: 2 Mikrometer
  • Richtcharakteristik: Acht
  • Übertragungsbereich: 20 Hz – 15 kHz (± 1 dB)
  • Empfindlichkeit: 18 mV/Pa
  • maximaler Schalldruckpegel: 135 dB (0.5 % THD bei 1 kHz)
  • Phantomspeisung: 48 V (± 4 V)
  • Preis: € 589,-

Signalketten:


Gesang: Lana Quish
Gitarre: Bassel El Hallak
Instrument: Lakewood D32
Wandlung: Digidesign 192
DAW: Apple Logic Pro 8
Abhören: AE 22-01, Genelec 8250, A.D.A.M. P11 + Sub 10

alle Kabel: Vovox Klangleiter bzw. Digidesign Peitsche

 

Alle Audiofiles sind komplett unbearbeitet (Record -> Fade In / Out -> Render)

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Nils sagt:

#1 - 29.06.2013 um 13:42 Uhr

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Danke für diesen Spitzentest!
Liest sich wirklich gut und deckt sich großenteils mit meinen Erfahrungen.
Ich wundere mich nur über den Minus Punkt, für "wenig Bändchen Charakter" - mit welchen Mikros hast Du verglichen?
Für mich hat es sehr viel Vintage Bändchencharakter, mehr als Coles 4038, als Royer oder die aktuellen RCA.

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