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Roli Seaboard Rise Test

Das Seaboard Rise der Londoner Firma Roli ist ein neuartiger USB/MIDI-Controller. Wie sein großer Bruder Seaboard Grand ist das Roli Seaboard Rise eine Mischung aus einem Silikon-Touchpad und einer Klaviatur. Doch während das Seaboard Grand eher ein Synthesizer mit neuartiger Tastatur war, verlegt sich das Seaboard Rise ganz auf die Steuerung und bietet jetzt nicht nur fünf weitere Controller, sondern kann auch eine weitere Bewegung auf den Keywaves erkennen.

Das Roli Seaboard Rise ist ein neuartiger MIDI Controller mit 25 "Keywaves".
Das Roli Seaboard Rise ist ein gelungener MIDI Controller mit vielen neuen Möglichkeiten.


Dafür wurde auf die Klangerzeugung im Gerät selber verzichtet. Der im Keyboard Grand enthaltene Synthesizer wird aber als Software-Instrument zur Installation auf dem Computer mitgeliefert. Das Seaboard Rise bietet also erheblich erweiterte Fähigkeiten und angesichts des genauso erheblich niedrigeren Preises im Vergleich zu den Seaboard Grands stellt sich die Frage: Ist hier wirklich ein MIDI-Controller der neuen Generation am Start und was kann das Roli Seaboard Rise in der Praxis leisten?

Details

Gehäuse

Das Roli Seaboard Rise kommt verpackt in einer schwarzen Styroporschale, die das Gerät ganz umschließt und sich für den fahrenden Musiker durchaus auch mal als Transportverpackung anbietet. Wenn der Verschluss ein bisschen solider wäre und die Schale auch noch einen Transportgriff hätte, bräuchte man kaum ein gesondertes Case. Aber auch so ist das eine vorbildliche Idee. Im Inneren der Schale liegt dann das tiefschwarze Seaboard Rise, dessen Chassis komplett aus Metall mit einer strukturierten Oberfläche besteht. Mit 50 cm Breite, 21 cm Tiefe und keinen 3 cm Höhe (!) ist das Keyboard gut für unterwegs geeignet. Auf der Unterseite sorgen großflächige Gummimatten für den sicheren Stand.
Auf der Oberseite finden sich sämtliche Bedienelemente. Die Keywaves bestehen aus schwarzem Silikon, die Controller auf der linken Seite aus schwarzem Gummi. Akzentuiert wird das Schwarz dann durch ein paar wenige weiße Elemente für das Logo und zur Bezeichnung der schwarzen (!) Tasten. Viele Bedienelemente sind mit LEDs beleuchtet. Man kann es gar nicht anders sagen: Das Roli Seaboard Rise ist eine außergewöhnlich elegante Angelegenheit und mit seiner unkonventionellen „Tastatur“ ein echter Blickfang! Auffällig ist auch das hohe Gewicht: Durch den massiven Metallkörper und die innen liegenden Akkus (dazu später mehr) ist das Seaboard Rise mit seinen 2,8 kg für einen Controller mit 25 Tasten recht schwer und vermittelt ganz klar Wertigkeit und den Anspruch, als „echtes“ Instrument wahrgenommen zu werden. Das Gewicht garantiert zudem zusammen mit den Gummifüßen einen sicheren Stand, wodurch das Seaboard Rise beim Herumdrücken auf den Keywaves nicht verrutscht.

Fotostrecke: 4 Bilder Das Roli Seaboard Rise verfolgt einen neuen Ansatz.

Keywaves und Controller

In den Metallrahmen eingelassen sind in der Hauptsache die 25 Keywaves, außerdem drei Slider, ein X/Y-Pad, Oktav- und Programmwahlschalter sowie der Ein-Aus-Knopf, der auch zur Anwahl des Setup-Menüs dient und durch seine verschiedenfarbige LED-Beleuchtung weitere Informationen anzeigt.
Hauptspielfläche und wichtigstes Alleinstellungsmerkmal des Seaboard Rise sind die vom Seaboard Grand bekannten „Tasten“: die Keywaves. Sie sind eine komplette Neuentwicklung und am besten kann man sich das vielleicht als Klaviertastatur vorstellen, über die ein Tuch gelegt wurde. Das Tuch besteht allerdings aus ziemlich weichem, dickem Silikon und schmeichelt den Fingern recht angenehm. Wer jetzt nicht weiß, wie sich das anfühlt, hier ein Tipp: Besseres Sexspielzeug wird auch oft aus Silikon gefertigt. Die Keywaves des Seaboard Rise fühlen sich an wie eine Mischung aus Haut und Gummi und sind keine starre Oberfläche, sondern warm und weich.
Unter diesem „Silikontuch“ lassen sich die Tasten natürlich nicht mehr so recht ausmachen, weshalb das Ganze auch wirklich nur noch entfernt an eine Klaviatur erinnert. Dabei liegen die Keywaves in der Mitte eines etwa 20 x 40 cm großen Felds und lassen oben, unten und an den Seiten noch Raum für einen Bereich ohne Erhöhungen, der dann quasi als Ribbon Controller funktioniert.
Anders als beim Seaboard Grand ist die Tastatur ein wenig flacher in der Ausführung und fühlt sich zumindest für mich persönlich besser zu spielen an. Ganz wichtig ist an dieser Stelle aber zu betonen, dass wir es hier nicht einfach mit einer anderen Art Keyboard zu tun haben. Das Seaboard Rise ist keineswegs ein Controller explizit für Keyboarder, auch wenn die sicherlich besonders angesprochen werden. Trotzdem ist es wie das Haken Continuum oder die Controller von Keith McMillen eine universelle Angelegenheit und im Prinzip kann es jeder spielen, genauso wie Korgs Kaoss Pad ja auch von jedem bedient werden kann. Tatsächlich kann man das auch ein bisschen vergleichen, denn letztlich stellen die Keywaves so etwas wie ein großes Touchpad dar, allerdings mit dem entscheidenden Unterschied, dass es nachgiebig ist. In die Tiefe geht es so zwischen 0,5 und 1 cm, je nachdem ob sich der Finger gerade auf einer Keywave befindet oder nicht. Die Keywaves registrieren Bewegungen aus allen Richtungen: von oben beim Anschlagen, von unten beim Loslassen, auf Druck in die Tiefe, nach links und nach rechts. Alles in allem sind das also fünf Parameter. Eine Besonderheit ist, dass es augenscheinlich zwar schwarze und weiße Tasten gibt, die schwarzen Tasten aber nicht auf den hinteren Teil der Tastatur beschränkt sind, sondern durchgängig von vorne bis hinten spielbar sind. Aber es wird noch verrückter: Während bei einem herkömmlichen Keyboard die weißen Tasten die unterste Ebene darstellen und die schwarzen Tasten dann eben die erhöhten Tasten sind, ist es bei den Keywaves so, dass sich die weißen Tasten aus dem Silikonbett heraus drücken und infolgedessen schon mal erhöht sind. Und die schwarzen Tasten sind dann im hinteren Bereich noch höher als die weißen, im vorderen Bereich liegen sie aber auf der gleichen Höhe wie das Silikonbett, also tiefer als die weißen Tasten. Oder kurz gesagt: Bei den Keywaves sind die weißen Tasten erhöht und die schwarzen Tasten liegen teilweise tiefer als die weißen. Das ist ungefähr so, als würde man einem Gitarristen sagen: Manchmal sind die tiefen Saiten vorne, manchmal aber auch hinten und teilweise wechselt das auch. Aber um kurz mal Beruhigung einkehren zu lassen: Eine Oktave Keywaves ist nicht ganz zufällig genauso breit wie eine Normoktave auf einer Klaviertastatur. Die Keyboarder werden also nicht ganz allein gelassen.

Fotostrecke: 4 Bilder Die Keywaves bestehen aus Silikon und fühlen sich warm und weich an.

Auf der linken Seite der Keywaves sind dann die weiteren Controller angelegt, als da wären: ein X/Y-Touchpad, drei Fader sowie Oktav- und Programmwahlschalter. Diese haben eine gummierte Oberfläche und sind dezent beleuchtet. Die Oktav- und Programmwahlschalter bieten einen sehr diskreten, aber gut zu fühlenden Druckpunkt, auch wenn man bei herausstehenden Knöpfen die Schalter natürlich viel besser erfühlen kann. Man kann sich aber trotzdem ganz gut an dem strukturierten Metallrahmen orientieren und wenn man dann mit den Fingern auf dem Gummi landet, ist die Oktavierung nicht mehr weit. Bei den drei Slidern bietet sich der Vergleich mit den LED-Slidern etwa der AKAI Max Keyboards oder des Livid Instruments Base an, allerdings mit dem großen Unterschied, dass man auch hier wieder nicht auf einer harten Plastikoberfläche spielt, sondern auf etwas Weichem. Die Fader sind dabei leicht v-förmig in die Oberfläche eingekerbt und die Fingerkuppe sitzt ganz automatisch in der Laufrille. Und auch hier wieder Eleganz: Wo sich bei den anderen Controllern die LEDs der Anzeige wie Klötzchen aufeinander stapeln, wird hier der gerade aktuelle Wert durch eine durchlaufende Lichtleiste angezeigt. Indirekte Beleuchtung also, sehr schick!

Fotostrecke: 3 Bilder Die Anschlüsse befinden sich an der linken Seite.

Anschlüsse

Die physischen Anschlüsse befinden sich allesamt auf der linken Seite, als da wären: ein Pedalanschluss, wahlweise für ein Sustain- oder ein Expressionpedal, ein USB-Anschluss Typ B zur Verbindung mit dem Computer, ein USB-Anschluss Typ A zum Aufladen anderer Geräte über den Akku und schließlich ein Stromanschluss, falls man das Seaboard Rise nicht über USB oder Akku laufen lassen will oder es schneller aufladen möchte, als das über den USB Port eines Computers funktioniert. Beigelegt sind allerdings nur ein USB-Kabel und eine Kurzanleitung, außerdem eine Seriennummer.
An einen Computer anschließen lässt sich das Seaboard Rise aber nicht nur kabelgebunden, sondern auch über MIDI per Bluetooth. Das ist eine spezielle Bluetooth-Verbindung, die im Prinzip ganz ähnlich funktioniert wie MIDI über WIFI. Roli gibt die Bluetooth-Latenz mit 5 ms an, was doch einiges mehr ist als über Kabel und dann eine recht flotte Audiomaschine braucht, um nicht bemerkbar zu werden. Eigene Treiber braucht das Seaboard Rise nicht, es wird direkt als generischer MIDI Controller erkannt.
Wenn das Seaboard Rise aber nicht am Kabel hängt, woher bekommt es dann Strom? Ganz einfach, aus den eingebauten Akkus. Nach Angaben des Herstellers halten die Akkus 11-12 Stunden kontinuierliches Spielen durch, aufgeladen sind sie in drei Stunden mit einem gesondert zu erwerbenden Netzgerät, über den USB-Port dauert das ungefähr doppelt so lange.

Software

Die Seriennummer braucht man, um sich die Software herunterzuladen, die aus zwei Programmen besteht: zum einen ist das der Editor, der von Roli „Dashboard“ (auf Deutsch: Armaturenbrett) genannt wird, zum anderen ein Software-Synthesizer namens “Equator”, der standalone oder als VST- oder AU-Plug-in funktioniert. Um die Software herunterzuladen, muss sich einen Account bei Roli erstellen. Danach registriert man sich noch einmal mit einer Seriennummer und der Hardware-Seriennummer und erst dann kann man die Software herunterladen. Leider kann man Editor und Synthesizer nicht getrennt laden und weil der Synthesizer teilweise auf Sample-Basis läuft, müssen insgesamt etwa 1,6 GB heruntergeladen werden.

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Praxis

MIDI-Kanäle und Anforderungen an Klangerzeuger

Wie man sich vorstellen kann, ist das ist eine ziemlich komplizierte Angelegenheit, die das herkömmliche MIDI-Protokoll sprengt. Gelöst wird das durch eine kreative Verwendung der MIDI-Kanäle: Wo es ursprünglich vorgesehen war, dass auf jedem Kanal ein anderes Instrument erklingt (multitimbral), werden die verschiedenen Kanäle beim Seaboard Rise den einzelnen Fingern zugeordnet, so dass jeder Finger quasi seinen eigenen MIDI Kanal hat, auf dem er machen kann, was er will. Jetzt weiß das Seaboard natürlich nicht, welcher Finger da gerade spielt, weshalb die Kanalzuordnung so ähnlich funktioniert wie zum Beispiel die Stimmenzuweisung bei einem mehrstimmigen Synthesizer: Es wird immer der nächste freie MIDI-Kanal verwendet. Wirklich vorhersehen, welcher Kanal als nächstes benutzt wird, kann man in der Praxis kaum.
Wenn wir jetzt also auf allen Kanälen den gleichen Sound spielen wollen, dann ist die praktische Folgerung, dass man ein einzelnes Instrument einfach so oft kopiert wie gewünscht und dann auf unterschiedliche MIDI-Kanäle legt. Für einen vierstimmigen Synthesizer in NI Kontakt würde man zum Beispiel einfach bei einem monophonen Synth die fünf Parameter der Keywaves, die drei Slider und das X/Y-Pad so verteilen, wie man sie gerne hätte, das Instrument speichern und dann drei weitere Kopien davon laden. Da Kontakt neue Instrumente automatisch aufsteigend auf unterschiedliche MIDI-Kanäle legt, hat man so schnell einen vierstimmigen Synthesizer mit 10 steuerbaren Parametern! Wer dann noch ein bisschen analoges Verhalten des Synthesizers simulieren will, verstimmt die einzelnen Stimmen noch leicht gegeneinander und bekommt so ein sehr lebendiges Klangbild, bei dem man nie weiß, welcher Oszillator gleich zu hören sein wird.
Welche Parameter man dann einsetzt, bleibt jedem selbst überlassen: LFO-Frequenz über die Seitwärtsbewegung regeln? Reverb Stärke über vertikale Bewegung? Das Fantastische ist: Man kann zum Beispiel auch eine einzelne Stimme in eine Kirche verlegen, während die anderen im schalltoten Studioraum spielen. Und durch Gleiten auf den Tasten wandern die Stimmen dann in den jeweils anderen Raum. Oder wie wäre es mit einem Drumloop, der über Aftertouch in der Geschwindigkeit verändert wird, während ein zweiter genau gleich schnell bleibt? Oder ein Drumloop, dessen letzter Beat mit Loslassen der Taste zu einer Bassdrum wird, die in einen massiven Hallraum geht? Über Geschmack lässt sich schließlich nicht streiten. Aber es gibt viel zu tun und viel auszuprobieren und es wäre viel zu schade, Aftertouch immer nur zum Triggern von Vibrato einzusetzen!

Fotostrecke: 2 Bilder Das “Dashboard” ist der Editor zur Konfiguration des Roli Seaboard Rise.

Spielgefühl

Jetzt aber mal die Hände auf die Keywaves und die anderen Controller, funktioniert das überhaupt? Man könnte ja sagen: 10 Controller, das ist viel zu viel, ich habe ja schon mit 10 Fingern gut zu tun? Aber was soll man sagen: Es funktioniert ganz wunderbar! Und ja, am Anfang es ist ein bisschen viel auf einmal, und man kann auch nicht mit einem Finger nach oben sliden, mit dem anderen Finger seitwärts gliden und mit dem dritten Finger vibrieren, während die andere Hand virtuos auf dem X/Y-Pad moduliert. Und dann stellt man fest: Doch, man kann. Man kann völlig unmögliche Sachen damit machen, und zwar nicht mehr gedanklich, also im Sinne von „ich drehe jetzt an diesem Regler, dann geht das Filter auf“, sondern einfach über die Ohren. Das Seaboard Rise ist ein ganz ungewöhnlich „musikalischer“ Controller, gerade weil er so viele verschiedene Parameter mit so vielen verschiedenen Bewegungen verbindet. Und es ist überraschend, wie gut man die Geschwindigkeit eines LFOs über vertikales Gleiten auf einer Keywave steuern kann. Und man spielt die Keywaves auch nicht wie ein Keyboarder auf den Tasten, sondern man geht in die Keywaves hinein und es ist ein bisschen wie Teig kneten, nur mit Klängen. Das war ja ein bisschen die Verheißung der Multitouch-Screens à la iPhone, iPad, Surface und früher Lemur, aber dadurch, dass man beim Seaboard Rise auch wirklich in die Tiefe greifen kann und das Silikon warm, weich und widerständig ist, kommt man zu einem ganz anderen Spielgefühl.
Und wenn der gesteuerte Klangerzeuger es erlaubt und entsprechend programmiert wird, kann man einfach ganz andere Sachen damit machen: Hall geht jetzt pro Ton, nicht nur für alle Töne gleichzeitig. Derselbe Hall lässt sich, ohne die Tasten zu verlassen, groß und wieder klein machen. Man kann fünf Sequenzen spielen und die eine plötzlich ein bisschen schneller ablaufen lassen, aber eben nur die eine. Man kann über die Keywaves auf einmal für jeden einzelnen Ton fünf verschiedene Dinge steuern, die die anderen Tönen nicht betreffen. Und dann hat man noch fünf weitere Controller auf der linken Seite, die auf den Gesamtklang wirken. Der Hammer ist: Das Ganze fühlt sich trotzdem organisch an, weil man nicht auf einer Glasscheibe herum tippt, sondern auf etwas, das eine Struktur hat und das auf den Fingerdruck viel besser reagiert.
Sicher, man muss sich an die Oberfläche gewöhnen: Das Silikon wellt sich manchmal, es drückt sich unterschiedlich tief, die schwarzen und weißen Tasten sind alle durchgehend nebeneinander und nicht mehr getrennt. Man muss auch manchmal den Finger in den richtigen Winkel stellen, damit das mit den Gleitbewegungen gut klappt. Die Keywaves sind eben keine normale Tastatur, sondern ein anderes Instrument, daran muss man sich natürlich erst einmal gewöhnen. Für die Keyboarder unter uns kann ich aber trotzdem Entwarnung geben: Vieles geht nach ein bisschen Eingewöhnung doch sehr gut. Die Abstände zwischen den Tasten sind die gleichen wie auf einer Normtastatur und wenn man sich einmal daran gewöhnt hat, dass die weißen Tasten erhöht sind, kann man auch ganz gut darauf spielen. Vielleicht keinen Liszt oder Rachmaninow, aber die Soli von Tony Banks sind drin, und die sind ja auch nicht ohne. Überhaupt kommt man nach einer Weile aus dem Staunen nicht mehr heraus: Glissando nur auf den weißen Tasten? Geht, trotz anderem Tastatur-Layout. Glissando nur auf den schwarzen Tasten: Geht auch. Chromatisches Glissando? Ja, aber welches hätten sie denn gern, eines in Halbtönen oder stufenlos? Auch dass der Finger unterschiedlich tief einsinkt, macht Sinn, denn so kommt man besser über die Vertiefungen und Erhöhungen der Keywaves. Wie gesagt: Ganz ohne Übung geht das nicht, aber die Möglichkeiten entschädigen für die Mühe.
Was stört? Es gibt ein paar wenige Dinge, wovon nur eines tatsächlich mit dem Seaboard Rise selber zusammen hängt. Zum einen haben die Slider nicht auf Anhieb immer ganz so reagiert wie ich es erwartet hätte. Das lässt sich allerdings vergleichen mit den Fadern der allermeisten Geräte, die auch gern ein wenig Spiel haben, bevor sie überhaupt etwas senden. Und zum anderen kann man nicht einstellen, ob sie auf Fingerdruck auf eine neue Position springen oder ob man sie von der ursprünglichen Position abholen soll. Das ist aber eher eine Frage der Software und sollte sich mit einem Update leicht beheben lassen. Fragwürdig ist allerdings das Marketing von Roli, das lauter neue Wörter erfindet, einen ungefragt in den Newsletter einträgt und wo man sich sogar beim Starten der Software erst einmal einloggen muss. Eine Bedienungsanleitung heißt jetzt „Creator Manual“, weil man bei Roli nicht einfach Kunde und auch kein schnöder Musiker mehr ist, nein, man ist jetzt Creator. Dazu passt das Setup-Menü, das „Expression Mode“ heißt, obwohl man doch nur im „MIDI Mode“ expressiv spielen kann und ein Editor, der „Dashboard“ heißt. Und dann gibt es noch einen Synthesizer, der Equator heißt. Obwohl, halt, das stimmt nicht. Es muss heißen: Es gibt einen tollen Synthesizer, der auf den Namen Equator hört – und dazu gleich mehr.

Fotostrecke: 2 Bilder Dem Roli Seaboard Rise liegt der darauf abgestimmte Software Synthesizer Equator bei.

Software

Sowohl Editor als auch Synthesizer sind ziemlich schöne Software. Beim Editor kann man auf einem großen Gitter sofort sehen, wie die Software die Bewegung der Finger auf den Keywaves interpretiert. Normalerweise ist das Grid rechtwinklig und gerade, bei Aftertouch dagegen verzieht sich das ganze Gitternetz wie das Raum-Zeit-Kontinuum bei Einstein zu Hause. Der Editor ermöglicht die detaillierte Programmierung aller Funktionen auf einer übersichtlichen Oberfläche.
Der Synthesizer „Equator“ ist nicht eine dieser üblichen, abgespeckten Dreingaben, sondern einer der besten Software-Synthesizer, die ich kenne. Der prinzipiell subtraktive Synthesizer bietet fünf Oszillatoren, von denen drei auf Wavetable-Basis arbeiten und zwei auf Samples basieren. Alle Oszillatoren können sich Frequenz-modulieren, dazu kommen frei zeichenbare Envelopes, zwei LFOs und eine Anzahl an Effekten, von denen die meisten in Stereo ausgelegt sind. Alle diese Dinge können ganz leicht den zehn spielbaren Parametern des Seaboard Rise zugeordnet werden, wobei ein einzelner Parameter auch mehrere Dinge in unterschiedlichen Verhältnissen regeln kann, sprich: Aftertouch kann das Filter, den LFO und den Hall für einen einzelnen Ton separat regeln. Die Filter sind hervorragend und es gibt zum Beispiel auch so eine Seltenheit wie ein Kammfilter mit regelbarem Feedback, das auch sehr schön zulangt. Alles in allem erinnert das ein bisschen an den großartigen Camelaudio Alchemy, nur eben jetzt auch noch mit einem kongenialen Controller dazu. Und irgendwo scheint mir da nämlich auch noch granulare Synthese drin zu stecken, sonst könnte man nämlich nicht die Samples so schön in der Tonhöhe verbiegen. Sehr schön hören kann man das in dem Klangbeispiel mit dem Klaviersound, wo aus einem Klavierakkord heraus ein einzelner Ton eine Oktave höher und wieder hinunter rutscht. Das ist überhaupt schon mal eine starkes Stück, dass es das dann auch noch ohne hörbare Artefakte funktioniert, ist enorm. Und mir scheint es, als wäre das ein ähnlich großer Sprung nach vorne wie das letzte Mal beim Roland V-Synth, und das ist schon eine ganze Weile her.

Audio Samples
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Piano Glide

Tatsächlich ist es beim Equator so, dass man eher aufpassen muss, nicht zu viel zu machen, denn unterschiedliche Hallfahnen führen zum Beispiel unweigerlich zu Auslöschungen. Zu was es übrigens auch führt, ist eine hohe Prozessorbelastung, wobei interessanterweise vor allem das Dashboard da ziemlich zu Buche schlägt. Das kann man zwar problemlos ausschalten und trotzdem weiter spielen, aber mein MacBook Pro Mid-2013 mit 8 GB Arbeitsspeicher und SSD kam ganz klar an seine Grenzen. Das passiert in den letzten Jahren eigentlich nicht mehr oft, selbst bei Sachen, die gleichzeitige Audio- und Videobearbeitung erfordern. Aber man muss sich vielleicht auch klar machen, dass man hier für jede Stimme einen einzelnen Synthesizer lädt. Beim oben genannten Beispiel mit NI Kontakt ist das machbar und weil Kontakt ein Sample Player ist, geht es da eher um eine schnelle Festplatte. Beim NI FM8 dagegen muss man sich in einem VST/AU-Host acht separate Instanzen des ganzen Instruments laden, um achtstimmig zu spielen. Das ist im Moment für viele Computer noch viel Holz, aber in fünf Jahren wird das alles erledigt sein. Der Equator ist ein richtig gut klingender Software-Synthesizer und auch hier gilt: Für gut klingende Software braucht man gute Algorithmen und vor allem viel Rechenpower. Auch hier stehen die Zeichen also gut und die sehr schön programmierten Werksounds zeigen auf, wohin die Reise gehen kann, zumal im Verband mit einem Controller wie dem Seaboard Rise.
Abschließend ist zu sagen: Die Website von Roli ist gut gemacht und die FAQ und die Knowledge Base ziemlich gut bestückt. Die Technik, verschiedene MIDI-Kanäle nicht zur Steuerung multitimbraler Synthesizer, sondern zur umfangreichen Steuerung nur eines einzelnen Sounds zu verwenden – das Ganze heißt offiziell Multidimensional Polyphonic Expression (MPE) – ist neu und braucht Einarbeitung. Die Website bietet dafür aber viel Information und auch Templates für viele DAWs. Wer keine eigenen Setups programmieren will, findet in dem mitgelieferten Equator Synthesizer aber ohnehin schon so viel Material vor, dass sich etliche Kinofilme vertonen lassen.
Die Klangbeispiele sind alle mit dem Equator gemacht, wobei es mir vor allem darum ging, die Dinge zu zeigen, die man mit dem Seaboard Rise anstellen kann und nicht primär um den Synthesizer. Im ersten Beispiel wird dann auch einfach das erste Preset genommen und der Sound kurz vorgestellt. Danach werden die verschiedenen Parameter vorgestellt, die man alle einfach „spielen“ kann, ohne einen Finger vom Seaboard Rise zu nehmen und schließlich noch mal mit dem Orgelsound gespielt, diesmal aber so, wie man es einfach mit keinem anderen Controller spielen könnte: herzzerreißend krumm und schief, aber doch mit viel Gefühl! Auch die weiteren Beispiele mit leicht modifizierten Presets sollen solche Möglichkeiten aufzeigen und das Wichtige ist: Die Finger haben dabei nie den Controller verlassen, alle Sounds wurden direkt so generiert und nicht nachgearbeitet.

Audio Samples
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Parameter Rhodes Strings Delay Multi Delay
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Fazit

Als mich die Reaktion fragte, ob ich ein Roli Seaboard Rise testen will, war ich nicht sofort begeistert: Mit dem Seaboard Grand konnte ich mich nicht wirklich anfreunden und mit den aufgerufenen Preisen noch viel weniger. Das hat sich ganz gründlich geändert: Durch die Hinzufügung der vertikalen Bewegung auf den Keywaves, des X/Y-Pads und der drei Slider und durch die Möglichkeit, verschiedene Parameter eines einzelnen Tons separat von den anderen zu steuern, ist ein MIDI-Controller einer neuen Art entstanden. Das Roli Seaboard Rise löst das Versprechen ein, das die Multitouch-Geräte einst gaben, nämlich mit den Fingern direkt in den Sound einzutauchen und ihn dort intuitiv zu verändern. Und auch wenn das Seaboard Rise kein Controller nur für Keyboarder ist, können Keyboarder dank der kongenialen und durchdachten Oberfläche nach einer ziemlich kurzen Eingewöhnungsphase sicher darauf spielen und das so ausdrucksstark wie nie zuvor. Angesichts der verbauten Technik und der Entwicklungskosten lässt sich das Roli Seaboard Rise vom Preis her wahrscheinlich auch nicht noch günstiger anbieten und insofern gilt: tolle Sache, tolles Gerät, Hut ab!

Unser Fazit:
4,5 / 5
Pro
  • neuartiges Konzept, das funktioniert
  • erweiterte Steuerungsmöglichkeiten gegenüber dem Seaboard Grand
  • sehr guter Editor
  • toller mitgelieferter Software-Synthesizer mit sehr guten Presets gerade im Zusammenspiel mit dem Seaboard Rise
  • gute Website mit vielen Erklärungen
  • sehr stabiles Metallgehäuse mit perfektem Stand
  • schnurloser Betrieb über Akku und MIDI per Bluetooth
Contra
  • hohe Prozessorbelastung durch Editor und Synthesizer
  • erfordert komplexe mehrkanalige Setups auf Seiten der gesteuerten Klangerzeuger
  • Silikon ist empfindlicher als Plastik
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Roli Seaboard Rise Test
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Das Roli Seaboard Rise ist ein gelungener MIDI Controller mit vielen neuen Möglichkeiten.
Das Roli Seaboard Rise ist ein gelungener MIDI Controller mit vielen neuen Möglichkeiten.
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