Omenie Limited 50th Anniversary Edition Mellotronics M3000 Test

Nicht die Schweizer haben es erfunden, sondern der Amerikaner Harry Chamberlin, und zwar in den frühen 50er Jahren des vorigen Jahrhunderts. Das nach ihm benannte Tasteninstrument „Chamberlin“ erzeugte Klänge durch das Abspielen von Tonbändern, auf denen bereits einzelne Instrumenten-Töne aufgenommen wurden und begründete somit das klassische (Multi-) Sample Player Prinzip in lupenreiner Analogtechnik!

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Eine größere Popularität als das „Chamberlin“ erlangte das auf der gleichen Idee beruhende und in England ab 1963 hergestellte Mellotron des Herstellers Streetly Electronics, von dem in den folgenden Jahrzehnten verschiedene Modelle gebaut wurden. Bis heute genießt dieses Instrument, dessen Sounds auf zahllosen Tonträgern verewigt wurden, absoluten Kultstatus, was sich an diversen Nachbauten, Software-Emulationen, Sound Librarys und Soundprogrammen Sample-basierter Synthesizer zeigt. Und wie könnte es anders sein, gibt es dieses antiquierte Hardware-Ungetüm jetzt auch als iOS App. Sind die für eine App selbstbewussten 11,- Euro gut angelegt oder sollte man für das Geld lieber ins Kino gehen?

Details

Eine technische Besonderheit vorweg: Die Hardware-Vorbilder haben bei Tastenbetätigung keine Bandschleife (Loop) abgespielt, sondern eine Aufnahme von ca. 8 Sekunden Länge – pro Taste wohlgemerkt. Dieses speicherintensive Prinzip wurde von der App übernommen und sorgt für ein Plus an Authentizität. Da iPads gegenüber Computern (noch) nicht über „unbegrenzten“ Speicherplatz verfügen, ist die Soundauswahl gegenüber den mir bekannten Mellotron Plug-ins abgespeckt, deckt aber einen großen Bereich der musikrelevanten Mellotron Sounds ab. Folgende „Voices“ stehen zur Verfügung: 

  • Church Organ
  • Boys Choir
  • Female Choir
  • Eight Choir
  • String Section
  • MKII Violins
  • Cello
  • MKII Flute
  • MKII Clarinet
  • Oboe
  • Tenor Sax
  • MKII Brass
  • Trombone
  • Piano
  • Rhodes
  • MKII Vibes

Typische Mellotron Effektsounds, die im Zeitalter des Schwarz-Weiß-Fernsehers u.a. zur Filmvertonung genutzt wurden, sind nicht im Repertoire enthalten, worin ich allerdings kein großes Defizit sehe. Alle klangspezifischen Einstellungen (Voices/Layer, Hall etc.) werden inklusive der im Folgenden erläuterten Features als „Bank“ auf insgesamt 32 Speicherplätzen gesichert.

Der Keyboard Mode
Der Keyboard Mode

Klangparameter

Die Bearbeitungsmöglichkeiten sind gewohnt puristisch, aber ein paar kleine Überraschungen hat die Jubiläums-App noch im Ärmel versteckt. Der Reihe nach:

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Mit Ausnahme des „ABC“-Reglers sollten die Regler und Parameter in Abbildung 2 generell selbsterklärend sein. Dieser besagte Drehregler ermöglicht das Überblenden und Layern der auf der rechten Seite unter A, B und C angewählten Voices. Sehr praktisch ist seine, dem Modulationsrad zugewiesene Controller-Belegung. Betätigen wir den Touch-Button „Pad Mode“, ändert sich die Benutzeroberfläche wie folgt:

Der Pad Mode
Der Pad Mode

Subtile Klangrelevanz hat der mysteriöse Parameter „Inch Tapes“. Die Grundeinstellung (0) lässt sich auf 1 oder 2 erhöhen, doch was bewirkt er? Diese Funktion ermöglicht ein Fine Tuning des Sample- bzw. Tonbandstartpunktes, was bei schnellen Tonfolgen vorteilhaft sein kann. In Audiobeispiel 1 hören wir viermal hintereinander die gleiche Tonfolge nach folgendem Ablauf:

  • Piano: (Inch  Tapes: 0)
  • Piano: (Inch Tapes: 2)
  • Strings: (Inch  Tapes: 0)
  • Strings: (Inch  Tapes: 2)
Audio Samples
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Inch Tapes

Loop / Voice D

Alternativ zum achtsekündigen Auslesen der Samples stehen zwei Loop Modi (3 und 5 Sekunden) zur Auswahl, was zum Einen bei lang gehaltenen Flächen von Vorteil sein kann und natürlich auch Vorzüge beim Speicher-Management hat. Somit ermöglicht der Loop Modus bei Bedarf die Nutzung einer weiteren Voice, der sogenannten Voice D, die über einen separaten MIDI-Kanal angesteuert werden kann.

Loop
Loop

Keyboard / Chord Memory

Im Standardfenster (inaktiver Pad Mode) präsentiert das M3000 zwei Touch Keyboards à 19 Touch Keys, worüber auf gut drei Oktaven die unter A/B/C eingestellten Sounds spielbar sind. Im Pad Mode dagegen steht nur ein Touch Keyboard zu Verfügung, wobei die Ansicht zwischen oberem und unterem Keyboard umschaltbar ist. Dafür bietet dieser Modus mit seinen insgesamt zwölf Pads ein weiteres interessantes Feature. Korrespondierend mit dem Record Button lässt sich pro Pad ein Akkord aufnehmen und abspielen, wodurch im Endeffekt Akkordfolgen von bis zu zwölf verschiedenen Akkorden quasi mit einem Finger spielbar sind. Da das polyphone Keyboardspielen m.E. nicht zu den Stärken von Touch Keyboards zählt, handelt es sich hierbei um ein sinnvolles Feature. Eine Latch- oder Hold-Funktion, wie man sie von anderen Instrumenten-Apps kennt, wäre hier von zusätzlichem Vorteil, ist aber leider nicht vorhanden.

Chord Memory
Chord Memory

Einbindung

Audiobus und Core MIDI ermöglichen die problemlose Einbindung in Setups innerhalb und außerhalb des iPads. Die virtuellen Potis sind von Class Compliant MIDI-Controllern und externen DAWs per MIDI CC# steuerbar. Die Kompatibilität zu Apples neuem Inter-App Audio Standard liegt noch nicht vor, wobei der Name „Inter-App Audio“ etwas zusammenhanglos und wahrscheinlich irrtümlicherweise schon in der Bedienungsanleitung auftaucht – ich werte es mal als Indiz dafür, dass ein kommendes Update die M3000-App mit diesem Feature aufwertet.

Praxis

Sound

Der Soundqualität des iOS-Mellotrons bewegt sich auf dem ähnlichem Niveau vergleichbarer Plug-ins oder Library Sounds. Charaktervolle, analoge LoFi-Artefakte sowie leichte tonale Verstimmungen sind hier ausdrücklich erwünscht. Beim Layering einiger Sounds empfinde ich die gegenseitige Verstimmung allerdings als ein wenig grenzwertig, wodurch sich manche Kombinationen ausschließen. Bezüglich des verwendeten Audioformats wird ausschließlich die Samplingfrequenz (44,1 kHz) angegeben, da meine Ohren keine Kompressionsartefakte ausmachen, vermute ich weiterhin eine Auflösung von 16 Bit.Im folgenden Audiobeispiel hören wir ein per CC#01 moduliertes Layer der Voices Piano, MKII Vibes und MKII Flute.

Audio Samples
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Layersounds per CC#01

Bedienung/GUI

Aufgrund der überschaubaren Einstellmöglichkeiten ist die Bedienung des „iPad-Mellotrons“ ausgesprochen simpel. Dank der sinnvollen MIDI-Implementation mit 2-fachem Multimode (im Loop-Modus), Controller-Zuweisungen und Programm Change zur Anwahl der „Bank“ kann man dem M3000 in Verbindung mit einem Audio/MIDI-Interface (mit Ladefunktion) sogar eine echte Live-Performance-Tauglichkeit bescheinigen. Da einige Features wie z.B. Inch Tapes und Voice D sich dem Erstbenutzer nicht Anhieb erschließen, ist ein Blick in die Bedienungsanleitung hilfreich. Die liebevolle und British-schrullige Anleitung (inklusive Videos) wird zwar kostenlos zum Download bereitgestellt, allerdings nur unter Zuhilfenahme der separaten App iBooks nutzbar – ein unkomplizierteres Öffnen direkt aus der M3000 App würde ich bevorzugen.

Das Oszilloskop
Das Oszilloskop

Im nächsten Audiobeispiel hören wir eine Akkordfolge mit verschiedenen Mellotron-typischen Flächensounds, die ich unter Verwendung des internen Halleffekts der M3000-App in meine DAW aufgenommen habe. Die Aufnahmen bestehen aus jeweils einer einzigen Voice, die ich am Ende der Kadenz überlappend arrangiert habe, um mögliche Layer-Kombinationen zu präsentieren.

Audio Samples
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Mellotron Flächensounds

Als abschließender Soundeindruck folgt noch ein kurzes „retro-tragisches“ Duett mit MKII Flute und MKII Clarinet.

Audio Samples
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MKII Flute & Clarinet

Die obige Abbildung zeigt die Oszilloskop-artige alternative Ansicht des M3000. Wenn man sich schon soviel Mühe gibt, wäre mir persönlich eine Extraprise Vintage-Flair an der gesamten Benutzeroberfläche lieber gewesen, wobei dies natürlich Geschmackssache und absolut nicht Schlacht entscheidend ist. Mein einzig konkreter Verbesserungsvorschlag wäre die Anwahl der Voices per Pulldown-Menü oder Browser, da das ausschließliche „Weiter-Skippen“ per Pfeil-Button trotz der überschaubaren Anzahl an Voices manchmal etwas mühselig ist.

Fazit

Retro-affinen iPad-Nutzern, die noch keine Mellotron-Emulation oder Library in ihrem Besitz haben, kann ich die 50th Anniversary Edition Mellotronics M3000-App für schlappe 11,- Euro wärmstens empfehlen. Soundmäßig muss man mit diesem iPad-Mellotron keine Abstriche machen, lediglich die Quantität historischer Mellotron-Sounds wird von einigen, wenn auch nicht unerheblich teureren Rechner-basierten Plug-ins übertroffen, wobei der Erwerb weiterer Voices per In App Store laut Hersteller in Vorbereitung ist. Die Funktionsvielfalt des M3000 beschränkt sich nicht ausschließlich auf das Abspielen authentischer Mellotron-Sounds, sondern bietet zusätzlich einige praktische Features, wie beispielsweise Layering, Chord Memory Pads und einen abgespeckten MIDI-Multimode. Durch seine Kompatibilität mit Audiobus und Core MIDI steht der Einbindung in Musikproduktionen nichts im Wege. God save the Queen!

PRO:
  • authentischer Sound
  • Überblenden und Layern von Voices
  • Tape Inching
  • integrierter Hall
  • 2-facher MIDI-Multimode (im Loop Modus)
CONTRA:
  • Bedienungsanleitung nur über iBook
  • keine Lautstärken-Hüllkurve
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FEATURES:
  • Mellotron Emulation für iPad
  • ca. 200 MB Originalsamples (8 Sekunden/chromatisch, 44,1 kHz) von MK I, MK II und M400
  • Polyphonie: 16 Stimmen (A/B/C) plus 12 Stimmen (D)
  • 32 Voicebanks
  • 12 Chord Pads
  • „Tape inching“-Attack Optionen
  • Tone Control, Blend, Volume und Pitch steuerbar per MIDI CC#
  • integrierter Hall
  • zusätzliche Loop-Funktion
  • virtuelles Keyboard
  • Audiobus Support (iPad2 / iOS6)
  • Background Audio
  • Core MIDI
  • 2-facher MIDI-Multimode
Preis:
  • EUR 10,99 im App Store
Unser Fazit:
4 / 5
Pro
  • authentischer Sound
  • Überblenden und Layern von Voices
  • Tape Inching
  • integrierter Hall
  • 2-facher MIDI-Multimode (im Loop Modus)
Contra
  • Bedienungsanleitung nur über iBook
  • keine Lautstärken-Hüllkurve
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