ME Geithain RL 901K Test

Der heutige Kandidat ME Geithain RL 901K ist ein Studiomonitor. Die Durchführung dieser Tests gehören zu meinen Lieblingsaufgaben als bonedo-Testredakteur. Umso mehr freute ich mich deshalb auf den Besuch der 26. Tonmeistertagung in Leipzig, denn hier gab es viele interessante Marktteilnehmer nicht nur zu bestaunen, sondern auch zu belauschen. 

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Da ich mich schon länger mental auf den Kauf neuer Studiomonitore vorbereitete, schien mir diese Gelegenheit besonders günstig. Besonders angetan hatte es mir dabei der Vorführraum von ME-Geithain, wurde dieser akustisch mit Abstand am aufwendigsten präpariert. Solch ein Aufwand weckte natürlich mein Interesse, und nach dem langwierigen Genuss von klassischer Musik rang ich mich auch durch, meinen iPod „anklemmen“ zu lassen. Auf einer HiFi-Messe hätte man mich wahrscheinlich gesteinigt, hier gab es aber keine Spur von falscher HiFi-Esoterik: „50 Cent – Candy Shop“ knacke-trocken. Wow, die Abhöre brauche ich, wo muss ich unterschreiben…!?
Ein halbes Jahr später kannte auch ich die ausweglose Situation, als Freiberufler einen Kleinkredit zu beantragen: Ein „besonderer“ Dank an dieser Stelle nochmals an die Sparkasse Leipzig – Effektiv 25% Zinsen, dafür könnte man in anderen Ländern im Gefängnis landen. Nichtsdestotrotz bin ich nun doch seit über einem Jahr stolzer Besitzer eines ME-Geithain RL901K Stereo-Setups, dem größten „Nahfeld“-Verkaufsschlager der sächsischen Manufaktur. Warum ich das getan habe und nichts bereue, erfahrt ihr hier!

DETAILS

Seit rund 20 Jahren fertigt man in Geithain wieder Lautsprecher für die kapitalistische Weltordnung, davor durfte im zwangsverstaatlichten VEB Geithain nur für die sozialistische Gemeinschaft getüftelt und geforscht werden. Hauptverantwortlich für alle Entwicklungen zeigt sich dabei der – immer noch aktive – Firmengründer Joachim Kiesler, der den Grundstein der Firma 1960, damals 18-jährig, legte. 
Anfangs mit Reparaturen von Fernseh- und Rundfunkempfängern beschäftigt, entwickelte er seine Elektronik-Kenntnisse ständig weiter. Vor allem mit seinen elektronischen Orgeln machte er sich einen Namen, aber auch im Westen erfreute man sich seiner Fähigkeiten: Der damalige Exportschlager, RFT BR-25 – heute übrigens längst kein Passiv-Lautsprecher Geheimtipp mehr –  war maßgeblich auf seine Entwicklungen zurückzuführen. 
1984 entwickelte Kiesler dann die RL900, den Vorläufer meines jetzigen Testexemplars, welcher qualitativ so seiner Zeit voraus war, dass sich der gesamte deutsche Rundfunk nach der Wende für seine Modelle und die neu formierte und orientierte Musikelectronic Geithain GmbH entschied. Doch genug Geschichte, jetzt geht es ans Eingemachte!

Fotostrecke: 2 Bilder Joachim Kiesler im firmeneigenen, 230 m³ großen, schalltoten Raum. Hier kann bis hinunter auf 20 Hz auf 1 dB genau nach DIN gemessen werden!

Die RL-901K ist ein aktiver Drei-Wege Koaxial-Lautsprecher mit der Richt-Charakteristik “Niere” und ist für Hördistanzen zwischen 2 und 4 Metern, sprich Kantenlänge im Stereo-Dreieck, konzipiert. Das überrascht insofern, da sich fast alle anderen Mitbewerber – wenn überhaupt – auf Angaben wie Near-, Mid- oder Farfield beschränken. Doch immer der Reihe nach!
Das „RL“ im Namen steht für Referenz-Regielautsprecher und legt einem nahe, dass es sich um ein neutrales Arbeitsgerät handelt, welches klanglich als auch optisch auf Schnörkeleien komplett verzichtet und sich Design-technisch am „Bauhaus Stil” orientiert: Form folgt Funktion.
Unter der Produktbezeichnung ME901KA gibt es zwar auch noch eine optisch-aufwendiger gestaltete Alternative, rein klanglich ist sie mit der RL901K aber gleich auf. Verschiedene andere Echtholzfurniere gibt es gegen Aufpreis.

Fotostrecke: 6 Bilder MEG RL-901K im klassischen “Esche furniert schwarz “.

Stellt sich nur noch die Frage, für was das „K“ im Produktnamen steht. Und hier die spektakuläre Erklärung: Kardioide, im Tontechniker-Deutsch auch gerne “Niere” genannt. Das kennen wir doch von der Richtwirkung von Mikrofonen, aber was hat das bitte mit einem Lautsprecher zu tun…? Eine ganze Menge, denn dieser Lautsprecher strahlt effektiv nach hinten bedeutend weniger Bass (bis zu 10 dB) als nach vorne ab, was zur Folge hat, dass Raummoden weniger angeregt werden und somit Reflexionen weniger kritisch ausfallen. Im Praxisteil werde ich noch einmal genauer darauf eingehen, für hier soll erst mal folgende Erklärung genügen: Weniger Bass nach hinten, gleich mehr Bass vorne! Klingt komisch, ist aber so, denn ein Lautsprecher alleine macht noch keinen Klang, es ist immer das Wechselspiel Raum-Lautsprecher, was uns die Physik lehrt.

Fotostrecke: 2 Bilder Eine Herzkurve (Kardioide), von Tontechnikern auch liebevoll Niere genannt.

Apropos Physik: Sehr viele Lehrbücher sind übrigens noch immer der Meinung, dass dieses, hier angewandte, Wirkungsprinzip rein technisch gar nicht zu realisieren ist. Ist es auch nicht, wenn man die zugrunde liegende Phasendrehung mittels Laufzeitunterschieden zu realisieren versucht. MEG hat aber einen Umweg über die Schallschnellen-Veränderung gefunden, die eben diese „Phasendrehung“ ermöglicht. Physik, die rockt!
Die Austrittsöffnungen für den „Bassdreher“ befinden sich dabei auf der Rückseite und sollten nicht mit einem Bassreflex-Gehäuse verwechselt werden. Zwischen den mit akustischen Strömungswiederständen abgeschlossenen Kammern wiederum findet sich die ausschwenkbare Verstärker-Elektronik. Ohne auf die genauen Hintergründe detaillierter eingehen zu wollen, sei an dieser Stelle noch kurz erwähnt, dass sich das Nieren-Prinzip nur mit einer aktiven Box realisieren lässt.

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Um die Bässe möglichst verzerrungsfrei wiedergeben zu können, sollte eine Membran nur so wenig wie möglich ausgelenkt werden. Deshalb kommt in der 901 auch ein mächtiger 400 mm Langhub-Konus-Tieftöner zum Einsatz, der von Hand in der Manufaktur aus Papier gefertigt wird.
“Papier!?”, mag sich der ein oder andere jetzt vielleicht verdutzt fragen, “gibt es da nicht etwas Moderneres?”. Gibt es schon, aber mit keinem anderen Material erzeugt man in dieser Leistungsklasse eine so hohe Steifheit, bei gleichzeitig geringem Gewicht und exakt kontrollierbarer Fehlertoleranz. Extrem wichtig für die hohe Impulstreue der Box. Kevlar, Karbon und Keramik passen eh viel besser zu tiefergelegten VW Golfs.

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Aus solch einer Größe der Membran resultiert natürlich auch ein gewisses Mindestmaß für das Esche-schwarz furnierte MDF-Gehäuse, welches, bemessen am Tieftöner, mit 55 x 50 x 43 cm Gesamtgröße dennoch „relativ“ knapp ausfällt.
Entsprechend geizt der MDF-Bolide auch nicht mit Eigengewicht und bringt ganze 48 kg auf die Waage – pro Stück und ohne Stativ versteht sich. Die, mit Stativ bis zu 155 cm hohen, Lautsprecher zum Staubsaugen mal eben so wegzuschieben ist ohne das optionale Rollstativ für die normale Hausfrau eher ein Ding der Unmöglichkeit, es sei denn, es handelt sich um eine russische Ex-Gewichtheberin.
Eine weitere Besonderheit des Lautsprechers ist die koaxial angeordnete Mitten- und Hochton-Einheit, welche dem physikalischen Ideal eines Punktstrahlers in der Praxis wohl am Nächsten kommt. Eine herkömmliche, in der y-Achse versetzte, Anordnung der zwei bzw. drei Wege eines “konventionellen” Lautsprechers erfordert nämliche einiges an Kreativität des Ohres, um aus diesen separaten Schallereignissen “im Kopf” wieder den Punktschall einer Stimme zu rekonstruieren. Unser Gehirn ist zwar prinzipiell dazu in der Lage, dennoch merkt man bei langfristiger Benutzung wirklich schnell, wie viel “Arbeit” einem das Koaxialprinzip der 901 abnimmt – gerade wenn man lange und konzentriert “abhört”. Für untrainierte Ohren ist deshalb der erste Kontakt mit einer Geithain ein echtes “Aha”-Erlebnis, was sich vor allem bei “Klang-Laien” feststellen lässt.

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Doch zurück zu den Fakten: Der Mittentöner ist natürlich auch aus Papier gefertigt. Er wurde in der aufgesetzten, schwingungsfreien Mittelplatte verbaut und befindet sich unterhalb des Hochtöners. Ohne ein angeschlossenes Volumen, aber ähnlich dem Basstreiber mit Nieren-Richtcharakteristik ausgestattet, bildet der 120mm große Mitteltöner sozusagen das “Herzstück” der Koaxialeinheit und vermeidet so Gehäuse-Resonanzen bzw. rückseitige Reflexionen mit dem Tieftöner.
Der Hochtöner besteht natürlich nicht aus Papier und koppelt seine Schwingungen mittels einer beschichteten 25mm Weichaluminium-Kalotte an die Umgebungsluft. Aus Gründen der Phasenkorrektur im oberem Frequenzbereich wurde der Hochtöner mit einem Frequenz-selektiven Diffusor ausgestattet, welcher hinter dem Schutzgitter recht gut zu erkennen ist und einem “Auge” ähnelt.

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Diese drei Wege werden selbstverständlich auch von drei unabhängigen Verstärkerstufen „befeuert“, die zwar auf dem Datenblatt nicht sonderlich spektakulär wirken, in „echt“ aber genug Leistung bieten, um garantierte Schwerhörigkeit zu verursachen. Für die Faktenfreaks hier die Details: 180 W für den Basstreiber, 100 W für den Mitteltöner und 100 W für den Hochtöner, alles jeweils an 4 Ohm. Damit lassen sich Material-abhängig, runde 120 dB Schalldruck in einem Meter Abstand erzeugen. Alle Achtung!
Übersteuerungen visualisiert die Geithain übrigens mit einer rot blinkenden LED, die man aber im Normalbetrieb eher selten bis gar nicht zu sehen bekommt. Im störungsfreien Zustand zeigt sie grün. So einfach kann das sein, kein blaues “Sync-Lost” Blinken oder Ähnliches…
Der Verzicht auf digitale Technik bei ME-Geithain hat übrigens Nichts mit dem Irrglauben zu tun, dass Digital schlechter sei als Analog. Vielmehr liegt die Ursache in der hervorragenden Nachhaltigkeit begründet, die analoge Technik – richtig angewandt – eben bietet: Ob man einen bestimmten, “defekten” DSP in 15 Jahren noch einmal nachbestellt bekommt, ist hochgradig ungewiss, an ein Sterben von Kondensatoren und Spulen glaube ich hingegen weniger. Betrachtet man solch eine Anschaffung also langfristig – was man auch tunlichst sollte – liegen die Vorteile klar auf der Hand.
Ganz professionell zeigen sich die Filter “nicht”. Sie verstecken sich im Inneren und werden auch im Handbuch nicht direkt erklärt, denn die “Unwissenden” könnten diese Details eher mehr verwirren als nutzen. Ohnehin kommen alle Geithains “flat” aus dem Werk, was im Normalfall auch ausreichend ist, wie wir im Praxisteil sehen werden.

Fotostrecke: 2 Bilder Leiterplatte mit Stellschrauben: An den Kalibrierungsschrauben im Inneren sollte man wirklich nicht herumdrehen, das überlasst man lieber den Fachleuten von ME-Geithain und ihrem schalltoten Raum.

Schauen wir uns noch schnell die Anschlussmöglichkeiten der 901 an, die relativ unspektakulär ausfallen: Einmal Strom in 230V Kaltgeräteausführung nebst Sicherung und Schalter sowie ein sym. XLR-Eingang und Pegelsteller – das war es.
Zu guter Letzt sei noch erwähnt, dass es zu den 901 noch verschiedene Stative mit unterschiedlichen Höhen gibt, die eine einwandfreie Positionierung der Speaker gewährleisten sowie, dass die Lautsprecher mit ausklappbaren Tragegriffen ausgestattet sind. Letztere sind bei einem Gewicht von 48kg auch dringendst angeraten. Eine magnetische Streufeld-Kompensation ist optional erhältlich. 

Mein Exemplar ist etwas älter, noch deutsch beschriftet und auch noch im Besitz eines Ground-Lift-Schalters. Die Endstufen hier werden schön warm und sparen Heizkosten :-)
Mein Exemplar ist etwas älter, noch deutsch beschriftet und auch noch im Besitz eines Ground-Lift-Schalters. Die Endstufen hier werden schön warm und sparen Heizkosten 🙂
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Klaus Jahn sagt:

#1 - 29.06.2012 um 20:37 Uhr

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Der Kiesler ist echt der verrückte Prof. in Person. Hab gerade noch folgenden Artikel über den "Verdienten Techniker des Volkes 1986" gefunden: www.open-end-music.de/vb3/s...

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Jan Gerhard sagt:

#2 - 05.12.2014 um 17:37 Uhr

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Der Felix hat echt Eier, für solche Brecher zur Bank zu gehen. Aber manchmal muss ein Mann halt tun, was...Gerüchteweise verbaut Geithein ICEpower Module in seinen Monitoren. Stimmt das?

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Daniel Rothermund sagt:

#3 - 12.01.2016 um 23:32 Uhr

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Kann man die in Berlin irgendwo probehören? Mich würde ein AB-Vergleich zu Neumann und Co. interessieren, aber die Geithains scheint es bei justmusic, thomann, musicstore, etc. nicht zu geben ...

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