Ich kann mich noch genau daran erinnern, als ich das erste Mal Steve Vais Passion & Warfare gehört habe – im Radio! Kaum zu glauben, aber es gab Zeiten, da wurde tatsächlich auch Musik fernab des Mainstreams gesendet, und ich war ziemlich platt. Diese Musik war so komplett anders, als alles, was ich je zuvor gehört hatte und eine Offenbarung in Sachen Sologitarre. Das ist allerdings schon lange her und Geschmäcker ändern sich bekanntlich, nichtsdestotrotz erinnere ich mich gerne daran zurück, denn nicht nur die Musik, auch die Optik seiner Gitarren war speziell.
Jetzt, über zwanzig Jahre später, erscheint mit der Jem77 FP2 von Ibanez die Nachfolgerin. In Zeiten von Vintage-Wahn und nagelneuen Gitarren, die mit erheblichem Aufwand und Materialeinsatz auf alt getrimmt werden, ist unsere Testkandidatin ein ziemlicher Paradiesvogel, der sich auf jeden Fall aus der breiten Masse hervorhebt.
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Details
Optik Das FP im Namen steht übrigens für “Floral Pattern“, ein Design, zu dem der Meister beim Vorgängermodell angeblich durch seine Gardine inspiriert wurde. Offensichtlich gab es jetzt neue Fensterkleider im Hause Vai, und da musste natürlich auch ein Gitarrenupdate her. Der Korpus besteht Ibanez-tyisch aus Linde und ist mit dem obligatorischen Lions Claw ausgestattet, eine Ausfräsung unterhalb des Tremolos, die weitere Up-Bendings ermöglicht. Auffälligstes Merkmal neben der Lackierung dürfte jedoch nach wie vor der “Monkey Grip“ sein, eine Griffausfräsung im Schwerpunkt des Korpus, die seit den Achtzigern das Markenzeichen der JEM-Gitarre ist. Tragegriff oder Gag? Jedenfalls ein witziges und unverwechselbares Detail, mit dem Steve Vai seinen Signatures den Stempel aufdrückt. Außerdem gehörte in den Achtzigern das Posen zum guten Ton und es war nicht unüblich, das Instrument mal eben in die Höhe zu werfen, um dann pünktlich zum nächsten Einsatz die Finger wieder auf dem Griffbrett zu haben. Auch da könnte so ein Griff ganz nützlich sein, sofern man im entscheidenden Moment nicht danebengreift. Die beiden Korpushörner laufen spitz zu und der Cutaway ist so ausgeschnitten, dass auch die höchsten Lagen komfortabel erreichbar sind.
Ein durchsichtiges Schlagbrett schützt den Body und hat dabei weder Tonabnehmer noch Potis oder 5-Weg-Schalter zu tragen, da diese in den Korpus geschraubt sind. Die Lackierung ist in Ibanez-Manier perfekt aufgetragen und das Floral Pattern findet sich auch auf der Kopfplatte wieder, was für ein stimmiges Bild sorgt. Die Grundfarbe der Gitarre ist Schwarz und deckt so gut, dass man beim besten Willen nicht herausfinden kann, aus wie vielen Teilen Linde der Korpus besteht. Im weitesten Sinne haben Jem und RG bekanntlich die gleichen Wurzeln und daher auch vieles gemeinsam, wie die angewinkelte Armauflage oder die Klinkenbuchse, die sich schräg in der hinteren Zarge verbirgt und dadurch vor einem versehentlichen Ausstöpseln gesichert ist. Nicht verwunderlich auch, dass sich Form und Ausstattung ähneln: die spitzen Cutaways oder die Anordnung von Potis und 5-Weg-Schalter. Auch unsere Test-Jem zeigt sich gewohnt minimalistisch mit je einem Volumen- und einem Tone-Poti, beide allerdings sehr schwergängig und damit nicht unbedingt ideal für Swell Effekte geeignet, die ja gerne mit dem kleinen Finger und dem Volumenpoti realisiert werden. Vielleicht lernen wir daraus, dass Steve Vai extrem viel Kraft im kleinen Finger hat!?
2/2 Die schru00e4g eingebaute Klinkenbuchse schu00fctzt gegen versehentliches u0022Ausstu00f6pselnu0022
Servicefreundlich ist auf jeden Fall die Tatsache, dass die gesamte Elektrik über die Korpusrückseite zugänglich ist; es müssen also nicht alle Saiten runter, falls mal etwas nicht stimmen sollte. Als Tremoloeinheit hat Ibanez der Gitarre die Edge Bridge mit Tremoloarm spendiert, die sechs Reiter lassen sich zur Feinjustierung verschieben und mit dem mitgelieferten Multitool, das alle benötigten Werkzeuge in sich vereint, lockern oder arretieren. Endlich muss man nicht mehr alle Sechskantschlüssel mit sich herumschleppen und die Hälfte davon schon nach dem ersten Gig vermissen. Die drei Tremolofedern sind rückseitig mit einem Bügel fixiert, damit sie auch bei heftigster Beanspruchung nicht herausspringen. Und im mitgelieferten Luxuskoffer findet sich neben dem Werkzeug auch ein passender schwarzer Gurt! Nette Zugabe!
3/5 Das mitgelieferte Multi-Tool hu00e4lt alle nu00f6tigen Werkzeuge bereit
4/5 Die Edge-Tremolo-Bridge
5/5 Die Gitarre wird im Luxuskoffer ausgeliefert
Die Elektronik Als Pickups hat sich Herr Vai für den Steg den Evo 2 Doppelspuler, den Hals einen Evolution DP158 Humbucker und die Mitte einen DP 158 Single Coil auserkoren. Allesamt stammen sie aus dem Hause DiMarzio und wurden speziell auf seine Bedürfnisse zugeschnitten. Im Gegensatz zur Vorgängergitarre sind diese in Schwarz gehalten und nicht in Neon Pink. Naja, man wird halt nicht jünger … Ein interessantes Detail bei Vais Signature-Gitarren ist die Pickup-Schaltung. In den äußeren Positionen hört man natürlich die Humbucker jeweils einzeln. Das gilt auch für den Single Coil in der Mittelposition.Schaltet man jedoch in die Zwischenpositionen, wird die äußere Spule des Humbuckers ab- und die jeweils innere mit dem Single Coil zusammengeschaltet. Wie das klingt, werden wir im nächsten Kapitel herausfinden.
Schauen wir uns zuerst einmal den Hals an. Auffälligstes Merkmal ist der sogenannte Tree of Life, eine Griffbretteinlage, die sich wie eine stilisierte Weinranke über den kompletten Hals schlängelt und das Erscheinungsbild sehr gut ergänzt. Die 24 mittelstarken Bünde sind perfekt eingesetzt und das Griffbrett in den letzten vier Bünden ausgehöhlt (scalloped).
Der Hals selbst besteht aus drei Teilen Ahorn, zwischen die jeweils dünne Streifen aus Walnusholz eingefügt sind. Den Übergang zwischen Hals und Kopfplatte, bekanntermaßen eine bruchgefährdete Stelle, durch die auch die beiden Bohrungen für den Klemmsattel laufen, ziert und verstärkt eine Verdickung (Volute). Alle sechs Saiten laufen schnurgerade in Richtung Gotoh Mechaniken, wobei die angewinkelte Kopfplatte die Saiten-Niederhalter überflüssig macht.
1/3 Typisch fu00fcr die JEM: Das teilweise ausgehu00f6hlte Griffbrett
2/3 Der Hals/Korpus-u00dcbergang
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Praxis / Sound
Man mag es kaum glauben, aber ich habe die Gitarre aus dem Koffer geholt und sie war nicht nur perfekt verarbeitet und eingestellt, sondern sogar schon gestimmt! Großes Lob an dieser Stelle! Natürlich ist dies das Instrument eines Solisten und alles an dieser Gitarre ist dafür ausgelegt. Der breite, flache Hals macht sämtliche Spielformen möglich, dazu eine Saitenlage, die nicht zu flach, aber tief genug ist, um Licks im wahrsten Sinne des Wortes mit Links abzufeuern. In jedem Detail zeigt sich, dass Steve Vai eine sehr genaue Vorstellung davon hat, was er braucht. Ich möchte nur kurz anmerken, dass bis auf die Pickups und die kosmetischen Variationen schon die erste JEM (1988) sämtliche Details mitbrachte.
Geschultert macht sich das moderate Gewicht von 3,6 kg bemerkbar. Stundenlanges Spielen im Stehen sollte daher überhaupt kein Problem sein.
Trocken angespielt offenbart sich ein lauter, ausgewogener Grundklang ohne besondere Auffälligkeiten. Die Bespielbarkeit ist superb und daher gehts jetzt auch direkt in den Amp. Zuerst hören wir die JEM über einen Fender Deluxe Reverb, abgenommen mit einem Shure SM57. Ich spiele immer dieselbe Progression, wechsele aber bei jedem Durchgang die Position, beginnend mit dem Hals-Pickup.
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Clean Deluxe 5-Wege
Der Hals PU tönt angenehm warm mit einer gesunden Portion Höhen, ohne dabei zu viel Bass aufzutragen. Die nächste Position, also Humbucker-Innenspule plus Single Coil, kommt recht dünn daher, für meinen Geschmack etwas zu dünn. Der Single Coil in der Mittelposition ist auch allein gespielt ein eher kühler Kollege und lässt für meinen Geschmack etwas an Wärme vermissen. Dasselbe gilt auch für die Kombination Single Coil plus Steg-Humbucker-Innenspule. Der Steg-Pickup allein klingt natürlich so, wie Humbucker am cleanen Amp nun mal klingen – mumpfig. Wer jedoch mit Steve Vais Musik ein wenig vertraut ist, der weiß, dass Cleansounds nicht unbedingt den Großteil seiner Darbietungen bestimmen. Und wenn, dann ist genau dieser Sound auch angesagt. Wer einen klassischen Sound sucht, sollte zumindest hier auch zu den Klassikern greifen, diese Gitarre ist Steve Vai auf den Leib gezimmert, also muss sie bitteschön auch genau so klingen, wie der Meister es will – fair enough.
Im nächsten Klangbeispiel hören wir wieder die Hals-/Mittel-Position, wieder am Deluxe Amp, diesmal jedoch mit einer anderen Spielart.
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Clean Neck-/Mid-Pickup (Deluxe)
Auch hier zeigt sich ein eher kühles Klangerlebnis, das aber in gewissen Musikrichtungen erwünscht ist. Die Gitarre reagiert sehr direkt und hochauflösend, genaues Spiel ist also Voraussetzung.
Jetzt lege ich ein wenig Zerre auf den Sound und greife zum Plexi Marshall. Die 2×12“ Box wird auch hier mit dem SM57 abgenommen.
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Clean Neck-/Mid-Pickup (Marshall Plexi)
Dabei habe ich ebenfalls die Hals-Mittel-Position verwendet, um den Unterschied zwischen den Amps und der Interaktion der JEM zu verdeutlichen. Eines lässt sich auf jeden Fall feststellen: Mit dem Marshall versteht sie sich definitiv besser. Der Sound gewinnt an Wärme, und auch wenn er nicht mehr so clean ist, lässt er sich wunderbar mit dem Anschlag regulieren.
Kommen wir zur Königsdisziplin der Jem77 FP2, dem zerrenden Amp! Hierzu habe ich meinen alten JCM 800 Marshall angeworfen und das klingt so:
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Crunch Steg-Pickup (Marshall JCM 800)
In Verbindung mit dem Steg-Humbucker kommt da tatsächlich ein ordentliches Brett angerauscht. Der Amp selbst ist im Übrigen nicht sonderlich hoch verzerrt, das erledigt die Gitarre schon. Sie bietet ein dickes, breites Klangbild, gerade in den unteren Mitten verschafft sie sich Platz. Gepaart mit angenehmen Höhen fühlt sie sich in diesem Metier pudelwohl.
Als Nächstes muss ein voll aufgerissener Soldano herhalten.
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HiGain Steg-Pickup (Suldano)
Hier ist sie kaum zu bändigen und prescht direkt nach vorne. Trotzdem behält sie ihr ausgewogenes Klangbild und zeigt unmissverständlich, dass sie ein Solisteninstrument ist. Nicht, dass ich falsch verstanden werde, aber wer Steve Vais Spiel kennt, der weiß, dass er zwischen Rhythmus und Solo keinen Unterschied macht. Heftigstes Metal-Gewitter wechselt sich schlagartig ab mit filigranen Single-Note-Linien, um dann in wahnwitzige Tapping- oder Arpeggio-Soli überzugehen. Das bedarf einer Gitarre, die allzeit bereit ist, und genau das Gefühl vermittelt sie mir auch.
Zum Abschluss – quasi als Beweise der aufgestellten Thesen – noch ein kompletter Song, mit allem was dazu gehört!
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JEM Song
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Die Jem77 FP 2 ist ein würdiger Nachfolger mit sinnvollen Detailverbesserungen und Facelift. Natürlich sind Signature Gitarren in erster Linie auf die Bedürfnisse des Namensgebers zugeschnitten, und das ohne Wenn und Aber. Das Haupt-Augenmerk ist der Einsatz am (hoch) zerrenden Amp. Da zeigt sie, was in ihr steckt, und das quasi ohne Limits. Clean präsentiert sie sich recht speziell – wenn man Steve Vais Musik hört und mag, dann ist sie absolut das richtige Instrument, aber absolut nicht Jedermanns Sache. Unterm Strich haben wir es hier mit einer hochprofessionellen, fantastisch verarbeiteten Gitarre mit eigener Ästhetik zu tun. Die Bespielbarkeit ist über jeden Zweifel erhaben, der einzige Wermutstropfen ist der saftige Preis.
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