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George Harrison vor Gericht: Der größte Musikprozess des 20. Jahrhunderts

George Harrison, der einst als “der stille Beatle” bezeichnet wurde, erschütterte die Musikwelt, als seine musikalische Reise plötzlich bei einem spektakulären Gerichtsfall einen kritischen Wendepunkt erlebte, die die Landschaft des Urheberrechts in der Musikindustrie mitprägen sollte.

Harrison steht vor einer Menge von Fotografen in Los Angeles, Kalifornien, 1974 © Tony Barnard

„Jedes Mal, wenn ich das Radio einschalte, höre ich ‘My Sweet Lord’”, sagte John Lennon im Dezember 1970. „Ich beginne zu glauben, dass es doch einen Gott geben muss.” Nach dem Ende der Beatles im April 1970 war George Harrison der erste, der sich in neues Metier wagte und eine Solokarriere startete. Dabei zog er nicht mit leeren Händen, sondern mit einem über die Jahre entstandenen Vorrat an Material los. Es sollte sich bald als All Things Must Pass manifestieren, einer Dreifach-LP, die weltweit an die Spitze der Charts schoss.

Harrison veröffentlichte das Album im November 1970. Darin enthalten war auch der Song My Sweet Lord, der sofort zum Hit wurde. Das Lied war Teil des spirituellen Weges, den Harrison nach seiner Annäherung an die Hare-Krishna-Bewegung ging. Er vermischte dabei hinduistische- (“Hare Krishna”) und christliche- (“Hallelujah”) Begriffe, wodurch er mit Kritik von christlichen Gruppen zu kämpfen hatte.

Er wollte mit dem Song seine universelle Sehnsucht nach göttlicher Verbindung zum Ausdruck zu bringen. Eine Kombination aus westlicher Melodie und östlicher Spiritualität. Stattdessen führte ihn das Lied zu einen der berüchtigtsten Musikprozesse des 20. Jahrhunderts, einen riesigen Vertrauensverlust in die Musikindustrie und einer kreativen Schreibblockade, die seine weitere Karriere in Frage stellte.

Die Kontroverse drehte sich um die Ähnlichkeit von My Sweet Lord und He’s So Fine von The Chiffons. Hört selbst hinein, um eine eigene Meinung zu den Ähnlichkeiten zu bilden.

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Die Anklage

Der Song der Frauengruppe The Chiffons klang nach typischer 60er-Musik: ein eingängiger Chorus mit aufmunternder Stimmung. 1963 war er vier Wochen an der Spitze der Billboard Top 100 Charts in den USA. Er hatte dabei definitiv eine andere Tonalität und war lyrisch in einem ganz anderen Bereich zu verorten. Doch melodisch gab es durchaus Gemeinsamkeiten mit My Sweet Lord. So ehrlich muss man sein: Teile der beiden Songs klingen einfach sehr ähnlich.

Die Rechteinhaber von He’s So Fine, die Bright Tunes Music Corporation, reichte Klage gegen Harrison und verbundene Organisationen (darunter Harrisongs, Apple Records und BMI) ein und warf ihnen Urheberrechtsverletzung vor. Der Songwriter hinter dem Song war Ronnie Mack, der das Lied für The Chiffons schrieb und nur wenige Monate nach dem Release im jungen Alter von 23 Jahren an Krebs verstarb.

Der Fall wäre höchstwahrscheinlich privat geregelt worden, wie so viele andere in der Vergangenheit auch, wenn Mack noch am Leben gewesen wäre und „persönliches Eigentum an den Urheberrechten” eine Rolle gespielt hätte. Nun konnten es nicht Musiker unter sich ausmachen, sondern Vertreter der Musikindustrie, die hauptsächlich von Geld getrieben waren. Hier kommt der ehemalige Beatles Manager Allen Klein ins Spiel.

Er nahm früh Verhandlungen mit Bright Tunes auf und bot an, dessen gesamten Katalog zu kaufen oder sich außergerichtlich zu einigen. Es konnte allerdings keine Einigung erzielt werden. Während das Verfahren ausgesetzt war, beschlossen Harrison und seine ehemaligen Bandkollegen Lennon und Starr Ende März 1973, die Beziehungen zu Klein abzubrechen. Damit sollte die Geschichte mit dem getriebenen Manager allerdings noch lange nicht zu Ende sein.

Gerichtsverhandlung beginnt 1976

Nach der Trennung zwischen Harrison und Klein gingen die Verhandlungen mit Bright Tunes weiter. Dabei bot Harrison 40 Prozent der US-Komponisten- und Verlagsrechte für My Sweet Lord sowie die Bedingung, dass er das Urheberrecht für seinen Song behält. Das Angebot wurde abgelehnt. Vor Gericht kam es dann zu skurrilen Szenen. George Harrison, einer der angesehensten Musiker des 20. Jahrhunderts, musste im Gerichtssaal mit seiner Gitarre stehen, um seine Songwirting-Fähigkeiten unter Beweis zu stellen.

„Ich musste mit meiner Gitarre vor Gericht erscheinen. All diese Leute haben mich in die Mangel genommen, und ich habe darüber gesprochen, wie man einen Song schreibt, was wirklich schwierig ist, weil jeder Song ohnehin ein bisschen anders ist.”

George Harrison

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Musikexperten sahen sich die beiden Songs Note für Note an. Sie analysierten Akkordfolgen, die rhythmische Struktur und melodische Phrasen. „Wir landeten mit einem Musikwissenschaftler vor Gericht, wo wir schließlich 25 Songs hatten, alle mit derselben Struktur und denselben Noten“, sagte Harrison dazu.

Die Analyse sprach letztlich gegen Harrison. Er verwendete nicht nur die selben Akkorde wie in He’s So Fine, sondern auch die selbe Melodie und wiederholte diesen Teil vier mal. Das spannende: Während des ganzen Prozesses leugnete Harrison nie, dass es zwischen den Songs starke Ähnlichkeiten gab. Er insistierte dabei allerdings darauf, dass es keine Absicht war und er nie die Intention hatte, den Song zu kopieren.

1976 veröffentlichte Harrison mit This Song ein Lied, mit dem er seine ersten Erfahrungen mit dem Gericht verarbeitete. Er machte sich über die Prozesse lustig und wollte dem System einen Spiegel vorhalten.

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Unterstützung von Beatles-Kollegen

Prominente Rückendeckung für Harrison gab es von seinen ehemaligen Bandkollegen. Laut Ringo Starr gab es „keinen Zweifel an der Ähnlichkeit der Melodien“. Allerdings merkte er an, dass viele Songs mit anderen Melodien im Hintergrund geschrieben wurden. Dann fügte er hinzu: „Georges Version ist viel heavier als die der Chiffons – vielleicht hatte er das Original im Hinterkopf, als er sie schrieb, aber er hat einfach Pech gehabt, dass jemand daraus einen Präzedenzfall vor Gericht machen wollte.“

Paul McCartney stellte sich ebenfalls hinter Harrison und bestätigte, dass die Beatles in erheblichem Maß von Arbeiten anderer Musiker geprägt wurden. In einem Interview von 2008 rechtfertigte er Harrisons Bezug auf He’s So Fine mit der Begründung, sein Beatles-Kollege habe das übliche „Junge-Mädchen-Schema“ hinter sich gelassen, um eine zentrale spirituelle Aussage zu transportieren.

In seiner Autobiografie “I, Me, Mine” aus 1980 schrieb Harrison dazu: „Als ich den Song schrieb, war mir die Ähnlichkeit zwischen He’s So Fine und My Sweet Lord nicht bewusst, da er eher improvisiert und nicht so festgelegt war. Als meine Version des Songs jedoch herauskam und häufig im Radio gespielt wurde, begannen die Leute darüber zu sprechen, und da dachte ich mir: „Warum habe ich das nicht bemerkt?“ Es wäre ein Leichtes gewesen, hier und da eine Note zu ändern, ohne das Gefühl des Songs zu beeinträchtigen.“

Klein nicht so fein

1978 kam es dann zu einem großen Verrat, mit dem Harrison noch lange zu kämpfen hatte. Während der Gerichtsverhandlungen brachte sich der alte Manager Allen Klein wieder ins Spiel. Er arbeitete jahrelang im Hintergrund an der Akquise von Bright Tunes und hatte weiterhin Einfluss auf die Verhandlungen. Bei persönlichen Treffen mit Managern von Bright Tunes argumentierte er, weshalb die außergerichtlichen Deals nicht zu Gunsten der Rechteinhaber wären.

1978 kam es zu einer Einigung zwischen Klein und Bright Tunes, durch die sich Klein die Rechte an He’s So Fine sicherte. Plötzlich stand er als Gegner von Harrison vor Gericht. Das ist besonders kurios, da Klein ursprünglich auf Harrisons Seite gestanden hatte und über dessen Verteidigungsstrategie sowie persönliche Details, die ihm der Beatle anvertraut hatte, informiert war. Harrison wollte den endlosen Rechtsstreit nicht weiterführen und suchte nach einer Einigung. Klein lehnte ab und ließ das Gericht entscheiden.

Das Urteil

Das Gericht entschied: Ein unbewusstes Plagiat bleibt immer noch ein Plagiat, daher eine Strafe von 1,6 Millionen USD für Harrison. Die Rechtslage gibt das her. Selbst wenn keine Absicht vorliegt, etwas zu kopieren, kann es eine Urheberrechtsverletzung darstellen. Das ist besonders relevant, da in der Musik Folgendes passieren kann: Durch häufiges Hören speichern sich bestimmte Melodien unterbewusst im Gehirn ab. Bei einer Studio-Session kann es daher durchaus passieren, dass eine alte Melodie unbewusst wiedergegeben wird.

Die Strafe wurde allerdings reduziert, da das Gericht das Vorgehen von Allen Klein beanstandete. Durch seinen Hintergrund als ehemaliger Manager von George Harrison und sein ursprüngliches Engagement auf Seiten des Musikers wurde er nicht als neutrale Partei angesehen. Aufgrund seiner Vergangenheit hatte er Zugang zu persönlichen Informationen und ging daher mit vielen Vorteilen in die Verhandlungen.

Am 19. Februar 1981 wurde George Harrison letztlich dazu verurteilt, 587.000 US-Dollar zu zahlen, weil er bei der Komposition seines Songs „My Sweet Lord“ unbewusst den Hit „He’s So Fine“ der Chiffons aus dem Jahr 1963 plagiiert hatte. 587.000 US-Dollar war genau dieselbe Summe, die Klein für die Rechte an He’s So Fine zahlte. Für das Geld erhielt Harrison im Gegenzug die Rechte an He’s So Fine.

Harrison zahlt den Preis

Harrison wurde als der tiefenentspannte und harmoniebedürftige Beatle charakterisiert. Er sah seine musikalische Reise als spirituellen Weg zur Selbstfindung. Dieser Fall, der sich über Jahre hinzog, zeigte ihm eindrücklich, dass die Musikindustrie nicht nur voller “Peace and Love” war, sondern von profitorientierten Akteuren kontrolliert wurde.

„Es ist schwierig, wieder mit dem Schreiben anzufangen, nachdem man so etwas durchgemacht hat“, gab Harrison 1979 in einem Interview mit Rolling Stone zu. „Selbst jetzt, wenn ich das Radio einschalte, klingt jedes Lied, das ich höre, wie ein anderes.“

John Lennon sah hingegen eine gewisse Naivität bei Harrison und gab ihn die Schuld für den darauffolgenden Stress. „Er muss es gewusst haben“, sagte Lennon in einem seiner letzten Interviews 1980. „Er ist schlauer als das. Eigentlich ist es irrelevant … nur in finanzieller Hinsicht spielt es eine Rolle. Er hätte ein paar Takte in diesem Song ändern können, und niemand hätte ihm etwas anhaben können, aber er hat es einfach laufen lassen und den Preis dafür bezahlt. Vielleicht dachte er, Gott würde ihn einfach so davonkommen lassen.“

Langjährige Folgen des Urteils

Es sollte in Zukunft nicht der letzte Fall sein, in dem ein Gericht entscheidet wie viel von einer künstlerischen Aktion kopiert wurde, und wie viel Eigenleistung gebracht werden muss. Bis wie weit geht Inspiration und bis zu welchem Punkt sind ähnliche Melodien auch in Ordnung? So oder so, war mit diesem Fall ein Präzedenzfall geschaffen. Es kam zur Etablierung von „unconscious copying“ im Urheberrecht.

Musiker mussten fortan präziser prüfen, wie stark sich neue Werke an bestehende Kompositionen anlehnen. Der Harrison-Fall leitete eine Reihe weiterer Verfahren ein, die den rechtlichen Rahmen für geschützte Musik schärften. Im Blurred-Lines-Verfahren wurde die unzulässige Übernahme stilistischer und struktureller Elemente aus Marvin Gayes Got to Give It Up festgestellt, was zu einer hohen Schadensersatzzahlung führte. Im Fall Ed Sheeran vs. Townsend Estate wurde hingegen klargestellt, dass elementare harmonische Grundmuster nicht dem urheberrechtlichen Schutz unterliegen.

Bereut habe Harrison den Song allerdings nie: „Ich habe deswegen kein schlechtes Gewissen und fühle mich auch nicht schuldig“, behauptete er in I, Me, Mine. „Es hat vielen Heroinsüchtigen das Leben gerettet. Ich weiß, dass das Motiv, aus dem heraus ich den Song geschrieben habe, weit über die rechtlichen Probleme hinausgeht.“

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Chronologie „My Sweet Lord“ / He’s So Fine

1970 veröffentlicht George Harrisons My Sweet Lord am 23. November (US) / 15. Januar 1971 (UK).

Am 10. Februar 1971 beginnt der Rechtsstreit durch eine Klage der Bright Tunes Music Corp gegenüber Harrisongs/George Harrison wegen Urheberrechtsverletzung.

1972 bis 1973 gibt es wiederholte Vergleichsrunden: Bright Tunes verlangt Beteiligung an den weltweiten „My Sweet Lord“-Tantiemen. Harrison bietet eine Einmalzahlung unterhalb der Forderung an. Bright Tunes lehnt ab und signalisiert statt monetärer Einmalzahlung Interesse am Verkauf der gesamten Firma bzw. an Übertragung der Rechte. Dazu trennt sich Harrison von seinem Manager Allen Klein.

1974 kommen erste indirekte Kontakte zwischen Bright Tunes und Vertretern von Allen Klein zu Stande.

1975 bietet Harrison erneut einen Vergleich im unteren sechsstelligen Bereich an. Bright Tunes lehnt ab. Klein/ABKCO beginnt aktiv zu sondieren, ob ein Erwerb der gesamten Bright-Tunes-Anteile möglich ist. Diese Sondierungen laufen parallel zur weiterhin ungeklärten Schadensfrage im Verfahren.

1976 beginnt die Hauptverhandlung, da Bright Tunes sich inzwischen mehr Chancen durch eine gerichtliche Feststellung erhofft. Ende August gibt es das Urteil des unbewussten Plagiats. Die Schadenshöhe bleibt offen. Im selben Jahr verarbeitet Harrison seine Gerichtserfahrungen mit dem Lied This Song.

1977 bietet Harrisons Seite eine strukturierte Zahlung unterhalb der späteren gerichtlichen Summen an. Bright Tunes lehnt ab, da der Eigentümerkreis faktisch mit Klein verhandelt, der einen vollständigen Erwerb favorisiert.

1978 kauft ABKCO/Klein Bright Tunes für 587.000 US-Dollar und übernimmt damit die Klägerposition.

1981 berechnet das Gericht den Schaden zunächst auf ca. 1,6 Mio. US-Dollar. Die Summe wird wegen Kleins Interessenkonflikten und seines verdeckten Vorgehens allerdings gesenkt. Nun muss Harrison genau die selbe Summe zahlen, die Allen Klein zuvor für den Erwerb von Bright Tunes blechen musste.

Weitere Folge: Es kam zur Etablierung von „unconscious copying“ im Urheberrecht.

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