Obwohl Fender sich in der Vergangenheit eifrig bemühte, die Strat auf den neuesten Stand zu bringen, wuchs ab den Siebzigern die Nachfrage nach den alten klassischen Modellen aus den legendären 50er und 60er Jahren. Fender reagierte darauf mit der Produktion diverser Reissue-Modelle. In den Achtzigern produzierte Fender in den Staaten unter anderem auch die 57er Stratocaster mit dem griffbrettlosen Ahornhornhals und die 62er mit aufgeleimtem Palisandergriffbrett. Damals allerdings dachte man noch nicht daran, die Instrumente auf alt zu trimmen – so weit konnte und mochte man sich nicht wagen. Erst in den Neunzigern begann Fender damit, neue Instrumente künstlich mit den Spuren eines gelebten Rock ’n‘ Roll Lebens zu verzieren.
Die Nachfrage nach dieser besonderen Gitarrenspezies ist seitdem kontinuierlich gestiegen und eine gut gemachte sogenannte „Relic“ aus dem Fender Custom Shop erleichtert das persönliche Budget schnell und problemlos um drei- bis fünftausend Euro. Mit der neuen Road Worn Serie „Made in Mexico“ hat Fender nun auf der Frankfurter Musikmesse 2009 Instrumente vorgestellt, die dem Anschein nach ihre Blessuren auch in jahrelangem Einsatz auf Bühnen und in Proberäumen erworben haben könnten. In Wirklichkeit aber werden die eigentlich fabrikfrischen Gitarren maschinell mit unverwechselbaren Macken und Narben veredelt, und zwar genau dort, wo auch ein erfülltes Leben in den Händen eines Gitarristen seine Spuren hinterlassen hätte. Diese Art der Fertigung schlägt sich natürlich positiv im Preis wieder und im Gegensatz zur handgealterten „Relic“ sind die Modelle der Road Worn Serie durchaus Rock-Budget-kompatibel .
Wir haben uns die 60er Road Worn Strat vorgeknöpft und wollten wissen, ob sie auch mit inneren Werten glänzen kann und ihre Narben zurecht trägt, oder ob sie auch im Test so alt aussieht wie sie aussieht.
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KORPUS 1954 wurde der Strat zunächst ein Korpus aus Eschenholz verpasst, ab Mitte 1956 dann einer aus der leichteren Erle. Der Korpus bestand aus zwei unsymmetrischen Teilen mit zwei echten Cutaways, die ihr ein sehr futuristisches Aussehen gaben. Das obere „Horn“ wurde nicht nur aus ästhetischen Gründen stark verlängert, sondern sollte auch für eine gewisse Balance beim Träger des Instrumentes sorgen. Bei der Entwicklung des Designs hatte sich Fender selbst kopiert, denn die Korpusform ahmte sehr stark die des Precision Bass nach, den Fender 1951 entwickelt hatte und bis zum Erscheinen der Strat schon erfolgreich vermarkten konnte. Die Form der Strat wurde seither nicht mehr geändert und die Größenverhältnisse vom Vorbild im Maßstab 1:1 auf unsere Road Worn übertragen.
Selbstverständlich wurde auch unsere Road Worn mit der typischen “Bierbauchfräsung” konturiert. Die Aussparung am Korpus ließen die Strat geschmeidiger am Körper anliegen als die kantige Tele, die nach längeren Sessions unangenehme Druckstellen am Rippenbogen hinterlassen konnte. Mit dem neuen Design erhielt auch gleichzeitig die abgerundete Kante eine Chance, die zwar für mehr Komfort sorgte, aber gegen Abnutzung auch nicht gefeit war – der Lack leidet hier genau so wie an den Ecken der Tele. Und deshalb wurde unsere Kandidatin auch an den runden Bodykanten insbesondere im oberen Vorder- und Rückseitenbereich mit massiven Abschabungen verziert. An der Stelle, wo der rechte Arm auf dem Body ruht, findet man trotz Armkonturierung größere Lack- und Holzbearbeitungen. Der Korpus unserer Road Worn Strat ist federleicht – bei ‚echten’ alten Gitarren neben vielen weiteren Faktoren auch ein Zeichen dafür, dass das Holz sehr trocken ist.
Eine 60er Strat erkennt man am dreischichtigen Pickguard, das mit elf Schrauben befestigt ist. Jedenfalls wurde das ursprünglich schneeweiße Schlagbrett unserer Road Worn an den Rändern standesgemäß nikotingelb eingefärbt und auch die elf Schrauben wirken alt und verrostet. Der Klinkeneingang für das Gitarrenkabel ist schräg in ein ovales Blech auf der Decke eingelassen. Diese Maßnahme hatte sich angeboten, weil die Telecaster, die den Klinkeneingang in der Zarge hatte, nicht selten mit ausgerissener Klinkenbuchse zurück in die Werkstatt kam.
Bis 1958 wurde die Strat ausschließlich in einem schwarzgelben 2-Tone-Sunburst lackiert. Sehr beliebt war ein transparentes Honiggelb, das an den Rändern in ein dunkles, deckendes Braun-Schwarz überging. Sonderfarben gab es nur auf Bestellung.Erst ab 1959 wurde der Rotton in der Mitte hinzugefügt, sodass das bekannte 3-Tone-Sunburst entstand. Bei den ersten Stratocasters aus jenem Jahr verabschiedete sich übrigens das Rot auch gerne wieder und das Finish kehrte zu alter zweifarbiger Pracht zurück.
Damals wurde noch echter Nitro-Cellulose Lack versprüht, der allerdings nicht an der Oberfläche blieb. Nach der Verarbeitung sackte er allmählich in das Holz ein und härtete dort nach. Dadurch wurde die Lackschicht an der Oberfläche immer dünner und oft entstanden dort Risse, die allerdings bei der Decke unserer Road Worn fehlen. Aber dort sind unzählige kleinere und größere Lackschäden zu sehen, die teilweise bis auf das blanke Eschenholz gehen. Unsere nitrolackierte Road Worn trägt ebenfalls ein Finish im bekannten 3-Tone-Sunburst, wobei es auch eine schneeweiße Version gibt, die ebenfalls sehr schick aussieht.
Mit dem Vibratohebel konnte die Tonhöhe verändert werden. Dieses neue System war klein, optisch unauffällig und erlaubte durch das Kippen der Brücke ein totales Erschlaffen der Saiten. Mit Federn, die sich in einer Fräsung im Body versteckt hielten, konnte die bewegliche Brücke ohne Nebengeräusche wieder in die Ausgangsposition zurückgebracht werden. Die kleine Brücke mit integriertem Saitenhalter bot für alle sechs Saiten eine Einstellvorrichtung in Höhe und Länge. Selbstverständlich präsentiert sich auch unsere Road Worn mit Vibratohebel und der dazugehörigen beweglichen Brücke.
Die künstlich gealterten Metallteile sind so matt und stumpf, als hätten sie tatsächlich schon so manche Nacht Kneipenluft geatmet und so manchen Tropfen Schweiß über sich ergehen lassen müssen. Auf der Rückseite erkennt man die 6-Loch-Halsplatte, die in den 60er Jahren die 4-Loch-Platte abgelöst hatte. Die Plastikabdeckung der Vibratofräsung kann entfernt werden, um die Spannfedern zu justieren. Sogar diese ist bei unserer Testkandidatin analog zum Pickguard gelb verfärbt. Auch das Tremolo entspricht dem klassischen Vorbild, das Leo Fender 1954 für die Stratocaster entwickelte und bei dem die Saiten durch den Metallblock gefädelt und über die Brücke ihren Weg zu den Mechaniken finden.
Auf der Rückseite des Korpus befindet sich eine kleine Gürtelschnallenmacke – für meinen Geschmack etwas zu bescheiden. Aber nur keine Hemmungen: Beim nächsten Gig einfach den Gürtel mit der großen Metallschnalle tragen und was noch fehlt, das kommt dann ganz von selbst und nebenbei höchst authentisch hinzu.
Elektronik Das wichtigste Glied bei der Klangerzeugung sind die Pickups. Während die alte Tele mit zwei von ihnen auskommen musste, wurde die Strat gleich mit drei in den Ring geschickt. Auch Metall verändert sich im Laufe der Zeit und mit ihnen die Komponenten und die elektrischen Eigenschaften von Tonabnehmer. Hundertprozentig nachvollziehen kann man diese Veränderungen technisch bis heute nicht, und es wird auch noch für absehbare Zeit eine große Herausforderung bleiben, der man sich bei der Road Worn Serie nicht gestellt hat – angesichts des Preises eine verständliche Entscheidung. Stattdessen ist sie mit drei fabrikfrischen Tex Mex Exemplaren bestückt. Wie „alt“ sie klingen, das werden wir noch herausfinden.
Die ersten Strats wurden mit einem Dreiwegschalter ausgerüstet, der wahlweise den vorderen, mittleren oder hinteren Tonabnehmer aktivierte. Doch findige Techniker entdeckten bald interessante Soundvarianten, wenn zwei oder drei Pickups miteinander kombiniert wurden. Es dauerte eine Weile, bis Fender die Idee aufgriff und serienmäßig einen Fünfwegschalter produzieren ließ. Mit diesem konnten entweder Hals- oder Stegtonabnehmer mit dem mittleren Pickup kombiniert werden. Kaum zu glauben, aber wahr: Zur Standardausstattung gehört er erst seit1977! Unsere Road Worn besitzt im Gegensatz zum Original einen Fünfwegschalter, der Ihr aber keinesfalls zum Nachteil gereicht.
Hals Der schmale Hals mit 648 Millimeter Standardmensur wurde nicht – wie bei den Gibson Gitarren – mit dem Korpus verleimt, sondern mit vier Schrauben am Korpus befestigt. Die Halskrümmung lässt sich mit dem eingelegten Stahlstab justieren, der unter dem stark gewölbten Griffbrett seinen Platz hat. Erreichen lässt sich die Einstellschraube nur, wenn man zumindest das Pickguard entfernt.
Ein separat aufgeleimtes Griffbrett wurde der Strat erst ab 1960 spendiert. Offensichtlich bietet Palisander optimalen Schutz vor Gebrauchsspuren, denn das Griffbrett unserer Road Worn sieht aus wie neu. Fans „geagter“ Gitarren werden enttäuscht sein, denn die 60er mit aufgeleimtem Griffbrett bietet viel weniger Charisma als die 50er Road Worn Strat mit abgewetztem Lack. In den 50er und 60er Jahren hatte die Strat nur 21 Bünde, der Zweiundzwanzigste wurde ihr erst später spendiert. Mit 21 wird auch unsere auf die Strasse geschickt. Die nagelneuen 6105er Bünde mit schmalen angespitzten Kronen sind sauber abgerichtet und kommen ohne Abspielspuren aus.
Kopfplatte Die Stimmmechaniken befinden sich in einer Linie auf der oberen Seite der asymmetrischen Kopfplatte. Die ist schmal, wie es sich für eine frühe Strat gehört. Im Zeitraum zwischen 1965 und 1981 kam dann die breitere CBS-Form in Mode. Für unsere Road Worn hat daher offensichtlich eine Strat aus den frühen 60ern Pate gestanden. Verziert ist die Kopfplatte mit dem sogenannten Fender „Spaghetti“-Logo, das bis 1965 die Marke repräsentierte. Auf der Kopfplatte unserer Road Worn ist ein t-förmige Saitenniederhalter für die E- und B-Saite montiert. Der runde hatte schon 1956 ausgedient. Ursprünglich wurden die silbernen, geschlossenen Mechaniken von Kluson zugeliefert. Im Gegensatz zum Griffbrett sind die hier montierten Tuner ebenfalls behandelt und zeigen sich in bester Vintage-Optik.
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PRAXIS Der schmale Hals der Road Worn Strat liegt gut in der Hand, und der Daumen kann bei Bedarf bequem und in bester Hendrix Manier eingreifen. Das Griffbrett ist stark gewölbt, weshalb auch die Saitenlage nicht wirklich flach sein kann. Vielleicht sollte man versuchen, die sechs höhenverstellbaren Einzelböckchen an der Brücke mit der Wölbung des Griffbretts zu synchronisieren. Schnelle Läufe sind jedenfalls nicht unbedingt Sache der Halskonstruktion, aber Bendings bereiten keine größere Schwierigkeiten, obwohl schon kräftige Finger gefragt sind, die den Widerstand der Wölbung durchbrechen können. Ohne Sondertraining können Bendings bis zur kleinen Terz bisweilen etwas anstrengend werden.
Der Test konnte mit zwei Combos durchgeführt werden. Zur Verfügung stand ein Engl Screamer 50 und ein Fender Blues Deluxe Reissue. Beide Amps bringen den typischen Strat-Ton gut rüber, der Engl klingt im klaren Kanal etwas fetter und der Blues Deluxe im Lead Kanal natürlicher. Dafür ist der Engl im Lead Kanal etwas vielseitiger und bringt auch modernere Töne zu Gehör. Rock ´n´ Roll kann man feiern, wenn man Bridge PU und mittleren PU miteinander kombiniert.
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Bridge+Mid-Pickup – Crunch
Der Neck-Pickup kommt vollmundig rund, satt, eben wunderbar stratig, egal ob klar oder angezerrt. Mit dem Blues Deluxe im Lead Channel entwickelt sich ein sehr schönes Bluesgefühl.
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Neck-Pickup – Crunch
Der Engl bringt eine ganz andere Klangcharakteristik mit. Der Bridge PU im Lead Channel besticht geradezu mit einschneidenden hohen Frequenzen, eben sehr fetzig. Mit dem mittleren Tonabnehmer kann man guten alten Bluesrock feiern. Drahtig stratig. Riffs mit AC/DC-Feeling – jetzt allerdings mit Strat-Ton – kommen auch frech und aggressiv.
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Mid-Pickup – Blues-LeadMid-Pickup – Crunch-Riff
Der gleiche Riff klingt auch im cleanen Kanal mit dem mittleren Pickup schön stratig.
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Mid-Pickup – Clean
Alle Rhythmen präsentieren sich mit dem Bridge PU im Clean-Channel besonders bissig und setzen sich durch. Der Ton ist auch für Single Lines mit Funky-Feeling gut geeignet.
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Neck-Pickup – Clean
Rock-Fans kommen im Leadchannel auf ihre Kosten, wenn man den Bridge-PU einschaltet.
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Bridge-Pickup – LeadBridge-Pickup – Rhythm
High Gain Sounds sind definitiv nicht die Domäne der Tex Mex Pickups und es ist auch nicht einfach, einen stehenden Ton zu produzieren. Mit dem einen oder anderen Effekt sollte es natürlich funktionieren. Ich stelle mir jedenfalls einen anderen Leadsound vor und denke gleich an einen Humbucker. Geschmacksache. Aber klare Angelegenheiten sind normalerweise Sache der Stratocaster. Die 60er Strat mit dem Rosewood Griffbrett klingt anderes als die 50er Strat mit dem Mapleneck, aber beide Gitarren klingen gut. Dabei bietet allerdings die 60er meines Erachtens den stratigsten Rhythmus von beiden.
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FAZIT Wer es gewohnt ist, seine neuen Instrumente wie seinen Augapfel vor den Einflüssen des Lebens zu bewahren, für den mag die Fender Road Worn Strat nicht unbedingt ein begehrenswertes Wunschinstrument sein; zumal die makellosen neuen aus Mexico vergleichsweise günstiger zu haben sind. Andererseits ist die Road Worn Strat nicht nur ein echter Blickfang, sondern auch eine gute Gitarre und man erkauft sich einen zeitlichen Vorsprung. Denn im täglichen Einsatz werden die künstlich verabreichten Wunden und Narben durch aktuelle veredelt und irgendwann verschwimmen beide zur gewünschten Patina. Jedenfalls präsentiert Fender mit der Road Worn Strat nicht nur einen Hingucker, sondern eine richtig gute Gitarre mit dem typischen, stratigen Sound.
"Ein separat aufgeleimtes Griffbrett wurde der Strat erst ab 1960 spendiert."Das ist nicht korrekt. Palisander-Griffbretter gab es bei Fender für die Strat ab Mitte 1959.
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slightlydetuned sagt:
#1 - 23.10.2019 um 11:49 Uhr
"Ein separat aufgeleimtes Griffbrett wurde der Strat erst ab 1960 spendiert."Das ist nicht korrekt. Palisander-Griffbretter gab es bei Fender für die Strat ab Mitte 1959.