Avid Pro Tools 2020.11 Test

Pro Tools hat sich gemausert und in einigen Punkten Alleinstellungsmerkmale erarbeitet. Welche das sind und wo die Stärken und Schwächen der aktuellen Version 2020.11 liegen, zeigt der folgende Test. 

AVIDProTools2020-11_Test


Vor drei Jahren gab es noch klassische Versionsnummern (12.8), heute setzt sich die Nummerierung aus dem Jahr und dem Veröffentlichungsmonat zusammen, im diesem Fall also die 2020.11. Die neue Nummerierung bietet für Avid den Vorteil, nicht schon durch die Benennung (als Beispiel: 12.8.1 oder 12.9 oder 13) zu verraten, ob es sich um ein größeres oder kleineres Update handelt. Seit dieses Vorgehen 2018 Einzug gehalten hat, war vom Bugfix-Update bis zum großen Versionssprung alles dabei. Im folgenden Test werde ich die wesentlichen neuen Merkmale erläutern und nach den fünf Jahren des Abonnementmodells außerdem ein Kosten-Nutzen-Fazit ziehen.

Details

Von Pro Tools 2018 bis 2020 – die Fortschritte zusammengefasst

Im Jahr 2018 gab es zwar insgesamt sechs Updates für Pro Tools, von denen aber nur zwei neue Funktionen mitbrachten, während die anderen sich auf Bugfixes konzentrierten. 2019 gab es insgesamt vier Pro-Tools-Versionen – und auch hier waren darunter nur zwei mit neuen Funktionen. Die aktuelle Version 2020.11 ist im Jahr 2020 nun die vierte (streng genommen die fünfte) Iteration von Pro Tools, von denen immerhin drei neue Funktionen beinhalteten. 
Die Updates alleine dahingehend zu betrachten, wie oft sie neue Funktionen mitbringen, beleuchtet den Fortschritt der Software aber nur unzureichend. Am Ende kommt es darauf an, wie stark sich der eigene Anwendungsbereich dadurch erweitert. Trotzdem zeigt der Verlauf der letzten drei Jahre, dass sich die Update-Geschwindigkeit im Vergleich zu 2015 und 2016 mit jeweils sechs bis sieben Versionen inklusive neuer Features insgesamt deutlich verringert hat. Der Update-Zyklus ist vergleichbar mit anderen DAWs wie Cubase, Logic oder Studio One. Das Abonnementsystem bringt Avid zwar ein sicheres Einkommen, Vorteile auf der Nutzerseite kann ich bisher aber leider nicht erkennen. 

Pro Tools 2018

Gleich im Januar 2018 kam Avid mit einem Update (2018.1), das viele Hoffnungen weckte: Pro Tools unterstützt seitdem iLok auch über die Cloud und führte Track Presets und Target Playlists ein. Mit «Retrospective MIDI» werden spontane Einspielungen festgehalten, noch bevor man in die Aufnahme geht und das «Arrow key MIDI Editing» macht beim Editieren von MIDI-Daten fleißig Gebrauch von den Cursor-Tasten. Außerdem lassen sich seitdem EQ-Kurven im Mix-Fenster einblenden und die Möglichkeiten zum Import von Daten aus anderen Sessions wurden verbessert.
Im Sommer folgte die zweite Version mit funktionalem Fortschritt (2018.7), die sich überwiegend einem besseren Workflow widmete. Dank integrierter Suchfunktion ist es seitdem einfacher, in Plugin-, I/O- und Bus-Listen den gewünschten Eintrag zu finden, mehrere Einträge eines Menüs gleichzeitig auszuwählen, komfortabler in Playlisten zu navigieren, von verbessertem «Low Latency Monitoring» zu profitieren und mit zahlreichen neuen Tastaturkommandos Edit-Bereiche auszuwählen. So sinnvoll die Fortschritte in 2018.7 auch sind, eine richtig spektakuläre neue Funktion fehlte. Herauszuheben sind im Jahr 2018 vor allen Dingen die Track Presets, die Retrospective MIDI Funktion und mit Einschränkungen auch die Target Playlists.

Pro Tools 2019

Die erste Pro-Tools-Version in 2019 ist die 2019.5, deren wesentliche Verbesserung sich hinter dem Begriff «Continuous Creation» verbirgt: Während in der Vergangenheit das Insertieren eines Plugins oder eines Sends bei der Wiedergabe für eine kurze Unterbrechung und unangenehme Übergänge sorgte, lässt Pro Tools sich jetzt nicht mehr durch solche und andere Aktionen stören. Die übrigen Verbesserungen haben überwiegend mit der Anzahl der Spuren zu tun: Pro Tools erlaubt jetzt stolze 1024 MIDI-Spuren und bietet für Pro Tools | Ultimate (die ehemals HD genannte Premiumversion des Programms) mit nativen Systemen bis zu 384 gleichzeitig aktive Mono-Audio-Tracks (vorher 256) und Erweiterungen um sogenannte Voice Packs an. Unter macOS wird erstmals 10.14 Mojave unterstützt.
Im Oktober erscheint das zweite funktionale Update, das sich überwiegend an Post-Pro-Nutzer wendet: Es gibt eine neue Avid Video Engine (AVE), die vor allen Dingen eine verbesserte Performance bei H.264-Quicktime-Filmen verspricht, Verbesserungen für die Dolby Audio Bridge, das Verpacken mehrerer Stems in ein Multikanal-WAV-File sowie die Möglichkeit, in der Timeline nicht verwendete Clips beim AAF-Import auszuschließen.
«Continuous Creation» ist das Highlight 2019, von dem alle Nutzer profitieren. Die neue Video Engine betrifft auch viele Pro-Tools-Nutzer, insgesamt muss sich aber jeder selbst überlegen, ob er für den gezahlten Miet/Abonnement-Preis 2019 gut bedient wurde. Für meine Ultimate-Dauerlizenz zahlte ich 2019 428,40 Euro brutto und habe das subjektive Gefühl, keine ausreichende Gegenleistung erhalten zu haben.

Abb. Filmvertonung.jpg
Abb. Filmvertonung.jpg

Pro Tools 2020

Mit der Version 2020.3 bekam Pro Tools endlich wieder einen richtigen Funktionsschub: die Folder Tracks sowie den vollständigen Support von macOS 10.15 Catalina.
Der nächste Schritt erfolgte im September (2020.9.1) und brachte im wesentlichen Ableton Link in Pro Tools. Damit ist es möglich, zwei musikalische Devices, die den Link-Standard unterstützen, über ein lokales Netzwerk zu synchronisieren. Das Taktraster, das Tempo und die Start/Stopp-Kommandos werden dabei berücksichtigt. 
Mit der aktuellen Version 2020.11 gibt es nun «Audio to MIDI» dank Celemonys ARA-Technologie, «Space Clips», dem «Dark Theme», «Bounce to Mix», bis zu 512 Master Fader und QuickTime-Export als Public Beta.
Auch ohne genauere Betrachtung der wichtigsten Funktionen im folgenden Abschnitt kann für mich ich persönlich konstatieren, dass ich für meinen Update/Support-Plan im Jahr 2020 deutlich mehr bekommen habe als im Jahr 2019.

Praxis

Über die letzten drei Jahre hinweg hat es sich ausgezahlt, als Mac-Nutzer konservativ mit Betriebssystemumstellungen umzugehen. Denn Avid hat sowohl beim Wechsel von 10.13 High Sierra auf 10.14. Mojave (im September 2018) als auch von 10.14. auf 10.15 Catalina (im September 2019) ca. ein halbes Jahr benötigt, bis Pro Tools mit dem aktuellen macOS kompatibel war. Wer sich in der Zwischenzeit einen neuen Mac zulegen musste, hat in die Röhre geschaut. Zum Testzeitpunkt im November 2020 ist macOS 11 Big Sur bereits auf dem Markt und die ersten Apple-Computer mit ARM-Prozessoren sind ebenfalls vorgestellt. Laut Avid wird die macOS-Anpassung in zwei Schüben passieren: Ein Big-Sur-Intel-Update kommt zuerst, der Support für die ARM-Prozessoren wird ein bisschen mehr Vorlauf benötigen. Allerdings bestehen gute Aussichten, dass Big-Sur-Support für Intel-Macs noch im Jahr 2020 real wird. Für ARM konnte und wollte mein Avid-Kontakt sich nicht festlegen.
Im Folgenden beschreibe und bewerte ich die wesentlichen neuen Funktionen, die Pro Tools seit 2018.1 hinzubekommen hat. 

Track Presets (Pro Tools 2018.1)

Das Jahr 2018 begann für Pro-Tools-User hoffnungsvoll, denn die «Track Presets» waren eine lang erhoffte Funktion, die in anderen DAWs schon unter Namen wie Channelstrip-Settings oder ähnlichem bekannt waren. Prinzipiell lassen sich damit alle Einstellungen einer Spur isoliert speichern, sodass man sie an anderer Stelle wieder aufrufen kann. Dabei kann es sich um einen Audiotrack mit oder ohne Clips handeln, aber auch um alle anderen Spurtypen aus dem Pro-Tools-Sortiment. 
Wie meistens bei Pro Tools ist auch diese Funktion bis zum Ende gedacht: Es gibt nicht nur über 600 Track Presets, die von den Core Plugins und den mitgelieferten AIR Virtual-Instruments Gebrauch machen, sondern es lassen sich auch beliebig viele eigene Presets erstellen und mit Tags versehen, um die Suche nach dem richtigen Track Preset im Workspace zu erleichtern. Wie man es von der Funktion «Import Session Data» kennt, gibt es auch beim Import von «Track Presets» die Möglichkeit, entweder sämtliche Parameter oder nur einen beliebigen Teil der Parameter zu installieren. 

Fotostrecke: 2 Bilder Über 600 Track Presets werden mitgeliefert, eigene sind in beliebiger Anzahl möglich.

Während es sicher bei nahezu allen Anwendungen Einsatzgebiete für Track Presets gibt, ist eines ganz besonders naheliegend: die Multitrack-Aufnahme einer Band, und zwar im ganz klassischen Sinne – die Band spielt alle Titel live ein, die Songs sollen aber in separaten Sessions gemischt werden. In so einem Fall gilt es, sich die alte Trennung zwischen Tonband und Mischpult wieder vorzustellen. Man beginnt die wesentlichen Klänge wie das Schlagzeug, den Bass, die Gitarren und Keyboards bei einem charakteristischen Song in ein Mischungsverhältnis zu setzen, von dem aus die Anpassungen für die einzelnen Songs erfolgen. Wenn ich nun Track Presets für die betreffenden Spuren speichere, kann ich sie für jeden weiteren Song aufrufen und meine Mischung von diesem größten gemeinsamen Vielfachen starten. Man wechselt zwar das Band in der Tonbandmaschine, aber das Mischpult bleibt und liefert eine Basis, auf der man aufbauen kann. ´ 

Retrospective MIDI (Pro Tools 2018.1)

Sobald Pro Tools läuft und der Nutzer eine MIDI- oder Instrument-Spur spielt, wird die Performance aufgezeichnet. Das ist super praktisch, wenn man beim Mitjammen vergessen hat, den Record-Button zu drücken. Im eingedeutschten Pro Tools heißt diese Funktion «Rückwirkende Aufnahme» und versteckt sich im Eventmenü. Ob man die Wiedergabe schon gestoppt hat oder noch abspielt, ist dabei irrelevant. Falls sich an der betreffenden Stelle des Arrangements schon eine Aufnahme befindet, wird diese durch die rückwirkende Aufnahme ersetzt. Um das zu vermeiden, sollte man vor dem Ausführen der rückwirkenden Aufnahme eine Kopie der aktuellen Playlist erstellen. Insgesamt hat mich die Funktion im Test voll überzeugt, da sie immer die erwarteten Ergebnisse liefert. Man muss jedoch zugeben, dass diese Funktion keine originäre Avid-Erfindung ist, denn in anderen DAWs war sie bereits früher vorhanden. 

Nie wieder den First Take versäumen: Dank «Rückwirkende Aufnahme» werden auch dann MIDI-Daten aufgenommen, wenn Pro Tools sich im Play-Modus befindet.
Nie wieder den First Take versäumen: Dank «Rückwirkende Aufnahme» werden auch dann MIDI-Daten aufgenommen, wenn Pro Tools sich im Play-Modus befindet.

Target Playlists (Pro Tools 2018.1)
Auf Deutsch nennt sich diese Funktion «Ziel-Playlist» und adressiert ein Problem der Playlists, das vor allen Dingen bei Drum-, Backing-Vocal- oder anderen Aufnahmen multimikrofonierter Instrumente und Instrumentgruppen entsteht: Die Ansicht einer Spur im Playlist-View füllt schon fast den gesamten Bildschirm, sodass ein übersichtliches Arbeiten innerhalb des ganzen Klangkörpers unmöglich ist. Über die Ziel-Playlist-Funktion legt man fest, wo der Comp der besten Takes gespeichert werden soll. Das kann die Main Playlist der Spur, aber auch jede andere Playlist sein. Nun kann in der Waveform-Ansicht des Edit-Fensters über Tastaturkommandos oder EuCon die Auswahl der besten Takes stattfinden. Diese Funktion ist speziell, aber typisch Pro Tools. Wer häufiger mit größeren Klangkörpern arbeitet, freut sich über diese sehr sinnvolle Workflow-Erleichterung. 

Ziel-Playlists bieten sich beim Comping multimikrofonierter Klangkörper an.
Ziel-Playlists bieten sich beim Comping multimikrofonierter Klangkörper an.

Search in I/Os, Plugins und Bussen (Pro Tools 2018.7)

Man hat viele Plugins, sehr viele Busse und vielleicht sogar Ausgänge aus dem Pro-Tools-System. Um nicht umständlich mit der Maus in langen, aufklappenden Listen navigieren zu müssen, lässt sich der gesuchte Begriff nun über die Tastatur eingeben. Hardcore-User werden diese Suchfunktion zu schätzen wissen, weil sie auch die Track Presets durchsucht und so clever ausgedachte Makros auslösen kann. 

Die Suchfunktion erleichtert den Zugriff auf Plugins, Sends, Ausgänge etc.
Die Suchfunktion erleichtert den Zugriff auf Plugins, Sends, Ausgänge etc.

Continuous Creation (Pro Tools 2019.5)

Mit der Veröffentlich von Pro Tools 7 vor ungefähr 15 Jahren begann die Software damit, sich unter anderem mit virtuellen Instrumenten oder einem besseren MIDI-Editing dem digitalen Kreativkopf zu nähern. Etwa zu dieser Zeit wurde auch die Funktion Dynamic Transport integriert, die den im Loop wiederzugebenden Bereich unabhängig von Edit- und Timeline-Selektionen machte. Damit deutete sich eine Live-Arbeitsweise an, bei der man zum Beispiel einen achttaktigen Loop nach und nach mit verschiedenen Sounds versehen konnte, ohne die Wiedergabe zu unterbrechen. Das Ganze hatte jedoch einen Haken: Jede neu erstellte Spur, jedes neu insertierte Plugin und jeder neue Send sorgte für eine unsanfte Unterbrechung der Wiedergabe mit fürchterlichen Nebengeräuschen. Damit war der Spaß an Dynamic Transport sehr eingeschränkt. Es hat leider bis Mitte 2019 gedauert, bis dieses Problem adressiert wurde, was die Neuerung an sich aber schlechter macht. Es ist auch in meinem Arbeitsalltag ein Segen, die Wiedergabe nicht mehr unterbrechen zu müssen, weil man Plugins oder Sends einfügen will, eine Ausgangszuweisung verändern will usw. So minimal diese Verbesserung auf den ersten Blick wirkt, so groß ist sie in der Praxis. Im Unterschied zu vielen Workflow-Optimierungen, die meist nur speziellen Nutzergruppen dienen, profitieren wirklich alle User von dieser Verbesserung.

Avid betreibt künstliche Spurenverknappung nativer Ultimate-Systeme: Wer mit 384 Spuren nicht auskommt, muss draufzahlen.
Avid betreibt künstliche Spurenverknappung nativer Ultimate-Systeme: Wer mit 384 Spuren nicht auskommt, muss draufzahlen.

Voice Packs für Ultimate (Pro Tools 2019.5)

Voice Packs erinnern an Zeiten, in denen verfügbare Spuren gleichzeitig knapp waren und Avid ist tatsächlich der einzige DAW-Anbieter, der diese Resource nach wie vor künstlich verknappt. Bei allen anderen mir bekannten DAWs ist die Anzahl der gleichzeitigen Spuren während der Aufnahme und der Wiedergabe einzig und allein von den Kapazitäten der beteiligten Komponenten (CPU, Festplatte/SSD etc.) abhängig. Eine Standard-Pro-Tools-Lizenz ist auf 128 Audiospuren (mono oder stereo bei 48 kHz) begrenzt. Für die Ultimate-Lizenz gibt es seit 2019.5 statt den bisherigen 256 Voices für native Systeme nun 384 Voices (bei 48 kHz). Wer damit nicht auskommt, kann bis zu drei Voice Packs a 128 Voices (bei 48 kHz) erwerben, so dass maximal 768 Voices möglich sind. Ein Voice Pack mit 128 Stimmen kann zum Testpunkt im November 2020 für 139 Euro Jahresmiete lizenziert werden. 
Aufgrund technischer Probleme mit einigen älteren HDX-Karten hat Avid sich dazu entschieden, das Spurenlimit von HDX-Karten bei 256 Voices zu belassen. Mit drei HDX-Karten ist das Maximum von 768 Stimmen erreichbar.
Da diese gigantischen Spurenzahlen sicherlich nur in opulenten Mehrkanal-Produktionen erforderlich sind, erübrigt sich der Hinweis, dass der Einkauf von Voice Packs keine Garantie dafür gibt, dass tatsächlich so viele Spuren ohne Probleme abgespielt werden. 
Grundsätzlich missfällt mir der Ansatz, von Nutzern nativer Systeme Mietkosten für Voice Packs zu verlangen. 

Neue Avid Video Engine (Pro Tools 2019.10)

Da vor allen Dingen Apple mit macOS Catalina konsequent auf 64-Bit-Software umgestellt hat und die Quicktime-Video-Engine eine 32-Bit-Applikation ist, mussten sich alle DAW-Hersteller für die Video-Integration etwas Neues einfallen lassen. Avid hat aus diesem Grund schon vor einiger Zeit die Video-Engine vom Avid Media Composer bekommen. Mit Pro Tools 2019.10 ist diese Video Engine noch einmal verbessert worden, um zum Beispiel 4k-Material mit bis zu sechzig Frames pro Sekunde anzuzeigen, sodass kein Transcoding solcher Filme mehr nötig ist. Ein grundlegendes Problem unter Catalina bleibt aber bestehen: Video-Export, so wie er mit Quicktime seit vielen Jahren möglich war, kommt erst mit 2020.11 als Public Beta wieder zurück in Pro Tools. 

Folder Tracks (Pro Tools 2020.3)

Eine der größten Neuerungen für Pro Tools sind die Folder Tracks, denn damit ist eine bessere Organisation großer Sessions möglich. Ähnlich wie die Playlists, die das wiederzugebende Material der Spur in der Z-Ebene eines dreidimensionalen Koordinatensystems speichern können, können Gruppen von Spuren zu einem Ordner/Folder zusammengefasst werden, während im Edit-Fenster nur noch der Folder Track zu sehen ist. Pro Tools unterscheidet zwei Typen von Ordnern, nämlich die «Basic Folder» und die «Routing Folder». Während die normalen Folder ihr Routing beibehalten, werden beim «Routing Folder» die Tracks wie in einer Subgruppe zusammengefasst. Mute und Solo auf dem Folder Track betreffen alle Spuren des Ordners genau wie alle Edits auf der Zeitachse. Dank zahlreicher Tastaturkommandos ist das Ergänzen von Tracks in einem Ordner, das Öffnen und Schließen des Ordners und einiges mehr flexibel steuerbar. Die Folder Tracks sind meiner Meinung nach die mächtigste neue Funktion, die Pro Tools zwischen 2018 und 2020 erfahren hat

Fotostrecke: 2 Bilder Dank der neuen Ordner/Folder-Spuren kann man sich das Edit-Fenster übersichtlich gestalten.

Ableton Link (Pro Tools 2020.9.1)

Bei Ableton Link handelt es sich um eine Synchronisationsmethode im Netzwerk, um zwei oder mehr Programme, Apps, Devices miteinander zu verkoppeln. Start/Stopp und Tempo werden dabei übertragen, sodass das timelinebasierte Pro Tools sich um loopbasierte Programme wie Ableton Live, iMaschine von Native Instruments auf dem iPad oder ähnlichen Devices erweitern lässt. Für alle Grenzgänger, die für ihre Produktionen das Beste aus der timeline- und der loopbasierten Arbeitsweise benötigen, ist Ableton Link eine hervorragende Ergänzung.

Über Ableton Link (oben und unten im Transportfenster jeweils rechts) synchronisiert Pro Tools sich zum Beispiel mit Ableton Live.
Über Ableton Link (oben und unten im Transportfenster jeweils rechts) synchronisiert Pro Tools sich zum Beispiel mit Ableton Live.

Audio to MIDI (Pro Tools 2020.11)

Beim Marketing der neuen Version 2020.11 ist mir Audio to MIDI bisher viel zu kurz gekommen. Pro Tools allein kann nämlich nach wie vor kein Audio to MIDI. Die Funktion steht trotzdem jedem Pro-Tools-Nutzer zur Verfügung, weil ein Melodyne Essential mit Pro Tools 2020.11 gebundelt ist. Und Audio to MIDI wird über ARA realisiert. ARA ist die Celemony-Technologie, mit der die Kommunikation zwischen der Host-Applikation (z. B. Pro Tools) und einem Plugin wesentlich erweitert wird. Viele DAWs wie Studio One, Logic, Cubase und Reaper bieten schon vollständige ARA-Implementation, bei Pro Tools hat man sich zunächst auf Audio to MIDI beschränkt. Auch wenn dies nur ein kleiner Ausschnitt aus dem ARA-Angebot ist, ein Anfang ist gemacht. Ich habe zumindest keine Zweifel mehr, dass es über kurz oder lang eine vollständige ARA-Implementation in Pro Tools geben wird.

ARA kommt! Bislang ist nur die Audio-to-MIDI-Funktion integriert, aber der erste Schritt ist getan.
ARA kommt! Bislang ist nur die Audio-to-MIDI-Funktion integriert, aber der erste Schritt ist getan.

Space Clips (Pro Tools 2020.11)

Mit diesem kleinen Batch-Processing-Kommando lässt sich ein vom Benutzer festzulegender Raum definieren, der zwischen den ausgewählten Clips liegen soll. Während diese Funktion ursprünglich aus dem Bereich Games kommt, ist sie auch beim Dialog-Editing, beim Sounddesign, beim Mastering und beim Erzeugen einer Sample Library nützlich. Aus meiner Sicht keine große Neuerung, aber diese Funktion hat mir in den letzten drei Jahren bestimmt zehn Mal gefehlt.

Bounce to Mix (Pro Tools 2020.11)

Aus dem Fenster «Bounce to Disk» ist das «Bounce Mix»-Fenster geworden, indem nun auch Videodateien ausgespielt werden können. Durch die Möglichkeit, Presets zu speichern, lassen sich auch wiederkehrende Bounce-Szenarien abspeichern und mehrere Ausspielungen einzelner Stems parallel erledigen. Auch diese Neuerung ist eigentlich nicht weltbewegend, aber dennoch ein wohltuendes Update mit ein paar netten Ergänzungen.

Pro Tools | Carbon Support (Pro Tools 2020.11)

Eine wesentliche Neuerung in 2020.11 ist außerdem die Unterstützung der neuen Audio-Hardware Carbon von Avid, die mit ihrer Hybrid-Engine HDX-kompatible DSPs anbietet, die aber nicht statisch, sondern bedarfsgerecht eingesetzt werden. Ihr werdet dazu einen separaten Testbericht bei bondeo.de bekommen, sobald wir ein Testgerät erhalten haben. Die Hardware und die neue Hybrid Engine sind auf jeden Fall sehr spannend.

Mit dem rundum erneuerten Fenster «Bounce to Mix» lassen sich alle Audio- und Videoausspielungen eines Projekts in einem Rutsch erledigen.
Mit dem rundum erneuerten Fenster «Bounce to Mix» lassen sich alle Audio- und Videoausspielungen eines Projekts in einem Rutsch erledigen.

Fazit

Pro Tools ist in den vergangenen drei Jahren einen langen Weg gegangen. Und wie ich bereits zu Beginn des Tests erwähnt habe, ist meine persönliche Bewertung der jährlichen Neuerung ziemlich unterschiedlich ausgefallen. Während ich im Jahr 2018 noch ganz zufrieden mit der Ausbeute an neuen, für mich sinnvollen Funktionen war, habe ich 2019 zwar mehr Stimmen (384 statt 256) bekommen, aber auch in Kombination mit dem unterbrechungsfreien Arbeiten (Continuous Creation) hat sich die Jahreslizenz von 360 Euro netto aus subjektiver Sicht nicht gelohnt. Das Jahr 2020 hat eine deutlich bessere Bilanz: Dank Folder Tracks, der beginnenden ARA-Implementation und Ableton Link fühle ich mich gut bedient. Hinzu kommt ein gefühlter Effizienzgewinn bei der Video Engine und die immer weitergehende Entwicklung des EuCon-Protokolls. Die App Avid Control erlaubt in Verbindung mit meinem Avid Dock und einem Avid Mix eine Softwaresteuerung, die wirklich überragend funktioniert.
Das von mir schon häufiger kritisierte Lizenzsystem entwickelt sich weiter: Mit Lockangeboten hat Avid in der vergangenen Zeit versucht, Nutzer der Dauerlizenz über einen laufenden Update/Support-Plan auf eine reine Softwaremiete wie bei Adobe zu überführen. Dauerlizenzen gibt es andererseits nach wie vor. Insgesamt muss ich konstatieren, dass sich Pro Tools in den letzten drei Jahren überwiegend ins Positive weiterentwickelt hat und deshalb auch seinen Preis wert ist. 

Pro
  • umfangreiche DAW mit zahlreichen Workflow-Optimierungen
  • Track Presets
  • Folder Tracks
  • EuCon-Ökosystem bietet vorbildliche Steuerung
Contra
  • Lizenzsystem mit Trend zur Miete
AVIDProTools2020-11_Test
FEATURES
  • Pro Tools ist eine Universal-DAW, mit der von der Musikproduktion, über die Sprachproduktionen bis zur komplexen Filmvertonung jegliche Audioproduktion komfortabel möglich ist.
  • Systemvoraussetzungen:
  • Mac OS X: Intel i5 oder besser empfohlen, 16 GB RAM, OS X 10.13 oder neuer, iLok erforderlich
  • Windows: 64 Bit Intel oder AMD Prozessor (Intel i5 oder besser empfohlen), 16 GB RAM, ab Windows 10 (release 1909), iLok erforderlich
  • PREISE:
  • Pro Tools Perpetual: 599 Euro; Update/Renewal-Plan: 199 Euro
  • Pro Tools Ultimate Perpetual: 2525,00 Euro; Update/Renewal-Plan: 366 Euro
  • Pro Tools 1-Jahres-Mietlizenz: 321,00 Euro
  • Pro Tools Ultimate 1-Jahres-Mietlizenz: 828,00 Euro
Unser Fazit:
4,5 / 5
Pro
  • umfangreiche DAW mit zahlreichen Workflow-Optimierungen
  • Track Presets
  • Folder Tracks
  • EuCon-Ökosystem bietet vorbildliche Steuerung
Contra
  • Lizenzsystem mit Trend zur Miete
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Avid Pro Tools 2020.11 Test
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