Empirical Labs DerrEsser Test

Die Studiotools von Empirical Labs werden gemeinhin als überaus mächtige Werkzeuge geschätzt, welche stets mehr als die absolut notwendigen Funktionen mitbringen. Da erscheint es fast selbstverständlich, dass auch der DerrEsser nicht „nur“ ein De-Esser ist. Die Produktpalette von Empiricial Labs ist für die Zeit, die der der amerikanische Hersteller am Markt präsent ist, erstaunlich klein. Nichtsdestotrotz hat Chefdesigner Dave Derr (daher auch das Wortspiel mit dem Namen des De-Essers) mit dem Distressor ein Gerät geschaffen, für das die Bezeichnung „moderner Klassiker“ erfunden worden sein könnte. Von diesem am 1176 orientierten Kompressor wurde mittlerweile eine stattliche fünfstellige Anzahl Geräte verkauft – mehr als vom UREI-Original. Das ist in der Studiobranche für ein Gerät dieser Preisklasse ein sagenhafter Erfolg, den in dieser Form kein weiterer Hersteller erreichen konnte.

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Ob nun Distressor, FATSO oder Lil FrEQ – die meisten Geräte aus der Feder Dave Derrs bringen eine Reihe von Funktionen mit, die dazu dienen, aggressive, harsche, hohe Frequenzen in den Griff zu bekommen – keine unwichtige Sache im Zeitalter des tonbandlosen Recordings. Das vorliegende 500-Modul heißt zwar „DerrEsser“, beschränkt sich jedoch nicht bloß darauf, unschöne Konsonanten bei Vocal-Aufnahmen zu entschärfen. Der Hersteller beschreibt das Teil als „Dynamic High Frequency Fixer“, also salopp übersetzt als „Dynamischer Hochfrequenz-Reparateur“; erreicht wird dies durch verschiedene Betriebsmodi, die über simples De-Essing deutlich hinausgehen. Und damit sind wir schon mitten in den Details…

Details

Ein De-Esser an sich ist schon eine kompliziertere Angelegenheit, als man vielleicht denken sollte. Im Prinzip ist es ja ganz einfach: Man nehme einen Kompressor, mache ihn besonders empfindlich im Bereich der typischen, „giftigen“ Vocal-Frequenzen und lasse ihn dann auf ebenjene los. Soweit jedenfalls die Theorie. In der Praxis zeigt sich, dass es am Markt zwar eine Reihe von De-Essern gibt, aber die Qualitätsunterschiede durchaus recht groß ausfallen. Das mag sicherlich auch daran liegen, dass mit Hilfe dieser Werkzeuge im Regelfall Hand an Gesangsaufnahmen gelegt wird, und dass bei allem, was die menschliche Stimme betrifft, unser Gehör überaus kritisch ist. Kurzum: Einen guten De-Esser zu bauen ist keine ganz triviale Aufgabe, und dennoch sind diese Tools überaus wichtig. Heute werden Vocals häufig mit sehr geringem Abstand zum Mikro aufgenommen, und noch dazu hypen viele Kondensatormikros die Höhen recht kräftig. Da sind spitze Konsonanten auf der Aufnahme fast vorprogrammiert. Heutzutage ist ein höhenreicher Gesangssound sehr gefragt, aber trotzdem soll es ja rund klingen und einem nicht die Gehörgänge zersägen. Es gibt zwar Alternativen zum De-Esser (beispielsweise zeitraubende Spurautomation), aber in vielen Fällen wird solch ein Tool bevorzugt.

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Im DerrEsser kommt eine VCA-Einheit als Regelelement zum Einsatz. Das Gerät arbeitet zwar unabhängig vom Eingangspegel, aber dennoch gibt es ein Threshold-Poti. Dieses definiert das Verhältnis von harschen zu runden Klanganteilen. Das bedeutet, dass man hier nur einmal das gewünschte Klangbild einstellen muss, ohne sich um den Pegel des Signals kümmern zu müssen. Dazu kommt noch ein FREQ-Poti, mit dem man den Frequenzbereich (830 Hz – 10 kHz) einstellt, in dem der DerrEsser besonders empfindlich sein soll. Sieben LEDs zeigen die Pegelreduktion der entsprechenden Frequenzen an, zudem verfügt die Kassette noch über eine Clip-LED. Damit wäre der eigentliche De-Esser bereits erklärt.

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Als erste „Zugabe“ kann das Modul alternativ auch als HF-Limiter arbeiten – eine Funktion, die man bereits vom Empirical Labs FATSO kennt. In diesem Modus wird die Funktionsweise des Sidechain-Filters verändert: Im Normalbetrieb arbeitet der DerrEsser mit einem mehr oder weniger schmalbandigen Peaking-Filter im Präsenzbereich, im HF-Limit-Modus wird der gesamte Bereich oberhalb der Ansatzfrequenz abgesenkt. Damit geht der DerrEsser breitbandiger zu Werke, was die möglichen Einsatzbereiche erweitert. So könnte sich dieser Modus mehr als ein herkömmlicher De-Esser anbieten, um  beispielsweise scharfe, höhenreiche Overhead-Mikros mit ordentlich Becken-Alarm runder zu bekommen.
Schließlich verfügt das Modul noch über eine „Listen“-Funktion. Das bedeutet, dass die Sidechain-Filter auch in den Audioweg geschaltet werden können – manchmal ist dies sehr hilfreich, um die De-Esser-Frequenz einzustellen. Aber selbstverständlich kann man die Filter auch verwenden, um Audiomaterial direkt zu bearbeiten. Somit ist der DerrEsser nicht nur ein De-Esser und ein HF-Limiter, sondern er kann auch als (natürlich resonanzloses) Hoch- oder Tiefpassfilter eingesetzt werden.

Wie bereits erwähnt, arbeitet im Herzen dieses frequenzselektiven Kompressors eine VCA-Einheit. Attack und Release sind fest eingestellt (

Praxis

Nicht immer bieten De-Esser aus dem Stand zufriedenstellende Ergebnisse. Es gibt einige Vertreter dieser Gattung, die unglaublich zickig auf das Eingangssignal reagieren: Entweder sie greifen nicht genug oder gleich viel zu stark ein, mit dem Resultat, dass man ständig den Threshold-Parameter nachjustieren möchte. Glücklicherweise ist dies beim DerrEsser nicht so.

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Vocals Original Vocals De-Esser

Die Kassette verfügt aber definitiv über ausreichend Reserven, um auch das gefürchtete Lispeln zu erzeugen, das sich einstellt, wenn man es mit dem De-Essing übertreibt. Hinhören muss man also auch hier genau; das Gerät nimmt einem keine Arbeit ab, aber es erlaubt ansprechende Resultate. Insbesondere muss noch einmal gewürdigt werden, dass das Threshold-Poti unabhängig vom Eingangspegel arbeitet, man mit ihm lediglich die Intensität des Processings einstellt. Das erleichtert die Arbeit ungemein, da man den De-Esser tatsächlich nur einmal auf ein Signal anpassen und dann nie wieder nachregeln muss. Der HF-Limiter ist eine sinnvolle Zugabe, die auf Wunsch subtil, aber auch recht heftig zu Werke gehen kann. Wie viele Funktionen bei Empirical-Labs-Geräten eignet sich der Höhen-Begrenzer hervorragend, um missglückte Aufnahmen zu retten. Dave Derr ist bekannt für seine effektiven Problemlöser, da macht auch diese 500-Kassette keine Ausnahme. Darüber hinaus eignet sich der Limiter aber auch für kreatives Sounddesign – beispielsweise, um Drumloops mit extremen Einstellungen absichtlich kaputt zu machen, oder um einem bewusst überkomprimierten Signal anschließend die heftigsten Spitzen zu nehmen. Die Listen-Funktion hingegen ist vor allem für die Einstellung des eigentlichen De-Essers interessant. Für sich genommen klingen die HP- und LP-Filter zwar durchaus recht sauber (und hin und wieder kann man sie vielleicht tatsächlich einmal zur Signalbearbeitung verwenden), aber direkt aufregend ist dieses Feature nicht. „Nothing to write home about“, wie der Brite sagen würde. Als Zugabe stören sie nicht, aber sie sind defintiv nicht das ausschlaggebende Kaufargument für diese Kassette.

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Drums Original Drums HF-Limiter Drums LP-Filter Drums HP-Filter

Braucht man denn im Plug-In-Zeitalter überhaupt noch einen Hardware-De-Esser? Die Antwort ist ein klares „Jein“. Sicherlich gibt es mittlerweile einige Plug-Ins, die diesen Job hervorragend erledigen, aber in bestimmten Setups macht ein Hardware-Gerät trotzdem Sinn. Wenn man beispielsweise Vocals mit Outboard-EQs und –Kompressoren bearbeitet (was nach wie vor eine Domäne hochwertiger analoger Tools ist), dann kann ein Hardware-De-Esser viel bringen: Schließlich kann man ihn an jeder Stelle in der analoger Signalkette einsetzen, ein Plug-In aber nur davor oder danach. Es ist nicht unüblich, den De-Esser zwischen Kompresssor und EQ einzusetzen. An dieser Stelle kann er das komprimierte Signal glätten, und der EQ dann anschließend wieder etwas Frische hinzufügen. Und in dieser Position kann man im Outboard-Setup prinzipbedingt kein Plug-In an den Start bringen.

Fazit

Der Empirical Labs DerrEsser weiß vor allem durch die pegelunabhängige Einstellmöglichkeit zu überzeugen, denn dadurch ist es weitaus einfacher, Gesang von zu starken S-Lauten zu befreien. Durch ihre Zusatzfunktionen kann die Kassette aber auch hervorragend für weitere Anwendungen eingesetzt werden. Zwischen der Konkurrenz etwa von SPL oder Pendulum Audio steht der DerrEsser zwar nicht alleine auf weiter Flur, aber doch recht gut da. Der Preis ist zwar nicht niedrig, aber für ein derartig durchdachtes Tool aus der Schmiede Dave Derrs durchaus angemessen.

Unser Fazit:
4 / 5
Pro
  • lässt sich leicht einstellen
  • effektive Klangergebnisse ohne deutliche Artefakte
  • umfangreiche Ausstattung
Contra
Artikelbild
Empirical Labs DerrEsser Test
Für 629,00€ bei
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De-Esser-Schaltung auf VCA-Kompressor-Basis
  • zusätzlicher HF-Limiter-Modus
  • Sidechain-Filter via Listen-Funktion auch im Audioweg verfügbar
  • Preis: € 712,81 (UVP)
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