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Sugar Bytes Aparillo iOS Test

Die in Berlin ansässige Softwarefirma „Sugar Bytes“ ist für Audio Plug-Ins bekannt, die oft einen innovativen Ansatz in Bezug auf das Benutzerinterface und die Klangarchitektur verfolgen. Die beliebte Multi-Effekt-Schleuder „Effektrix“ zählt da – obwohl sie schon tausenden von EDM-Tracks zu mehr Komplexität verholfen hat – noch zu den zahmeren Varianten. So richtig in Fahrt scheint das Team um Rico Baade und Robert Fehse aber erst zu kommen, wenn eine gewisse Manie in Bezug auf die Funktionstiefe erkennbar wird. Das Generative Synthese-Tool „Obscurium“, der geradezu wahnwitzige Mono-Synthesizer „Cyclop“ oder der detailverliebte Sequenzer „Consequence“ mögen hier als Beispiele genannt sein. Ihr neuester Streich, der „Aparillo“, ein komplexer FM-Synthesizer macht da keine Ausnahme – im Gegenteil.

Sugar Bytes Aparillo iOS Test. (Foto: Numinos)

Details

Bereits zum Jahresanfang ist Aparillo als Plug-In (AU, VST, AAX, 32/64Bit) erschienen und kostet vertretbare 99 EUR. Es ist eine gute Routine bei Sugar Bytes, das fast alle Plug-Ins danach ihren Weg auch auf das iPad finden – sprich auf iOS portiert werden. So auch Aparillo, das nun im App-Store kostenlos (!) erhältlich ist. Die Free-Version erlaubt kein Speichern und hat in jeder Klangkategorie nur 2 Presets freigeschaltet. Erst nach dem In-App-Kauf der Vollversion wird die gesamte 500 Sounds große Library freigegeben – inklusive Session-Restore, was besonders bei der Nutzung als AU Plug-In wichtig ist. Denn Aparillo kann auch als AU Plug-In in iOS-DAWs (z. B. Cubasis) genutzt werden.

Konzept

Grundsätzlich handelt es sich beim „Aparillo“ um einen sechzehn stimmigen FM-Synthesizer mit zwei getrennt regelbaren Oszillatoren. Beide können mit drei Algorithmen (free, quantize, harmonic) gegeneinander geschaltet und in zwei Modi moduliert werden (Formant, Shaper). Zusätzliche Spektral-Parameter wie Shift, Form, Jitter und Bright sind in der Lage die Ausgangsfrequenzen bis zur Unkenntlichkeit zu verbiegen. Apropos Modulation: Unter jedem der oben genannten Klangparameter sitzt ein Pop-Up-Feld in welchem sich aus dreizehn Quellen wählen lässt.
Die Auffälligste davon sind sicherlich die beiden LFOs im Zentrum des Plug-In, visualisiert durch sechzehn Bälle, die mit einstellbaren Parametern (u. a. Gravitation, Kollision, Abfolge, Streuung) vor sich hin titschen. Die Besonderheit: Jeder der Bälle steuert den LFO für eine der sechzehn Stimmen – man beginnt zu ahnen, was für komplexe Klanggebilde hier möglich sind. Zudem – und hier wird es nun richtig abenteuerlich – kann die Modulation nur auf bestimmte Stimmen adressiert werden. Zur Auswahl stehen: „Ungerade, Gerade, Jede dritte Stimme, Untere, Obere“. Einem formal ähnlichen Aufbau folgen die beiden ADSR-Hüllkurven: Auch bei ihnen kann jede Stufe über die Modulationsmatrix beeinflusst werden. Zudem ist die Steilheit des Stufenverlaufs für jede (!) Stufe anpassbar.

Fotostrecke: 4 Bilder Die Arbeit in u201eAparillou201c gliedert sich in den Ansichten: Synth (im Bild), FX, Envelope und Orbit. (Foto: Numinos)

Die dann folgende Effektsektion ist sogar noch ausgefuchster. Natürlich ist auch sie, wie die vorgenannten Einheiten, vollständig modulierbar. Als mögliche Ziele stehen hier die Module: Multimode-Filter, Stereo-Verbreiterer, Panner, Delay und Hall bereit. Das Filter ist mit nicht weniger als zwölf verschiedenen Modellen ausgestattet, die ein weites Feld zwischen Low-, Band-, High-pass, sowie Vowel-, Comb- und Peak in unterschiedlichen Variationen abdecken. Filter und Spacializer können auf Fingerdruck auch die Plätze im Signalfluss tauschen. Selbiger leistet klanglich eher die Arbeit eines Federhalls und weniger die eines Stereo-Verbreiterers. 

Fotostrecke: 4 Bilder Die u00fcppige Filter-Auswahl in der Effekt-Sektion. (Foto: Numinos)

Fast schon esoterisch mutet dann der „Orbiter“ an: Alle Parameter der Klangerzeugung liegen hier in Form von Symbolen mit einstellbarem Wirkradius vor. Dazwischen bewegt man dann – wahlweise manuell, via MIDI oder automatisierter Wegstrecke – einen roten Kontrollpunkt, der bei Annäherung auf die Werte der Symbole zu wirken beginnt. Man kann auch den gesamten Orbit um den Referenzpunkt herum kippen und drehen. Das klingt in Schriftform tatsächlich nur halb so „far out“, wie es sich in der Praxis darstellt. Denn die Komplexität, die sich hier in der Klangbewegung erzielen lässt, ist schlicht unendlich und man muss dazu sagen: Oft auch ein bisschen unberechenbar. Denn schon mit einer Handvoll aktiver Symbole weiß man schnell nicht mehr, was denn jetzt auf was wirkt. Das ist dann zwar nicht besonders strategisch, macht aber umso mehr Spaß. Und damit kommen wir dann auch zur Praxis.

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Praxis

Es fällt mir an dieser Stelle schwer von Praxis zu sprechen, denn das setzt ja den routinierten Umgang mit einer Sache voraus. Aparillo entzieht sich aber auch nach mehreren Stunden intensiver Einarbeitung, ziemlich elegant der routinierten Beherrschbarkeit. Das liegt natürlich vornehmlich am Wesen der FM-Synthese, die – anders als die eher gutmütige Subtraktive Synthese – auch mal zu wilden Ausbrüchen im Spektrum neigt. Nicht ganz unschuldig ist aber auch die kleinteilig-zersiedelte Organisation der App: Man muss schon ziemlich häufig zwischen den vier Ansichten wechseln, hier ein Fenster aufklappen, dort eine Liste öffnen. Während man sich also damit beschäftigt ist, die App zu verstehen und einen strukturierten und berechenbaren Klang zu erschaffen, entstehen geradezu beiläufig extrem inspirierende Sounds – sprich: Aparillo kann einen tatsächlich überraschen. Die Kernqualität der Synthese liegt – abgesehen von typischem FM-Metallgeschwurbel, Glocken und Bässen – in Klängen, die einen fast schon orchestralen Charakter haben, dabei aber gleichermaßen elektronisch und fremd anmuten. 
Es mag an der geschickten Programmierung der tollen Werkspresets und dem großzügigen Gebrauch der Effektsektion liegen, aber Sounds, wie etwa „Atmo Lords Kingdom“, „Rebels of Space“ oder „Follow my Footsteps“, die fortwährend vor sich hin wabern, gleichzeitig entfernte Erinnerungen an Bläser, Celli und Glocken wachrufen und augenblicklich Bilder im Kopf erzeugen, sind für sich genommen schon den Kauf der Vollversion wert. Dass sich mit Aparillo dann noch Klangepisoden erzeugen lassen, die vom Jammern unglücklicher Monster über durchschlagsstarke Impulskanonen bis hin zu versagenden Ionenantrieben reichen, wird besonders die Sounddesigner freuen. Gleichermaßen sind – auch und besonders unter Zuhilfenahme des Arpeggiators und der Orbit-Automation – geradezu lyrische, Track-tragende Klangepisoden realisierbar, die problemlos in der Lage sind, auch eine nichtssagende Deep-House-Nummer mit einer vielsagenden Textur zu füllen.

Fotostrecke: 2 Bilder Der Arpeggiator arbeitet wahlweise mit vorgegebenen Skalen oder frei. (Foto: Numinos)

Hierbei kommt dann auch die Ableton-Link-Integration ins Spiel mit der sich das Tempo der beiden LFOs, des Arpeggiators und des Delays in Gleichtakt mit der DAW bringen lässt. Wenn, ja, wenn man Willens ist, sich auf das Spiel mit dem Plug-In einzulassen und das besteht vornehmlich darin, hemmungslos zu experimentieren. Hier mal ein Beispiel, wie viel Bewegung und Veränderung ein einzelner a-Moll-Akkord im Orbiter erfahren kann.

Audio Samples
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Fontanella

Zwei kleine Bugs der noch jungen Version 1.0: Hat man eines der Modulations-Pop-Ups geöffnet und drückt eine Taste am virtuellen Keyboard, schließt sich das Fenster, was natürlich unpraktisch ist, wenn man die Wirkung von Modulationen ausprobieren möchte. Zum anderen öffnet sich der MIDI-Zuweisungsdialog ein bisschen zu eifrig, wenn man länger auf ein Parameter-Feld drückt – ich gehe aber davon aus, dass dieser Fehler schnell behoben wird. Das erstgenannte Problem tritt nicht auf, wenn man eine externe MIDI-Quelle benutzt. Überhaupt gibt sich Aparillo sehr kooperationsfreudig was die Ein- und Anbindung mit externer Hard- und Software angeht. MIDI-Controller-Informationen können von jeder beliebigen, von iOS erkannten Quelle stammen und durch Gedrückthalten des betreffenden Bedienelements angelernt werden. Auch die Einbindung innerhalb einer externen App wie etwa Cubasis als AU Plug-In klappt ohne Probleme.

Fotostrecke: 3 Bilder Ableton Link-Integration. (Foto: Numinos)

Klang

Klanglich leistest die App wirklich Erstaunliches: Wie die sechzehn Stimmen hier vor sich hin mäandern, sich die Klänge im Orbiter zu immer neuen Spektren verbiegen lassen, ist sehr beeindruckend. In seiner Grundcharakteristik haftet Aparillo dann allerdings schon die typische FM-Signatur an: Attribute wie warm und seidig sollte man hier nicht zwingend erwarten, denn Prinzip-bedingt geht es eher rau und drahtig zu im Frequenzmodulations-Kosmos. Und das ist auch gut so, denn um Wärme bemühte Emulationen analoger Schaltungen gibt es bekanntlich schon genug.
Somit ist die eher körnig bis komplex klingende Klanglichkeit der Sugar Bytes-App eine ebenso willkommene wie ungewöhnliche Bereicherung. Wer noch ein bisschen Veredelung applizieren will und über die entsprechenden Gerätschaften verfügt, kann die Klangepisoden Gewinn bringend einer analogen Nachbehandlung unterziehen. Meine Kombi aus UAD 6176 und Manley Massive Passive jedenfalls holte die Sounds wunderbar aus der virtuellen Unnahbarkeit ab und erdete sie mit einer gehörigen Portion plastischer Physis.

Audio Samples
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Atmo Lords Kingdom Atmo Stranger Things Bright Cluster Follow my Footsteps Midnight in Berlin Rebels of Space

Hier und da – etwa beim relativ abrupt endenden Effekt-Signal des Spacializers – hört man, dass die Entwickler wohl ein bisschen tricksen mussten, um Aparillo auch auf leistungsschwächeren iOS-Geräten lauffähig zu halten, was dem Gebrauchswert der Klänge jedoch keinen Abbruch tut.

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Fazit

Sugar Bytes waren und sind Spezialisten darin, sich sehr weit von bekannten Bedien- und Synthesekonzepten zu entfernen. Das ist für das Handling nicht immer von Vorteil, auf der anderen Seite eröffnen sie so immer wieder neue und innovative Herangehensweisen an die Soundentwicklung. Denn seien wir ehrlich: Klassische Subtraktive Synthesizer bedient man auch im Halbschlaf, mit verbundenen Augen und Herbstgrippe relativ sicher und kommt so zu berechenbaren – um nicht gar zu sagen: vorhersehbaren – Ergebnissen. ‘Aparillo’ ist dagegen eine geheimnisvolle Terra incognita: Hinter jedem Regler und seltsamen Icon lauert hier noch das Ungewisse. Das ist über weite Strecken und besonders am Anfang anstrengend, wie eine Buschtour am Westamazonas. Der Weg führt aber oft zu überraschenden Klanglandschaften, die einen für die Strapazen mehr als entlohnen. Zumal einem der Trip durch den kostenlosen Einstieg sehr schmackhaft gemacht wird und auch der Kaufpreis der Vollversion als günstig zu bezeichnen ist. 

Unser Fazit:
4 / 5
Pro
  • Innovatives Konzept
  • Außergewöhnliche Klänge realisierbar
  • Ansprechendes Interface
  • Gute Integrationsmöglichkeiten
Contra
  • Kleinteilig-zersiedelte Organisation des GUI
  • Sound manchmal etwas rau und körnig
Artikelbild
Sugar Bytes Aparillo iOS Test
Sugar Bytes Aparillo iOS Test. (Foto: Numinos)

Weitere Informationen zu diesem Produkt gibt es auf der Webseite des Herstellers.

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