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Soyuz SU-019 Test

Ein teures Großmembran-Röhrenmikrofon, das nach einiger Zeit als transistorisierte Variante auf den Markt kommt – diese Geschichte ist bekannt. Doch hier geht es weder um die Entwicklung vom M7-Mikrofon Neumann U 47 zu U 47 FET noch vom AKG C12 zum C414 EB, sondern um ein russisches Mikrofon.

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Dem Nierenmikrofon Soyuz SU-017, auf der Musikmesse 2015 entdeckt und direkt nach dem Erscheinen von uns getestet, wird mit dem SU-019 ein röhrenloses Geschwisterchen in FET-Technik zur Seite gestellt. Netter Nebeneffekt der Glaskolbenarmut: Das neue Soyuz kostet weniger!

Details

Soyuz leidet nicht unter Messingmangel

Ein massiver Korpus mit einer abgesetzten Kapsel bildet das Mikrofon im sehr ursprünglich wirkenden Flaschendesign. Heute findet man diese prägnante Form wieder häufiger, Blue The Bottle und CMV-Neuauflage von Microtech Gefell sind nur zwei weitere Beispiele. Im russischen Tula ist Messing offenbar keine Mangelware, denn das vielleicht durch seine sanfte Eiform grazil wirkende SU-019 ist eines ganz bestimmt nicht: ein Leichtgewicht. Der etwa ein Kilogramm schwere Trümmer nutzt für den Tubus, vor allem aber die Tragekonstruktion raue Mengen dieser Legierung. Das ist ein gutes Zeichen, denn ein Problem, das viele preiswertere Mikrofone haben, ist leichten, resonierenden Materialien geschuldet. Die Gefahr gibt es beim Soyuz nicht. Der mechanische Aufbau des Mikros ist einfach und robust. Das gilt auch für die mitgelieferte elastische Halterung.

Fotostrecke: 5 Bilder Solider Aufbau: Soyuz ohne äußeren Tubus

Auf dem SU-019: Klassische Raute, bewährte Kapsel

An der Farbe der Raute mit dem Logo erfährt man beim sicherlich bekanntesten Mikrofonhersteller der Welt, Neumann, etwas über die Technik im Inneren eines Mikrofons. Neben der Raute, die bekanntlich viele Mikrofonhersteller zitieren, scheint man diese Farbkodierung mit übernommen zu haben. Allerdings wird hier wohl mit Blau dargestellt, dass es sich um ein Röhrenmikro handelt, wie bei SU-017 und Kleinmembraner SU-011, und mit Grün, dass man ein FET-Mikrofon vor sich hat. Meine Spekulation, dass nach dem SU-017 ein umschaltbares Mikrofon kommt, war wohl daneben geraten. Vielleicht gibt es dafür einfach noch kein passendes Farbkonzept. Oder, und das wäre wahrscheinlicher, wäre dieses Mikrofon dann einfach viel zu teuer. So bleibt auch das Soyuz SU-019 bei der festen Richtcharakteristik Niere. Die Kapsel ist übrigens die gleiche wie beim Tube-Mike, also eine klassische GM-Doppelkapsel mit einer mittenkontaktierten aktiven und einer unbedampften, unkontaktierten passiven Membran. Und noch etwas spricht gegen die Farbtheorie: Für beide Großmembran-Mikros soll es Austauschkapseln mit Kugel- und Achter-Charakteristik geben.

Fotostrecke: 4 Bilder Im Emblem steht “Soyuz” auf Kyrillisch.

Keine unüblichen Werte

Aus dem Zahlenland gibt es keine unüblichen Werte zu vermelden. So beträgt die Empfindlichkeit des phantomgespeisten Mikrofons 15 mV/Pa, die Ausgangsimpedanz typische 200 Ohm, der maximale Schalldruckpegel wird mit 140 dB beziffert (unklar, ob für 0,5 oder 1% THD, wahrscheinlicher ist 1%), der per A-Filterkurve grob an das menschliche Gehör angepasste Rauschwert liegt bei 15 dB. Ein Blick in den gemittelten grafischen Pegelfrequenzgang zeigt, dass das Mikrofon mit der menschlichen Stimme eine Hauptausrichtung und -eignung hat, denn der kleine Boost bei 5 kHz und eine leichte Überhöhung bei 12 kHz erhöhen bei den meisten Mikrofonen Präsenz und Luftigkeit der Stimme, ohne die zwischen den genannten Frequenzbereichen liegenden S-Laute allzu scharf klingen zu lassen. Neben dem für die Membrangröße typischen Höhenabfall im Air-Band und dem sehr, sehr sanften Roll-Off der Bässe gibt es zumindest in der grafischen Darstellung keine Besonderheiten. Eine richtungsabhängige Grafik des Pegels bleibt das Beiwerk zum Soyuz schuldig. Und, ach ja: Auch dieses dritte Mikrofon des Herstellers aus Russland verzichtet auf Pad und Hochpassfilter.

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Praxis

Optik: Geschmackssache

Ich persönlich finde das Soyuz SU-019 genau wie das 017 optisch „nicht außergewöhnlich stilsicher“, wenn ich mal einen tiefen Griff in die Kiste mit den diplomatischen Beschönigungen bemühen darf. Ich würde es designmäßig den späten 1980ern oder frühen 1990ern und dem nordamerikanischen und osteuropäischen Geschmack zuordnen. Ich bin mir sicher, es wird Leute geben, denen das Mikrofon gefällt. Der Entscheidung, wie andere Equipmenthersteller bei der Produktbezeichnung fragwürdige Nähe zu militärischem Gerät zu suchen, möchte ich mich hier nicht erneut widmen, das habe ich in diesem Blogeintrag ja schon gemacht.  

Sänger Chul-Min mit dem FET-Mikrofon während des Tests
Sänger Chul-Min mit dem FET-Mikrofon während des Tests

Für Vocal-Recordings mit Vintage-Sound optimiert

Stellt man Sänger oder Sängerin vor das gold-weiße Mikrofon und dreht das Monitoring auf, wird man von der durchaus kräftigen Färbung überrascht, die dem Signal widerfährt. Und diese Färbung ist wirklich angenehm, ja sogar „wie es sein soll“ – für viele Produktionen, aber bestimmt nicht für alle. Klanglich ist diese Farbe sicher in erster Linie dem speziell für dieses Mikrofon handgewickelten Transformator zuzuschreiben, der bei sehr feiner Grainyness ein reiches Spektrum auch jenseits von den ersten Obertönen hinzufügt, aber, und das hat das SU-019 mit dem SU-017 in jedem Fall gemein, nicht an Transparenz, Schnelligkeit und die Detailliertheit einbüßt. Die Mikrodynamik ist hervorragend, und das ist ein Punkt, den eben nur sorgfältig geplante, mit wenigen hochwertigen Bauteilen aufgebaute Mikrofone liefern können. Und das geht eben nicht zu einem geringen Preis. Im Vergleich mit dem Mojave MA-201FET, einem technisch ähnlich aufgebauten Mikrofon für ein Drittel des Preises, fällt dieser Unterschied auf: Das Mojave klingt etwas matter und behäbiger, das Soyuz deutlich frischer, manchmal und für manche Stimmen möglicherweise ein wenig zu scharf und bissig. Dass es in einigen Fällen ein wenig zu viel an Charakter sein kann, fällt auf, wenn man das verhaltener prägende Microtech Gefell UM 92.1S gegenhört. Eindeutig: Das Soyuz kann den Vocalsound liefern, den man sucht, nah, konkret, groß, aber immer detailliert. Allerdings ist es bestimmt nicht das Allround-Vocalmikrofon für Studios mit wechselnder Sänger-Kundschaft, eher als charaktervolle Alternative zu braveren, zurückhaltenderen Mikrofonen. Und nicht vergessen: Ähnlichen Übertragerklang bekommt man auch außerhalb des Mikrofons. Aber auch dort nicht wirklich preiswert.  

Audio Samples
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Soyuz SU-019, 20 cm Soyuz SU-019, 5 cm Soyuz SU-019, 40 cm Soyuz SU-019, 20 cm, 45 Grad Soyuz SU-019, bearbeitet Mojave MA-201FET, 20 cm Microtech Gefell UM 92.1S, 20 cm Microtech Gefell UM 92.1S, 20 cm, 45 Grad Audio-Technica AT5045, 20 cm Audio-Technica AT5045, 5 cm

Kleiner Sweet Spot – oder eben Platz zur Soundgestaltung

Axial besprochen, also direkt von vorne, fällt neben der Färbung auch ein anderer „Vintage“-Parameter dieses FET-Mikrofons auf, denn in den Mitten hat es eine Nonlinearität, wie man sie auch bei den explizit als Vorbilder genannten deutschen Großmembranern findet. Es ist meist weniger der Pegel, sondern die Phase, die hier für Besonderheiten im Klang sorgt. Was hier vielleicht zunächst „böse“ klingt und sicher keine gute Option für eine Klassikaufnahme ist, ist doch bei Vocalaufnahmen sehr beliebt. Allerdings sollte man mit Reflexionen aus dem Raum und besonders möglichen lauteren Signalen abseits der Hauptaufsprechrichtung achten, etwa bei gleichzeitiger Aufnahme von Sänger mit Akustikgitarre. Das Audiobeispiel zeigt schon klar, mit welchen klanglichen Veränderungen schon bei 45 Grad Einsprechwinkel zu rechnen ist. Auch für wild vor dem Mikrofon „herumperformende“ Sänger kann es bedeuten, dass man lieber zu einem Mikrofon greift, dessen Pegelunterschiede mit einem technischen Kompressor unauffällig ausgeglichen können. Der Sweet-Spot des Soyuz ist also sehr klein, auf der anderen Seite kann man aber die deutlichen Unterschiede natürlich zur Soundgestaltung nutzen, indem man etwas „schräg“ mikrofoniert – einen „standfesten“ Vokalisten vorausgesetzt.  

Bassanhebung durch Nahbesprechungseffekt gut steuerbar

Wirklich ganz hervorragend ist der Umgang des Soyuz mit dem Besprechungsabstand: Typische Distanzen zum Vocal-Recording sind das Metier des SU-019, und über den Abstand lässt sich sehr fein die genial schnell und konkret klingende Bassanhebung regeln. Schwammig wird das Mikro an keiner Stelle, selbst bei Besprechung auf Tuchfühlung ist der Bass ausgeglichen, nie resonierend und knochentrocken.  

Immer noch nicht wirklich preiswert, aber verglichen mit einem Neumann U 47 FET schon

Ein Neumann U 47 Fet kostet mit bald viertausend Euro ganz deutlich mehr als das SU-019, aber das ist auch ein galaktisch hoher Wert für ein röhrenloses Mikrofon mit fester Richtcharakteristik. Insofern scheint der Preis des Soyuz geradezu irdisch. Allerdings gibt es schon für weniger als die Hälfte FET-Großmembraner mit fester Niere, die, wie man anhand der Audiobeispiele erkennen kann, klanglich schon sehr viel leisten – allerdings nicht wie das handgefertigte, massive Mikro von Soyuz gebaut sind und auch von der Klangqualität ein Stück hinten anstehen.

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Fazit

Soyuz ist ein schlüssiges FET-Mikrofon gelungen: Das SU-019 ist wie das Röhrenmikrofon SU-017 von höchster Klangqualität und wurde gebaut, ohne bei Gehäuse und Bauteilen auf den Rubel zu schauen. Der Verzicht auf die Röhrentechnik sorgt dafür, dass das 019 auch nicht so unappetitlich teuer ist wie das 017, wenngleich man immer noch wirklich viel Geld in die Hand nehmen muss. Gegen eine Anschaffung könnte sprechen, dass einem die Farben nicht behagen, und zwar zum einen das Gold und das Weiß, aber eben auch die nicht unerheblich Anreicherung mit Obertönen. Und es ist ganz eindeutig ein Vocal-Mike, denn es ist eher „speziell“ im Klang aus anderen Richtungen als der Hauptachse, vom Frequenzgang auf die Stimme eingestellt und mit einem wirklich tollen Nahbesprechungseffekt gesegnet.  

Unser Fazit:
4,5 / 5
Pro
  • charaktervoller Sound
  • transparent, schnell und detailliert
  • gut über den Abstand steuerbare Bassanhebung
Contra
Artikelbild
Soyuz SU-019 Test
Für 1.995,00€ bei
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FEATURES UND SPEZIFIKATIONEN
  • Membrangröße: groß
  • Empfängerprinzip: Druckgradientenempfänger
  • Wandlerprinzip: Kondensator
  • Richtcharakteristik: Niere, tauschbar
  • Frequenzgang: 20 Hz – 20 kHz
  • Eigenrauschen: 18 dB(A)
  • maximaler Schalldruckpegel: 140 dB
  • Ausgang: XLR
  • Lieferumfang: Mikrofon, Holzschatulle, Spinne
  • Preis: € 2199,– (UVP)
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