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Drawmer 1976 Test

Drawmer 1976: Das Wort Drawmer war in meiner Jugend beinahe gleichbedeutend mit dem Begriff Noise Gate, so wie man mitunter Tempo sagt, wenn man Papiertaschentuch meint. Damals hatte Ivor Drawmer einen großen Wurf gelandet: Das Konzept eines Noise Gates mit Filtern im Regelweg war neu und ermöglichte eine Präzision, die mit bisherigen Geräten nicht mal im Traum hätte erreicht werden können.


Nun, das ist lange her. Noise Gates braucht man im Zeitalter des „Strip Silence“ nur in exotischen Sondersituationen und dass Drawmer nicht nur den überaus brauchbaren Kompressor DL241 entwickelte, der in keinem analogen FOH-Setup fehlen sollte, sondern auch mit dem 1960 Stereo Channel das Prinzip des Frontends zu einer Zeit vorweg genommen hat, als es noch kaum ein Einsatzgebiet für derartige Dinge gab, ist fast in Vergessenheit geraten. Drawmer? Das ist irgendwie Achtziger. Ist es natürlich nicht.

Details

Technik von gestern für Klanggestaltung von heute

Auf der Musikmesse 2019 stellte der Hersteller zwei neue Geräte im klassischen Drawmer-Look vor. Dabei möchte man sicher einerseits davon profitieren, dass Analogtechnik ungebrochen im Ruf steht, besser zu klingen als Digitaltechnik, andererseits springt man dann doch nicht soweit auf den Trendzug auf, die Geräte im allseits beliebten 500er-Format zu bauen, sondern verlässt sich auf die gute alte 19“-Breite. Die Bedienbarkeit profitiert davon auf jeden Fall. Eines dieser Geräte ist der Stereo-Sättigungsprozessor, um den es hier geht.
Der Drawmer 1976 wird vom Hersteller auf dessen Website mit etwas reißerischen Parolen als Wunderwaffe für alles Mögliche angepriesen. Es ist die Rede von Livesound und Aufnahmen von Schlagzeug, Bass, Synths und Vocals. Ganz am Ende der Liste steht erst die Anwendung im Stereobus beziehungsweise im Mastering, dabei ist das sehr offensichtlich die Kernkompetenz des Gerätes. Direkt auf die Behauptung, dass die analoge Bauweise des 1976 eine Klangqualität ermögliche, an die mit digitalen Mitteln nicht zu denken sei, folgt auf der Website übrigens der in diesem Zusammenhang erstaunliche Hinweis darauf, dass das Gerät vom digitalen Mastering-Prozessor aus gleichem Hause inspiriert sei.Was der 1976 tut ist freilich schnell erklärt: Das eingehende Signal wird in drei Frequenzbänder geteilt, die unterschiedlich in die Sättigung gefahren werden können und jeweils in Stereobreite und Pegel justiert werden können. Das deckt tatsächlich vieles ab, was im Mastering wichtig ist, taugt aber auch, um Einzelsignale „analoger“ klingen zu lassen.

Der 1976 erzeugt analog, was moderne Plugins emulieren: Verzerrungen.

Der 1976-Signalprozessor von Drawmer bringt zwei wesentliche Kernkompetenzen für moderne Klanggestaltung mit: Sättigung und Stereo-Basisverbreiterung. Da es im Mastering der 70er- und 80er-Jahre noch hauptsächlich darum ging, das Audiomaterial möglichst verzerrungsfrei von Tonband auf Vinyl zu bringen, waren Exciter lange Zeit die einzigen Geräte, die Sättigung absichtlich erzeugten. In den Neunzigern rückte durch die zunehmende Verbreitung digitaler Technik der Wunsch in den Vordergrund, Verzerrungen im gesamten Frequenzbereich mutwillig zu erzeugen. Das liegt daran, dass Verzerrungen für unsere Ohren häufig den Eindruck von Transparenz, Wärme und Präsenz verstärken, also die Klangeigenschaften, die den ersten digitalen Produktionen zunächst fehlten. Ebenfalls Anfang der Neunziger setzte sich im Mastering allmählich die Vorgehensweise durch, die Stereomitte und die Stereoseite getrennt zu bearbeiten (MS-Mastering genannt), was vielfältige Eingriffsmöglichkeiten ermöglicht, unter anderem die frequenzabhängige Erweiterung des Stereobildes. Dafür wird beim (symmetrischen) Stereosignal einmal der linke und rechte Kanal zusammengemischt und einmal der linke und rechte Kanal voneinander abgezogen, indem einer der beiden Kanäle vor dem Zusammenmischen phasengedreht wird. So erhält man einerseits die Mitte, also das, was auf beiden Lautsprechern gleich ist – und andererseits die Seite, also das, was beide Lautsprechersignale unterschiedet.
Diese beiden Gestaltungsmöglichkeiten des 1976 sind typisch für moderne Klanggestaltung. Es gibt inzwischen eine ganze Reihe digitaler Algorithmen, die Sättigung erzeugen, angefangen beim DC2476 von Drawmer selbst, Sony Inflator über Vitamin von Waves oder den Voxengo Varisaturator bis hin zu den unzähligen Hardware-Emulationen wie UAD oder Slate Digital sie anbieten. Vergleichsweise selten ist analoge Hardware, die zu diesem Zweck entworfen wurde. Das hängt vermutlich direkt mit der Geschichte des Masterings zusammen – da die Notwendigkeit, Sättigung zu erzeugen, im digitalen Zeitalter massiv zunahm, sind viele dieser Maschinen auch digital.

Fotostrecke: 4 Bilder Das erste Band gibt dem Signal Wu00e4rme.

Der 1976 ist intuitiv bedienbar

Der Drawmer 1976 ist komplett analog aufgebaut und sehr übersichtlich und funktional gestaltet. Da Frontpanel kommt mit den weißen abgerundeten Rechteckrahmen auf schwarzem Grund und den gelb unterlegten Potis ganz im Stile der Vintage-Klassiker von Drawmer daher und liest sich von links nach rechts. Da wäre zunächst der Inputregler von minus unendlich bis plus 15 dB mit einer rudimentären, aber ausreichenden Anzeige für den ankommenden Pegel. Rechts davon liegt die Sektion für das erste, untere Frequenzband, das sich zwischen unterhalb 70 Hz und unterhalb 1,5 kHz befindet. Wie die anderen Bänder auch, lässt sich der Bereich mit einem Poti in die Sättigung fahren, mit einem weiteren in der Stereobreite modifizieren, wobei zwischen mono und komplett phasengedreht alles drin ist und mit einem dritten Regler in der Lautstärke anpassen. Außerdem steht jedem Band ein Mute und ein Bypass zur Verfügung. Das Mittenband befindet sich auf dem Panel rechts vom Tiefenband und akustisch selbstverständlich zwischen dem Tiefenband und dem Höhenband, das sich wiederum zwischen 800 Hz und 15 kHz ansetzen lässt. Rechts des Höhenbandes liegt dann die Outputsektion mit einem Pegelsteller von minus unendlich bis plus 12 dB, einer vergleichsweise detaillierten Pegelanzeige und einem globalen Mono- und Bypass-Switch. Die Möglichkeiten und Bedienelemente sind also sehr gut durchdacht und intuitiv angeordnet, man kann im Grunde sofort loslegen, ohne sich erst hineindenken zu müssen.

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Praxis

Ein hervorragendes Tool fürs schnelle Mastering

In der Praxis hat mich der Drawmer1976 grundsätzlich sehr überzeugt. Daher möchte ich schnell die beiden Kleinigkeiten aufzählen, die mir negativ aufgefallen sind. Was bei der Bedienung nämlich ein bisschen stört, ist die Position der Bypass-LED direkt neben der Power-LED – es kann leicht passieren, dass man nicht auf den ersten Blick erkennt, ob man sich eigentlich im Bypass befindet oder nicht, weil da immer in der betreffenden Ecke ein Lämpchen leuchtet. Im professionellen Betrieb als unpraktisch wird sich sicherlich auch erweisen, dass das Gerät nicht nahtlos in ein MS-Setup eingebunden werden kann, weil es seine eigene MS-Matrix mitbringt. Das sei nur am Rande erwähnt, abgesehen davon bin ich voll des Lobes.

Die LED für Bypass liegt etwas zu nah an der Power-LED.

Der Signalprozessor lässt sich sehr unterschiedlich verwenden. Zunächst ist es möglich, klassische Prozessoren wie etwa Exciter oder Stereo-Basisverbreiterer mit wenigen Handgriffen nachzubilden, darüber hinaus lässt sich dem Material aber auch ein analoger Charakter aufprägen, der je nach Einstellung entweder an Röhrensättigung oder an Tonband erinnert. Natürlich kann man das alles auch gleichzeitig tun, sodass mit diesem Gerät schon fast die Hälfte eines Masterings im Kasten ist. Natürlich stellt sich die Frage, ob der 1976 denn nun wirklich im Vergleich mit Plugins die Nase vorn hat, so wie es der Hersteller behauptet. Diese Frage lässt sich leider nicht beantworten, dafür ist die Konkurrenz bei Weitem zu vielfältig. Allgemein lässt sich aber sagen, dass der Unterschied sowohl in der Qualität als auch im Charakter zwischen den verschiedenen digitalen Prozessoren, die ich kenne, wesentlich größer ist, als der Unterschied zwischen digital und analog.

Auf der Rückseite befinden sich Ein- und Ausgänge für Left und Right, nicht aber für Mitte und Seite.

Was kann der Drawmer 1976 in der Praxis?

Ich verzichte hier auf den Vergleich mit konkreten anderen Sättigungsmöglichkeiten und versuche einfach, zu beschreiben, wie der Drawmer 1976 für sich genommen klingt. Trotzdem sei soviel gesagt, dass er nach meinem Dafürhalten durchaus Signalketten Paroli bieten kann, die wesentlich mehr kosten. Zunächst einmal in aller Kürze, wie sich der Prozessor mit Einzelsignalen verhält. Obwohl er als Stereogerät konzipiert ist, leistet er nämlich auch auf einzelnen Spuren einer Aufnahme sehr gute Dienste. Zum Beispiel lässt sich ein Bass prima mit einem tonbandartigen Wohlfühlkissen ausstaffieren, indem man nur das Tiefenband mit einer ordentlichen Sättigung versieht.

Audio Samples
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Bass, dry Bass mit Sättigung unterhalb von 100u00a0Hz

Das selbe, nur im Höhenbereich, lässt sich mit Vocals tun, da kann der 1976 einen wundervollen Glanz erzeugen, der allgegenwärtige Präsenz garantiert, ohne zu nerven. Das spart in einem Zuge teure Röhrenequalizer und De-Esser.

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Vocals, dry Vocals mit Sättigung oberhalb von 3u00a0kHz

Schlagzeug wird zwar von Drawmer selbst ausdrücklich als Einsatzfeld hervorgehoben, hat mich persönlich aber nicht begeistert. Ich würde sogar sagen, dass das so ziemlich das einzige Gebiet ist, wo ich einen herkömmlichen Equalizer im Grunde effektiver finde.

Audio Samples
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Drumloop, dry Drumloop mit Sättigung unterhalb von 100u00a0Hz und oberhalb von 1u00a0kHz

Davon abgesehen lohnt es sich bei allen Sounds, die noch etwas Hilfe brauchen, erst einmal zu schauen, was der Drawmer macht, bevor man über weitere Eingriffe nachdenkt. Es kann gut sein, dass durch eine gezielte Sättigung gleich mehrere fummelige Anhebungen oder Absenkungen auf einmal unnötig werden. Hier ein Beispiel, wie sich Klavier tonal öffnen und klarer zeichnen lässt.

Audio Samples
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Piano, dry Piano mit Sättigung zwischen 100u00a0Hz und 1u00a0kHz sowie über 1u00a0kHz

Die absolute Kernkompetenz des 1976 sind aber komplexe Stereosignale wie zum Beispiel fertige Mischungen. Also Mastering. Neben dem Korrigieren und Angleichen des Frequenzgangs von Mischungen ist ja der eigentlich wichtigste Aspekt eines Masters das, was man salopp mit „Fensterputzen“ beschreiben kann. Wir erwarten heutzutage, dass ein Master so klingt, als hätte man dem Mix die Fenster geputzt: Es soll transparenter, klarer, lauter und gleichzeitig druckvoller klingen. Dass das nicht so paradox ist, wie es eigentlich klingt, haben wir dem Umstand zu verdanken, dass Verzerrungen für das subjektive Hörempfinden tatsächlich beides gleichzeitig bewirken können, also sowohl gesteigerte Transparenz als auch Verdichtung. Gerade also für Mixe, die fleischlos geraten sind, matt und etwas klein wirken, ist das Gerät eine Wunderwaffe. Schon eine gleichmäßige Sättigung über alle Bänder bringt Erstaunliches zuwege.

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Mix, dry Mix mit Sättigung über alle drei Bänder

Kombiniert mit ein bisschen Stereo-Modifikation ergibt das ein Master, dem eigentlich nur noch der Limiter fehlt.

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Mix mit einer möglichen Mastering-Einstellung

Scharfzeichnen, Präsenz betonen, vergrößern, wärmer erscheinen lassen, alles das kann der Drawmer und er kann es gut. Die tiefen Frequenzen bekommen eine Wärme spendiert, die ebenfalls viele Plugins in den Schatten stellt. Die Präsenz, die sich in den Höhen erreichen lässt, wirkt durchaus feiner und eleganter als bei den einschlägigen digitalen Devices. 

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Mix mit Sättigung oberhalb von 1,2u00a0kHz

Die Frequenzweichen machen für sich genommen einen sehr sauberen Eindruck, die Sättigung klingt auch bei extremen Einstellungen noch definiert und transparent. Was die Stereoregler anbelangt, habe ich weniger Superlative parat. Die tun, was sie sollen, allerdings scheint mir der Regelweg etwas unpraktisch. So wirkt das Seitensignal bei 9-Uhr-Potistellung schon in etwa so laut wie bei voll aufgedrehtem Poti. Das führt dazu, dass man schnell den Eindruck bekommt, eigentlich nur die Mittenlautstärke zu regeln. So wird das gesamte Signal mit fortschreitender Verbreiterung deutlich leiser. Das ergibt sich daraus, dass das Seitensignal nach 12:00 nicht mehr spürbar an Pegel gewinnt, die Mitte dafür aber an Pegel verliert. Breiter ist also gleichzeitig leiser, der Unterschied muss dann mit dem Levelpoti aufgeholt werden.
Dreht man den Regler ganz nach links, erhält man dementsprechend ein vergleichsweise lautes Monosignal, welches folglich anschließend abgesenkt werden muss. Das erscheint ein bisschen kompliziert in der Bedienung, tut aber den klanglichen Möglichkeiten keinen Abbruch. Dass die Regelbereiche der Stereobreite so extrem sind, ermöglicht übrigens die komplette Entfernung der Mitte, was für Karaoke wichtig ist, wenn man das denn braucht.

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Mix – Karaoke

Ich persönlich finde die Stereofunktionalität bei Weitem nicht so spannend wie den Sättigungsbereich, weil sie mit jedem EQ und einer simplen MS-Matrix machbar ist. Als Kaufgrund für ein Hardwaregerät taugt das nicht unbedingt.

Der getestete Drawmer – begleitet von Equipment des Studio Nord Bremen.
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Fazit

Der Drawmer 1976 ist ein gut durchdachtes und hervorragendes Tool zur Aufwertung schwachbrüstiger Aufnahmen und Mixe. Die Effekte der Klangverbesserung, die sich mit diesem Sättigungsprozessor erreichen lassen, klingen sehr musikalisch und decken in den Disziplinen Scharfzeichnung, Anwärmung, Verdichtung, „Fensterputzen“ und Stereobildkorrektur von dezent bis beeindruckend fast alles ab, was für moderne Klangbearbeitung und Mastering gebraucht wird. Dabei stellt die Qualität des Ergebnisses, was Wärme und Transparenz betrifft, mit Leichtigkeit Signalketten in den Schatten, die ein Vielfaches kosten. Ich persönlich empfinde die Möglichkeit, die drei Frequenzbänder in der Stereobreite zu regeln, eher als ein hübsches Goodie denn als ein wichtige Funktion. Die Sättigung der Frequenzbereiche dagegen kann zwar nicht dasselbe wie ein Equalizer oder ein Röhrenkompressor oder eine Bandmaschine, taugt aber durchaus dazu, sie in Einzelfällen überflüssig zu machen. Vorausgesetzt also, man hat nicht gerade einen Keller voll mit Röhrenequipment und alten Bandmaschinen, lohnt sich der Kauf unbedingt.

Unser Fazit:
5 / 5
Pro
  • hervorragender Klang
  • intuitive Bedienung
  • weitreichende Klangverbesserungsmöglichkeiten
Contra
  • keins
Artikelbild
Drawmer 1976 Test
Für 1.098,00€ bei
Features und Spezifikationen
  • Sättigungsprozessor mit drei unabhängigen Frequenzbändern
  • Crossover-Punkte zwischen 70 Hz–1,5 kHz und 800 Hz–15 kHz regelbar
  • pro Band Sättigung, Stereobreite und Pegel einstellbar
  • Input Gain bis 15 dB, Output Gain bis 12 dB
  • Bypass-Schalter für jedes Band und global
  • globaler Monoschalter
  • symmetrische XLR-Inputs und -Outputs
  • Preis: € 979,– (Straßenpreis am 14.1.2019)
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