Ein chemisches Element wird oftmals als “The Next Big Thing” der Tontechnik bezeichnet: Germanium. Die spezifischen Audioeigenschaften von Germanium-Transistoren sind dabei nicht neu entdeckt worden, sondern werden im Allgemeinen mit dem “goldenen Zeitalter” der Audioproduktion assoziiert, also den 1960er und 1970er Jahren – denn dort wurden sie häufig eingesetzt. “Next Big Retro-Hype”, möchte man eher sagen, denn die einst tot geglaubte Röhre in all ihren Formen wurde vor allem im letzten Jahrzehnt schon ausführlich genug ausgeschlachtet.
Mein Tipp: Wenn ihr eine Firma aus dem Boden stampfen wollt, die Hardware “auf retro” produzieren soll: Setzt auf Germanium! Der Markt an neuen Geräten ist noch sehr dünn, und mit Chandler hättet ihr ein Zugpferd, das den Coolness-Faktor unter den Tonschaffenden ordentlich unterstützt. Auf alt gemacht und irgendwie cool reicht aber höchstens für eine Werbebroschüre, daher muss sich der Equalizer Chandler Germanium Tone Control bezüglich Sound, Bedienbarkeit und Verarbeitung hier erst noch beweisen. Dass er dabei nicht versagt hat, erklären euch die Sternchen und die Pro-/Contra-Liste. Da ihr euch aber sicher nicht mit schnöden Endergebnissen abspeisen lassen wollt, gibt es wie bei bonedo üblich einen ausführlichen Test – Audiobeispiele inklusive und umsonst.
Anzeige
Details
Chandler deckt mit einer Serie aus 19”/1HE-Monogeräten die Aufgaben Mic-Pre/DI, EQ und Kompressor ab, so dass man sich bei Bedarf und finanzieller Dickhäutigkeit eine komplette Aufnahmekette aus derartigen Geräten basteln kann. Der vorliegende Equalizer kommt im gleichen Gehäuse wie seine Verwandten und muss genau wie diese auch mit einem externen 48V-Netzteil betrieben werden, das separat erworben werden muss. An dieses PSU-1 MkII können zwei 1HE-Geräte von Chandler angeschlossen werden, auch der Betrieb eines der stromgierigeren 2HE-Geräte aus dem gleichen Hause ist damit möglich. Übrigens: Will man dieses Netzteil bestellen, ohne ein Chandler-Gerät dazuzukaufen, muss man die Seriennummer seines Geräts angeben.
“Mit EQs kann ja wohl jedes Kind umgehen!” – derartige Sprüche hat schon so mancher Tontechniker bitter bereut, etwa, wenn er sich auf einmal vor einem Pultec-EQ wieder fand. Terzband-EQ, semi- oder vollparametrischer EQ, Shelves – all das ist prinzipiell wirklich keine biomedizinische Kybernetik. Auch das Pultec-System, das im gänzlich passiv aufgebauten Bassbereich (hier: “Thick” genannt) des Tone Control Anwendung findet, ist nicht sonderlich kompliziert. Nur kennen sollte man es.
Über die genaue Schaltung schweigt sich der Hersteller aus, meinen Beobachten zufolge passiert aber folgendes: Im “Independent”-Modus liegt ein Shelf/Cut seriell hinter dem Bell, “Interactive” schaltet die Bänder parallel in den “Pultec-Modus”. Das links liegende Band im Sektor “Thick” ist bei den Frequenzeinstellungen 20, 30, 40 und 60 Hz ein 18dB/Oct-Highpass, von 150 über 200 und 240 bis zu 400 Hz arbeitet das Band als Shelving-Filter. Das zweite Band kann ausschließlich anheben und tut dies in sechs Stellungen von 35 bis 220 Hz. Dieses Spulenband kann von mittelbreitem Bell auf Shelf umgestellt werden. Mit dem oberen der beiden weißen “Bypass”-Schalter lässt sich der gesamte eben genannte Bereich aus dem Signalweg bugsieren. Der untere der beiden tut genau das Gleiche für die folgenden Frequenzbearbeitungs-Werkzeuge.
Der für Mitten und Höhen zuständige “Active”-Bereich arbeitet nach einem bekannteren Muster. Presence lässt sich bei fester Bandbreite in acht Stellungen auf eine Centerfrequenz von 300 bis 8300 Hz einstellen, um dann mit einem weiteren kleinen Regler von -10 bis +10 verändert zu werden (das entspricht ungefähr +/-15 dB). Der Höhenregler lässt sich von Bell mit festem Q (offenbar etwas breitbandiger als das Presence-Band) auf Shelf umstellen, um oberhalb von oder um die ebenfalls achtfach gerastert wählbare Frequenz von 3,9 bis 20 kHz herum anzuheben oder abzusenken. Auch hier wird die Skalierung mit +/-10 angegeben.
Einen Gain-Regler zu verstehen ist nicht sonderlich schwer, doch einen “Feedback” sieht man bei Equalizern äußerst selten. Chandlers Germanium-Serie macht aber durch die Bank Gebrauch von diesem Feature: Wie der Name schon sagt, wird hier schlicht das Ausgangssignal des kleinen Aufholverstärkers wieder in den Input gespeist – was je nach Stärke deutliche Klangveränderungen zur Folge haben kann.
Von der Rückseite des Entzerrers gibt es noch weniger zu berichten als üblich für diese Geräteklasse: Es gibt einen Anschluss für das externe Netzteil, einen XLR-In und einen XLR-Out. So etwas Ordinäres wie Buchsenbeschriftungen gibt es schlicht und einfach nicht. Nackte Buchsen, sonst nichts.
Anzeige
Bedienbarkeit
Die Fehlersuche in einem großen Studio gehört leider zum Produktionsalltag. Manchmal sind es Patchkabel, Installationskabel oder ganze Geräte, die den Geist aufgeben, eigentlich hauptsächlich Routingfehler, denn flip-, reverse- und sonst wie verdrehbare Inline-Konsolen mit angeschlossener DAW sorgen gerne für ziemlich komplexe Signalwege.
Ich erinnere mich an meine Zeit als Supervisor am SAE Institute, zu der ich unter anderem die Aufgabe hatte, die faltigen, sorgenvollen Stirnpartien der Studenten durch Hilfestellung zu “beheben” und für entspannte Gesichter und ein Weiterkommen in der Aufgabe oder dem Recording zu sorgen. Fehlersuche beginnt mit den einfachsten Zusammenhängen, denn diese werden eben aufgrund ihrer Einfachheit oft vergessen. Die Frage “Sind alle Geräte auch eingeschaltet?” erscheint also nur auf den ersten Blick albern. Dummerweise macht der Tone Control es einem nicht gerade leicht: Man erkennt nicht, ob er angeschaltet ist. Im Ernst: Das ist dämlich! Zumindest eine Art von Innenbeleuchtung wäre doch wohl drin gewesen, denn bei Rack-Installationen wird man das mit einer Power-LED ausgestattete Netzteil sicher irgendwo verschwinden lassen wollen. Was soll das? Nicht nachgedacht? Zu „cool“ für eine simple Power-LED (oder meinetwegen: eine Retro-Birne) am schmucken Gehäuse? Schließlich möchte man nicht aufgrund der Temperatur auf der Frontplatte herumraten müssen, ob das Ding nun an ist oder nicht. Einen sehr merkwürdigen Workaround habe ich doch noch gefunden: Der Bypass für die aktiven EQs sorgt bei funktionierender Spannungsversorgung für ein leises Relais-Klacken aus dem Inneren. Übrigens finde ich auch nicht, dass man sich bei drei unterschiedlichen Buchsen für In, Out und Power sonderlich vertun könnte, doch trotzdem besitzt jedes vernünftige Gerät auf diesem Planeten eine Buchsenbeschriftung.
Generell gibt es zur Beschriftung etwas zu bemängeln: Die Markierungspunkte auf dem Gehäuse lassen sich bei den gerasterten Reglern nicht alle anwählen. Wozu gibt es dann diese Zwischenmarkierungen? Auch, dass die Markierungen bei den Frequenzen bis 5 Uhr gehen, obwohl der letzte anwählbare Wert bei 1 oder 3 Uhr liegt, ist mir ein wirkliches Rätsel. Versteht ihr das? Auch die Benennung der Skalen von -10 bis +10 ist reichlich obskur, wenn man bedenkt, dass der tatsächliche Regelbereich ungefähr +/-15 dB beträgt – respektive 0 bis 10 bei 0 bis +18 dB. Und wo ich gerade beim Kritisieren bin: Das “Manual” (eine DIN-A4-Zettelsammlung) verfügt leider nicht über technische Angaben, Signalflussdiagramme und dergleichen, die das Handling mit diesem Gerät erleichtern würden. Zugegeben: “Zahlenreiterei” scheint eine wirklich deutsche Eigenschaft zu sein, denn gerade bei einem Equalizer geht es ja in erster Linie um den Sound. Trotzdem wirkt mir das alles ein wenig zu “hausbacken”.
Im Bassbereich ist man dank des flexiblen Routings in der Lage, interessante Kurven zu generieren. Das tröstet über ein fehlendes Q hinweg. Wer einen Pultec-EQ nicht gewöhnt ist, wird ein wenig Einarbeitungszeit benötigen, aber ansonsten gibt es ja noch die Independent-Lösung. Auch hier wäre Klartext eigentlich angebrachter, denn “parallel” und “serial” verstünde nun wirklich jeder. Auf dem anderen Ende des Frequenzbandes hat man die Wahl zwischen Shelf- und Bell-Charakter. Dass der Bell keinen Q aufweist, ist aber in diesen Regionen zu verschmerzen, zudem gibt es generell große Überlappungsbereiche der Bänder zueinander. Auch Presence ist ein semiparametrisches Band. Für technische Cuts hätte man sicher oftmals gerne eine noch geringere Bandbreite, für Boosts ist die Güte aber generell sehr gut einsetzbar. Was für mich aber ein deutliches Problem bei der Arbeit mit diesem Gerät war, ist die Tatsache, dass die Mittenfrequenzrasterung sehr grob ist. Vor allem zwischen 1200 und 3300 Hz entsteht eine Lücke, die meiner Meinung nach viel zu groß ist. Gerade der Bereich dazwischen ist im Mix oftmals sehr kritisch, denn hier herrscht häufig ein regelrechter “Verteilungskampf” um Frequenzen zwischen Vocals, Snare, Gitarre und Attack der Bassdrum. Ein EQ, der hier fein arbeiten kann, ist für mich nicht nur “nice to have”, sondern essentiell. Und es wäre traurig, wenn man den Germanium nur to-tape zur Soundgestaltung benutzen würde und im Mix auf einen andern Equalizer zurückgreifen müsste.
Sound
Ihr glaubt wohl, dass ich mich jetzt so richtig in Rage geschrieben habe, was? Bei kleinen Kätzchen oder den eigenen Kindern ist es ja so: Egal, was sie anstellen, irgendwie kann man ihnen nicht so richtig böse sein. So auch beim Tone Control: Was nimmt man nicht alles für Extrawürste in Kauf… das Ding klingt einfach hervorragend! Nur bezieht sich die Sternchenbewertung nun einmal auf das gesamte Produkt, denn sonst wären dem Frequenzbieger seine fünf Sterne absolut sicher gewesen. Alleine mit Gain und Feedback hat man – wie auch bei allen anderen Germanium-Geräten Chandlers – einen hervorragenden Einfluss auf den Klangcharakter.
Audio
Samples
0:00
/
0:00
0:00
komplettes EQingPassive EQ boostPresence-BandTreble-BandVergleich mit Digital-EQ
komplettes EQing: Feedback: 8, Independent-Schaltung, Thick Cut: 3 bei 30 Hz, Thick Boost mit Bell: 8 bei 70 Hz, Presence: +4 bei 1200 Hz, Treble mit Shelf: 5 bei 10 kHz
Der passive EQ ist wirklich beeindruckend, hat man seine Einstellung einmal gefunden, erkennt man, wie “cool” der Chandler mit tiefen Frequenzen jongliert. Auf Wunsch werden Signale bauchiger, aber nie schwammig, werden verhaltener, aber nie dünn. Die ständig vorhandene, sanfte Zerrung gibt jedem Signal den gewissen Hauch des antiken Sounds, dem so viele hinterher rennen. Auch wenn es nach schnöder Werbetextersprache klingt, ist der Begriff “Musikalität” hier definitiv angebracht. Allem, was ein wenig Patina oder sogar Rauheit vertragen kann, kann der Germanium gute Dienste leisten. Im mittleren und oberen Frequenzbereich geht es dann aber erst so richtig los: Vor allem Boosts sorgen mit leichter und spät einsetzender Verdichtung, sanfter Abrundung von Signalen und charaktervoller Hinzufügung von harmonischen Verzerrungen für ein wohliges Klangbild, dass sich seine Nische zwischen warmer Röhre und kaltem, modernem Transistorsound sucht. Hier zeigt sich ein Spulen-EQ in Höchstform, der Einsatz von “wohlwollenden” Germanium-Transistoren ist goldrichtig! Das mögliche Einsatzgebiet des EQs ist trotz oder gerade wegen seiner Exklusivität recht breit gestreut. Drums, akustische und elektrische Gitarren und Bässe können hervorragend bearbeitet werden. Ich bin aber vor allem begeistert, wie der Gesang auf Boosts reagiert und wie vor allem diese Signale im Höhenbereich britzeliger und prägnanter wirken, ohne jemals scharf zu sein und Zahnschmerzen zu verursachen. Klanglich ist das der vielleicht schönste EQ, mit dem ich jemals Vocals bearbeitet habe, doch dass die Frequenz-Rasterung offensichtlich von “Grobianen” festgelegt wurde, bereitet mir bei jeder Bedienung enorme Phantomschmerzen. Autsch. Mit diesem wundervoll klingenden EQ die Vocals bei 2000 Hz ein wenig pushen würde… – Au! Ehrlich: Ich könnte heulen! Wie schade! Baut diesen Equalizer mit feinerer Frequenzrasterung! Zumindest im Presence-Band – bitte!
Anzeige
Zugegeben: Der Chandler Germanium Tone Control ist ein einfach nur geil klingender EQ. Jeder Engineer oder Musiker mit “Schrauber-Genen” wird sich freuen, wenn er einen dieser Exoten im Rack hängen hat. Für eine Vielzahl von Signalen, vor allem aber Vocals ist dies ein hervorragend arbeitendes Gerät, welches dem Signal seinen Charakter, ja fast schon seinen Willen aufdrückt. Das ist exzellent, wenn es denn passt. Wenn es nicht passen sollte, wird eben ein anderer Equalizer verwendet werden müssen. Allerdings scheinen Chandler doch unter einer leichten Form von Zwangsindividualismus zu leiden. Ich möchte von einem teuren Mono-EQ in meinem Rack zum Beispiel doch bitte zumindest erfahren dürfen, ob er momentan ordnungsgemäß mit Spannung versorgt wird. Schlüssigere Beschriftungen und Unterteilungen – oder überhaupt welche – wären ebenfalls nicht gerade fehl am Platz. Auch die meiner Meinung nach deutlich zu grobe Frequenzrasterung und der komplette Verzicht auf Einstellbarkeit der Bandbreite sind angesichts des phänomenalen Klangcharakters recht traurig. Trotzdem bleibt zu sagen: “Du suchst einen absolut hervorragend klingenden EQ mit diesem unverwechselbaren Germanium-Sound? Dann Augen zu und durch: Kauf’ den Tone-Control!”
Unser Fazit:
4 / 5
Pro
hervorragender, unnachahmlicher Gesamtsound
Charakter ideal für viele Vocal-Anwendungen
“Drive”-Regler
“Interactive”-Schaltung im passiven Bass-Band
Contra
keinerlei Anzeigen, keine Buchsenbeschriftungen
für viele Anwendungen nicht ausreichend flexibel (f-Rasterung, festes Q)
Sie sehen gerade einen Platzhalterinhalt von Facebook. Um auf den eigentlichen Inhalt zuzugreifen, klicken Sie auf die Schaltfläche unten. Bitte beachten Sie, dass dabei Daten an Drittanbieter weitergegeben werden.
Sie sehen gerade einen Platzhalterinhalt von Instagram. Um auf den eigentlichen Inhalt zuzugreifen, klicken Sie auf die Schaltfläche unten. Bitte beachten Sie, dass dabei Daten an Drittanbieter weitergegeben werden.
Sie sehen gerade einen Platzhalterinhalt von X. Um auf den eigentlichen Inhalt zuzugreifen, klicken Sie auf die Schaltfläche unten. Bitte beachten Sie, dass dabei Daten an Drittanbieter weitergegeben werden.