Beyerdynamic TG V70d und TG V71d Test

Um die Sache abzukürzen: Es ist der Frequenzgang. Anstatt hier weit auszuholen und euch eine umständliche Geschichte aufzutischen, euch erst kurz glauben zu lassen, es sei die Richtcharakteristik, nur um euch am Ende mitzuteilen, wo der eigentliche Unterschied zwischen Beyerdynamic V70d und V71d tatsächlich liegt, benutze ich ausnahmsweise einmal den Shortcut: Die Frequenzgänge der beiden sind unterschiedlich abgestimmt, das 71d überträgt im Grundtonbereich etwas schwächer, wird demnach etwas höhenbetonter wahrgenommen werden. So, die Katze ist aus dem Sack. Auf Wiedersehen, danke für´s Lesen. Bis demnächst.
War sonst noch was? Ach ja, der Testbericht hat ja gerade erst angefangen. Nun, die beiden sind Bestandteil der “TG” genannten Live-Serie des deutschen Herstellers Beyerdynamic. Offenbar geht man einen kleinen Schritt in Richtung akustischen Customizings und bietet daher zwei im Frequenzgang unterschiedliche Mikros an. Was die beiden voneinander unterscheidet, aber natürlich auch was sie verbindet, könnt ihr in den nächsten Abschnitten erfahren.

DETAILS

Auffälligkeit ist nichts, worum man sich bei Beyerdynamic sonderlich zu scheren scheint. Das Design der beiden Mikrofone ist kühl und modern, aber immer zurückhaltend; ganz so, wie man es von den meisten Produkten aus Heilbronn gewohnt ist. In Schwarz ist der Korpus sowohl des 70 als auch des 71 gewandet, auch der Grill und der für Beyerdynamic nicht zuletzt als Erkennungsmerkmal dienende Ring um den Korb ist bei beiden nicht viel bunter.

Unter diesen Körben verbirgt sich je eine Druckgradientenkapsel, deren Membran mit einer Spule verbunden ist, damit im Zusammenspiel mit dem Neodym-Magneten das dynamische Wandlerprinzip funktionieren kann. Bei beiden Mikrofonen ist die Schalleitung so gestaltet, dass sich die Richtcharakteristik Hyperniere ergibt. Ideal ist also der Einsatz vor zwei gewinkelten Bühnenmonitoren. Die Kapseln sind äusserst flexibel eingebettet, so dass man davon ausgehen kann, dass auch miese Behandlung die Funktionalität nicht beeinträchtigt.

Das V71d verfügt über einen Frequenzgang, der bei Fernfeldmessung erst bei 100 Hz den -10dB-Punkt (nicht -3!) erreicht und sich schon kurz oberhalb der 1 kHz erhebt, um in einer deftigen Überhöhung bei 10 kHz zu münden. Von da an ist eine Rutschpartie angesagt, die bei etwas über 15 kHz am oberen -3dB-Punkt vorbeirauscht. Das V70d hingegen beeilt sich im Bassbereich deutlich mehr, das lineare Plateau zu erreichen –das ist bei ungefähr 100 Hz der Fall (-3 dB). Von da an ist es so gut wie identisch mit dem Geschwisterchen. Beide Mikrofone arbeiten mit dem Übertragungsfaktor 3,2 mV/Pa, über S/N-Ratio und dergleichen schweigt sich das Handbuch aus. Für bewegungsfreudige Vokalisten vorteilhaft ist, dass die Beyerdynamics über eine recht frequenzkonstante Richtcharakteristik verfügen – fast wie bei einer Acht.

PRAXIS

Im Vergleich der beiden Mikrofone fällt der Unterschied im Bassbereich sofort auf: Das V70d hat einen deutlich höheren Tiefenanteil, der sich vor allem im Nahbereich bemerkbar macht. Vielen Frauenstimmen und höheren Männerstimmen kann dieses Mikrofon dazu verhelfen, mehr Substanz zu erhalten –wenn das gewünscht ist. Das Mehr an Volumen im geringen dreistelligen Frequenzbereich schlägt häufig in ein Gefühl von Dumpfheit über, das V70d wirkt jedoch auch sehr nah besprochen noch ausreichend brilliant. Viel wichtiger noch: Durch den durchaus extremen Präsenzboost leidet selbst bei massivem Proximity-Effekt durch sehr nahe Besprechung die Sprachverständlichkeit nicht. Man sollte jedoch darauf achten, keine zu schlecht ausgestatteten Pulte zu verwenden, denn im Zweifel muss dieser Bereich dann und wann etwas entschärft werden. Setzt der High-Shelf erst bei 12 kHz an, reicht das (obere) Mittenband nicht bis 8 oder 10 kHz hinauf oder hat gar eine festgelegte Centerfrequenz, läuft man Gefahr, einen etwas zu spitzen, schneidenden Klang nicht abmildern zu können. Air-Bands in nur geringer Ausprägung sind zwar manchmal bei der Studioarbeit unangebracht, im Livebetrieb aber wirklich absolut in Ordnung. Einen weiteren entscheidenden Bestandteil am Gesamtklang hat nicht nur die beschriebene Glocke, sondern auch der leicht unterstützte Bereich oberhalb von 2 kHz. Mit dem 70er erreicht man einen vollen, warmen Gesangssound, der dennoch nicht nasal, brummelig oder mumpfig klingt. Je nach Anlage und Raum sollte man den Bereich um die 10 kHz im überwachen, damit keiner der Zuhörer bei “S”-, “T”- und “Z”-Konsonanten “Augenschmerzen” bekommt. Ich bin aber der Meinung, dass es hier auch eine etwas gutmütigere Abstimmung getan hätte und der hervorragende Charakter und die Verständlichkeit nicht gelitten hätten.

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V70d Gesang fern V70d Gesang nah SM58 Gesang fern SM58 Gesang nah V70d Sprache fern V70d Sprache nah

Stöpselt man nach dem 70er das TG V71d ein, entspricht das Ergebnis ziemlich genau dem, was man aufgrund der technischen Beschreibung erwartet. Der Nahbesprechungseffekt fällt etwas geringer aus, was vielen Stimmen guttut, die in diesem Bereich von Natur aus viel liefern. “Dünnen” Stimmen kann das ein bisschen zu wenig Support sein, vor allem bei etwas größeren Mikrofonabständen. Ob nun eher das 70 oder das 71 – vielleicht sogar ein ganz anderes Mikrofon zu Stimme, Musik und weiteren Gegebenheiten passen, ist natürlich eine individuelle Frage, aber aufgrund der generellen Klangqualität kann hich hier den fiktiven Quality-Control-Aufkleber an beide Mikrofone kleben. Es ist schon erstaunlich, wie klar und natürlich Stimmen über die beiden Testlinge wirken –vor allem, wenn man bedenkt, wie sehr am Frequenzgang “gebogen” wurde. Im Test an der Anlage zeigten die Mikrofone, dass sie wirklich wenig anfällig für Griffgeräusche, Poppgeräusche und Rückkopplungen sind, sich von großen und kleinen Händen gut handlen lassen und auch Erschütterungen gut wegstecken. Somit erfüllen beide die wesentlichen Anforderungen an ein Live-Mikrofon nicht nur mit Links, sondern mit Bravour.

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V71d Gesang fern V71d Gesang nah SM58 Gesang fern SM58 Gesang nah V71d Sprache fern V71d Sprache nah
beyerdyn_v7071d
TECHNISCHE SPEZIFIKATIONEN
  • Empfängerprinzip: Druckgradientenempfänger (mit Laufzeitglied)
  • Richtcharakteristik: Niere
  • Wandlerprinzip: dynamisch (Tauchspule)
  • Frequenzgang V71d (ohne Nahbesprechungseffekt): 100 Hz (-10 dB) – 15 kHz (-3 dB)
  • Frequenzgang V70d (ohne Nahbesprechungseffekt): 100 Hz (-3 dB) – 15 kHz (-3 dB)
  • Übertragungsfaktor: 3,2 mV/PA
  • Ausgang: XLR male
  • Preis V70d: Euro 169,- (UVP)
  • Preis V70d: Euro 179,- (UVP)
Unser Fazit:
4,5 / 5
Pro
  • hohe Sprachverständlichkeit selbst im Nahbereich
  • trotz stimmoptimierter Frequenzgänge hohe Natürlichkeit
  • hervorragende Verarbeitung
  • rückkopplungsarm
  • unempfindlich gegenüber Poppgeräuschen
Contra
  • mit manchen Pult-EQs möglicherweise schwer zu bändigender 10kHz-Boost
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Beyerdynamic TG V70d und TG V71d Test
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