Inklen Tonetable Test

Bisher haben wir ja schon einige interessante Apps für iOS vorgestellt. Nach Fernsteuerungen, Emulatoren, Sequenzern und virtuellen Instrumenten hat es das iPad nun auf den geliebten Plattenspieler abgesehen. Wer nun behauptet, das sei ja nicht wirklich neu, denn es gibt bereits seit längerem Turntables-Apps, die MP3s abspielen, liegt absolut richtig. Nur lassen sich mit Tonetable eben keine Musikdateien abspielen.

Teaser_Tonetable


Tonetable ist ein Programm der Firma Inklen und simuliert einen Plattenteller mit einer zeitcodierten Schallplatte. Sie soll die Steuerung eines DVS-Systems wie Traktor, Serato oder Mixvibes übernehmen. Wem bei diesem Gedanken das Entsetzen ins Gesicht geschrieben steht,  dem ergeht es fast wie mir, als ich zum ersten Mal von der App hörte. Denn die Skepsis ist bei solchen Programmen in aller Regel erst einmal hoch, vor allem für Leute, die mit Schallplatten aufgewachsen sind und dem Vinylkult bis heute frönen. Softwaredecks steuern, Pitchen, Pitchbend & Scratchen – das verspricht der Testkandidat. Doch gibt es da nicht oftmals Timing-Probleme mit DJ-Apps aufgrund der drahtlosen Kommunikation? Wieder richtig, nur im Gegensatz zu den Wireless-Apps wird hier nicht über Funk kommuniziert, sondern ganz klassisch über Kabel, genauer: über den Kopfhörerausgang in die Soundkarte. Wenn das dann nicht doch spannend klingt…

DETAILS

Beim Start öffnet sich der Hauptbildschirm, der zu knapp zwei Dritteln von der virtuellen Schallplatte ausgefüllt wird. Ein Tipp: Falls ihr am Tag zuvor noch einen Blockbuster angesehen habt, fahrt zur Sicherheit die Lautstärke herunter, bevor ihr auf die Abspieltaste drückt. Denn dann beginnt das Vinyl zu rotieren und das typische Timecode-Fiepen ertönt aus den iBoxen. Auf der linken Seite wird der Pitchfader eingeblendet (+/-). Er ist standardmäßig auf acht Prozent eingestellt. Mit der virtuellen Faderkappe unter den Finger geht’s gen Norden oder Süden, um die gewünschte Geschwindigkeit einzustellen. Dabei haben sich die Entwickler ein gelungenes System ausgedacht: Greift man direkt auf die Cap und zieht dran, erfolgt der Pitchvorgang eher schnell und äquivalent zur Fingerposition. Fasst man in einiger Entfernung auf den Seitenstreifen, erfolgt die Tempoänderung relativ zur Fingerposition und das weiße Quadrat bewegt sich deutlich langsamer – sozusagen ein Fine-Pitch-Mechanismus mit Auflösung von 0,01 Prozent. Persönlicher Eindruck: Pitch gelungen. Solange der Tempofader sichtbar ist, erscheinen anstelle des PLAY-Buttons zwei sensitive Bereiche mit den Zeichen Plus und Minus. Sie übernehmen die Funktion von Pitchbend-Buttons und beschleunigen oder bremsen den Teller, solange sie gedrückt sind mit ansteigendem Wertezuwachs.

Fotostrecke: 3 Bilder Layout mit rechtem Deck

Der letzte Button im Bunde öffnet das Einstellungsmenü, welches unter anderem Zugriff auf die Trägerfrequenz und die Abspielgeschwindigkeit (33 & 45) gibt. Ferner ist eine individuelle Färbung des Labels, des Vinyls und der Marker möglich. Der Import eines Jpegs als Aufdruck ist aktuell noch nicht implementiert.

Fotostrecke: 2 Bilder “Vinylfarbe” selbst festlegen?

PRAXIS

Gleich beim ersten Versuch, mit dem iPad auf dem DJ-Stand zu arbeiten zeigte sich, dass die Unterlage (oder wenn man möchte: das Apple-Tablet) ziemlich glatt ist. Grundsätzlich fallen mir zwei Abhilfen ein. Erstens: Man besorgt sich eine iPad-Halterung die im Handel schon ab 20 Euro erhältlich, aber leider oftmals auch denkbar ungeeignet ist, weil bei den typischen Neigungswinkeln von 45-90 Grad nicht wirklich Spaß aufkommt. Wenn die Dinger obendrein aus Plastik gefertigt sind, dann möchte man am liebsten gar nicht erst draufdrücken. Metallene Gerätschaften, die nur wenige Grad abwinkeln und nicht wie eine Wippe anmuten, kosten 60 Euro und mehr, ich habe mich daher für eine Zwei-Euro-Lösung entschieden: den klassischen selbstklebenden Gummifuß in flacher Rechteckform, der in vielen gut sortierten Online-Shops zu bestellen ist. Damit hat das Pad nun auf jeden Fall genug Halt für Schubser und gelegentliche Scratcheinlagen.

Fotostrecke: 3 Bilder Gummierte Klebestreifen unterm iPad …

Wer normalerweise keine Angst hat, dass ihm bei einem Set sämtliche Nadeln und Ersatznadeln gleichzeitig abrauchen, der Laptop implodiert oder der Midi-Controller seinen Geist aufgibt, der sollte auch bei einer iPad-Session keinen Angstschweiß auf die Stirn bekommen. Eine Akkuladung reicht immerhin für acht Stunden Spielzeit und gegen unvorhersehbare Katastrophen wächst bekanntlich kein Heilmittel. Aber Spaß beiseite: Das iPad könnte durchaus als Ersatz für einen defekten Turntable dienen. Zunächst gilt es jedoch, unseren Plattenspieler in spe mit dem restlichen Equipment zu verbinden. Ein 3,5 Millimeter Klinke auf Stereo-Cinch-Kabel soll als Transportweg herhalten und kann direkt ins Sound-Interface gestöpselt werden. Oder man zieht die Stecker aus dem Plattenspieler und benutzt einen Doppel-Cinch-Adapter.

Tonetable DVS-Einsatz am Vestax-Mixer
Tonetable DVS-Einsatz am Vestax-Mixer

Je nach verwendeter DJ-Software Software gilt es, den richtigen Timecode „aufzulegen“. Tonetable hat vier Frequenzen im Repertoire: 1 kHz, 1,2 kHz, 1,3 kHz und 2 kHz. Per iKeyboard besteht zusätzlich die Option, das Steuersignal in Semiton-Intervallen zu verschieben. Für Serato wähle ich 1 kHz bei 33 rpm. Ab etwa sieben Skaleneinteilungen iPad-Lautstärke ist der Ton ausreichend stark für den reibungslosen Betrieb. Wenn ein schöner grüner Kreis zu sehen ist, braucht der DJ nur noch auf den Start-Button zu drücken und Scratch-Live spielt das entsprechende Deck ab. Sollte der Song rückwärts laufen, vertauscht man das rote und schwarze Kabelende oder aktiviert der Einfachheit halber in Tonetable die Phasenumkehrung. Es ist davon anzuraten, Scratch Live im relativen Modus zu betreiben, denn ansonsten hat der DJ keine Möglichkeit, adäquat im Track zu navigieren, da die App weder einen physischen Needledrop akzeptiert noch Cuepunkte oder eine Spulfunktion an Bord hat. Ferner merkt sich iOS den Zustand des Programms, so dass nach einem erneuten Aufruf nicht zwangsläufig der Timecode neu geladen wird. Die beste Möglichkeit dies zu umgehen, ist SSL zu veranlassen, neu geladene Songs grundsätzlich und unabhängig von der virtuellen Nadelposition vom Start abzuspielen.

Fotostrecke: 2 Bilder Semiton-Keyboard
Audio Samples
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Semitone Shifting

Wie es sich gehört, dreht die Platte weniger schnell, wenn sie an den äußeren Markierungen gestreichelt wird. Anschieben lässt sie sich aber nicht wirklich, weil es bei jedem Aufsetzen zu einem Stillstand kommt. Ein sanftes Mitschleifen oder Spindel-Nachdrehen wie einem Zwölfhunderter ist nicht möglich. Dies ließe sich vielleicht über einen Modifier-Button im Hold- oder Toggle-Modus realisieren, der entweder den Scratch- oder den Nudge-Modus einschaltet. Persönlich tendiere ich eher zum Toggeln, damit die zweite Hand am Mixer bleiben kann. Ferner böte sich auch eine Multi-Gesten Lösung an. Mit einem Finger auf der Oberfläche wird geschubst, zum Scratchen müssen mindestens zwei Finger aufliegen. Backspins werden in ihrer Intensität über den Pickup eingestellt. Befindet sich der Schieber rechts, dreht sich die Platte bei einem Backspin etwa um ein Viertel zurück, befindet er sich links, dann ist es fast eine volle Umdrehung. Das Anlauf- und Bremsverhalten regelt die Power-Down-Option. Sollte es während der Performance zu Aussetzern bei ganz langsamen Bewegungen kommen, empfiehlt es sich, die Lautstärke ein wenig hochzufahren, oder den Input-Multiplikator oder Gain zu erhöhen.
Zur Steuerung von Deckadance bietet es sich an, eine Frequenz in Tonetable zu aktivieren und auf dem Laptop Timecode-Learn einzuschalten. Nach wenigen Sekunden ist das Signal eingemessen und die Software arbeitet korrekt. Auch mit Mixvibes Cross und dem geforderten 1200-Hertz-Ton gibt es keine nennenswerten Aussetzer während des Betriebes. Letztlich steht noch der Funktionstest mit Traktor Scratch Pro bei zwei Kilohertz an. Selbst bei ultralangsamen Bewegungen der virtuellen Schallplatte war es Traktor möglich, eine sehr gute Übersetzung abzuliefern: klasse! Das nachfolgende Video zeigt euch Tonetable im Einsatz.

Das Echtzeitgefühl beim iPad setzt sich zusammen aus der Oberflächenresponse, der CPU-Leistung und der integrierten Audiohardware. Die Verzögerung ist schwammiger als beim Plattenspieler und nicht wirklich für Turntablisten geeignet, ist aber absolut praxistauglich, um zwei Songs ineinander zu drehen. Zudem ist der Spaßfaktor recht hoch, wenn man zwischendurch den Griff zum Laptop nicht scheut. Die Oberfläche des iPads ist natürlich glatter als eine Platte mit eingeschnittenen Rillen. Der Pitch arbeitet exakt und ist zudem oftmals im DJ-Programm verstellbar. Mit den Bend-Tasten ist das Beatmatching nicht nur für geübte Softwarejockeys ein Kinderspiel, denn sie erhöhen die Geschwindigkeit zunächst dezent, um dann rasanter zuzulegen. Richtig interessant wäre Tonetable im Multitask-Betrieb mit einer App wie MIDI-to. Dann könnte der Timecode im Hintergrund laufen und die Kreativabteilungen per WLAN-Anbindung beackert werden. Das ist mit iOS4 aber nicht möglich.

FAZIT

Tonetable ist eine interessante DJ-App für DVS-User, die ein iPad oder iPhone besitzen. Das Programm generiert ein zeitcodiertes Signal, ähnlich wie ein Steuervinyl auf einem Plattenspieler und dirigiert so Geschwindigkeit und Abspielrichtung des MP3-Tracks in der DJ-Software. Tonetable hat vier voreingestellte Trägerfrequenzen im Gepäck, mit denen es Traktor, Serato, Deckadance oder auch Mixvibes steuert. Eine skalierbare virtuelle Schallplatte auf dem Screen erlaubt Scratchen und Backspins und kann in Farbe, Größe und Position den eigenen Vorlieben angepasst werden. Der Tempo-Slider ermöglicht sehr präzise Pitchvorgänge und wird von Bend-Buttons beim Beatmatching unterstützt. Der Powerdown-Effekt simuliert das Anlauf- und Bremsmoment eines Plattenspielers. Das Programm funktioniert soweit ganz ordentlich und vor allem ohne Absturz. Die Latenzen sind nichts für Scratch-Enthusiasten, für den Beatmixer jedoch durchaus praxistauglich. Es gibt dennoch Gründe, die für mich dennoch gegen einen ernsthaften Einsatz vor Publikum sprechen: Die App sollte eine Needledrop-Option, einen Nudge-Modus und eine Spulfunktion mitbringen. Trotzdem macht Tonetable Spaß. Das iPad kann sogar mal für einen defekten Turntable in die Bresche springen oder einen dritten Player bei Platzproblemen emulieren und nutzt weder Vinyl noch Nadeln ab. Da muten 6,99 Euro Verkaufspreis für die App doch schon fast wie ein Schnäppchen an.

Scalemode_tonetable
Unser Fazit:
3,5 / 5
Pro
  • Mehrere Timecode Simulationen
  • Präziser virtueller Pitch
  • Frei skalierbare Plattengrößen
  • Notfall-Turntable-Ersatz
Contra
  • Keine Needledrop oder Reset
  • Kein Nudging
  • Keine Cuepoints
Artikelbild
Inklen Tonetable Test
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