Electrodyne 511 Test

Electrodyne 511? Nie gehört von diesem Equalizer?

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Nun, heute gelten Mischpulthersteller wie Neve, API und SSL zu den Platzhirschen, den Legenden am Konsolenhimmel. Electrodyne kann sich in punkto Bekanntheitsgrad nicht mit der eben genannten Dreifaltigkeit messen, aber eine Legende ist der Electrodyne-EQ trotzdem!
Auch wenn der amerikanische Hersteller zwischenzeitlich in Vergessenheit geriet, so spielte er doch eine wichtige Rolle in der Recording-Geschichte. Bereits in den 60er-Jahren konnte die Firma auf viele Jahre Erfahrung zunächst im Filmton-Bereich zurückblicken. Zeitgleich mit anderen Pionieren wie Universal Audio halfen die Electrodyne-Ingenieure maßgeblich mit, das kanalbasierte Mischpult-Layout zu definieren, welches seitdem weltweit Standard ist. Mit all seinen Qualitäten genossen Electrodyne-Pulte für eine gewisse Zeit große Verbreitung – sowohl der Westcoast-Sound einer ganzen Ära als auch der Soul klangen über viele Jahre nach Electrodyne: Mischpulte des Herstellers verrichteten nicht nur bei Decca, Warner und Capitol ihren Dienst, sondern auch bei Motown und Stax! Auch Frank Sinatra nannte eine custom-made Electrodyne-Konsole sein Eigen. Zwar übernahmen später andere Hersteller den Markt, doch der Electrodyne-Schwesterhersteller Quad Eight und Sphere blieben präsent und drückten der Popgeschichte noch viele Jahre später ihren Stempel auf. Pink Floyds Klassiker „The Wall“ etwa wurde noch auf Quad Eight gemischt. Teil des klassischen Electrodyne-Channels waren (damals revolutionäre) Funktionen wie ein Echo-Send, aber auch die Bausteine Preamp und EQ, welche heute wieder gefertigt werden, und zwar nach Originalspezifikationen und teilweise mit NOS-Bauteilen unter dem Dach von A-Designs. Deren Nähe zu Quad-Eight-Kreationen wiederum ist Kennern schon lange bekannt.

Details

Zweiband: ehemals gängiger Standard

Als klassischer Konsolen-EQ der 60er-Jahre stammt der Electrodyne 511 EQ aus einer Ära, in welcher der parametrische EQ noch in recht weiter Zukunft lag. Gerade noch waren Equalizer röhrengetriebene 3-HE-Monster wie der Pultec EQP-1A gewesen, doch nun verhalf der Transistor der Baugruppe „Entzerrer“ zu ungeahnt kompakten Abmessungen – aktive, mehrbandige EQs fanden nun in Mischpultkanalzügen Platz. Dennoch beschränkt sich die Anzahl der Bänder hier auf zwei Stück, damals durchaus gängiger Standard. Als klassische Tonblende konzipiert, dienten solche EQs der Verschönerung, dem Sweetening, der groben Anpassung von an sich „gesunden“ Signalen. Die Feinarbeit erfolgte vor der Aufnahme auf der anderen Seite der Scheibe, und an Stellschrauben wie Instrument, Mikrofon und deren Positionierung im Raum. Fette Mitten waren auch in der Recording-Frühzeit nie das Problem, und so dient ein EQ wie der Electrodyne 511 vor allem der Anpassung von Bässen und Höhen. Hierzu bietet jedes der drei Bänder Amplituden von bis zu ±12 dB, abzurufen via Drehschalter, und zwar mit den Positionen ±2, 4, 6, 9 sowie 12 dB. Jedes der beiden Bänder offeriert eine Auswahl von vier Eckfrequenzen: 40, 100, 250 sowie 500 Hz in den Tiefen und 1,5, 3, 5 sowie 10 kHz in den Höhen. An allen Eckfrequenzen arbeiten die Filter im Shelving-Modus, bei 250 und 500 Hz sowie 1,5, 3 und 5 kHz kann zudem in die Peaking-Charakteristik umgeschaltet werden. Als reziprokes Design verfügen Anhebungen und Absenkungen über die gleichen EQ-Kurven und eine konstante Filtergüte, eine einmal getroffene Einstellung kann zumindest in der Theorie zu einem späteren Zeitpunkt wieder rückgängig gemacht werden. In den Höhen beträgt der Q-Fakor im Peaking-Modus sagenhaft sanfte 0,35 und in den Bässen etwas kompaktere aber immer noch ausgesprochen gutmütige 0,7.

Fotostrecke: 4 Bilder Traditions-EQ: Electrodyne war in den 60er-Jahren in den USA weit verbreitet. Die Mischpulte prägten den Sound einer Ära.

Riesiger Cinemag-Übertrager

Diese Funktionalität wurde vom Firmenverbund aus Orphan Audio, Pete’s Place Audio und A-Designs in eine 500-Kassette mit einfacher Slotbreite gegossen. Auf der Frontplatte ist noch Platz für einen Bypass-Schalter mitsamt Status-LED, doch wer vermutet, dass es hinter der kernigen Industriedesign-Fassade aus den Sixties ebenso übersichtlich aussieht, der hat sich gewaltig getäuscht! Nur mit Mühe ließ sich die Schaltung in die Kassette geschlosser Bauweise einpassen, und das liegt vor allem an dem riesigen Ausgangsübertrager von Cinemag. Praktischerweise waren auch die Pläne für dieses Bauteil leicht verfügbar, da der Übertrager im Vintage-Electrodyne vom direkten Cinemag-Vorläufer Reichenbach gefertigt wurde. Bei diesem fetten Wicklungsmonster handelt es sich übrigens um den größten Übertrager, den ich jemals in einer 500-Kassette dieser Bauform gesehen habe. Auch der restliche Teil der Schaltung ist nicht von schlechten Eltern. Die Filter an sich arbeiten als aktive Spulenfilter in einer diskreten Class-A-Schaltung auf Basis von proprietären Operationsverstärkern. Diese basieren als Weiterentwicklung auf dem letzten, am meisten ausgereiften Design von Electrodyne, und die wenigen zeitgemäßen Anpassungen, die Designer Ken Hirsch vornahm, ließ er sich von den ursprünglichen Electrodyne-Ingenieuren absegnen. Dies nur am Rande, um den Originalitätsanspruch des Herstellers zu illustrieren.

Fotostrecke: 3 Bilder Analoges Innenleben: Der 511 setzt auf eine diskrete Class-A-Schaltung.

Plastikkappen und Drehschalter sind NOS-Bauteile

Die Fertigungsqualität lässt keine Wünsche offen. Mechanisch ist der EQ bis auf einen Punkt über jegliche Zweifel erhaben. Spulen und Übertrager stammen vom Qualitäts-Anbieter Cinemag, bei den Plastikkappen der Drehschalter sowie den Frequenz-Hebel handelt es sich sogar um originale NOS-Bauteile. Die Drehschalter werden nach Originalspezifikationen für Electrodyne gefertigt, allerdings aus Aluminium, ganz wie beim Vintage-Vorbild. Damit sind sie mechanisch nicht ganz so robust wie Edelstajl-Bauteile, aber bei angemessen sorgsamem Gebrauch (bei High-End-Studiotechnik ohnehin immer zu empfehlen) sollten aus dieser Tatsache keine Nachteile erwachsen. 

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