Waldorf Lector Test

Die Firma Waldorf gehört zu den deutschen Traditionsmarken auf dem Synthesizer-Markt. Auch wenn die 1988 gegründete Waldorf Electronic GmbH im Jahr 2003 Insolvenz anmelden musste, um sich drei Jahre später als Waldorf Music GmbH wieder neu zu gründen, kann die Manufaktur aus Waldorf in der Eifel auf eine erfolgreiche Firmengeschichte zurückblicken.  

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Bekannte Geräte tragen die Bezeichnung “Waldorf”: Der Microwave verhalf der Wavetable-Synthese zum Mainstream-Durchbruch und prägte mit seinem mächtigen und kühlen Sound viele Produktionen der 90er Jahre. Die zitronengelben Modelle Q und Micro Q gehörten zum Besten, was man sich rund um die Jahrtausendwende an modernen Synthesizern zulegen konnte. Mit dem aktuellen Blofeld präsentiert Waldorf einen vielseitigen, zeitgemäßen Synthesizer mit einem ausgezeichneten Preis-Leistungsverhältnis. Aber auch auf dem Gebiet der Softwaresynthesizer hat die Schmiede etwas vorzuweisen: Largo nennt sich das Plug-In, das sich bezüglich Klang und Ausstattung weitestgehend am Blofeld orientiert.

Da sich die Kreationen dieses Hauses seit einiger Zeit mit Namen von Figuren aus den James-Bond-Filmen schmücken, verwundert es nicht, dass auch der Name dieses jüngsten Sprosses dort entliehen wurde. „Lector“ war eine Sprachverschlüsselungsmaschine in „Liebesgrüße aus Moskau“ (From Russia With Love). Na das passt doch wie die Faust aufs Auge, haben wir es beim Waldorf Lector doch mit einem Vocoder zu tun!

DETAILS

Für Leser, die im „Vocoder-Business“ noch neu sind, gibt es hier zunächst ein paar Grundlagen zum Prinzip dieser Geräte:

Analysesignal (auch: “Modulator”)

Ein Vocoder ist ein Gerät, das immer aus zwei Signalquellen gespeist wird, um daraus ein drittes Synthesesignal zu bilden. Zum einen benötigt der Vocoder ein Analysesignal, meist werden Sprache, Gesang oder perkussive Instrumente dazu verwendet. Analysiert werden jedoch nicht Tonhöhe oder harmonische Strukturen, sondern nur die Dynamik und das Frequenzspektrum. Ein Beispiel: Bei einem männlichen Radiosprecher wird der Vocoder ein tiefer angelegtes Frequenzspektrum analysieren als bei einer hellen Mädchenstimme. Bei einem Schlagzeugrhythmus wird er mehr Dynamik (Transienten) herauslesen können als bei einem gesummten Background-Chor – welche Töne da gesungen werden, ist ihm völlig schnuppe.

Trägersignal

Neben dem Analysesignal benötigt der Vocoder ein so genanntes Trägersignal (engl. “Carrier”), auf das er die Auswertung des Analysesignals übertragen kann. Dieses Trägersignal ist der Sound, den man in stark gefilterter Form wieder am Ausgang des Vocoders herausbekommt. Er bestimmt daher auch die Tonhöhen bzw. Harmonien des letztlichen Vocoderklanges. Als Trägersignale eignen sich besonders gut obertonreiche Synthesizerklänge wie Sägezahn- oder Pulswellen, am besten ohne LP-Filter Einwirkung. Für weichere Vocoder Klänge funktionieren auch Stringmachines sehr gut.

Synthese

Der Vocoder erzeugt aus den oben genannten Analyse- und Trägersignalen ein neues Signal, der häufig typisch metallisch nach Roboter-Sound klingt. Was man hört, ist das Trägersignal, das vom Analysesignal unter Einsatz von Filterbank und VCA moduliert wird. Oder anders gesagt: Die Filterbank des Vocoders „öffnet ihre Tore“ für das Trägersignal immer nur für den Frequenzbereich, den das Analysesignal vorgibt. Gleiches gilt für den VCA, der die Lautstärke dynamisch regelt.

Dies soll als Einführung reichen. Wer sich länger mit Vocodern beschäftigt, wird feststellen, dass es für den Klang entscheidend ist, wie man Filter und VCA im Detail einstellt, ob man Anteile des Analysesignals leicht hinzumischt, vom „Unvoiced Mode“ Gebrauch macht oder sogar Filter-Modulationen anwendet.

Und noch etwas: Vocoder-Sounds werden landläufig gern mit Hardtune-Effekten verwechselt, wie sie beispielsweise in Chers „Do You Believe In Life After Love“ zu hören sind, dabei ist das etwas völlig anderes. Gute Referenzen für Vocoder-Klänge sind Molokos „Cannot Contain This“, Zoot Womans „It’s Automatic“, „Intergalactic“ von den Beastie Boys, „Le Soleil Est Près De Moi“ oder „Kelly Watch The Stars“ von Air.

Waldorf Lector steht für Mac und Win als VST-, VST3- oder AU-Plug-In bereit, die Version 1.01 ist 64Bit-kompatibel. Wer den Software Syntesizer Largo aus gleichem Hause kennt, wird sich hier optisch gleich heimisch fühlen. So sieht die AU-Variante aus, in Logic 9 als „MIDI-controlled effect“ geöffnet:

WaldorfLector_01_AudioUnit

Das GUI des Lector ist in verschiedene Bereich unterteilt. Oben links befindet sich die Input-Sektion mit integriertem Kompressor. Hier entscheidet man auch, ob Lector per Sidechain ein externes Trägersignal benutzen soll oder von seinem internen Synthesizer Gebrauch macht. Der „Unvoiced Detector“ untersucht das Analysesignal auf Zischlaute. Er unterdrückt unerwünschte, harsch klingende Anteile im Vocoderklang und streut an den betreffenden Stellen kurzes Rauschen oder das originale Analysesignal ein, was besonders die Sprachverständlichkeit zu verbessern in der Lage ist.

Im unteren linken Bereich ist der interne Synthesizer des Lectors abgebildet. Hier findet man zwei Oszillatoren mit den klassischen Wellenformen und vielen Wellenform-Spektren akustischer Instrumente, eine Glide-Funktion und ein flexibles Filter mit einer Frequenzbereichsunterdrückungsmodus namens „Whitening“. Ein LFO, der auch zur Ringmodulation herangezogen werden kann und ein VCA mit AR-Hüllkurve und optionaler Velocity Ansprache komplettieren den umfangreichen Aufbau. Optisch etwas versteckt in der VCA-Sektion sind die drei Betriebsmodi des Lectors: Normal, Single und Latch. Im Modus „Normal“ reagiert der interne Synthesizer auf Notenbefehle eines MIDI-Keyboards und erklingt polyphon. Maximal 16 Stimmen können gleichzeitig erzeugt werden. Im Modus „Single“ arbeitet der interne Synth monophon. Im Modus Modus „Latch“ wird ein statischer Ton verwendet, dessen Tonhöhe vom Tuning der Oszillatoren abhängig ist. MIDI-Noten haben in diesem Modus keinen Effekt auf die Tonhöhe.

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Zentral erkennt man im Plug-In die Spektralanzeige und zwei Filterbänke. Eine dieser Filterbänke dient der Analyse des Modulationssignals. Mit ihren Parametern „Low“ und „High“ wählt man den Frequenzbereich aus, auf den sich die Analyse beziehen soll. Mit Attack und Release beeinflusst man das Öffnen und Schließen des VCAs, mit dem rechten, größeren Poti namens „Bands“ lässt sich die Filterbank kalibrieren. Drei bis 100 Bänder sind möglich, je mehr Filterbänder man auswählt, desto unverfälschter ist der Vocoderklang. Wenn man hier überhaupt von „unverfälscht“ sprechen kann …

Die zweite Filterbank dient dazu, das gewonnene Synthesesignal des Vocoders noch einmal zu bearbeiten. Auch hier begrenzen „Low“ und „High“ den zu filternden Frequenzbereich. Mit „Resonanz“ erzeugt man Betonungen der Filtereckfrequenzen, „Bandwidth“ definiert die Breite der Filterbänder. Auch ein LFO für Modulationsmöglichkeiten des Frequenzbereichs und ein dreibandiger Master-EQ mit in vier Bereiche unterteilte Mitten stehen hier bereit.

WaldorfLector_03_SidechainInput

Ganz oben rechts im AU-Plug-In Fenster sieht man den Side-Chain-Eingang, über den man ein externes Carrier-Signal in den Lector leiten kann. Darunter, im eigentlichen Lector-GUI, befindet sich der Mixer, mit dem sich die Lautstärken der beiden Eingangssignale und die des Vocoder-Synthesesignals bestimmen lassen. Wiederum darunter ist die Effektsektion platziert, hier stehen Overdrive, Chorus, Delay und Reverb mit allen wesentlichen Parametern zur Verfügung.

PRAXIS

Schnell vonstatten geht die Installation, die Freischaltung der Software per E-Licenser dauert ein paar Minuten. Mit dem “E-Licenser” wird ein Freischaltungs Code abgefragt und der Benutzer online autorisiert.  
Das Arbeiten mit Lector geht leicht von der Hand, das grafische Interface ist dabei sehr übersichtlich gestaltet. Etwas Erfahrung mit dieser Spezies vorausgesetzt, sollte es einem hier recht schnell gelingen, schicke Vocodersounds aus dem Plug-In herauszukitzeln. Ein Haufen guter Presets begünstigt das erste Auskundschaften, wer dennoch etwas Anleitung braucht, findet diese im wirklich gut geschriebenen, ausführlichen PDF-Handbuch in deutscher Sprache.

Allein mit dem Ausprobieren verschiedener Spektren der Oszillatoren oder Filter-Modi kann man schon eine Weile verbringen. Besonders die “Whitening”-Funktion des Filters ist interessant: Mit ihr kann man einen bestimmten Frequenzbereich stark absenken, wodurch sich besonders bei Sprachverfremdungen dröhnende Überbetonungen in den Mitten effektiv bekämpfen lassen.

Über Side-Chain-Experimente und Filterbank-Modulationen probiere ich mich bis zu den Effekten durch – und kann konstatieren: Der Lector kann eine ganze Menge und klingt wirklich gut! Gute Roboterstimmen, Vocoderchöre, Vocoderdrums und auch richtig Abgefahrenes bekommt man hier schnell hin, von störendem Aliasing ist keine Spur. Klanglich spielt er in der Liga des von mir sehr geschätzten „Orange Vocoders“ von Prosoniq und übertrifft diesen in puncto Verfremdungsmöglichkeiten sogar noch um einiges. Die klanglich besten Ergebnisse habe ich mit externen Carrier-Signalen per Side-Chain Input erreicht. Der interne Synthesizer des Lector trifft nicht so ganz meinen Geschmack, er klingt mir generell etwas zu grell. Aber über Geschmack lässt sich ja bekanntlich streiten… Begeistert hat mich hingegen die „Synthesis Filterbank“, gerade auch in ihren extremen Bereichen. Feinste Glitch-Sounds und ähnliches digitales Geschwurbel fernab kultivierter Stimmenverfremdung oder Sprachverständlichkeitsansprüche lassen sich damit basteln. Daher ist der Lector auch für Soundschrauber, die eigentlich nur eine experimentelle Filterbank suchen, ein heißer Tipp!

WaldorfLector_04_WhiteningFilter

Alle Parameter sind von meiner DAW aus automatisierbar, auch Poti-Bewegungen im GUI werden auf umgekehrtem Wege aufgezeichnet. Bei gehaltener Apfeltaste und Mausklick auf einen Poti springt dieser auf seinen Default-Wert Mittelstellung zurück. Auch das Mausrad lässt sich zum Editieren der Parameter einsetzen. Einen benutzerfreundlichen MIDI-Learn-Modus gibt es zwar nicht, externe MIDI Controller lassen sich aber immerhin zur Steuerung der meisten Parameter des Lectors einsetzen. Wer ein solches Ansinnen hegt, kann sich an den CC-Nummern orientieren, die oben im „Display“ angezeigt werden, wann immer ein Poti im GUI bewegt wird.

Hier das Audio-Protokoll meiner Lektoratssitzung.

Audio Samples
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Whitening Filter Vocals / Ext. Polysynth Vocals / Ext. Monosynth Sprache / Interner Synth Drums / Ext. Stringmachine

FAZIT

Mit dem Lector präsentiert Waldorf einen durchdachten und hervorragend klingenden Software Vocoder, der sich zudem auch als experimentelle Filterbank empfiehlt. Das Plug-In arbeitet zuverlässig und ist grafisch übersichtlich und ansprechend gestaltet. Wer’s nicht glaubt, lädt sich einfach die 100-Tage-Testversion bei Waldorf herunter. Gefehlt hat mir hier eigentlich nur ein MIDI-Learn-Modus, aber das ist verschmerzbar. Rund 150 Euro sind nicht gerade wenig für einen Sound, den man vielleicht nicht ständig einsetzt. Aber wem nur das Beste gerade gut genug ist, der muss halt meist etwas tiefer in die Tasche greifen.

Pro:
  • Klang
  • stabile Software
  • übersichtliches und ansprechendes Design
Contra:
  • kein MIDI-Learn Mode
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Features:
  • Software-Vocoder mit 3 bis 100 Filterbändern
  • regelbarer Frequenzbereich der Analyse-Filterbank
  • regelbare Offsets und LFO-Modulationen der Synthese-Filterbank
  • 3-Band-EQ mit variablem Mittenband
  • jeweils ein Kompressor für Sprache und Trägersignal
  • Voiced/Unvoiced Detector
  • interner Synthesizer mit 16 Stimmen, 2 Oszillatoren, flexiblem Filter, LFO, FM, Ringmodulation
  • Effekte: Overdrive (Tube, Diode, Clip), Stereo Chorus & Flanger mit 2 – 6 Stufen, synchronisierbares Stereo Delay und Reverb
  • Sidechain Input bei VST 3 und Audio Unit
  • Carrier Plug-In für VST 2
Systemvoraussetzungen:
  • Windows XP oder neuer, Intel Pentium 3, 1 GHz oder besser, AMD Athlon 800 MHz oder besser ,VST2 kompatible DAW
  • Intel Mac ab OS 10.4,VST2, VST3 oder Audio Unit kompatible DAW
Preis:
  • EUR 169,- (UVP)
Unser Fazit:
5 / 5
Pro
  • Klang
  • stabile Software
  • übersichtliches und ansprechendes Design
Contra
  • kein MIDI-Learn Mode
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Waldorf Lector Test
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