Amtec Audio Model 852 Test

Ein neues Gerät aus der polnischen Röhrenschmiede Amtec lässt die Herzen höher schlagen.

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Mit dem Model 852 baut Amtec Audio sein kleines aber feines Portfolio weiter aus – und modernisiert abermals bewährte Vintage-Designs.
Schon über 15 Jahre gilt der Amtec Pultec unter Kennern als Geheimtipp, und mit dem Fairchild-Limiter 099 hat der Hersteller einen kleinen Audiomeilenstein gesetzt, sowohl was das intelligente Konzept, die Klangeigenschaften als auch den Preis anbelangt. Vor diesem Hintergrund macht der 852 ausgesprochen neugierig, handelt es sich doch erst um das dritte 19“-Dynamiktool der Boutique-Schmiede. Diesmal standen unter anderem legendäre Altec-Limiter Pate, wobei der 852 wohl noch weniger als Klon zu verstehen ist als der 099 – es handelt sich hier vielmehr um einen Einfluss von vielen, und letztlich ohnehin um ein eigenständiges Design von Amtec, welches eben auf einigen Inspirationen beruht.

Details

Design wie in den 1950ern

Schon beim 099 fiel das tolle optische Design auf: Die Amtec-Geräte sehen zumindest auf den ersten Blick exakt so aus, als ob sie in den 50ern auf den Markt gebracht wurden. Viele Hersteller spielen mit Vintage-Zitaten, aber hier werden sie in einer Konsequenz umgesetzt, die erstaunt. Zumal dies auch mit einem absolut makellosen und für die Ewigkeit konstruierten mechanischen Aufbau einhergeht, welcher damals Usus war und welcher heute bisweilen Budgetzwängen geopfert wird.

Fotostrecke: 3 Bilder Amtecs neuer 852 ist ein eigenständiges Design, das Vintage-Units nachempfunden wurde.

Ratio bis 8:1

Mit seinem klassischen Look erinnert der 852 ein bisschen an die röhrenbasierten Universal-Audio-Limiter: schwarze Frontplatte, 2-HE-Gehäuse, zentrales VU-Meter, große Knöpfe. Links sitzen die Input-/Output-Potis und der Bypass-Schalter (der auch den verlinkten Betrieb zweier Units aktivieren kann), rechts von der Pegelanzeige (die nur die Pegelreduktion abbildet) sitzen die restlichen Bedienelemente, und zwar alle in Form von angenehm schwergängigen Potenziometern. Attack, Release und Threshold bedürfen keiner weiteren Erläuterung, ebensowenig der Netzschalter und die schöne Betriebsleuchte. Attack und Release haben relativ weite Einstellbereiche, die ich gleich noch näher erläutern werde. Der Threshold-Parameter hat einen Einstellweg von etwa 20 dB und er erfüllt noch eine weitere Funktion: Bei niedriger Schwelle beträgt die Kompressionsrate etwa 2:1, bei hohen Werten 8:1. Übersetzt bedeutet dies: Man kann mit dem Gerät einen weiten Dynamikbereich vergleichsweise sanft verdichten, und wenn der 852 ausschließlich die Pegelspitzen bearbeiten soll, dann packt er dabei heftiger zu. 8:1 ist schon fast im Bereich eines Limiters.

Distortion und “Lag”

Dazu bietet der 852 noch ein weiteres Poti mit dazugehörigem Schiebeschalter und den leicht rätselhaften Positionen Distortion und Lag. Hierbei handelt es sich um eine clevere Funktion innerhalb des Sidechains, welche das Kompressions- und Klangverhalten des Gerätes beeinflusst. Die Verzerrung entsteht nicht durch Übersteuerung der Audiostufen des Gerätes, vielmehr handelt es sich hierbei um Kompression völlig ohne Zeitkonstanten. Man darf sich das Regelelement dann also als eine Art Waveshaper vorstellen, der unabhängig von der Attack-/Release-Einstellung ins Audiosignal „hineinfräst“, wobei dieser Effekt stufenlos der eigentlichen Kompression hinzugefügt werden kann. Der Lag-Modus hingegen belegt das Poti mit einer Art zusätzlicher Attackfunktion. Dieser Schaltkreis arbeitet wie ein kombiniertes Filter/Delay auf dem Detektorsignal und er sorgt für eine zusätzliche Verzögerung der Kompression („Lag“ ist englisch für Verzögerung). Diese Funktion lässt sich ebenfalls fein dosieren, am Linksanschlag des Potis ist sie praktisch abgeschaltet und sie sorgt für besonderen Punch durch sehr breite Transienten. Schließlich findet sich hier noch ein Drehschalter, der den Amtec in den Kompressor- oder Line-Amp-Modus schaltet, außerdem aktiviert er auf Wunsch bei 90 oder 180 Hz ein Sidechain-Hochpassfilter.  

Fotostrecke: 4 Bilder Klassischer Aufbau mit zentralem VU-Meter: Man findet sich beim 852 auf Anhieb gut zurecht.

Herzstück: 2 x PCC85

Werfen wir noch einen Blick auf die Hardware: Hinten finden sich die Netz- und Audioanschlüsse sowie eine Linkbuchse. Wie eingangs erwähnt ist das recht kompakte Gehäuse so solide konstruiert wie nur irgend möglich. Und das Innenleben hat es auch buchstäblich in sich: Denn der 852 fußt einerseits auf sehr klassischen Topologien, erweitert diese aber auch um eine zeitgemäße Komponente. Dabei ist das Gerät mit hochwertigen Komponenten aufgebaut, darunter  WIMA-Kondensatoren und ein Sifam-VU-Meter, und es arbeitet mit einem Relais-Bypass. Die Übertrager sind wie auch bei anderen Amtec-Units proprietäre Designs. Das lineare Netzteil basiert auf einem ziemlich fetten Ringkerntrafo. Herzstück des Audioweges sind zwei PCC85-Doppeltrioden, die vermutlich auch als Namensgeber des 852 fungierten. Dieser durchgehend symmetrische Push-/Pull-Aufbau liefert maximal 35 dB Gain. Damit kann der Amtec ähnlich wie ein LA-2A nicht nur als Line-Amp, sondern in bestimmten Situationen auch als Micpre eingesetzt werden. Die erste PCC85 übernimmt dabei die Vari-Mu-Kompression, die zweite Röhre sorgt für die Aufholverstärkung.  

Fotostrecke: 4 Bilder Kompaktes Gehäuse: Der 852 bietet eine Link-Funktion, aber keine externen Sidechain-Anschlüsse.

Im Sidechain wurde ein Trick angewendet, der zur Zeit der Entwicklung der Vintage-Altecs noch nicht möglich war, den Ingenieuren aber schon damals viel Kopfzerbrechen erspart hätte. Auch beim 852 handelt es sich um ein Feedback-Design, aber der Sidechain-Gleichrichter wird nicht direkt vom Ausgangssignal angetrieben, vielmehr liegen hier noch zwei hochvoltig betriebene FET-Buffer dazwischen. Dieser Kniff ermöglich schnelle Attackzeiten, die ansonsten nicht oder zumindest nicht so ohne weiteres erzielt werden könnten. Dies verlässt den Pfad der reinen Vintage-Lehre, aber das soll uns aus heutiger Sicht nur recht sein, denn die Ergebnisse sprechen für sich.  

Apropos Ergebnisse: Um diese soll es an dieser Stelle natürlich auch noch gehen. Doch bevor wir uns Hals über Kopf ins Abenteuer stürzen noch eine kleine Anmerkung zur Hardware. Diese fühlt sich nämlich ganz hervorragend an und gibt einem schon rein haptisch die Rückmeldung, an einem Studiowerkzeug der Premiumklasse zu schrauben. Manch anderer Hersteller darf sich hier gerne eine Scheibe abschneiden: Tolles Design, überragende Fertigung und ein Bedienungsgefühl das angenehmer nicht sein könnte – der 852 ist eine konstruktive Meisterleistung. Aber jetzt zu den klanglichen Ergebnissen, denn alle anderen Aspekte stehen ja letztlich „nur“ im Dienste derselben …

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